Der Repräsent

Und weil die besorgniserregenden Nachrichten über unseren komplett durchgeknallten Autor nicht abrissen, schickten wir einen Undercoveragenten in die Schaltzentrale der Macht eines kleinen unbedeutenden Pflegeheims im Nordschwarzwald. Hier ist sein Bericht:

Naja… also… so ganz habbich das immer noch nich begriffen, wie das der Autor gemeint hat, alser neulich sagte, weil er ja nochn Pflegeheim anner Backe hat, dasser sozusagen so nebenbei macht, weil er sonst schon genuch zu tun hat, wie er immer sagt, dasser jetzt aber echt die Faxen dicke habe, hattersagt und ich so: ja, wie meinste das denn?, habbichsagt und er sagt, er sei jetzt nich mehr Chef oder Geschäftsführer oder so mehr von seiner ollen Pflegeklitsche sonnern nur noch… äh … ja …der äh… Repräsent, glaubbich, hattersagt.

Und ich glaub ja, dass er jetzt nur noch der Repräsent ist und nich mehr der Chef, hat irgendwie damit zu tun, dasser, alser nochn Chef war, inner Zeitung ein Artikel von irgendsonem Soziologenonkel gelesen hat, indem wohl stand, dass insgesamt zwei soziale Schichten oder so demnächst heftig abschmieren werden, und die eine Schicht sind wie immer die Hartzer und die andere die Mittelschicht, zu der sich der Chef ja wohl irgendwie zugehörig wähnt, weshalb er hier auch immer so viel Wind macht von wegen Umverteilung von unten nach Oben und son Scheiss. Naja. Jedenfalls hat der Soziolog anscheinend noch in sein Artikel reingeschmiert, dass die Mittelschicht am Abkacken sei, könne man ziemlich deutlich schon daran sehen, dass sich immer weniger Menschen vonner Mittelschicht ihre Mittelschichtsstatussymbole wie beispielsweise den Ihms Launtsch Scheer oder so leisten können. Und als der Chef das gelesen hat, muss er sich wohl doppelt geärgert ham, weil er nämlich bis dahin keinen blassen Schimmer hatte, dass es so was, wie den Ihms Launtsch Scheer überhaupt gibt, noch dasser den, also so als Mittelschicht, unbedingt hätte haben müssen. Also isser gleich mal ins Internet, um zu schauen, wie son Ihms Launtsch Scheer überhaupt aussieht, und auch wenn ihm das hässliche Teil überhaupt nicht gefallen hat, wars ja logisch, dass der Chef das Ding unbedingt und schnellstens klar machen musste und zwar mit zugehöriger Fussbank. Das Problem ist nur, dass in dem Chef sein Büro gar kein Platz is für son Riesensessel mit Fussbank, weil dem Chef sein Büro nämlich nicht nur viel zu klein ist für son Trumm sonnern auch noch mit übelst viel Gerümpel vollgestellt ist. Also hat der Chef sein Ihms Launtsch Scheer erstma vor sein Büro aufgestellt und tatsächlich so zweima am Tach darin Platz genommen, um, mit den Füssen auf der zugehörigen Fussbank, wichtigen Geschäftsführergedanken nachzuhängen und auch ab und zu mal die Zeitung zu lesen. Und wahrscheinlich wär das noch ewig so weitergegangen, hätter in der Zeitung nicht wieder einen Artikel gelesen, der ihn achgottchen fürchertlich aufgeregt hat, weil der Artikel nämlich vom Bundespflegeheimkritiker aus München stammte, der sich mal wieder darüber ausliess, wie furchtbar krass die Zustände in den Bunsepflegeheimklitschen sei. Und natürlich lässt so was unseren Chef ziemlich kalt, da kann der drüber nur gähnen, also normalerweise, aber diesmal musste er auch lesen, dass die unhaltbaren Zustände in den Pflegeklitschen eben deshalb so unhaltbar sind, weil die Pflegeklitschen rechtsfreie Räume seien, in denen die armen Bewohner fortwährend allein der Willkür der bösen Chefs ausgeliefert sind. Und da is der Chef doch erstens glatt aus seim Ihms Launtsch Scheer gefallen und hat uns dann zweitens mal wieder einen seiner Vorträge gehalten, also die ewige Leier, wonach er in seinem eigenen Laden doch so gut wie nix mehr zu melden habe, weil die Bratpfannen in Brüssel, Berlin und Stuttgart den Betrieb seiner kleinen Pflegeklitsche bis ins allerletzte Detail vorschreiben würden, hattersagt, und uns dann mal wieder verklickert, dass man ihn zwingen würde, demnächst Doppel- als auch Einzelzimmer stillzulegen oder abzureissen, um nur noch neue und teure Einzelzimmer zu bauen, und dass die Lobbyisten in Stuttgart daran arbeiten würden, auch noch die Personalvorschriften so zu verändern, dass nur noch Pflegefachkräfte und nicht mehr auch Therapiefachkräfte anerkannte und behördlich vollamtich akzeptierte Fachkräfte seien, und dass deshalb therapeutische Flächen wie bei uns nicht mehr zu finanzieren seien, da man nämlich gezwungen wird, das Budget allein in die Errichtung und den Unterhalt von Wohnflächen zu stecken, so wie man, wobei er natürlich sich meinte, gezwungen wird, das Budget für die 50prozentige Fachkraftquote allein für zu viele Pflegefachkräfte auszugeben, weshalb man dann kann Geld mehr für therapeutische Fachkräfte habe, weil man den Euro eben nur einmal ausgeben kann. Und dann hat er uns ma wieder verklickert, dass ihm Krankenkassen immer wieder hässliche Briefe schreiben würden, um die Krankenhauskosten einzufordern, wenn Bewohner bei uns ihm Haus fallen und deshalb im Krankenhaus behandelt werden müssen. Und natürlich, glaubbich hattersagt, sei das schlimm, wenn Bewohner bei uns im Haus stürzen, aber leider könne auch ein Pflegeheim keine 100prozentige Sicherheit vor Stürzen gewährleisten, da diese 100prozentige Sicherheit nur dadurch gewährleistet werden kann, dass man die Freiheit der Bewohner eben auch zu 100 Prozent einschränkt, betrachte er sich aber die rechtlichen Rahmenbedingen, denen der Betrieb seiner Pflegeheimklitsche unterworfen ist, dann wäre es eigentlich, hattersagt, das beste, wir würden jeden Bewohner gleich bei Aufnahme an sein Bett in seinem 14qm grossen Einzelzimmer mit lichter Breite von drei fuffzich oder so fesseln und dann den Fernseher anschalten, denn nur so könnten wir allen Gesetzen, Verordnungen und möglichen Regressforderungen genüge tun, weshalb die Elendspflege, welche der Bunsepflegeheimkritiker mal wieder monierte, genau auch die Pflege sei, die politisch gefordert und gewollt ist, da Pflege eben gerade nicht im rechtsfreien Raum stattfinde sondern durch überbordendes Recht genauso und nicht anders definiert werde, wie sie der Bunsepflegeheimkritiker zur selbstlosen Promotion seiner Bücher kritisiert. Gute Pflege, hatternochsagt, sei deshalb eigentlich nur noch möglich gegen geltendes Recht. Und alser endlich fertig war mit seim Gedöns, hat der Chef wieder in sein Ihms Launtsch Scheer Patz genommen und erstma nix mehr gesagt sonnern nur böse geguckt, wie eben nur der Chef böse gucken kann. Aber alser nach einer halben Stunde fertig war mit böse Gucken, sah er zumindest kurzzeitig so aus, als würder mal was überlegen, was bei unserm Chef ja nich so wahnsinnig oft vorkommt, und dann isser mit einem leichten Lächeln im Gesicht aus seim Ihms Launtsch Scheer aufgestanden und Richtung neuen Aufzug marschiert, mit dem er dann auf’n Speicher fuhr, um durch den Speicher an seinen ollen Motorrädern vorbei zum Maschinenraum des alten Aufzuges zu stapfen, von wo er durch das Fenster auf das Dach des Altbaus kletterte. Und da stand er nun, der Chef, auf dem Dach seines Altbaus, den die Bratpfannen aus Stuttgart mit einem Handstreich und per Verordnung als nicht mehr zeitgemäss eingestuft hatten, da die Einzelzimmer plötzlich zu klein waren und Doppelzimmer generell nicht mehr erlaubt wurden. Na, und ich glaub ja, dass genau in dem Moment, da der Chef hoch oben auf dem Dach seines Altbaus stand und sich sein Blick in den Weiten des Nordschwarzwaldes verlor, dessen Wipfel an einem Herbstmorgen zunächst nebelverhangen waren, aber dann immer mehr durch noch überraschend kräftige Sonnenstrahlen durchbrochen wurden – dass genau in diesem Moment also – aus dem Chef der Repräsent wurde, denn alser endlich wieder runterkam von seinem Dach, hatte er ein ziemlich fettes Grinsen im Gesicht und sagte zu unser aller Verdutzung, dass er den Altbau abreissen lassen werde, um ihn dann wieder neu aufzubauen und zwar nur noch mit schicken neuen Einzimmern. Und ich dann so: wie’n das jetzt wieder zu verstehen sei, habbichsagt, ich mein, erst nervt der uns bis zum Abwinken mit seinem endlosen Gesabbel, wonach es völlig egal sei, wie gross die Zimmer in seiner Pflegeklitsche sind, da Menschen nun mal nicht ins Pflegeheim kommen, um dort zu wohnen, denn das könnten sie ja auch zuhause, sie kämen vielmehr zu uns, da sie nunma einen besonderen Zuwendungsbedarf oder so hätten, und Zuwendung nicht bedeute, diese Menschen in schicken Einzelzimmern vor dem Fernseher verschimmeln zu lassen sonnern eben echte menschliche Zuwendung pflegerischer und therapeutischer Art meine, und es deshalb wichtiger ist, therapeutische Ressourcen oder so zu bezahlen als behämmert grosse Wohnfläche, eben gerade weil man nich beides bezahlen kann, weil ja sonst Pflege für normale Menschen nich mehr zu bezahlen ist, und da sagt er, dass das ja mal wieder typisch sei, dass ich ma wieder nix begriffen hätte, weil ich ein armseliger Modernitätsverweigerer oder so wäre, der nich mit der Zeit gehen will. Und ich dann so: Was solln das heissen: Modertätsweigerer? Schliesslich und endlich hätte ich ja nix anderes als das gesagt, was er immer sagt mit seinem endlosen Gequatsche, und da sagt er: ja, also son spitzes “JA“, genauso: “JA“, verstehste..? …eben! Dass sich die Zeiten geändert hätten, hattersagt, und dass die Herrschaften in Brüssel, Berlin und Stuttgart endlich begriffen haben, welcher täglichen Mühsal er ausgesetzt ist, also Tag für Tag, wenn er in seiner Eigenschaft als Chef hier den Laden schmeissen müsste, weshalb er froh und dankbar sei, dass man nun endlich die Last der vielen Entscheidungen, die er als Chef zu unser aller Wohl und fortwährend treffen müsste, von ihm nehmen würde, da die besagten Herrschaften in Brüssel, Berlin und Stuttgart ja jetzt und eigentlich schon alle Entscheidungen, die er vielleicht irgendwann treffen müsste, schon längst und für alle Zeiten für ihn getroffen haben, und er somit eigentlich nix mehr entscheiden müsse sonnern nur noch die Umsetzung der Entscheidungen der anderen zu überwachen habe. Das sei n bisschen so wie bei den modernen Flugzeugen, hattersagt, die flögen auch alle mit Autopilot und die Pilot sitzen nur noch vorne in der Kanzel und gucken, ob der Flieger auch brav das macht, was der Computer, den andere programmiert haben, ihm sagt. Und so ist das auch jetzt mit uns, hattersagt, wir fliegen jetzt alle auf Autopilot, und nicht nur wir sonnern alle Pflegeklitschen und ambulante Dienste in Deutschland und Baden Württemberg, alle flögen jetzt nur noch mit Autopilot, weil nämlich alle die gleichen Koordinaten haben, weshalb alle das Gleiche machen würden, was, hattersagt, ihm eine grosse Erleichterung sei, denn wenn es keine Unterschiede mehr gäbe, dann brauche es auch keinen Chef mehr sonnern eben nur noch ihn als Repräsent, um aufzupassen, dass wir brav genau das machen, was die Bratpfan… äh …Herrschaften uns sagen.

Also setzte sich der Repräsent wieder in sein Ihms Launtsch Scheer, um das Repräsentieren schon ma zu üben und rief dann noch den Architekten an, mit dem er furchtbar wichtisch und furchtbar lang telefonierte. Und n paar Tage später kam dann der Architekt vorbei und brachte son Modelldings mit, das der Repräsent in der Cafeteria auf einen Tisch pflanzte, nachdem er uns alle zusammengetrommelt hatte, um uns, wie er meinte, über den aktuellen Stand der Planungen zu informieren. Und dann zog er das weisse Tuch von dem Modelldings und wir sahen das maßstabgerechte Modell des neuen Altbaus oder alten Neubaus oder wie auch immer, der irgendwie ziemlich viel größer war als jetzt, und da sagte der Repräsent, der Umbau werde zwar schweineteuer, aber die ganze Sache würde sich voll lohnen, weil nach dem Umbau hätten wir genau so viel Plätze wie davor. Und ich dann so: Äh… Chef, also irgendwie kapier ich das nicht, weil wenn wir extra umbauen, kostet uns das doch ne Stange Geld, nur um danach genau so viel Plätze zu haben wie jetzt? Was soll denn der Quatsch? Und da sagte der Repräsent, dass das ja mal wieder typisch sei und so weiter und dass ich ein armseliger Modernitätsverweigerer wäre und so fort und dass letztendlich nicht wir den Umbau bezahlen würden sonnern alle. Und da fragte ich: wie alle? Naja, hattersagt, alle eben! Alle, die Steuern und Kranken- und Pflegekassenbeiträge zahlen, von denen ja die Heimkosten zu einem nicht geringen Anteil getragen werden. Alle eben! Und da habbichs immer noch nicht kapiert und den Repräsent gleich nochma gefragt: Aber Chef, wenn der Neubau von allen bezahlt werden muss, dann ist doch der Altbau auch irgendwie von allen bezahlt worden. Und jetzt reissen wir den Altbau, der von allen bezahlt worden ist, ab, um den Neubau nochma von allen bezahlen zu lassen, nur um danach genau so viel Plätze zu haben wie bisher? Das heisst, wir lassen uns einen Platz doppelt bezahlen. Und zwar von allen? Und das, obwohl wir jeden Platz dringend brauchen werden, weil die Pflegebedürftigen wegen dem Demographiewandeldings immer mehr werden und die Steuer- und Beitragszahler immer weniger, sodass wir jetzt schon gar nicht mehr wissen, wie wir das überhaupt noch bezahlen sollen? Genau, sagte da der Chef, so isses, jetzt hastes endlich kapiert. Aber Chef, sagte ich, dass is doch der totale Wahnsinn! Nee, sagte da der Chef, das is Demokratie 2.0, weil die Mehrheit eben entscheidet. Und die Mehrheit in einer demographisch aus den Fugen oder so geratenen repräsentativen Pöstchendemokratie seien nun mal die über 60jährigen, die überhaupt noch in nennenswerter Anzahl zur Wahl gehen. Das sei im Übrigen auch der Grund, warum Anfang 2017, also kurz vor der Wahl, die Pflegejahrhundertreform in Kraft tritt, die noch mal zig Milliarden für die jetzt über 60jährigen locker machen werde, hattersagt, von denen wir gar nicht wissen, wo wir sie hernehmen sollen, weshalb, wenn ich oder er irgendwann mal Pflege benötigen, sämtliche Rücklagen zuverlässig verfrühstückt sein würden, sodass man unsere Pflege dann nicht mehr werde bezahlen können. Und während ich noch darüber nachgrübelte, warum denn der Autopilot nur so bescheuerte Koordinaten eingibt, dass wir alle vier Jahre immer wieder in derselben Grütze landen, fiel mir auf, dass das Modelldings von unserm neuen Altbau nicht nur irgendwie breiter war, sonnern auch noch irgendwie höher, zwar nicht so ganz sonnern irgendwie nur halb, weil dort wo früher das Dach war, son kleiner Pavillon draufgebaut war mit so ner schicken Dachterasse davor. Also bin ich noch näher ran, um mir das ma n bisschen genauer anzugucken, und tatsächlich das Dach war jetzt teilweise ökomässig begrünt und das Grün säumte eine kleine Terrasse aus ziemlich noblen Natursteinfliesen, und auf der Terrasse standen launtschige Gartenmöbeln und stylische Sonnensegel sowie ein ziemlich fetter Webergrill. Und am Ende der Terrasse stand der Pavillon, der rundum verglast war, son 360 Grad Panoramapavillon, durch dessen Scheiben man auch nach drinnen schauen konnte, also bin ich noch ma n bisschen näher ran, bis fast meine Nase an den Modelldingspavillon anstieß und tatsächlich war auch das Innere des Modellpavillondings absolut maßstabsgetreu zusammengebaut, und das Pavillon war drinnen so ne Art Büro mit einem Designerschieferplattenschreibtisch, auf dem ein riesen Mac draufstand, und ein fetter Designerschreibtischsessel davor, und auch noch, voll chefmässig, eine Designercouch auf der anderen Seite des Schreibtischs, direkt neben ner kleinen aber feinen Haus-Bar und einem wuchtigen Kühlschrank mit Crushed-Ice-Spender. Überhaupt war der ganze Raum voll edel und ziemlich teuer ausgestattet, also so antike Canadian Pine Pitch Dielen, elektrisch tönbare Fensterscheiben, Bang & Olufsen Audiosystem, Designer-LED-Leuchtleisten zum dezenten Kalibieren oder so der Lichttemperatur und son Zeugs halt, eben eine krass komplette Innenarchitekturdesign-Orgie aus schwarzem Leder, Edelstahl und Chrom. Und wie ich da so staunend reingucke, denk ich auf einma, jetzt trifft mich aber der Schlag! Denn an der Stelle des Büros, von wo aus man den besten Blick über die nebelverhangenen Wipfel des Schwarzwaldes haben müsste, stand doch tatsächlich ein Modell vom Chef sein Ihms Launtsch Scheer nebst Fussbank! Und da schwante mir doch was, und ich sagte zum Repräsent: Hey, Chef, was ist denn das, und deutete auf den Pavillon, ist das auch Demokratie 2.0? Und da sagte der Chef: Nee, das is Autopilot für Fortgeschrittene – und grinste.

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