Freiheit für Uli Hoeneß! – Letzter Teil

Einen Tag nach der Wahl Donald Trumps, die meisten Onlinemedien waren erwartungsgemäss noch auf Schnappatmung, fragte mich meine 13jährige Tochter, ob sie mich mal was fragen kann, und ich sagte, na klar, denn immer, wenn sie mich fragt, ob sie mich mal was fragen kann, weiss ich, dass sie etwas tiefer beschäftigt. Und so fragte sie, ob ich ihr erklären könne, warum die Menschen in Ohio, von denen so viele Trump wählten, keine Arbeit haben. Und da atmete ich erst einmal tief durch, denn diese Frage ist gewissermassen die Frage aller Fragen, da die realpolitisch richtige Beantwortung dieser Frage über Wohl und Wehe gerade ihrer Generation entscheiden wird, und dann sagte ich, dass die Menschen in Ohio ihre Jobs verloren haben, weil die Firmen anderswo billiger produzieren und deshalb mehr Geld verdienen könnten, woraufhin sie mich immer noch fragend anschaute, weshalb ich, mein MacBook kurz im Blick und nun entschlossen sie in ihrer Smartphone-Lebenswirklichkeit abzuholen, weiter ausführte, dass Menschen in anderen und ärmeren Weltgegenden nunmal für weniger Geld arbeiten würden und müssten, weshalb amerikanische Firmen wie Apple, die in Ohio produzieren könnten, ihre MacBooks und iPhones lieber in China zusammenbauen lassen, da es in China aufgrund der niedrigen Löhne dort mit allem Drum und Dran nur etwa 100 Dollar kostet, ein iPhone zusammenzubauen, das Apple dann für 600 Dollar verkaufen kann. Wenn sie das gleiche iPhone in Ohio zusammenbauen lassen würden, müsste Apple viel mehr für den Zusammenbau des iPhones bezahlen, vielleicht 400 oder 500 Dollar, da die Gehälter der Arbeiter in Ohio nunmal höher sind. Und das habe zur Folge, dass Apple, wenn sie ein Ohio-iPhone für 600 Dollar verkaufen, viel weniger Gewinn machen würde. Apple und andere Firmen wollen also mehr Geld verdienen und deshalb exportieren sie die Arbeit in ärmere Weltgegenden, weil die Arbeit, der Zusammenbau der iPhones und anderer Geräte, dort billiger ist. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass ihr Gewinn durch die Arbeitslosigkeit in Ohio und durch das Leid der billigen chinesischen Arbeitssklaven, die für Hungerlöhne schuften müssen, subventioniert werden, was wiederum Milliardengewinne für die amerikanischen Konzerne und Millionengewinne für die chinesischen Organisatoren der Sklavenarbeit zur Folge hat. Und das verstand sie. Und auch wieder nicht, denn wer kann einen solchen Wahnsinn schon verstehen? Dabei hatte ich ihr nur die halbe Wahrheit erzählt. Ich hatte unterschlagen, dass Apple mittlerweile über eine gigantische Bargeldreserve von 233 Milliarden Dollar verfügt, von denen allerdings nur rund 10% auf US-amerikanischen Konten lagern, den Rest bunkert der Konzern auf Off-Shore-Konten in den einschlägig bekannten Steueroasen. Das sei mittlerweile ein echtes Problem für Apple, meint ein Analyst im Internet, weil der Konzern dadurch gezwungen ist, für Investitionen und Aktien-Rückkäufe Anleihen auszugeben, für die Zinsen zu entrichten sind, was letztendlich aber immer noch billiger ist, als eigenes Geld einzusetzen, denn wolle man in Cupertino auf das eigene Geld im Ausland zurückgreifen, indem sie ihren Bargeldschatz oder zumindest einen Teil davon in die USA transferieren, müssten sie dort ordentlich Steuern zahlen. Und Steuern zahlen ist nunmal, wie Apple CEO Tim Cook wissen lässt: „total crap!“ (Totaler Scheiss). So lässt sich also mit ein wenig gutem Willen zusammenfassen, dass Apple seinen wirtschaftlichen Erfolg nicht nur durch die Arbeitslosigkeit in Ohio und den billigen Sklavenarbeitern in China subventioniert sondern auch durch die amerikanischen Unternehmen, die noch in den USA tätig sind und Gehälter zahlen, mit denen ihre Angestellten und Arbeiter Apple-Produkte kaufen und die darüber hinaus ebenso wie die Arbeiter in Ohio, die versuchen, sich und ihre Familien mit zwei oder drei Hungerleider-Jobs durchzubringen, auch noch die Steuern erwirtschaften müssen, die es braucht, um eine Infrastruktur zu finanzieren, die Apple nutzt, um seine Produkte an den Mann zu bringen. Ganz zu schweigen davon, dass die USA die verweigerten Steuerzahlungen gut brauchen könnten, um beispielsweise mit Infrastrukturmassnahmen kurzfristig relativ viele Menschen in Lohn und Brot zu bringen oder Bildungseinrichtungen und Universitäten zu gründen, auf denen auch jene Menschen qualifiziert werden könnten, deren Daddies nicht das erforderliche Kleingeld für Harvard, Yale oder Princeton aufbringen können. Wenn man Tim Cook fragen würde, warum sein Konzern so antisozial agiert, dann bekäme man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu hören, dass er als CEO einer Aktiengesellschaft allein seinen Shareholdern verpflichtet sei und damit in allererster Linie der Gewinnmaximierung. Und wenn man dann weiter fragen würde, wovon er denn diese Verpflichtung ableite, könnte er sicherlich auf eine Reihe von Rechtsnormen des amerikanischen Aktienrechts verweisen, wonach er sich vielleicht sogar strafbar macht, wenn er die Gewinnmaximierung nicht auf die Spitze treibt. Das Problem ist nur, dass die Normen des Aktienrechts zum Zeitpunkt ihrer Entstehung die Auswirkungen einer extrem globalisierten Wirtschaft noch gar nicht reflektieren konnten, da sich multinational agierende Konzerne nationalen Vorschriften und Finanzbehörden mit Leichtigkeit entziehen können, weil sich irgendwo auf dieser Welt mit Sicherheit ein armer Schlucker finden lässt, der für noch weniger Geld arbeiten wird, oder ein Land, dass sich mit noch weniger Steuern zufriedengibt. Die Konzerne berufen sich demnach auf nationales Recht, um sich im übernationalen Raum, den die Globalisierung ihnen eröffnet hat, die Konditionen oder das Recht oder die Rechtlosigkeit auszusuchen, die ihnen die hemmungsloseste Gewinnmaximierung ermöglichen soll. Diese Macht aber, sich ein ihnen genehmes Recht auszusuchen, können sie nur haben, wenn sie auch tatsächlich über dem Recht stehen oder anders ausgedrückt, wenn sie de facto im rechtsfreien Raum agieren und sich zur formalen Legitimation ihrer Bereicherungen immer das Recht der Länder herauspicken, das ihnen für ihre Zwecke gerade passt. In diesem Sinne sind die  Konzerne nur noch in sehr begrenztem Maße Recht und Ordnung unterworfen, das Kapital ist flüchtig und löst durch seine Flucht die bestehende Rechtsordnung beginnend an den Rändern auf. Und selbst dann, wenn sie die übernationale Rechtlosigkeit gar nicht übermässig in Anspruch nehmen und weiterhin im Inland produzieren lassen, erhalten die von ihnen angebotene Masse an Arbeitsplätzen ein durch die Globalisierung noch gesteigertes Gewicht, da die mögliche Flucht in die übernationale Rechtlosigkeit und damit der Verlust der Arbeitsplätze implizit immer im Raume steht, sodass die Konzerne – siehe VW – auch mit den grössten Gaunereien ungestraft davonkommen können. Diese Auflösungen des Rechts durch die Eliten mit den daraus folgenden sozialen Verwerfungen lässt bei vielen Menschen und vor allem bei den Betroffenen, auch jenen in Ohio, diffus das Bewusstsein wachsen, dass die gesellschaftlichen Regeln und Normen nicht mehr für alle bindend sind, beziehungsweise dass deren Geltung für Alle durch die gewählten Politiker des Establishments nicht mehr garantiert werden kann, was dann unweigerlich zu einem Vertrauensverlust führen muss, dessen tieferer Grund, die Auflösung des Rechts, vielleicht nur irgendwie emotional empfunden wird, der aber dennoch alles andere als emotional oder – Achtung! Modewort! – postfaktisch sondern im Gegenteil sehr faktisch, sehr real und sehr bedrohlich ist. Eine Demokratie, die das neben der Freiheit wichtigste demokratische Versprechen, die Gleichheit Aller vor dem Recht, nicht mehr einlösen kann, und deren Pole, die Armut und der Reichtum, die Stadt und das Land, auch dadurch immer weiter auseinander driften, ist in sehr ernster Gefahr. Und da ist es dann nicht unbedingt beruhigend, dass eine “Politikerin” dieser Tage wieder mit guten Chancen ihren Hut in den Ring warf, die in den letzten 11 Jahren überaus beeindruckend nachgewiesen hat, dass sie den Aufgaben in den nächsten Jahren, da für die zukünftigen Generationen in dieser Hinsicht entscheidende Weichen gestellt werden müssen, auch nicht annähernd gewachsen ist. Aber immerhin will sie sich irgendwie um die Menschen bemühen, „die sich als Modernisierungsverlierer sehen und derzeit noch bei populistischen Parteien von rechts und links ihre Zuflucht suchen.“ Wusste gar nicht, dachte ich, als ich den Mist das erste Mal gehört habe, wusste gar nicht, dass Modernisierung das neue Wort für Ausbeutung ist.

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