Der Staat ist der Feind – Teil 2

Was es für gefährliche Folgen haben kann, wenn eine abgehobene classe politique sich herablässt, ein paar profane „Nebensächlichkeiten“ im Leben ihrer Untertanen zu regeln, lässt sich leider in den letzten Jahren vermehrt im Behufe der Pflege beobachten. So kam es beispielsweise am 10. Dezember 2021 zu einer bemerkenswerten Abstimmung. 736 Abgeordnete des deutschen Bundestages waren seinerzeit dazu aufgerufen, über das abzustimmen, was man dann im Folgenden die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ nennen sollte. Angeführt von Olaf Scholz und Heiner Lauterbach hatte die sogenannte Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zur Abstimmung eingebracht, der einen Zwang zur Impfung für „Gesundheit- und Pflegepersonal“ vorsah, und zudem bei Nichtbefolgung mit einem Beschäftigungsverbot drohte. So weit, so doof, schwang sich dann tatsächlich eine Mehrheit von 570 Angeordneten, darunter natürlich alle anwesenden Abgeordneten der Grünen nebst solchen „Bescheidwissern“ wie Wolfgang Kubicki, zu selbsternannten Pflege-Chefchen auf, die den Impfunwilligen in der Pflege jetzt mal zeigen wollten, wo der Hammer hängt, und winkten das Gesetz fröhlich durch. Dies geschah – wie eigentlich fast immer – in völliger Unkenntnis über das abzustimmende Sujet und dessen „innerer Mechanik“. Die Pflege-Chefchen glaubten in beinahe schon herzergreifender Dämlichkeit, wenn sie der Pflege Bescheid stossen würden, dann liessen die sich brav impfen, und übersahen dabei eine bittere Wahrheit, deren Erkenntnis ein echter Pflege-„Chef“ besser früher als später in seinem Berufsleben haben sollte, und die lautet ganz schlicht:

Die Pflege sitzt immer am längeren Hebel.

Warum sitzt die Pflege immer am längeren Hebel? Weil wenn ein Autohersteller Autos bauen will und er hat zu wenige Autobauerfachkräfte, so verfügt er dennoch über Alternativen. Er kann beispielsweise einfach weniger, dafür aber grössere Autos bauen und versuchen, diese noch teurer zu verkaufen. Er kann aber auch weitere Teile der Produktion automatisieren oder einfach ins Ausland verlagern. Wenn ein echter Pflege-Chef aber Menschen zu versorgen hat und über zu wenig Pflegende verfügt, dann hat er immer noch Menschen zu versorgen und damit ein ziemlich drängendes Problem. Und genau das ist der Grund, warum sich ein echter Pflege-„Chef“ niemals auf so einen Blödsinn wie die einrichtungsbezogene Impfpflicht eingelassen hätte, denn ein echter Pflege-„Chef“ wird sich nie auf einen Konflikt mit der Pflege einlassen, den er nicht gewinnen kann, und schon dreimal nicht auf einen Konflikt, der die Versorgungssicherheit der ihm anvertrauten Menschen auch nur im Mindesten gefährden könnte. Die Pflege-Chefchen dagegen hatten derlei Bedenken nicht, sie müssen ja auch nicht für die Folgen ihrer Entscheidungen auf der operativen Ebene geradestehen. Warum also war der Blödsinn mit der Impfpflicht nicht zu gewinnen? Weil ein grosser Teil der Impfunwillgen in der Pflege Frauen vor der Familienplanung waren. Was würde wohl geschehen, wenn man diese Frauen, die eine sehr elementare Angst – ob begründet oder nicht – vor dem Impfstoff hatten, zur Impfung zwingen wollte? Es würde das geschehen, was dann auch tatsächlich geschehen ist: Diese Frauen haben die Familienplanung – wenn möglich – einfach vorgezogen und damit eine Berufspause eingelegt oder – wenn nicht möglich – einfach den Dienst quittiert. Andere, von Corona und Impfpflicht zermürbt, folgten. Das hatte dann einen personellen Aderlass in der Pflege zur Folge, der über die übliche „Familienplanungs-Fluktuation“ weit hinausging und mitursächlich dafür ist, dass in nicht wenigen Krankenhäusern ganze Stationen geschlossen und die Reihen der Pflegedienste in vielen Pflegeeinrichtungen stark ausgedünnt sind, was auch durch eine verstärkte Inanspruchnahme von teuren Zeitarbeitern in der Kranken- und Altenpflege, die Mehrkosten von 606 Millionen auslöste, nicht verhindert werden konnte. Wir haben unsere Ungeimpften seinerzeit nicht denunziert, was auch gar nicht notwendig war, denn das Virus hat sich eine nach dem anderen in den Folgemonaten sowieso geholt. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war somit nicht nur dämlich, schädlich und sehr teuer, sondern auch noch vollkommen unnötig.

Nun sollte man vielleicht meinen, dass die Pflege-Chefchen, nachdem ihre famose Impf-Bescheidstosserei solch beinahe schon katastrophale Folgen gezeitigt hat, ein grosses Interesse daran haben müssten, die ausgedünnten Reihen in der Pflege schnellstmöglich wieder aufzufüllen. Denn so was benötigt auf dem natürlichen Wege der Ausbildung leider so seine Zeit und ist auf dem Wege der Leiharbeit zunehmend unbezahlbar, weshalb man eigentlich eine Rekrutierung von bereits fertig ausgebildeten und schnell einsetzbaren Pflegefachkräften im Ausland dringend in Betracht hätte ziehen sollen. Aber würde es jemanden wundern, wenn dem nicht so ist? Wir haben derzeit 9 Auszubildende zur Pflegefachkraft im System und können uns darüber freuen, dass auch dieses Jahr nach derzeitigem Stand der Dinge wieder zwei junge Menschen ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft bei uns aufnehmen werden. Dennoch waren wir, wenn uns Initiativbewerbungen von Pflegefachkräften aus dem Ausfand, hier vor allem aus den sogenannten Drittstaaten, also Nicht-EU-Ausland, erreichten, immer bemüht, diese Pflegefachkräfte auch ins Land zu holen. Man kann ja schliesslich nie wissen, wozu man sie vielleicht einmal brauchen könnte. In den letzten Jahren haben uns insgesamt 8 solcher Bewerbungen von Pflegefachkräften erreicht. Keiner einzigen dieser Pflegefachkräfte hat unser Staat die Arbeitserlaubnis erteilt. All unsere Versuche, diese zu erreichen, versandeten irgendwo im Bermuda-Dreieck zwischen Ausländeramt, Arbeitsagentur und den deutschen Botschaften in den Herkunftsländern. In den wenigstens Fällen scheiterte es an den insgesamt doch recht hohen Hürden des sogenannten „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“, das zuwanderungswillige Pflegefachkräfte bisher zwingt, die Anerkennung ihres Berufsabschlusses vom Ausland aus in Deutschland zu betreiben oder bereits im Ausland Deutschkenntnisse auf dem B2-.Niveau nachzuweisen. In den allermeisten Fällen scheiterte es, da die deutschen Botschaften in den Herkunftsländern nicht kooperationsbereit waren oder sich die Kommunikation der Botschaften mit der Arbeitsagentur als seltsam dysfunktional erwies. So war es für viele der Bewerberinnen schon ein Ding der Unmöglichkeit, überhaupt einen Termin bei den Botschaften zu bekommen, oft wurden sie abgewimmelt, vertröstet, wenn sie dann doch einmal vorsprechen konnten, hatten sie die vermeintlich falschen Papiere dabei oder deren Gültigkeit war abgelaufen oder die von uns an die Bewerberinnen gesandten Arbeitsverträge und Praktikazusagen waren aus irgendeinem Grund veraltet und musste noch einmal mit aktuellem Datum nachgereicht werden, wozu man wieder einen Botschaftstermin benötigte undsoweiterundsofort. Für uns bedeutete dies, immer und immer wieder die gleichen Formulare auszufüllen, immer und immer wieder neue Arbeitsverträge zu verschicken, immer und immer wieder aktualisierte Praktikazusagen von den Kliniken einzuholen und immer und immer wieder die gleichen Weiterbildungspläne zu erstellen und zu versenden. Dies nicht selten unter grossem zeitlichen Druck, denn die gesetzten Fristen vor allem der Arbeitsagentur waren immer sportlich kurz, manchmal sogar so kurz, dass sie bei Empfang des amtlichen Schreibens bereits seit zwei Wochen abgelaufen waren. Nach und nach wurde auf diese Weise eine Bewerberin nach der anderen zermürbt, die hartnäckigsten blieben noch bis Corona am Ball und kapitulierten erst dann, als sich die Belegschaften der Botschaften unerreichbar im Home-Office verschanzten, und nur eine einzige hielt bis jetzt durch: Eine thailändische Krankenschwester, deren Hartnäckigkeit allein auf der Tatsache gründet, dass ihre Mutter schon lange hier im Ort wohnt. Erst kürzlich hat sie sich wieder gemeldet, um einen neuen Anlauf zu unternehmen. Zusätzlich unterstützt von einem Netzwerk von Freunden und Bekannten ihrer Mutter hier in Deutschland, hatte sie in den letzten Monaten auch einen Anwalt in Bangkok eingeschaltet, der jedoch bisher auch erfolglos blieb, obwohl sie eigentlich schon lange alle erforderlichen Papiere zusammen hat, selbst den Nachweis ihrer Deutschkenntnisse auf B2-Niveau – in Bangkok erworben – kann sie inzwischen vorweisen. Was diese Frau in den drei Jahren ihres Bemühens, in unser Land zu gelangen, um endlich bei ihrer Mutter zu sein, aber auch um hier ihre Arbeitskraft und Fachkenntnisse anzubieten, von Seiten unseres Staates an Schikanen und Zurückweisungen erdulden musste, ist – man kann es nicht anders schreiben – eine Schande.

“Guter Wille” sieht anders aus. Aktenordner mit der gesammelten Korrespondenz, die notwendig wurde, um den Staat davon zu überzeugen, einer thailändischen Pflegefachkraft bitte ein Arbeitsvisum auszustellen, das bis heute immer noch nicht ausgestellt ist.

Hört man sich in Kollegenkreisen um, so hört man von ähnlichen Erfahrungen anderer Einrichtungen. Es fällt daher schwer, das dysfunktionale und kooperationsunwillige Agieren des Staatsapparates in dieser Frage, dem erfolgreichen Anwerben von Fachkräften im Ausland, allein an seinem Unvermögen festzumachen. Zuweilen wird von Kollegen vermutet, dass dieses Versagen vielleicht in Korruption gründet, dass einheimische Angestellte der deutschen Botschaft delegierte Aufgaben derselben zur Vorteilsnahme missbrauchen, indem sie ihre Landsleute nur gegen entsprechende Gegenleistung den „richtigen“ Entscheidern zuführen. Somit wären die Gründen auf einer individuellen Ebene zu suchen, allerdings kann man diese kooperationsunwillige Dysfunktionalität deutscher Behörden in mehreren Herkunftsstaaten auf unterschiedlichen Kontinenten beobachten, sodass eher davon auszugehen ist, dass das „Versagen“ des Staatsapparates vielmehr einheitlicher und damit systematischer Natur ist, denn so individuell dysfunktional können alle Botschaften gleichzeitig gar nicht sein. Und so steht zu vermuten, dass der deutsche Apparat überhaupt gar kein Interesse daran hat, deutsche Pflegeeinrichtungen bei der Anwerbung von ausländischen Pflegefachkräften zu unterstützen, mehr noch, ist davon auszugehen, dass der deutsche Apparat alles unternimmt, um die Anwerbung von ausländischen Fachkräften zu hintertreiben. Wenn dem so ist, entscheiden die Botschaften und die Arbeitsagentur in dieser Frage nicht frei, sondern werden von der deutschen Regierung angewiesen, sich entsprechend zu verhalten, weshalb man von einer „Hidden Agenda“ oder einer „stillen Anweisung“ der deutschen Regierung an ihren Apparat sprechen könnte, die Anwerbung von ausländischen Pflegekräften zu verunmöglichen, obwohl sie laut „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ theoretisch möglich und eigentlich, wenn auch nur vordergründig, „politisch gewollt“ ist.

Dazu sollte man vielleicht wissen, dass die Bunseregierung selbst schon mit einigen wenigen ausgesuchten Ländern sogenannte Anwerbevereinbarungen geschlossen hat. Und weil unsere Regierung natürlich stets moralisch erhaben agiert, standen diese Vereinbarung unter dem Stern der „fairen Migration“. Und „fair“ meint in diesem Zusammenhang wohl, dass diese handverlesenen Länder zumindest offiziell über Bedarf ausbilden und dass die Anwerbung mit Billigung der jeweiligen Regierung geschieht. Im Umkehrschluss bedeutet dies wohl, dass „unfaire“ Migration oder Migration, die von der Bunseregierung als unfair klassifiziert wird, nicht gewünscht und deshalb auch nicht unterstützt wird. Und „unfair“ ist eine Migration von Pflegekräften, so sieht es jedenfalls Karl Lauterbach, immer dann, wenn sie dem Herkunftsland eine Pflegekraft entzieht, ohne dass es deren Regierung billigt, weil sie vermeintlich im Inland gebraucht wird. Die Pflege-Chefchen unterwerfen also die Migration von Pflegekräften ihren Kriterien von „fair“ und „gut“, was letztendlich weder „fair“ noch „gut“ ist, sondern zum einen ziemlich paternalistisch, da sie die individuellen Bewegründe einwanderungswilliger Pflegekräfte nicht kennen können, sie aber dennoch bevormunden, und zum anderen hoffnungslos dämlich, da ausländische Pflegekräfte, die mit der Situation in ihren Herkunftsländern unzufrieden und deshalb auswanderungswillig sind, dennoch auswandern werden und zwar dann in Länder mit Regierungen, denen die moralische Grossartigkeit unserer Pflege-Chefchen eher fremd ist. Unsere thailändische Bewerberin ist jedenfalls seit 2017 arbeitslos und viele der wenigen von den Pflege-Chefchen „fair“ angeworbenen Pflegekräfte sind für die deutsche Pflege und hier vor allem für die Langzeitpflege schlicht unbrauchbar, da sie aus Ländern kommen wie beispielsweise Spanien oder dem Kosovo, die gänzlich anders arbeiten wie wir, da die Pflegefachkräfte dort fast schon so etwas sind wie halbe Ärzte, die mit solch profanen Dingen wie Grundpflege eher nicht belästigt werden wollen, weshalb diese für gewöhnlich den Familienangehörigen der Patienten oder Bewohner überlassen wird.

Gegen Ende der letzten Legislaturperiode haben die Pflege-Chefchen mal wieder beschlossen, die Pflege zu retten. Das ist ja momentan so eine Art Dauerbrenner der deutschen Politik, die Pflege muss immer!, überall!, jederzeit! und sofort! gerettet werden. Nicht, weil die Pflege-Chefchen so ein übermässig grosses Interesse an Pflege entwickelt hätten, sondern weil sich immer grössere Teile der Bevölkerung für Pflege interessieren müssen, weil sie infolge des Demographiewandels (Ein Phänomen, für das sich die Pflege-Chefchen und ihre Medien-Entourage auch nicht übermässig interessieren, was man schon daran erkennt, dass dieses Phänomen immer noch Demographiewandel und noch nicht Demographiekrise oder Demographiekatastrophe heisst, obwohl die Folgen dieses Wandels für unsere Volkswirtschaft noch gewaltigere Ausmasse haben werden als die Folgen eines anderen Wandels, wenn dieser denn nur endlich von Mister Wärmepumpe und Mister Luftpumpe vernünftig gemanagt werden würde) immer älter werden. Wenn mal wieder eine Pflegerettung ansteht, so erkennt man das auch zuverlässig daran, dass in den Talkshows des Staatsfunks wieder vermehrt Pflegekräfte rumsitzen, seltsamerweise aber fast nie Schwester Monika vom Haus Abendschön in Iserlohn, sondern gerne der fesche Intensivpfleger Ricardo aus der Berliner Charité, dessen durchtechnisierter Arbeitsalltag zwar so rein gar nichts gemein hat mit den Erlebniswelten einer normalen Altenpflegekraft auf Station, was aber den Redaktionen vollkommen egal ist, denn Ricardo lächelt immer so nett und formuliert so kernig. Federführend bei der letzten Pflegerettung jedenfalls war das sozialdemokratisch geführte Arbeitsministerium von Hubertus Heil. Und wenn ein wackerer Sozialdemokrat beschliesst, die Pflege oder was auch immer zu retten, so hat das selbstredend zur Folge, dass bald darauf mit dem Geld anderer Leute um sich geworfen wird. Warum ausgerechnet mal wieder die Pflegekräfte gerettet werden sollten und nicht die Metzgereifachverkäuferinnen oder die Arzthelferinnen oder die Handwerksgesellen, denn in diesen Branchen wird weitaus schlechter verdient als in der Pflege, deren Salärs in den letzten zehn Jahren um 30% gestiegen sind, blieb Hubertus Heils Geheimnis. Allerdings könnte es nach vollkommen unbestätigten Berichten für gewöhnlich gut unterrichteter Kreise vielleicht etwas damit zu tun gehabt haben, dass bald nach Verkündung der erneuten Pflegerettung eine Bundestagswahl stattfand und es sich die wackeren Sozialdemokraten nicht nehmen lassen wollten, neben den Stimmen der Mindestlohnempfänger, denen man eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro versprach, und den Stimmen der Rentner, denen man stabile Renten versicherte, auch möglichst viele Stimmen der Pflege einzukaufen. Nach der Wahl präsentierte man den tarifungebundenen Arbeitgebern dann die Rechnung, die jenen wiederum die Wahl liess, entweder irgendeinen bestehenden Tarifvertrag zu übernehmen oder in Zukunft das „regional übliche Durchschnittsentgelt“ zu vergüten, dessen genaue Höhe die Krankenkassen zu ermitteln und den Pflegeeinrichtungen mitzuteilen hatten. Ein paar Monate gingen ins Land, dann erhielten die tarifungebundenen Arbeitgeber, die sich mehrheitlich für das Durchschnittsentgelte entschieden hatten, die Mitteilung, dass das „regional übliche Durchschnittsentgelt“ pro Arbeitsstunde in Baden-Württemberg für eine Pflegefachkraft Euro 23,24 und für eine ungelernte Helferin Euro 16,93 betrug. Spätestens jetzt hätte auch einem wackeren Sozialdemokrat auffallen können, dass in einer Branche, die selbst ungelernten Helfern schon vor der neuerlichen sozialdemokratisch angestossenen Pflegerettung durchschnittlich so hohe Löhne zahlte, schwerlich von Ausbeutung die Rede sein kann. Aber wenn ein wackerer Sozialdemokrat erst einmal zur Rettung von was auch immer schreitet, dann halten ihn bekanntlich weder Ochs noch Esel auf. Und auch Detailwissen ist dann mal wieder nur hinderlich. Und so wusste man im Detail auch nicht, wie freie und tarifungebundene Arbeitgeber in der Pflege ticken, die anders als die meisten Sozialdemokraten rechnen können und auch rechnen müssen, denn tatsächlich vergütete auch das Haus Tanneck geringer als das von den Krankenkassen errechnete Durchschnittsentgelt von Euro 23,24 brutto pro Stunde für die Pflegefachkraft. Allerdings hatten die Krankenkassen auch die durchschnittlichen Zeitzuschläge errechnet und mitgeteilt. Und hier zeigte sich ein entscheidender Unterschied, denn der durchschnittliche Sonntagszuschlag betrug laut den Kassen 25%, das Haus Tanneck vergütete jedoch 50% und zudem noch 125% Feiertagszuschlag. Und jetzt könnte man vielleicht spekulieren, warum denn der von den Kassen „errechnete“ Durchschnitt des Sonntagszuschlags exakt die Höhe des durchschnittlichen Sonntagszuschlags tarifgebundener Arbeitgeber abbildete, während doch viele ungebundene Arbeitgeber die Zeitzuschläge „übertariflich“ vergüteten, weshalb man doch eigentlich einen höheren Durchschnitt hätte erwarten müssen. Vielleicht könnte es ja damit zu tun haben, dass die klammen Kassen ein Interesse daran gehabt haben, diese Zuschläge möglichst gering zu halten, da sie nicht nur steuer-, sondern auch sozialabgabenfrei sind. Denn weil diese Zuschläge steuer- und sozialversicherungsfrei sind, hatten unsere Mitarbeiter in der Pflege bisher ungefähr das gleiche Nettoentgelt wie in vergleichbaren tarifgebundenen Einrichtungen. Wenn wir jetzt aber die neuen und höheren durchschnittlichen Stundenlöhne als auch die geringeren durchschnittlichen Zeitzuschläge von 25% übernommen hätten, blieb ihnen je nach Monat oft weniger Netto vom Brutto. Um diesen Irrwitz zu verhindern, mussten wir den Sonntagszuschlag auf 50% belassen, kappten aber den Feiertagszuschlag auf immer noch üppige 70%. Das hatte zur Folge, dass wir nicht nur überdurchschnittliche Zuschläge beibehalten, sondern auch noch die höheren Bruttostundenlöhne übernehmen mussten. Das blähte dann die bisher schlank gehaltenen Bruttolöhne nebst Arbeitgeber SV-Anteil stark auf, was die Krankenkassen sicherlich freute, aber unsere Dienstleistungen in der Summe sehr stark verteuerte. Und dies betraf ja nicht nur uns, das geschah deutschlandweit und hatte zur Folge, dass sich in einigen Kommunen die Zahl der Sozialhilfeempfänger verdoppelte, da viele Heimbewohner nicht mehr in der Lage waren, die immens gestiegenen Restkosten für ihre Pflege gänzlich aus eigener Tasche zu zahlen. So etwas passiert eben, wenn wackere Pflege-Chefchen die Lohngestaltung zum Zwecke der Pflegerettung übernehmen. Und nicht nur das, stecken doch in der inneren Mechanik des „regional üblichen Durchschnittsentgeltes“ noch ein paar weitere interessante Implikationen. Durchschnittsentgelte bilden, wie der Name schon sagt, den rechnerischen Durchschnitt der Entgelte ab. Dadurch ergibt sich so eine Art sozialdemokratischer Idioten-Automatismus. Kürzlich erhielten wir erneut die staatliche Order, das Durchschnittsentgelt für unsere Pflegefachkräfte um 3,34% zu erhöhen, da sich der Durchschnitt erhöht hätte. Dadurch dass wir und viele andere die neuen Durchschnittslöhne übernehmen mussten, erhöhte sich – genau – natürlich das Durchschnittsentgeltniveau. Gleichzeitig laufen gefühlt irgendwo immer gerade mal wieder Tarifverhandlungen oder finden Lohnerhöhungen statt. Unlängst erhöhte die Diakonie ihre Löhne um 5%, Ver.di erzielte für die Pflege im Öffentlichen Dienst einen Abschluss von ca. 12%. Diese Abschlüsse werden selbstredend das regional übliche Durchschnittsentgeltniveau wieder erhöhen, sodass wir gezwungen sein werden, das neue Durchschnittsentgelt zu übernehmen, wodurch sich wieder – genau – das Durchschnittsentgeltniveau erhöht, weshalb wir wieder ein höheres Durchschnittsentgelt zahlen müssen, wodurch sich – genau – undsoweiterundsofort… Mathematik scheint nicht unbedingt eine sozialdemokratische Stärke zu sein.

Und jetzt könnte ich mich ja für meine Mitarbeiter freuen und das tue ich auch, allerdings müssen diese gestiegenen Lohnkosten ja auch irgendwie refinanziert werden, zumal nicht nur uns die letzte staatlich angeordnete Lohnerhöhung kalt erwischt hat, denn normalerweise verhandeln wir unseren Pflegesatz jährlich. In den Pflegesatz hinein verhandelt werden natürlich die Personalkosten als auch die jährlichen Lohnerhöhungen, denn Lohnkosten sind nunmal der bestimmende Kostenfaktor in Pflege. An das Verhandlungsergebnis sind wir dann zwölf Monate gebunden, die Möglichkeit der Nachverhandlung gibt es nicht. Zuletzt verhandelt hatten wir zum Juli 2022, die neuerliche Lohnerhöhung wurde im Februar 2023 verpflichtend, was bedeutet, dass diese neuerliche Lohnkostensteigerung nicht im verhandelten Personalkosten-Budget eingepreist ist oder anders ausgedrückt: Wir verfügen derzeit nicht über die Einnahmen, um diese Lohnsteigerung zu bezahlen, wir sind aber verpflichtet, sie zu bezahlen, was wiederum zur Folge hat, dass alle betroffenen Einrichtungen sich irgendwie finanziell durch die nächsten Monate hangeln müssen, bis endlich die Bindungsfrist der letzten Verhandlung ausläuft, um die gestiegenen Lohnkosten und die noch kommenden Lohnerhöhungen dann in den Pflegesatz hinein zu verhandeln. Was für Möglichkeiten haben die betroffenen Einrichtungen, um bis dahin irgendwie über die Runden zu kommen? Nun, sie könnten versuchen, sich mal wieder eine Zwischenfinanzierung bei dem Bankberater ihrer Wahl zu borgen oder die gestiegenen Lohnkosten an anderen Stellen einzusparen, was aufgrund der Inflation aber ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen sein wird. Zielführender dürfte es wohl sein, offene Stellen erstmal nicht neu zu besetzen, um auf diese Weise Lohnkosten einzusparen, was der Pflegequalität aber sicherlich nicht zuträglich ist. Das sind die Folgen schlecht durchdachter und nicht refinanzierter Pläne der Pflegerettung der Pflege-Chefchen, die hauptsächlich an der werbewirksamen Überschrift interessiert sind, sich aber selten durch das Kleingedruckte quälen: Ja, es stimmt, die Löhne in der Pflege wurden abermals erhöht, jedoch nicht für so viele Pflegende, wie es eigentlich braucht, um eine gute Pflegequalität abzubilden. Wobei das nächste Menetekel infolge der Pflegerettung bereits an der Wand steht, denn alle Pflegeeinrichtungen werden dieses Jahre ihre Pflegesätze neu verhandeln, eben weil allen Pflegeeinrichtungen die Kosten davonlaufen. Und die Verhandlungsergebnisse werden es in sich haben, auch wenn Lauterbach in seiner neuesten Pflegereform plant, den Zuschuss der Pflegekasse für den privat zu bezahlenden Eigenanteil der Bewohner für das erste Jahr von 5% auf 15% zu erhöhen. Was sind schon 15% von ein paar hundert Euro? Nicht viel und das weiss auch der Herr Gesundheitsminister, weshalb er gewissermassen vorbeugend entschuldigend landauf landab verkündet, er sei ein Freund und Anhänger der Vollkasko-Pflegeversicherung, wohlwissend, dass bereits jetzt 57,5% aller Bundesausgaben Umverteilungsausgaben sind und eine Vollkasko-Pflegeversicherung angesichts der gigantischen Herausforderungen des demographischen Wandels schlichtweg nicht finanzierbar ist. Und so endet es dann mal wieder wie bei der schönen Geschichte vom Hasen und dem Igel: Wenn der Staat den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen endlich die 15 Prozentchen Entlastung hinterher wirft, war die staatlich gewünschte und auch staatlich ausgelöste massive Preiserhöhung der Pflegeeinrichtungen schon längst da.

Weiteres „Kleingedrucktes“ der Pflegerettung findet sich in der ambulanten Pflegelandschaft. Die Erlössituationen der ambulanten Pflegedienste unterscheiden sich stark, je nachdem, wo ein ambulanter Pflegedienst unterwegs ist, denn die Vergütung ist für jeden Ambulanten Pflegedienst gleich, die Bevölkerungsdichten in den Revieren der ambulanten Pflegedienste können jedoch stark differieren. So wohnen auf dem großstädtischen Quadratkilometer gut und gerne 2000 oder mehr Menschen, wir hingegen fahren in ländliche Gemeinden, wo sich nur 72 Menschen auf dem Quadratkilometer finden. Während wir also von Milchkanne zu Milchkanne fahren und damit sehr viel teure Arbeitszeit auf den Strassen liegen lassen, um die paar Euro für die Morgentoiletten und das Anlegen der Stützstrumpfhosen zusammenzusammeln, verbringen die urbanen Kollegen weit weniger Zeit auf der Strasse und verdienen so durchschnittlich mehr Geld in der Stunde. (Wobei man an dieser Stelle ehrlicherweise sagen muss, dass sich das in einigen speziell von rot-grünen Mehrheiten regierten Großstädten in der letzten Zeit etwas geändert hat, da man in diesen Städten dazu übergegangen ist, Strassen zu sperren und mit Sitzmöbeln zuzustellen oder sinnfreie Baustellen aufzuschlagen, deren einziger Zweck es ist, drei- oder zweispurige Hauptverkehrsadern auf nur eine Spur zu verengen, um bislang unwillige und immer noch renitente Autofahrer endlich in den verlausten städtischen ÖPNV zu pressen, wodurch dann auch die urbanen Kollegen untätig stundenlang im Stau stehen, wenn sie nicht ohnehin schon im Stau stehen, weil irgendwelche Klimakleber ihren Narzissmus ausleben müssen. Aber das ist ein anderes Thema). Ambulante Pflege auf dem Land ist per se nicht sehr renditenträchtig. An einigen Monaten kommen wir gerade so hin. An manchen verdienen wir zu wenig. Und an den meisten müssten wir knietief durch’s Dispo waten, wenn die stationären Erlöse nicht die Defizite der ambulanten Pflege quersubventionieren würden, weil die ambulanten Erlöse auf dem Land schon lange nicht mehr zuverlässig ausreichen, um die staatlich verordneten Löhne zu bezahlen. Wir machen das bisher dennoch, weil wir einen Versorgungsauftrag haben und wir uns als Teil der Daseinsvorsorge begreifen. Die ambulante pflegerische Versorgung auf dem Land ist prekär. Alle Pflegedienste und Diakoniestationen arbeiten am Anschlag, viele Anfragen müssen abgelehnt werden, weshalb es in der letzten Zeit auch schon zu stationären Aufnahmen von Menschen gekommen ist, die eigentlich noch ambulant gut hätten versorgt werden können. Aber vielleicht schon bald könnten wir keine andere Wahl mehr haben: Sollten wir uns weiterhin solch immensen Kosten für Brandschutztüren, Blitzschutzanlagen, Lüftungskanäle, Abluftventilatoren, Hebebühnen, Strommangel-Lagen, Gebrauchtwagen, Energie und Lohnerhöhungen ausgesetzt sehen, die ausgelöst durch einen durchgeknallten Staat unser Budget massiv belasten, da sie nicht durch die Kassen refinanziert sind, werden wir die ambulante pflegerische Versorgung in der Fläche irgendwann einstellen müssen.

Die Deutschen. Sie fahren brav von Schlagloch zu Schlagloch, sie lassen sich begeistert in ranzige Bahnabteile sperren, die immer noch später ankommen. Sie zahlen klaglos ihre grotesk überteuerten Stromrechnungen, lassen sich für 18,36 monatlich allabendlich verhöhnen und glauben tatsächlich immer noch, der Staat sei ihr Freund. Warum das leider schon lange nicht mehr so ist, steht in den folgenden Teilen von „Der Staat ist der Feind“.

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