reformationstag

Und jetzt, da wir alle mal wieder schön Demokratie gespielt haben, und die Demokratie nun endlich und gottseidank entschieden ist, so ähnlich wie bei einer Fussball-Weltmeisterschaft, die auch nur alle vier Jahre stattfindet, und auch nur durch wenige, durch eine Minderheit, die als Mehrheit erscheint, entschieden wird, und ausgerechnet die Grünen zusammen und in seltener Eintracht mit der Bild-Zeitung für Frau Merkel die Wahl gewonnen haben, und hernach gar nicht von ihrem Erfolge kosten wollten sondern sich vielmehr entschlossen, Frau Merkel oder deren Nachfolger bei der nächsten Wahl noch mehr Wählerstimmen abzutreten, um dann wieder in die Opposition zu gehen oder der FDP in das politische Nirvana zu folgen, hat die reformpflege beschlossen, jetzt endlich einmal strategisch vorzugehen und dasselbe zu machen wie bestimmte Lobbygruppen, die in den Parteizentralen der grossen Koalition die Telefone und Handys klingeln lassen, um ihre Wunschzettel durchzugeben. Und weil die reformpflege bedauerlicherweise über keine wirklich prominenten Telefon- oder Handynummern in den Parteizentralen verfügt, sie aber aufmerksam zugehört hat, als der wahre Demokratielehrer einst sagte, Demokratie halte sowohl eine Bring- als auch Holschuld bereit, hat sie beschlossen, ihren Wunschzettel auf den Bildschirm zu bringen, damit er, der Zettel, hier von den Grosskoalitionären abgeholt werden kann:

Was eine Pflegereform unbedingt und dringend beinhalten muss, ist eine Vereinfachung der Pflegeversicherung. Immer weniger Menschen verstehen die Pflegeversicherung, was zur Folge hat, dass immer mehr Menschen von den wenigen Menschen abhängig werden, die vorgeben, sie zu verstehen und ihren Vorteil daraus ziehen (siehe oben). Ein erster und wichtiger Schritt wäre die Vereinfachung des Pflegestufenmodells, die somatische und psychische Pflegebedürftigkeit gleichstellt.

Dies impliziert aber eine echte Erweiterung des Begriffes der Pflegebedürftigkeit. Menschen mit Demenz haben zu Beginn der Demenz einen höheren psychosozialen Betreuungsbedarf als bei fortgeschrittener Demenz, die jedoch die somatische Pflegebedürftigkeit ansteigen lässt. Eine Pflegereform, die endlich den psychosozialen Betreuungsbedarf von Menschen mit Demenz ernst nimmt, hat diese Tatsache zu berücksichtigen. Demzufolge braucht Pflege auch keine fünf Pflegestufen sondern nur noch eine einzige, denn der finanzielle Aufwand für eine ernstzunehmende psychosoziale Betreuung und eine gute somatische Pflege ist der gleiche.

Alle institutionellen Arten von Pflege, stationäre, teil-stationäre und ambulante, haben ernstzunehmende psychosoziale Betreuung anzubieten (und nicht nur durch teuer und durch bestimmte Anbieter zu schulende „Betreuungsassistenten“), unterlassen sie dieses Angebot, sollte Leistungskürzung durch die Pflegekasse erfolgen.

Der pflegepolitische „Gottseibeiuns“, das Pflegeheim, ist immer noch die Institution, die die bestmögliche psychosoziale und somatische Pflege zu den günstigsten Kosten bereitstellen kann. In den letzten Jahren jedoch wurde allein das pflegepolitische Ziel verfolgt, die stationäre Pflege für den Pflegebedürftigen immer teurer zu machen, um die Pflegebedürftigkeit in das „Off“ der ambulanten Pflege abzudrängen, die verbunden mit den bekannten Kontrolldefiziten eine mit der stationären Pflege vergleichbare Qualität nur zu deutlich höheren Kosten bereitstellen kann. Angesichts des zu erwartenden und dramatischen Anstiegs der Pflegebedürftigkeit kann diese Politik nur zur Folge haben, dass entweder die Pflegekassen bald ein erhebliches Problem haben werden, die ambulante Pflege zu finanzieren, da die Kosten explodieren werden oder die ambulante Pflege verelendet, da die explodierenden Kosten immer mehr auf die Betroffenen abgewälzt werden, die in der allergrössten Mehrheit eine ambulante Pflege umfassender und guter Qualität schlicht und einfach nicht bezahlen werden können. Aus diesem Grunde sind die Leistungen der Pflegekasse nicht nur für die ambulante sondern auch für die stationäre Pflege anzuheben. Gute Pflege muss bezahlbar bleiben. Stationär wie ambulant. Die Betroffenen sollen eine echte Wahl haben.

Die MDK-Prüfungen sowie die Pflegenoten sind ersatzlos zu streichen. Die Trägerverbände haben ihr Ziel erreicht, die Prüfungen sind hoffnungslos diskreditiert, sie liefern nicht die erwünschte Transparenz, werden sie nie liefern und verschwenden deshalb nur sinnlos Sozialversicherungsgelder sowie personelle Ressourcen der zu prüfenden Einrichtungen.

Ein weiteres Problem mit dem Pflege zu kämpfen hat, ist die Personalknappheit, der Mangel an Pflegefachkräften. Das ist ein Problem, das in der jüngeren Geschichte immer mal wieder aufgetreten ist, wenn auch nicht in der aktuellen Massivität. Um den Personalmangel kurzfristig zu begegnen, griff Politik in der Vergangenheit immer zu demselben Mittel, man importierte ausländische Pflegefachkräfte, welche die Personallücken schlossen. Das war – wie so vieles – letztlich nur ein Herumdoktern an den Symptomen und löste die eigentlich strukturelle Ursache für den Personalmangel nie, weshalb heute die Länder in Osteuropa, aus welchen Deutschland vornehmlich in den letzten Jahren seinen Bedarf an Pflegefachkräften deckte, sprichwörtlich leergefegt sind und ihrerseits unter einem Mangel an Pflegefachkräften leiden. Kamen die ausländischen Pflegefachkräfte ab Mitte der 90er Jahre noch aus dem europäischen Ausland, hat sich der Suchkreis der deutschen Pflegepersonalrekrutierung immer mehr erweitert wird, jüngst wurde beispielsweise ein Vermittlungsabkommen für philippinische Pflegefachkräfte abgeschlossen, was zur Folge hat, dass diese ausländischen Pflegefachkräfte, die jetzt oder noch später ihre Arbeit bei uns aufnehmen werden, unserem Kulturkreis, unseren Sitten, Gebräuchen und auch unserer Sprache ausserordentlich fremd gegenüberstehen. Die Anforderungen an Pflege haben sich seit Mitte der 90er Jahre aber durch die steigende Anzahl der dementiellen Erkrankungen radikal verändert, man hat auch in den 90er Jahren nicht nur mit Waschlappen, Spritze und Medikamentenplan gepflegt, die Kenntnis von Sprache, Kultur, Sitten und Gebräuche, kurz: die allernotwendigsten Voraussetzungen für eine adäquate psychosoziale Betreuung waren immer schon sehr wichtig und sind es heute aufgrund der besonderen Herausforderungen der Demenz ungleich viel mehr. Letztlich hat die Praxis der Politik, das Rekrutieren von ausländischen Fachkräften zur kurzfristigen Deckung von Personalengpässen, nie dazu geführt, dass sich das Image von Pflege verbesserte, das Gegenteil war vielmehr der Fall, Pflege verkümmerte zu einem permanenten Notstand, so dass heute nur noch wenige einheimische junge Menschen den Beruf ergreifen und viele von denjenigen, die ihn dennoch ergreifen, sich dem täglichen Frust, den regelmässig 200 – 300 Überstunden schon nach kurzer Zeit nicht mehr aussetzen wollen und aus der Pflege fliehen. Es war diese Politik, die es den eigentlichen Verursachern des Personalnotstandes, den von staatlichen Fördermillionen gehätschelten so genannten frei-gemeinnützigen Trägern von Pflege, allen voran Diakonie und Caritas – der Politik und der Pflege immer auf’s innigste verbunden – erlaubte, das strukturelle Defizit der Pflege aufrechtzuerhalten und immer mehr Geld aus dem gar nicht so unwillkommenen Pflegenotstand – Pflegekosten sind immer und in allererster Linie Personalkosten – herauszupressen. Ein „Verdienst“, das freilich nicht nur den kirchlichen Trägern gebührt sondern fast allen Trägern von Pflege, allein haben die kirchlichen Träger nicht nur einen wirtschaftlichen sondern eigentlich auch einen moralischen Auftrag, dem sie aber nicht nachkamen, indem sie sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege einsetzten sondern immer nur dafür, dass der Rubel rollte – und zwar in ihre Richtung und damit den guten alten kirchlichen Dukatenesel Pflege fast zu Tode ritten.

Das Image von Pflege ist über die Jahrzehnte so gründlich versaut worden, dass ein Entgegensteuern unendlich schwer, wenn nicht sogar unmöglich geworden ist. Das strukturelle Defizit von Pflege ist das Fehlen einer eigenen Tradition, das soll nicht heissen, dass Pflege keine Tradition hat, die hat sie sehr wohl, nur ist es nicht ihre ureigene, sie war und ist verquickt mit der Tradition der Kirchen, welche die Erfolge gerade der Pflege im Zeichen der Nächstenliebe gerne für sich verbuchten und sich dafür auch noch gut bezahlen liessen. Noch heute treten die Kirchen als Träger von Pflege, von Pflegeheimen und Pflegediensten auf, betreiben aber auch Pflegeschulen, Fachhochschulen, unterwandern mit ihren Arbeitnehmerverbänden die Berufsverbände und sind in so ziemlich jedem wichtigen politischem Gremium, das sich mit Pflegefragen beschäftigt, gewichtig vertreten, so dass sich in der Öffentlichkeit der Eindruck aufdrängt, die Kirchen hätten einen Alleinvertretungsanspruch für Pflege, die Kirchen seien Pflege und umgekehrt, und die Interessen von Pflege und Kirchen seien aus diesem Grunde deckungsgleich. Das sind sie aber nicht. Das Interesse der Kirchen an der Pflege ist vornehmlich finanzieller Art, das Interesse der Pflege müsste es jedoch sein, ihrem Beruf eine sichere Zukunft zu geben und dazu gehört neben einer besseren Bezahlung auch und in allererster Linie bessere Arbeitsbedingungen, die heute schon gerade durch die kirchlichen Träger bezahlt werden könnten.

Es gibt wohl keinen anderen zivilen Beruf, der so abhängig ist von anderen Institution wie die Pflege. Dabei ist auch in der Pflege das Mittelalter schon lange vorbei, dennoch hat Pflege es immer noch nicht verstanden, sich endlich zu emanzipieren, um ihre Ansprüche heute selbst zu formulieren und auch einfordern zu können, statt diese immer nur durch die Kirchen vermitteln zu lassen. Pflege muss endlich lernen, für sich selbst einzutreten. Denn mehr Geld allein genügt nicht, um ein schlechtes Image zu ändern, an dem auch die kirchlichen Träger dann nur noch mehr verdienen werden.

Bis dahin wäre es Aufgabe der Politik, endlich für eine strikte Trennung von Kirche und Staat zu sorgen, oder in einem ersten Schritt wenigstens für eine grösstmögliche Transparenz, damit für jeden offensichtlich wird, wer die Erfolge finanziert, deren Meriten sich die Kirche gerne an die Brust heftet, nämlich wir alle – unabhängig davon, ob man noch Mitglied in der Kirche ist oder nicht – und wer sie zu einem Grossteil tagtäglich erarbeitet: namentlich die Pflege.

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