Steckenpferd

Von Oliver Zajac

Vorgestern war der MDK da, drei nette Menschen, alles Pflegefachkräfte mit den entsprechenden Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen. Im April war auch schon die Heimaufsicht da und weil unsere Heimaufsicht keine Pflegefachkraft ist, hat sie neben einem Psychologen auch eine Pflegefachkraft mit den entsprechenden Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen mitgebracht, was auch vernünftig ist. Immer wenn der MDK da ist und eine so genannte Pflegetransparenzprüfung macht, und immer wenn die Heimaufsicht da ist und eine sogenannte regelmässige Heimbegehung macht, dann sind diese Prüfungen unaufgeregt und geprägt von gegenseitigem Respekt, da wir wissen, dass diese Prüfungen an sich leider notwenig sind und insbesondere die so genannte Pflegetransparenzprüfung, zu der wir eine sehr spezielle Meinung haben, die hier nicht weiter vertieft werden muss, da auch und gerade die so genannte Pflegetransparenzprüfung ja einer der widerwilligen Geburtshelfer dieses Blogs war und deshalb hier schon mehr als nur ausführlich besprochen worden ist, nach Regeln zu verlaufen hat, welche die Prüfenden nicht zu vertreten haben.

Und auch wenn die Prüfenden die Regeln ihrer Prüfungen nicht zu vertreten haben, so verraten Details manchmal doch ihre Sicht der Dinge. Und seltsamerweise war dieses Detail bei beiden Prüfungen nicht nur gleich sondern dasselbe, es drückte sich aus in einem Satz oder einem Halbsatz der von der prüfenden Pflegefachkraft der Heimaufsicht und einer prüfenden Pflegefachkraft des MDK genau gleich formuliert wurde und deshalb genau derselbe Halbsatz ist. „Ja, ich weiss,“ sagte die prüfende Pflegefachkraft der Heimaufsicht im April auf meine Aufforderung, jetzt noch die Therapie zu besichtigen und „Jetzt kommen wir zur Sozialen Betreuung,“ sagte die prüfende Pflegefachkraft des MDK vorgestern, als er sich durch seine Prüfungsvefahrensanweisungen bis zu dem Punkt der Sozialen Betreuung hindurch gearbeitet hatte, und dann sagten beide „…das ist doch ihr Steckenpferd.“

Das ist doch ihr Steckenpferd.

Und auch wenn beide Pflegefachkräfte diesen Halbsatz nicht abschätzig sondern anerkennend aussprachen, jedenfalls habe ich ihn so verstanden, so schwingt in diesem Halbsatz dennoch in meinen Ohren mit, dass es sich bei dem Steckenpferd, also der fachlich adäquaten und somit umfassenden Betreuung von Menschen mit Demenz, in den Augen der beiden Pflegefachkräfte eher um eine Nebensächlichkeit, wenn nicht sogar um eine Art Liebhaberei handelt. Ganz so, als sei die fachlich adäquate und somit umfassende Betreuung von Menschen mit Demenz unser Hobby, als sei sie eine liebenswürdige, schrullige Marotte, die nicht ausdrücklich gefordert wird und deshalb in den Prüfkriterien des MDK nur einen sehr rudimentären Niederschlag findet, während die Zettelprüfung der Strukturdaten und der Dokumentation mitunter Stunden in Anspruch nehmen kann. Vielleicht rührt diese eigene Sicht der Dinge zumindest des MDK-Prüfers aber auch daher, dass viele der MDK-Prüfer ursprünglich aus der Krankenhauspflege stammen und somit einen Berufsalltag kennengelernt haben, der mit dem Berufsalltag von Pflege wenig gemein hat, zumal sich unsere Krankenhäuser aufgrund der Fallpauschalen immer mehr in Ambulanzen verwandeln. Die allgemeine Krankenhauspflege begleitet eine kurzzeitige medizinische Intervention, sie begleitet eine Gallenkolik, einen entzündeten Blinddarm oder einen Oberschenkelhalsbruch. Sie begleitet somit einen ganz bestimmten, klar definierten Defekt und dies aus ökonomischen Zwang heraus so kurzzeitig wie nur irgend möglich. Wie schon mehrfach an gleicher Stelle betont, hat sich das Anforderungsprofil von Pflege aber dramatisch verändert und wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verändern. Acht von zehn unserer Neuaufnahmen weisen schon heute einen dementiellen Hintergrund auf. Demenz ist kein begrenzter Defekt sondern eine Versehrung, die den erkrankten Menschen nach und nach in seiner Gänze verschlingt, weshalb sich Pflege dem ihr anvertrauten Menschen auch in seiner Gänze anzunehmen hat und zwar bis zu seinem Lebensende.

Am Tag, als der MDK kam, fand ich in der Post auch den „Rahmenplan für die praktische Ausbildung in der Altenpflege in Baden-Württemberg“, der noch unter der alten Landesregierung erstellt wurde und welcher die theoretische Grundlage für die praktische Ausbildung derjenigen Menschen darstellen soll, die sich in Zukunft neben den therapeutischen Fachkräften um die professionelle Pflege und Betreuung der vielen, vielen Menschen kümmern werden, die heute schon oder bald oder erst in ein paar Jahren an Demenz erkranken.

Das Wort „Demenz“ findet sich in dieser 52seitigen Broschüre kein einziges Mal, dafür aber die Worte „demenziell erkrankt“. Ganze drei Mal. Immerhin.

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