Von der Transparenz und der Prüfung derselben – zweiter Teil

Von Oliver Zajac

Eigentlich hatte sich reformpflege fest vorgenommen, zu den so genannten Pflegetransparenzprüfungen zu schweigen. Aber schon im September letzten Jahres war dieses Schweigen angesichts des schon damals klar zu erkennenden Charakters dieser so genannten Pflegetransparenzprüfung nicht mehr ein- und auszuhalten, und es erschien auf diesem Blog der erste kritische Beitrag zu der so genannten Pflegetransparenzprüfung, dem im Laufe der letzten Monate noch viele weitere Texte mit dem gleichen Thema folgen sollten. Und natürlich war mir und uns allen, auch den gelegentlichen oder regelmässigen Lesern dieses Blogs, zu denen auch einige Mitarbeiter des MDK Baden-Württemberg gehören, klar, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, da auch wir wieder einer so genannten Pflegetransparenzprüfung ausgesetzt sein werden. Und wer dieses Blog kennt, der hätte ahnen können, dass wenn dieser Zeitpunkt erst einmal gekommen ist, die reformpflege natürlich auch über die an ihr selbst vorgenommene so genannte Pflegetransparenzprüfung berichten wird, da dieser Bericht eine Innenansicht der Prüfung bieten würde, die ihre ganze Unzulänglichkeit voll umfänglich offenbart. Und tatsächlich kam dann auch im Juli eine dreiköpfige Delegation des MDK, bestehend aus dem Delegationsleiter und zwei weiteren Pflegefachkräften und veranstalteten das, was sie eine sogenannte Regelprüfung nannten und was gemeinhin die so genannte Pflegetransparenzprüfung ist, deren Auswertungen nun vorliegen und über die nun berichtet werden kann.

Aber der Reihe nach: Als der Herr Delegationsleiter sich nach seiner insgesamt 6-stündigen Zettelprüfung verabschiedete, kündigte er uns seinen Bericht in drei Wochen an. Tatsächlich kam der Bericht aber viel früher, er kam bereits nach einer Woche im pdf-Format per eMail und war ein 80 Seiten umfassendes Werk, das ich seinerzeit nicht gelesen habe. Zwei Tage später kam dann wiederum eine eMail, die diesmal keine pdf-Datei enthielt sondern lediglich einen Link zu einer Webseite, auf der wir unsere Zugangsdaten eingeben sollten, um den so genannten Transparenzbericht einsehen zu können. Seltsamerweise befand sich jedoch kein neuer Transparenzbericht auf unserem Account sondern nur der alte, so dass ich erst einen neuen Account anlegen musste, um unseren neuen Transparenzbericht herunterladen zu können und dabei einen neuen Benutzernamen erfinden musste, da der alte schon vergeben war und zwar an uns. Der Transparenzbericht enthielt sodann eine Menge Noten, die meisten davon waren 1,0, aber 6 Benotungen waren ein bisschen mehr als nur einskommanull, eine war einskommafünf, dann zweikommasechs, gefolgt von einer vierkommaeins sowie dreimal fünfkommanull, was ja die schlechteste Benotung ist, welche der MDK überhaupt zu vergeben hat.

Um die sich jetzt anschliessende Prüfung der so genannten Pflegetransparenzprüfung voll umfänglich und vor allem transparent zu gestalten, werden beide Dateien, der so genannte Prüfbericht, der vom MDK nicht veröffentlicht wird und der so genannte Transparenzbericht, der vom MDK nach einer Frist von 28 Tagen im Internet veröffentlicht wird und von uns mit einem Kommentar versehen werden kann, der „maximal 3.000 Zeichen inklusive Leerzeichen umfassen“ darf, hier veröffentlicht, sozusagen als Weltpremiere. Der Prüfbericht ist, wenn man so will, die Dokumentation des MDK, er soll festhalten, was sich tatsächlich in der Einrichtung während der Prüfung abgespielt hat, er wird an die Pflegekasse und die geprüfte Einrichtung verschickt und liefert die Begründung für die Noten im Transparenzbericht, die in ihrer nackten Schlichtheit wenig aussagefähig sind. Man muss den Prüfbericht nicht voll umfänglich gelesen haben, um das Folgende nachvollziehen zu können, er dient hier aber als Beleg, dass reformpflege einzelne Passagen aus dem Prüfbericht korrekt zitiert, die Veröffentlichung ist also auch ein Gebot der Fairness gegenüber dem MDK. Wenn wir nach Meinung des MDK auch mal was richtig gemacht haben, was vorkommt, so ist das im Prüfbericht zumeist mit den fünf Wörtern „Die Anforderung wird vollständig erfüllt.“ verzeichnet, was auch wenig aussagefähig ist, so dass wir uns in der Prüfung der so genannten Pflegetransparenzprüfung allein auf die sechs schlechter benoteten Kriterien beziehen, die wir nach Meinung des MDK nicht erfüllt oder nicht vollständig erfüllten, weil wir mal wieder etwas nicht richtig oder nicht ganz richtig gemacht haben. Was richtig oder falsch oder nicht ganz richtig ist, beurteilt der MDK. Er tut dies auf Grundlage der Richtlinien, die von einem Gremium erarbeitet wurden, dem Vertreter der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene angehören, also kurz gesagt: die übliche Melange aus Politikern, Apparatschiks, Beamten und Lobbyisten.

Der Prüfbericht beginnt mit einer Zusammenfassung der Empfehlungen des MDK, für die wir natürlich sehr dankbar sind, fragt sodann die sogenannten Strukturdaten ab, zu denen auch unsere Personalzusammensetzung gehört, die im Bericht nicht korrekt wiedergegeben ist, da wir nicht nur angelernte Pflegeassistentinnen beschäftigen, die nicht zu unseren schlechtesten Mitarbeitern zählen, sondern sehr wohl auch ausgebildete Pflegehelferinnen, deren Arbeit gleich vergütet wird. Auch wusste der MDK offensichtlich nicht so recht, was er mit unserer Medizinischen Bademeisterin und den zwei Kunsttherapeutinnen anfangen soll, die obwohl anerkannte Fachkraft, der Einfachheit halber in der Kategorie „Sonstige“ verklappt worden sind. Nach der Personalzusammensetzung folgt dann noch eine Menge sogenannter Strukturdaten, bevor mit dem Kapitel 11 „Allgemeine Angaben zu dem Bewohner“ die eigentliche bewohnerbezogene so genannte Pflegetransparenzprüfung beginnt und wir somit zu dem kommen, was wir nach Sicht des MDK falsch, nicht richtig oder nicht so ganz richtig gemacht haben.

Im Transparenzbericht wird unter der Frage:

3. Entspricht die Medikamentenversorgung den ärztlichen Anordnungen?

eine 1,5 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 24:

„Das Medikament: Nifedipin 10 mg in Tablettenform, das der Bewohner ärztlicherseits bei einem Blutdruck über 170 / 100 erhalten soll (bis zu 2 x 1 Tablette täglich), ist in der Einrichtung nicht vorrätig und kann somit bei Bedarf dem Bewohner nicht gegeben werden.

Empfehlung/Maßnahme

Alle Medikamente, die der Bewohner ärztlich verordnet bekommen hat (einschließlich der Bedarfsmedikation), müssen in der Einrichtung vorhanden sein, um sie bei Bedarf zeitnah verabreichen zu können.“

Dazu muss man wissen, dass Pflegeheime über keine Zentralapotheke verfügen wie Krankenhäuser. Die Bewohner haben die ihnen verordneten Medikamente, wie alle anderen Menschen auch, wenn sie nicht gerade im Krankenhaus liegen, in ihrem persönlichen Besitz. Das hat zur Folge, dass wir die Medikamente unserer Bewohner verwalten, kontrollieren, verabreichen, und unsere Medikamentenschränke aus allen Nähten platzen, da wir so ziemlich jedes Präparat doppelt, dreifach oder zigfach da haben. Wenn sich ein bestimmtes Bedarfsmedikament nicht mehr in der dem Bewohner zugehörigen Box befindet, dann hat der Bewohner aktuell keinen akuten Bedarf, die Mindesthaltbarkeit des Medikamentes ist abgelaufen und es wurde entsorgt. Sollte der Bewohner P1 plötzlich einen akuten Bedarf entwickeln, erhält er zunächst das Medikament von einem anderen Bewohner, sein Medikament wird besorgt und dem anderen Bewohner zurückerstattet. Diese Praxis ist – streng genommen – nicht ganz korrekt, hat aber seinen Grund darin, dass Medikamente nun einmal Geld kosten, nur wenige Bewohner von der Zuzahlung befreit sind, viele Medikamente nicht mehr rezeptiert werden, also von den Bewohnern bezahlt werden müssen, und auch die von der Krankenkasse bezahlten Medikamente zu schade sind, um sie bei Nichtgebrauch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ungeöffnet einfach wegzuschmeissen.

Im Transparenzbericht wird unter der Frage:

4. Ist der Umgang mit Medikamenten sachgerecht?

eine 2,6 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 50:

„Als Bedarfsmedikation erhält der Bewohner eine Tablette Tavor 1,0 mg. Hier fehlt die Angabe zur Tageshöchstdosis.“

Wir können uns nicht recht erklären, wie der MDK das meint. Wenn er damit meinen sollte, dass noch zusätzlich zu der Dosis 1,0 mg eine Tageshöchstdosis zu vermerken ist, dann können wir nur erwidern, die vermerkte Dosis von 1,0 mg ist immer auch die Tageshöchstdosis, wenn ausdrücklich keine andere Tageshöchstdosierung vermerkt wurde. Sollte der MDK verlangen, dass noch eine gleich lautende Tageshöchstdosis zu vermerken ist, auch wenn die Tageshöchstdosis identisch ist mit der angesetzten Bedarfsdosierung, dann kommen wir dieser Empfehlung selbstverständlich gerne nach.

Im Transparenzbericht wird unter Frage:

20. Erfolgt eine systematische Schmerzeinschätzung?

eine 4,1 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 56:

„Der Bewohner hat seit längerem chronische Schmerzen in beiden Knien. Nach ärztlicher Verordnung erhält er das Medikament Ibuprofen 600mg in Tablettenform, 2 x täglich eine halbe Tablette. Bei Befragung durch den Gutachter gibt der Bewohner an, bei Bewegungen Schmerzen in den Kniegelenken zu verspüren. Die Einrichtung führt keine systematische Schmerzeinschätzung durch.“

Der Bewohner P6 hat in der Tat chronische Schmerzen und das nicht nur in den Knien sondern fast überall am und im Körper. Er erhält deshalb eine Schmerzmedikation, die an den allermeisten Tagen ausreicht, um ihn schmerzfrei sein zu lassen. An manchen Tagen jedoch melden sich seine Knie und er erhält die dafür vorgesehene Bedarfsmedikation. Das ist das Ergebnis unserer Schmerzeinschätzung, die sich auch in unserer Dokumentation niederschlägt. Allerdings vermerkt die Dokumentation nur die Tage, an denen er die Bedarfsmedikation erhalten, also Schmerzen hatte. Die Tage, an denen er gefragt wurde und an denen er nach seiner Auskunft schmerzfrei war, vermerkt die Dokumentation nicht.

Im Transparenzbericht wird unter der Frage:

29. Liegen bei freiheitseinschränkenden Maßnahmen Einwilligungen oder Genehmigungen vor?

eine 5,0 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 62:

„Die Freiheit des Bewohners wird mit folgenden Maßnahmen beschränkt: Die Bettseitenteile sind beidseits nach oben gestellt. Es liegt ausschließlich eine schriftliche Einwilligungserklärung des gesetzlichen Betreuers vor.

Empfehlung/Maßnahme

Bei nichteinwilligungsfähigen und mobilen Bewohnern können regelmäßige und dauerhafte freiheitsentziehende Maßnahmen nur durch einen Beschluss des zuständigen Vormundschaftsgerichtes legitimiert werden.“

Das ist ein sehr schwerer Vorwurf, der auch strafbewehrt sein kann, da er den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt. Denn würde der Bewohner tatsächlich unter gesetzlicher Betreuung stehen, dann wäre er zwangsläufig nichteinwilligungsfähig und die hochgezogenen Bettseitenteile hätten vormundschaftsrichterlich genehmigt werden müssen. Der Bewohner steht aber nicht und stand nie unter gesetzlicher Betreuung, wie der MDK fälschlicherweise unterstellt. Der Bewohner hat seinem Sohn eine allgemeine Vollmacht erteilt, ihm aber nicht das Recht übertragen, so wie es ein gesetzlich bestellter Betreuer mit dem entsprechenden Aufgabengebiet „Aufenthaltsbestimmung“ automatisch qua Gesetz hat, für ihn nach § 1906 BGB freiheitsentziehende Massnahmen zu beantragen. Das heisst, dass der Bewohner, wenn auch nicht mehr geschäftsfähig, durchaus in das Hochziehen der Bettseitenteile einwilligen kann, wenn er einwilligungsfähig ist. Einwilligungsfähig ist ein Bewohner, wenn er die volle Tragweite seiner konkreten Entscheidung ermessen kann. Der Bewohner ist laut Diagnose stark sturzgefährdet, war bei Aufnahme aus einer anderen Einrichtung grün und blau am ganzen Körper, da er dort mehrfach gestürzt ist und auch aus dem Bett fiel. Dass wir die Bettseitenteile hochziehen, ist der ausdrückliche Wunsch des Bewohners, wie es auch der ausdrückliche Wunsch seiner Angehörigen ist, dass der Bewohner so lange wie möglich frei entscheiden soll, ob die Seitenteile hochgezogen werden oder nicht. Ein Wunsch, den wir in unserem Rechtsverständnis und nach unserem Kenntnisstand für rechtskonform halten und ihm deshalb entsprochen haben. Die schriftliche Einwilligungserklärung, die der MDK vorgefunden hat, ist deshalb auch nicht die schriftliche Einverständniserklärung des nicht vorhandenen gesetzlichen Betreuers oder des vorhandenen Vollmachtnehmers, es ist die Einwilligungserklärung des Bewohners selbst. Wahrscheinlich eine Verwechslung des MDK, die dadurch zustandekam, dass der Sohn, welcher für den Betreuer gehalten worden ist, zufälligerweise den selben Nachnamen trägt wie sein Vater.

Wir haben den MDK bereits zweimal schriftlich über seinen Irrtum informiert als auch um eine Stellungnahme gebeten, welche uns mittlerweile vorliegt.

Es ist unverständlich, warum überhaupt für das Hochziehen der Bettseitenteile bei Bewohnern, die unter gesetzlicher Betreuung stehen oder das Recht auf Beantragung freiheitsentziehender Massnahmen an einen Vollmachtsnehmer abgetreten haben, eine vormundschaftsrichterliche Entscheidung vonnöten ist. Denn das Hochziehen der Bettseitenteile setzt die Einwilligung des Bewohners in jedem Falle zwingend voraus, da das Hochziehen der Bettseitenteile eine beschützende Massnahme ist, die vom Bewohner als solche verstanden und akzeptiert werden muss, um auch als solche zu wirken. Akzeptiert, versteht und begreift ein mobiler Mensch mit Demenz ein Bettseitenteil nicht mehr als beschützend, ist er zu verwirrt, so ist ein Bettseitenteil ohnehin kontraindiziert, da er höchstwahrscheinlich versuchen wird, über das Bettseitenteil zu klettern und somit das Sturzrisiko als auch die Fallhöhe nur vergrössert. Ganz zu schweigen davon, dass man mit der Diagnose „Demenz“ nicht sofort und pauschal alle Freiheitsrechte verlieren sollte. Demenz ist ein Prozess, der auch die Entscheidungskompetenz nach und nach auflöst. Menschen mit Demenz sollten nicht durch gutachtende Amtsrichter, die zudem auch anderes zu tun haben, als jedes Bettseitenteil der Republik zu inspizieren, noch mehr entmündigt und frustriert werden, als es die Krankheit ohnehin schon tut. Sie sollten die lebensweltlichen Entscheidungen, die sie noch treffen können, auch in eigener Autonomie treffen dürfen. Das gilt gerade und besonders für die Bettseitenteile. In diesem Sinne sind Bettseitenteile auch keine freiheitsentziehende sondern freiheitsbetonende Massnahmen und dieser Sinn ist der Respekt vor der Freiheit des Willens, der von der Pflegeeinrichtung akzeptiert werden sollte – so oder so. Auch und gerade in der Demenz.

Im Transparenzbericht wird unter der Frage:

53. Wird die Eingewöhnungsphase systematisch ausgewertet?

eine 5,0 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 10:

„Die Eingewöhnung der Bewohner in die Pflegeeinrichtung wird systematisch begleitet. Die Eingewöhnungsphase sollte noch systematisch ausgewertet werden.“

Der Prüfbericht erläutert auf Seite 22:

„Die Einrichtung unterstützt neu eingezogene Bewohner in der Eingewöhnungsphase. Jeder Bewohner erhält in dieser Phase einen Mitarbeiter als Bezugsperson. Der Bewohner wird den Mitarbeitern und Mitbewohnern seines Wohnbereichs bei einer Mahlzeit vorgestellt. Der Tagesablauf wird besprochen. Die Betreuungsangebote werden vorgestellt. Der Heimbeirat und seine Funktion werden dem neu eingezogenen Bewohner vorgestellt. Die Aufenthalts- und Therapieräume, sowie die Funktionsräume werden dem Bewohner von seiner Bezugsperson gezeigt, auf Wunsch auch mehrmals. Nach einigen Wochen findet nach Angabe ein Integrationsgespräch mit dem neuen Bewohner statt. Das Ergebnis wird dokumentiert.“

Was soll man dazu sagen? Im Prinzip widerspricht sich der Prüfbericht selbst. Wenn ein neuer Bewohner bei uns einzieht und auch wenn ein bereits eingezogener Bewohner sich in seiner Bedarfslage verändert, da er dementer, älter und/oder pflegebedürftiger geworden ist, so wird das in unseren Übergaben besprochen, Massnahmen werden geplant und protokolliert, die Ergebnisse dieser Massnahmen werden wieder reflektiert, überplant und dokumentiert. Wir versorgen, pflegen und betreuen Menschen, deren Eingewöhnungsphase eigentlich nie endet, da die Menschen bei uns sind, weil sie Defizite haben, die sich in unterschiedlichen Zeitphasen ändern und uns somit herausfordern, das pflegerische und therapeutische Setting an diese sich verändernden Bedarfslagen immer und immer wieder anzupassen. Genau das ist Reformpflege. Die Vorstellung, Frau Müller zieht in das Zimmer 101 ein, ihre Eingewöhnphase dauert 4 Wochen, wird systematisch ausgewertet und in 2 Jahren fällt Frau Müller in ihrem Quasi-Hotelzimmer tot um, ist ein Witz! Man stelle sich vor, ein Kind wird mit 2 Jahren im Kindergarten aufgenommen und verbleibt in der Gruppe der Zweijährigen, bis es endlich eingeschult wird und übertrage das auf Pflegeeinrichtungen, so erhält man ein völlig antiquiertes Modell von Pflege, das vom MDK anscheinend gefordert wird und das in den allermeisten Pflegeheimen immer noch Realität ist. Aber so, wie ich den Herrn Delegationsleiter verstanden habe, vermisste er einen Zettel, auf dem verzeichnet sein sollte, dass die Eingewöhnungsphase abgeschlossen ist und auf dem ausserdem noch ein Kästchen hätte sein müssen, ein Kästchen mit der Bezeichnung „systematisch ausgewertet und abgeschlossen“, welches angekreuzt und der ganze Zettel hätte abgeheftet sein sollen – und das möglichst schon vor der Aufnahme.

Im Frühjahr diesen Jahres haben wir ein hausinternes Projekt gestartet. Und zwar wollten wir nicht nur die Gemeinschaftsräume sondern das ganze Haus durch die Bewohner mitgestalten lassen. Zu diesem Zweck haben wir insgesamt 120 Bilderrahmen gekauft als auch in der Holzwerkstatt fleissig Podeste gezimmert. Mittlerweile haben wir schon über 100 Bilder in unseren Fluren, Zimmern und Treppenhäusern aufgehängt und auch die Podeste mit Plastiken bestückt. Der Herr Delegationsleiter ging während seiner Zettelprüfung immer wieder an Dutzenden Aquarellen, Gouachen, Collagen, Drucken, Pastellen, Fotographien, Holz-, Filz- und Tonarbeiten unserer Bewohner vorbei, der Herr Delegationsleiter setzte sich in die von den Bewohnern gestalteten und gefertigten Hussen, stellte seine Kaffeetasse ab auf die von den Bewohnern bestickte Tischdecke und fragte mich allen Ernstes, ob die Bewohner die Gemeinschaftsräume mitgestalten könnten. Genau jene Gemeinschaftsräume, die unsere Therapieräume sind und die von den Damen und Herren des MDK nicht auch nur eine Minute besichtigt worden sind, da die Damen und Herren des MDK keinerlei Interesse an der therapeutischen Betreuung unserer Bewohnerschaft hegten, und die Daten zur sozialen Betreuung nur mündlich und anhand unserer alten, nicht mehr aktuellen therapeutischen Konzeption erhoben wurden. Da fragte ich den Herrn Delegationsleiter also, wie er das denn meine, ob die Gemeinschaftsräume durch die Bewohner mitgestaltet werden können, und bot ihm an, die Gemeinschaftsräume doch in Augenschein zu nehmen. Da fragte der Herr Delegationsleiter, ob wir denn die Musterheimverträge unseres Verbandes verwenden würden, was ich bejahte, denn seit das politische Talent Ursula von der Leyen ein neues Heimvertragsgesetz gebastelt hat, verstehe ich meine Heimverträge nicht mehr, die ich vierfach zu unterzeichnen habe, die von den Heimbewohnern oder ihren Angehörigen auch vierfach zu unterzeichnen sind, welche zudem auch noch einen Zettel zu unterzeichnen haben, auf dem steht, dass sie verstehen, was sie unterzeichnet haben, was sie aber nicht tun. Da freute sich der Herr Delegationsleiter, da er wohl wusste, was ich nicht wusste, dass der Passus: „Die Bewohner wirken bei der Gestaltung der Gemeinschaftsräume mit.“ nicht in den Musterheimverträgen unseres Verbandes enthalten ist.

Im Transparenzbericht wird unter der Frage:

57. Wirken die Bewohner an der Gestaltung der Gemeinschaftsräume mit?

eine 5,0 vermerkt. Der Prüfbericht erläutert auf Seite 9:

„Die Einrichtung sollte eine schriftliche Information vorlegen (z.B. Flyer, Informationsbroschüre für Angehörige, Einrichtungskonzept), aus der hervorgeht, dass die Bewohner an der Gestaltung der Gemeinschaftsräume mitwirken.“

Nicht nur der unvoreingenommene Leser wird spätestens jetzt ahnen, dass der MDK am 27.07. in Schömberg keine gewöhnliche Regelprüfung vorgenommen hat. Der MDK unternahm am 27.07. den letztlich gescheiterten Versuch der Diskreditierung der reformpflege mit den Mitteln der Regelprüfung. Das erklärt auch, warum der MDK fast schon verzweifelt nach einem Dekubitus suchte und diesen auch bei einer bettlägerigen Bewohnerin, die zum Zeitpunkt der Prüfung von heftigen Durchfällen geplagt wurde, was das Dekubitusrisiko stark erhöht, nicht fand. Was aber wäre denn passiert, wenn der MDK doch einen dicken, fetten Dekubitus bei seiner Prüfung gefunden hätte? Dann wäre in den Prüfbericht, der ja nicht veröffentlicht wird, reingeschrieben worden, dass man einen dicken, fetten Dekubitus gefunden hat und im veröffentlichten Transparenzbericht wären die Fragen 6 – 11 mit einer 1,0 bewertet worden, wenn die Pflegeplanung sauber geschrieben, der Expertenstandard der Dekubitusprophylaxe implementiert und der Dekubitus nach dem Expertenstandard der Wundversorgung nachvollziehbar dokumentiert und verwaltet worden wäre. Papier ist geduldig, Fleisch nicht.

Die an uns vorgenommene so genannte Pflegetransparenzprüfung bestätigt somit jedes einzelne Wort, das auf diesem Blog jemals über die so genannte Pflegetransparenzprüfung geschrieben wurde. Diese Prüfung prüft irgendetwas aber sicherlich nicht die Lebensqualität der angetroffenen Bewohner. Die Prüfung prüft anhand von Verfahrensanweisungen, die sich einseitig auf die Erfüllung der somatischen  Bedürfnisse von Menschen konzentrieren. Sie liest den qualitativen Grad dieser einseitigen Bedürfniserfüllung aber nicht in erster Linie an der Lebensqualität der betroffenen Menschen ab sondern an den Zeichen in Dokumentationen und Festplatten, und gibt bei einem offensichtlichen Konflikt zwischen Realität und Zeichen immer den Zeichen den Vorzug. Schlimmer noch, formatiert die Zeichenprüfung im Auftrag der Apparatschikpflege Pflege, indem sie eigene und bürokratische Standards durchsetzt, ein eigenes Pflegesprech etabliert, unterschiedliche Ansätze von Pflege nivelliert und abweichende Entwicklungen von Pflege negativ sanktioniert. Da die Prüfung im Grunde immer davon ausgeht, eine Katastrophe in den Pflegeheimen vorzufinden, hat sie auch immer eine negative Erwartungshaltung und weil ihre eigentliche Funktion ja darin besteht, die erwarteten Katastrophen nicht ans Licht kommen zu lassen, behindert sie die Weiterentwicklung von Pflege, da ihre Standards von Pflege, die ja möglichst einfach sein sollen, damit sie möglichst von allen erfüllt werden können, eine phantasielose und langweilige Mainstreampflege zum Idealbild erklären.

Und fast hätte ich es vergessen, aber nachdem die Prüfer gegangen sind, kam ein paar Tage später noch ein Brief des MDK mit einem Formular darin. Mit diesem Formular sollten wir unsere Prüfer bewerten, was wir natürlich nicht gemacht haben. Aber wir können es hier ja schreiben, dass die zwei Pflegefachkräfte gerne und jederzeit wiederkommen dürfen. Den Herrn Delegationsleiter, den möchten wir aber hier nicht wieder sehen. Den hatten wir nämlich jetzt schon zweimal, sollte er ein drittes Mal zur Prüfung hier erscheinen, werden wir nicht mehr kooperieren, denn er ist unseren Pflegefachkräften schlichtweg nicht mehr zuzumuten, die stehen hier nämlich jeden Tag ihre Frau, unsere Pflegedienstleitung schon mehr als zwanzig Jahre lang, und müssen sich nicht schon wieder ein komplettes pflegewissenschaftliches Proseminar anhören von dem Herrn Oberpfleger im Rausche seiner Wichtigkeit.

Dem Herrn Oberpfleger erteilen wir vorsorglich Hausverbot.

Und nur fürs Protokoll und vielleicht auch zur Klärung etwaiger Verantwortlichkeiten: Die Prüfung der Aktenlage der vermeintlichen Betreuung hat der Herr Oberpfleger höchstselbst vorgenommen und nicht die im Prüfbericht dafür verantwortlich zeichnende Pflegefachkraft.

nach upload verreist – oz (und diesmal aber wirklich)

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