Der Text für den Rest von uns 3 (Ich, der Souverän 2)

Und auch wenn die so genannte Spektakel-Verkomplizierung mindestens genauso effizient ist wie eine veritable EU-Verkomplizierung und dafür noch wesentlich schneller umgesetzt werden kann, so hat auch die Spektakel-Verkomplizierung zum Leidwesen der Prinzen dennoch zwei entscheidende Nachteile, die ihre Einsatzmöglichkeiten begrenzen. Spektakel-Verkomplizierungen sind zum einen sehr aufwendig, verbrauchen gerade in ihrer speziellen Form der Staats-Spektakel-Verkomplizierung ungemein viel an Ressourcen, sie bedingen also endlose Sitzungen, Unmengen an heisser Luft und sinnentleerten Prinzengeschwafels, was selbst den Prinzen irgendwann auf die Nerven geht, und sind zum anderen nicht unbegrenzt oft einsetzbar, da die Spektakel-Verkomplizierung eben der politische Ausnahmezustand ist, worin sich gerade auch ihre Funktion begründet, denn sollte die Spektakel-Verkomplizierung der politische Normalzustand werden, würde sie nicht mehr funktionieren, da sie von den Prinzen immer nur dann sinnvoll eingesetzt werden kann, wenn ich, der Souverän, sie, die Prinzen, bei einer ihrer Sauereien erwischt habe und die Prinzen auch wissen, dass sie erwischt worden sind und deshalb die sogenannte Spektakel-Verkomplizierung zünden, die eigentlich nichts anderes ist, als eine riesige Nebelgranate, die von ihren wahren Interessen und den Ursachen und der Urheberschaft der neuerlichen Sauerei, die ja der eigentliche Normalzustand ist, ablenken soll. Im Allgemeinen ziehen es die Prinzen aber vor, lieber nicht erwischt zu werden, was sie wiederum in ihr altbekanntes Prinzen-Dilemma stürzt, da sie natürlich überhaupt kein Interesse daran haben, keine neuerlichen Sauereien zu begehen, sie aber auch wissen, dass sie demnächst wieder beabsichtigen müssen, eine Wahl zu geben, was sie wiederum daran erinnert, dass es erstens: mich immer noch gibt und zweitens: sie meiner Legitimation bedürfen, um das zu erlangen, von dem ich immer denke, dass es am besten abgeschafft gehöre. Und weil das so ist und die Prinzen auch wissen, dass eine EU-Verkomplizierung zwar enorm effektiv aber auch sehr schwerfällig ist, da sie von langer Hand vorbereitet werden muss, und eine Spektakel-Verkomplizierung nicht ohne Ende eingesetzt werden kann, ohne sich abzunützen, und sie natürlich gar kein Interesse daran haben, meine Interessen zu vertreten sondern immer nur ein Interesse daran haben, mich fortwährend mit Gesetzen zu drangsalieren, die mich ziemlich verärgern könnten, da sie weniger meinem als mehr ihrem oder dem Wohl irgendwelcher Interessengruppen dienen, haben die Prinzen nach Vorbild eines amerikanischen Computerkonzerns eine weitere Art der Verkomplizierung ersonnen, die es ihnen ermöglichen soll, Sachverhalte so zu verkomplizieren, dass ich, der Souverän sie erstens: nicht kapiere und zweitens: auch nicht kapiere, dass ich sie nicht kapiere, weil ich zu der Ansicht gelangen soll, dass sie nicht kompliziert sondern im Gegenteil ganz einfach und auch durch mich voll und ganz zu kapieren sind, ohne dass ich sie wirklich kapiere, und diese Art der Verkomplizierung ist die sogenannte doppelte Verkomplizierung oder auch Verkomplizierung durch Vereinfachung. Und ich muss zugeben, dass diese doppelte Verkomplizierung das eigentliche Meisterstück der Prinzen ist, dem ich lange Zeit nicht auf die Schliche gekommen bin, da die Prinzen die Geschäftspraktiken des überaus erfolgreichen Konzerns bis in das letzte Detail studiert und auf ihre Geschäftspraktiken übertragen haben, indem sie unter anderem lernten, dass es auf Dauer nicht ausreichen wird, immer nur dieselbe EU- oder Spektakel-Verkomplizierung zu veranstalten, also immer wieder dieselbe Software aufzuspielen, sondern es in ihrem Sinne viel gewinnbringender sein könnte, neben der Software auch eine neue Hardware, einen neuen Typus von Prinz oder Prinzessin, zu entwickeln, der es ihnen ermöglichen soll, ihrem Geschäftsinteresse zunehmend ungestört nachgehen zu können, da ich, der Souverän, durch den vereinten Einsatz von Soft- als auch Hardware möglichst kaltgestellt werden soll und sich so auch der Schrecken dessen, was die Prinzen alle vier Jahre zu veranstalten beabsichtigen müssen, für diese mehr und mehr verliert.

Dass ich so lange brauchte, dieser neuen Geschäftspraktik meiner Prinzen auf die Schliche zu kommen, hat, wenn ich es recht bedenke, zweierlei Ursachen, zum einen, habe ich der Souverän, noch andere Sachen zu tuen, als immer und ohne Unterlass meine Prinzen zu kontrollieren, die mich ja vertreten sollen, während ich das Geld verdiene, um sie zu bezahlen, damit sie mich vertreten können, was zur Folge hat, dass ich, der Souverän, im Gegensatz zu den Prinzen einer Doppelbelastung ausgesetzt bin, da ich nicht nur das Geld verdienen muss, damit ich vertreten werden kann sondern auch noch jene zu kontrollieren habe, die mich vertreten, während die Prinzen einfach nur ihr Geld verdienen, indem sie mich vertreten. Und gerade wegen dieser Doppelbelastung, die aufgrund des grossen Einfallsreichtums meiner Prinzen mit ihren täglich neuen Verkomplizierungen wie Gesetzen, Verordnungen, Gesetzesinitiativen, Erlassen, Förderprogrammen undsoweiterundsofort schnell zu einer Überlastung werden kann, sehne ich mich im Grunde nach einer Vereinfachung meiner Kontrollfunktion. Ich sehne mich, wenn ich denn zuhause auf meiner Fernsehcouch sitze und den Fernseher einschalte, danach, dass meine Prinzen auf dem Bildschirm erscheinen und zu mir sprechen und beispielsweise sagen: SOLIDE FINANZEN, GEMEINSAM ERFOLGREICH, MEHR FÜR FAMILIEN, SICHERE ARBEIT, STARKE WIRTSCHAFT, und dann, wenn die Prinzen so gesprochen haben, was sie ja eigentlich immer und alle tuen, wünsche ich mir, dass ich ihnen wirklich und wahrhaftig auch glauben kann, was sie so versprochen haben. Also kurz gesagt, ich wünsche mir eigentlich eine einfache Welt, und am allerbesten eine Welt, die so einfach ist wie eine Fernbedienung mit nur einem einzigen Knopf. Und weil die Prinzen wissen, dass ich mir das wünsche, sie bisher aber nur über Fernbedienungen verfügten, die ziemlich viele Knöpfe hatten und auf denen mein Knopf stets der kleinste war, wenn er denn überhaupt mal funktionierte, und ich ihnen deshalb auch nie glauben konnte, was sie versprachen, haben sie zum anderen schon vor Jahren den Prototyp eines Prinzen oder genauer einer Prinzessin mit einer Fernbedienung mit nur einem einzigen Knopf entwickelt, der mein Bedürfnis nach grösserer Einfachheit bedienen soll und dessen unglaublicher und so nicht vorherzusehender Erfolg selbst dem einen oder anderen Prinzen im Verlauf der letzten Jahre doch etwas unheimlich geworden ist.

Und ich erinnere mich noch gut daran, dass auch mir seltsam unheimlich zumute war, als mir der Prototyp in seiner Eigenschaft als damalige Umweltministerin zum ersten Mal im Fernsehen vorgestellt wurde, als sie, die Ministerin, deren Fernbedienung mit dem einzigen Knopf damals allein in den Händen ihres Chefs lag, im Begriff war, einen Förderkorb im Salzstock Gorleben zu besteigen, um das zu untersuchen, was so ziemlich alle Umweltminister eines Landes untersuchten, untersuchen und untersuchen werden, in dem es zwar ganz sicher mehrere Abhandlungen oder Dissertationen oder Gutachten gibt, die über viele hundert Seiten erörtern, ob ein gebrauchtes Papiertaschentuch im Biomüll, in der Papiertonne oder doch besser im Restmüll entsorgt werden soll, aber immer noch kein Entsorgungskonzept für den inzwischen tonnenweise angehäuften Atommüll, der noch in Millionen Jahren tödlich vor sich hin strahlen wird, wenn das Papiertaschentuch schon längst verrottet ist. Und weil es mir so seltsam unheimlich war, als mir der Prototyp in seiner Eigenschaft als damalige Umweltministerin vorgestellt wurde, der im Fernsehen gerade in den Förderkorb stieg, um dann in die Tiefe zu rauschen und den Salzstock zu erkunden, glaubte ich auf einmal den dringenden Wunsch zu verspüren, der Prototyp in seiner weissen Bergmannskluft, dem Helm und Grubenlampe möge besser gar nicht mehr auftauchen, er möge besser unten bleiben, aber gerade, als ich anfing darüber nachzudenken, ob man aus dem Salzstock in Gorleben wenn schon kein Endlager für Atommüll so vielleicht doch ein Endlager für die Prinzen machen könnte, wenn man sie denn endlich eines fernen Tages nicht mehr bräuchte, tauchte der Prototyp plötzlich wieder auf dem Bildschirm auf, wie er überhaupt in den kommenden Jahren immer dort auftauchte, wo ich, der Souverän, ihn eigentlich nie vermutet hätte: er vier Jahre nachdem er überraschend im Umweltministerium aufgetaucht war, schon Generalsekretärin wurde, wiederum zwei Jahre später bereits den Parteivorsitz übernahm, um dann nach nur fünf weiteren Jahren auf einmal unser aller Chef zu werden. Und da erst begann es mir langsam zu dämmern, dass die Prinzen mit diesem neuen Prototyp etwas geschaffen hatten, das ich nicht mehr kontrollieren können sollte, aber sie zunehmend auch nicht mehr kontrollieren konnten, da dieser wundersame Prototyp ein einzigartiges Design besass, welches durch eine bis dahin nicht dagewesene Einfachheit bestach, die so einfach war, das sie nur sehr kompliziert oder gar nicht zu erklären ist, wie auch das Nichts nun einmal nur sehr kompliziert oder gar nicht zu erklären ist, da alle Gedanken oder Deutungen oder Begriffe an ihm abgleiten müssen, weil sie keinen Halt an dem zu Erklärendem finden, so wie auch alle Gedanken an dieser einzigartigen Einfachheit abgleiten mussten, da alles Komplizierte in einem Einfachen zusammengefaltet war, aus dem dann nur noch Beliebigkeiten krochen, die es dem Prototyp erlaubten, wie eines dieser neuartigen amerikanischen Flugzeuge mit Tarnkappentechnik sämtliche Frühwarnsysteme und Deutungsradare des Souveräns aber auch der Prinzen zu durchfliegen, ohne dort auch nur die geringste Spur zu hinterlassen, um sodann plötzlich und überraschend an einem Ort wieder aufzutauchen, den niemand, auch die Prinzen nicht, vorher auf der Rechnung hatte. Und nachdem mir das nun endlich gedämmert war, schaute ich auf die Fernbedienung mit dem nur einen einzigen Knopf, die mir, dem Souverän, jetzt durch den Prototyp in die Hand gedrückt worden war, strich mit dem rechten Daumen über den einen einzigen Knopf, der einst schon durch einen Bundeskanzler und einem Parteivorsitzenden gedrückt worden war, bevor der Bundeskanzler abgewählt wurde und der Parteivorsitzende die Fernbedienung mit dem nur einen einzigen Knopf abgeben musste, weil seine eigene Fernbedienung ein paar Knöpfe zu viel hatte, und drückte den einen einzigen Knopf, als der Prototyp über den Bildschirm flimmerte, und hörte ihn den einen einzigen Satz sagen, immer und immer wieder: DeutschlandwirdsichdafüreinsetzenDeutschlandwirdsichdafüreinsetzen…, sodass ich noch einmal den einen einzigen Knopf drückte und der Prototyp daraufhin sagte: DeutschlandDeutschlandDeutschlandDeutschland… und drückte noch mal den einzigen Knopf: WirWirWirWir…, woraufhin ich die Fernbedienung mit dem einen einzigen Knopf erschrocken fallen liess, da ich, der Souverän, begriff, wie dieser Prototyp Demokratie verstand, da ich begriff, wie er mich verstand, wie dumm er mich fand, und hiess mich Willkommen in seinem Land.

Hiess mich Willkommen in der Diktatur der Doofen.

Dritter und letzter Teil. Und falls jetzt Eine oder Einer unbedingt der Versuchung erliegen möchte, das leichteste von allen möglichen Missverständnissen zu begehen und zu behaupten, dieser Text meine, Wähler irgendeiner Partei und ganz speziell Frau Merkel seien doof, so sei Diesem oder Dieser gesagt, dass dies ganz gewiss nicht die Intention des Textes ist. Das wäre nämlich viel zu einfach.

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