Morbus Hysterie II

Und auf einmal kann es doch ganz schnell gehen: „Wir haben eine Sondergenehmigung bekommen, dass wir noch 75 philippinische Pflegekräfte nach Hessen bringen können“, freut sich der Chef irgendeiner Krankenhausgesellschaft, der zudem noch zu berichten weiss, dass mit dem sondergenehmigten „Rekrutierungsflug“ noch weitere philippinische Intensivpflegekräfte ins Land kommen werden, um für eine andere private Krankenhausgesellschaft zu arbeiten. Möglich gemacht hat das u. a. Aussenminister Heiko Maas, also jener SPD-Politiker, der noch bei der Heraufdämmerung der Corona-Krise grosszügigst ca. 14 Tonnen Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel nach China verschenkte und damit eigentlich Eulen nach Athen trug, und der in den letzten Jahren und Monaten zusammen mit seinen beiden SPD-Parteigenossen Karl Lauterbach und Hubertus Heil nicht unbedingt damit aufgefallen ist, die Gewinnung von ausländischen Pflegekräften zur Linderung des deutschen Pflegenotstands zu befördern, um es einmal euphemistisch zu formulieren. Vielmehr galt in den letzten Jahren Lauterbachs Credo: „Personal aus dem Ausland zu holen, ist das falsche Signal“, weil man dadurch den Herkunftsländern dringend benötigtes Fachpersonal entziehen würde, was man nicht über das sozialdemokratische Gewissen bringen könne. Also, so könnte man meinen, handelt es sich bei den Philippinen wohl um eine der letzten Enklaven der Seligkeit, die von dem garstigen Corona-Virus bisher verschont geblieben ist und auch verschont bleiben wird. Allein, so bringt es eine sehr kurze Internetrecherche an den Tag, ist dem leider nicht so, Corona wütet inzwischen auch auf den Philippinen, was die dortige Regierung mittlerweile veranlasste, den Notstand auszurufen, und die sozialdemokratischen Wohltäter in ein nicht gerade vorteilhaftes Licht rückt, um es zweimal euphemistisch zu formulieren, entziehen sie doch einem vergleichsweise armen Land gerade in Zeiten der grössten Not so vielleicht 150 Intensivpflegekräfte, was die zukünftige Entwicklung der philippinischen Corona-Mortalität nicht unbedingt günstig, um es dreimal euphemistisch zu formulieren, beeinflussen wird. War man in der deutschen Sozialdemokratie in der Vergangenheit aus gutmenschlichen Motiven nicht so wahnsinnig brennend daran interessiert, den deutschen Pflegenotstand durch ausländische Fachkräfte zu lindern, scheint sich dies nun offensichtlich und schlagartig geändert zu haben. Und nicht nur der deutschen Sozialdemokratie ist mit dem Erscheinen des neuartigen Virus das existentielle Hemd näher als die moralische Hose, ganze Prämissen der deutschen Parteipolitik, die Rettungspolitik für Bienchen, Klima und Flüchtlinge, die in den letzten Monaten immer absonderlichere Blüten trieb, werden stillschweigend erst einmal hintangestellt. Selbst die letzte Pressekonferenz der Bundesumweltministerin interessierte ausser den üblichen Verdächtigen kaum einen mehr. Dabei hatte Svenja Schulze die Haare besonders schön, als sie stolz wie Oskar verkündete, die CO2-Emmissionen Deutschlands seien 2019 insgesamt zurückgegangen, wobei leider unerwähnt blieb, um wieviel die CO2-Emmissionen polnischer Kohlekraftwerke und der Atommüll-Ausstoss französischer Kernkraftwerke im gleichen Zeitraum gestiegen sein müssen, weil sie deutsche Traumtänzer für teuer Geld mit Strom beliefern durften. Aber um das vernünftige Ganze ging es dieser Schönwetter-Politik in letzter Zeit sowieso immer weniger, ihr Anliegen war zunächst und in erster Linie das Einfangen vor allem junger und mittelalter Wählerinnen, die agitiert durch die immer gleichen Untergangsszenarien in Scharen zu den Grünen überliefen, und als dann die Europawahl offenbarte, dass es den Grünen auch noch gelungen ist, in die wahlentscheidenden Schichten der weiblichen Ü65jährigen einzubrechen, die bisher vor allem Merkel gestützt und die SPD vor dem endgültigen Untergang bewahrt hatten, um in diesen Alterskohorten ihre Stimmenanteile zu verdoppeln bis zu verdreifachen, gab es bei den Strategen der arg zerzausten „Volksparteien“ CDU und SPD kein Halten mehr. Alles musste jetzt ganz schnell viel grüner werden und so schuf man immer mehr illusionierte Wohlfühlinseln für weibliche Befindlichkeiten, die sich verbaten, durch so schnöde Dinge wie steigende Strompreise in ihren Gänseblümchen-Tagträumen gestört zu werden. Auch das Klimaschutzgesetz, welches nach der EU-Wahl beinahe in Rekordzeit zusammengebastelt worden war, ist weniger ein Erfolg der hüpfenden upperclass-kids, sondern ein Produkt der beinahe schon panischen Angst der Regierungskoalition, dass bei der nächsten Wahl noch weitere Jüngerinnen einer schönen neuen Welt, in der es von Sonnenblumen und Bienchen nur so wimmeln soll und in der alles gefälligst so schön und vor allem sorglos bio, öko, vegan, gender und fair zu sein hat, ihr Kreuz ein bisschen weiter unten auf den Wahlzetteln machen könnten. Dieses Primat der Politik, die scheinbare Herbeiführung der Illusion einer heilen Welt für einige Wenige auf Kosten der Anderen, drängt das Virus jetzt nicht nur in den Hintergrund, sondern stellt es zuweilen sogar auf den Kopf, wenn beispielsweise die chemische Industrie seitens der Politik flehentlich gebeten wird, Unmengen an früher verpönten Chemikalien bereitzustellen, für deren Produktion sie noch vor ein paar Wochen kaum Aussicht auf staatliche Genehmigung gehabt hätte. Dieses Virus testet also nicht nur das menschliche Immunsystem auf mögliche Schwächen, sondern greift auch psychische, soziale, politische, mentale, wirtschaftliche und infrastrukturelle Strukturen an, und findest es eine Lücke, deckt es den Grad ihrer Maroditäten schonungslos auf. Besonders bitter muss das an diesen Tagen Italien erfahren. Offenbar hat sich dort ziemlich schnell herumgesprochen, dass dieses Virus nur den Alten mit Vorerkrankungen wirklich gefährlich werden kann, der Rest der Italiener hatte, wenn nicht ernsthaft vorerkrankt, nur milde bis keine Symptome zu befürchten, so fehlte bei dieser Infektion auch die „natürliche“ Quarantäne wie bei einer Grippe, die den Erkrankten zur Bettruhe zwingt und somit bis zur Genesung aus dem Verkehr zieht. Die Folge war, dass sehr viele junge bis mittelalte Italiener es auch bei leichten Symptomen eher vorzogen, sich nicht testen zu lassen. So sparten die ragazze e ragazzi nicht nur Geld, sondern vermieden es auch, im Falle eines positiven Tests registriert und in Quarantäne gesteckt zu werden. Die Italiener sind die Spezialisten, wenn es darum geht, nicht als sinnvoll empfundene oder sonstwie störende Strukturen oder Regeln konsequent zu unterleben. Das mag im Alltag charmant oder lässig sein, in einer Krisensituation wie der gegenwärtigen ist es jedoch fatal. Da es in Italien zudem Tradition ist, erst sehr spät aus dem Elternhaus auszuziehen und der grossfamiliäre Verbund intensiver gepflegt wird als in Deutschland, infizierten die Italiener ihre Eltern, Grosseltern, Onkel und Tanten in Massen. Diese überfluteten dann in relativ kurzer Zeit ein Gesundheitssystem, das schon in „Friedenszeiten“ nicht besonders gut aufgestellt ist, um es viermal euphemistisch zu formulieren, verfügte es doch vor den Krisenzeiten lediglich über 5300 Intensivbetten für über 60 Millionen Einwohner. Corona ist kein Killer wie Ebola, aber unter diesen Umständen entfaltete es die tödliche Wirkung nicht nur seiner selbst, sondern eben auch die der Strukturen, auf die es traf. Oder anders formuliert: Nicht das Virus tötet primär in Italien, es töten vielmehr Unverantwortung im Verein mit einem vernachlässigten und maroden Gesundheitssystem. Es sind vor allem die Strukturen, die töten.

Und es ist nicht das Verdienst der deutschen Politik, dass Deutschland mit etwas Glück dem italienischen Schicksal vielleicht entgehen kann. Zu sorglos hat man die Zeit verstreichen lassen, welche das Virus benötigte, um zu uns gelangen. Und zu verantwortungslos hat man einen wesentlichen Bereich der Daseinsvorsorge, die Vorbereitung der Seuchenbekämpfung, vernachlässigt. Pandemiepläne wurden zwar geschrieben, aber offenbar nie gelesen. Anders lässt es sich kaum erklären, dass man weder über ausreichende Depots für Schutzausrüstungen verfügt, noch mit der Industrie jemals das schnelle Umschalten auf eine „Kriegsproduktion“ vorausschauend geplant hat. Deutschland gleicht so einem Land, dessen Armee die Munition erst bestellt, nachdem der Feind die Grenzen schon längst überschritten hat. Allein die Zeit, die man hatte, um aus dem Schicksal Italiens, das uns einige Tage im Coronakampf voraus ist, zu lernen, kann helfen, mehr Menschenleben zu retten, als Italien und auch Spanien es vermochten. Eine ohnehin bessere medizinische Infrastruktur mit 29.000 Intensivbetten konnte in aller Hektik nochmals ertüchtigt und erweitert werden, endlich bestellte Schutzausrüstungen treffen hoffentlich ein, bevor sie in den ersten Kliniken zur Neige gehen, und die chemische Industrie schafft es vielleicht, die Produktion so hochzufahren, dass sie Desinfektionsmittel im ausreichenden Volumen bereitstellen kann. Zudem hat das Land in den letzten Jahren lernen müssen, gerade trotz einer immer idiotischeren Politik dennoch irgendwie zu funktionieren. Das alles wird helfen, den ersten Schock, den Angriff des Virus auf unsere medizinischen Strukturen, zu bestehen. Es wird aber vielleicht ein zweiter Schock folgen, denn sollten einige Experten recht behalten, kann dieses Virus eine Vielzahl von Opfern gerade unter den älteren Bevölkerungsschichten verursachen. Ob diese Experten recht behalten, hängt davon ab, wie sich die grosse Unbekannte, die Dunkelziffer, entwickelt. Ist sie hoch, infizieren und immunisieren sich also viele Menschen, ohne es überhaupt wirklich zu merken, bleibt die Mortalität vergleichsweise niedrig und kann eine Herdenimmunität unter Umständen schneller erreicht werden, als wir es heute aufgrund der registrierten Zahlen schätzen können. Ist sie sehr niedrig, wofür aktuell eher weniger spricht, entsprechen also die tatsächlich Infizierten in etwa der Zahl der Diagnostizierten, bleibt die Mortalität vergleichsweise hoch und kann die Herdenimmunität nur unter Inkaufnahme von mehr Opfern erreicht werden, sollte es keine medizinischen oder pharmazeutischen Innovationen geben, die im Kampf gegen das Virus erfolgreich sind. Sollte Letzteres, eine niedrige Dunkelziffer, also zutreffen, könnte das Virus auf unsere Bevölkerungsstruktur ähnlich wirken wie eine Art Zeitraffer. Es würde den Demographiewandel massiv beschleunigen, viele Menschen, die eigentlich noch Monate und Jahre leben könnten, würden in den nächsten Wochen sterben. Aber noch mehr könnten von der Medizin gerettet werden, jedoch viele nur für den Preis, danach temporär oder dauerhaft pflegebedürftig zu sein. Das wäre der zweite Schock, der massive Angriff auf unsere Pflege-Struktur. Man kann nur hoffen, dass dieser Fall nicht eintritt, denn unsere Strukturen sind gerade in Baden-Württemberg durch die Umsetzung der Landesheimbauverordnung gefährlich ausgedünnt, und sollte er dennoch eintreten, dass die Politik diesmal nicht so unvorbereitet ist wie bei dem ersten Schock, dem Angriff auf unsere medizinische Struktur.

Alle zwei, drei Monate fahren meine Kinder und ich nach Karlsruhe zu Metro. Wir machen das schon seit Jahren, um Dinge des täglichen Bedarfs en gros einzukaufen, die länger haltbar sind, also solche Sachen wie Nudeln, Tomatenketchup, Dosenerbsen, Kaffee, Küchenpapier, Waschmittel und – JA! – auch Klopapier. Und natürlich schaue ich auch jedes Mal beim Gin-Regal vorbei, um zu sehen, ob Metro endlich meinen Lieblings-Gin, Ferdinand’s, in ihr Programm aufgenommen. Letzte Woche war es wieder so weit und um es vorwegzunehmen – JA! – Metro hatte ausreichend Klopapier aller Marken am Start. Nach der erneut erfolglosen Inspektion des Gin-Regals sah ich in der Ferne – in so einem Grossmarkt kann man ziemlich weit schauen – ein älteres Ehepaar zwei übervolle Einkaufswagen vor sich her schieben. Ganz oben auf den zusammengesammelten Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs im Einkaufswagen des Mannes lagen fünf Packungen Klopapier. Aber beim Näherkommen begriff ich ziemlich schnell, dass wir nicht die heute leider üblichen Klopapier-Spinner vor uns hatten. Hier hatte ein älteres Ehepaar, beide sicher jenseits der 80, sehr bewusst für sich eine Entscheidung getroffen. Offensichtlich die Entscheidung, sich selbst zu schützen und die nächsten Wochen zuhause in selbst gewählter Quarantäne zu verbringen. Und so arbeiteten sie gefasst und gewissenhaft ihren Einkaufszettel ab, sie taten dies ohne Anzeichen von Hysterie oder gar Panik, sondern mit einem Ausdruck, den man durchaus würdevoll nennen könnte. Sie hatten entschieden, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, da ihnen bewusst war, dass sie in ihrem Alter und vielleicht auch mit der einen oder anderen kritischen Vorerkrankungen versehen zu der Risikogruppe der besonders schutzbedürftigen Personen gehören. Ihre Entscheidung war somit nicht hysterisch oder übertrieben, sondern sehr sinnvoll und umsichtig. Und nicht nur eigentlich sollte man sich wünschen, dass nicht nur mehr ältere Menschen mit kritischen Vorerkrankungen ihre Verwundbarkeit erkennen und sodann nach dieser Erkenntnis handeln, sondern auch unser Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber diesen besonders verletzlichen und schutzbedürftigen Menschen endlich erkennt und ihnen den Schutz gewährt, den sie verdienen, um zu verhindern, dass sie sich infizieren, bevor ein Impfstoff bereitsteht. Denn die Alternative kann nicht sein, dass wir nach und nach alle Ü70jährigen und auch die Jüngeren mit Vorerkrankungen durch die Intensivstationen der Nation schleusen, um zu sehen, ob oder wie sie diese Tortour überleben werden. Gelingt es, diese Schutzbedürftigen in ihren eigenen Häuslichkeiten zu versorgen, wozu auf kommunaler Ebene meistens schon bereit bestehende Netzwerke aus professionell Pflegenden, Lieferdiensten, Ehrenamtlichen und Nachbarn aktiviert und organisiert werden müssten, würde man auch die Intensivstationen des Landes entscheidend entlasten. Und sollte dies gelingen, könnte man die Wirtschaft unseres Landes schneller wieder hochfahren, denn ein monatelanger „shutdown“ wird die wirtschaftlichen Strukturen ab einem gewissen Zeitpunkt nachhaltig ruinieren. Auch hätte diese nachbarschaftliche Solidarität mit den ältesten und schutzbedürftigsten Einwohnern den Vorteil, dass jenen Schutz gewährt wird, die sich zumindest in grossen Teilen bewusst sind, dass sie diesen auch tatsächlich benötigen, statt medial eine Horrormeldung nach der anderen zu lancieren, in der Hoffnung, diejenigen zu verschrecken und in der eigenen Häuslichkeit zu halten, die sich – ob zu recht oder unrecht – sehr bewusst sind, dass sie keinen besonderen Schutz benötigen und sich diesen deshalb mit zunehmender Dauer der Ausgangs- und Kontaktsperren immer weniger gefallen lassen werden.

Viel Eskalationspotential haben die Ministerpräsidenten nicht mehr. Söder kann natürlich weiterhin den Kurz geben und den starken Mann spielen, das beeindruckt sicherlich ein paar der mittlerweile ziemlich verschreckten Gänseblümchen-Tagträumerinnen. Es liegen jetzt aber aufgrund der wochenlangen und nichtendenwollenden Horrormeldungen bei vielen Menschen die Nerven blank, auch aufgrund ziemlich trüber wirtschaftlicher Zukunftsperspektiven. Steckt man diese Menschen jetzt alle in Quarantäne, werden Exzesse Häuslicher Gewalt, Sexueller Missbrauch, Depressionen, massive Angststörungen, anderweitige psychische Störungen, vermehrter Drogenmissbrauch, verstärkter Alkoholabusus und eine höhere Suizidrate die Folgen sein.

Und das ist leider noch nichtmal ein bisschen euphemistisch formuliert.

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