ABOVE & BEYOND

Ist, glaube ich jedenfalls, keine grosse Überraschung, dass ich mir niemals den neuen Land Rover Defender 2020 kaufen würde, also den Nachfolger des – logischerweise – jetzt alten Land Rover Defenders, der 1948 das Licht der automobilen Welt erblickte und seitdem – Briten haben eben einen Sinn für Traditionen und deren Bewahrung – so ziemlich unverändert über die Jahrzehnte hinweg einfach so weiter gebaut wurde, bis im Frühjahr 2016 dann für immer Schluss war. Zwischenzeitlich hatten nämlich die Inder von Tata Land Rover übernommen und einen Deutschen als Geschäftsführer eingesetzt, und die hatten weniger Sinn für Traditionen und deren Bewahrung, dafür aber mehr Sinn für Moneten. Und deshalb war es ihnen wohl eine Dorn im geschäftstüchtigen Auge, dass der alte Land Rover Defender, der ursprünglich gar nicht „Defender“ hiess, sondern nur Land Rover, da er seinerzeit sozusagen die Geländewagen-Sparte des britischen Herstellers Rover begründete, bis Rover dann irgendwann pleite ging und Land Rover herum gereicht wurde, um dann schlussendlich 2008 unter dem Dach von Tata heimisch werden zu müssen, aufgrund der doch inzwischen ziemlich antiquierten Technik verhältnismässig teuer und aufwendig in der Fertigung war, während man ihn nur für relativ kleines Geld, der Defender hatte zuletzt einen Einstiegspreis von ca. 25.000 Euro, am Markt platzieren konnte. Und da war es dann mehr als verlockend, die durch den Defender gebundenen Ressourcen freizusetzen, um noch mehr von den inzwischen ersonnenen lifestyligen Oligarchen-SUVs zu bauen, die sich sehr gut verkauften und zudem und vor allem im Verhältnis zu den höheren Preisen günstiger in der Fertigung waren, da man nicht nur darauf geachtet hatte, die verschiedenen Plattformen der anderen Modelle untereinander möglichst kompatibel zu gestalten, sondern auch 2018 eine neue hypermoderne Produktionsstätte in der Slowakei in Betrieb genommen werden konnte. Also musste der alte „Landy“ irgendwie weg, wobei es da ein klitzekleines Problemchen gab, denn der alte Landy, der eigentliche Land Rover, war ja nicht irgendein Auto der Marke, sondern die Gründungs-Ikone von Land Rover, also damit ungefähr das, was der 911 für Porsche ist: Der eigentliche Markenkern oder die DNA der ganzen Firma. Das schwante dann natürlich auch den Indern und dem geschäftigen deutschen Geschäftsführer, weshalb man in Solihull irgendwas von „EU-Forderungen“, „Fussgängerschutz“ und „Sicherheitsvorschriften“ brabbelte und den Bau des alten „Landys“ dann bedauerlicherweise und „gezwungenermassen“ einstellte, was erstens: Nicht ganz der Wahrheit entspricht, denn nach wie vor ist beispielsweise die Mercedes G-Klasse mit sehr ähnlicher Karosserie immer noch unterwegs und zweitens: Einen ziemlich unfreundlichen Akt gegenüber Typen wie mir darstellte, die sich gern einen Landy kauften, um diesen dann über die Jahre in Fetzen zu fahren, so wie den letzten, der nach 14 Jahren während der Fahrt eine seiner Kardanwellen verlor, weshalb ich dann mit nur noch einer Kardanwelle nach Hause fuhr, um mir einen neuen Landy zu bestellen. Und auch, wenn ich meine Autos eigentlich immer so lange fahre, bis sie auseinanderfallen, was, so habe ich mir sagen lassen, eine der ökologischsten Varianten der Fahrzeugnutzung überhaupt ist, und ich mir – bei guter Pflege – vielleicht nie mehr ein Auto kaufen muss, ist es dennoch nicht ganz auszuschliessen, dass auch mein derzeitiger Landy irgendwann mal eine Kardanwelle fallen lässt, und ich dann nicht mehr mit nur noch einer Kardanwelle nach Hause fahren kann, um mir einen neuen Land zu bestellen, weil es gibt ja keine mehr. Also war ich so mittelschwer interessiert, als neulich zu lesen war, dass die Inder und ihr Deutscher jetzt einen neuen Defender am Start hätten, obwohl ich mir natürlich denken konnte, wie der aussehen würde, wenn er endlich aus der slowakischen Fabrik rollt. Und natürlich sieht er genauso aus, wie ein lifestyliger Oligarchen-SUV eben so aussieht, wenn er aus einer slowakischen Monetenfabrik rollt und als robuste Ikone mit Defender DNA beworben wird: „Schafft, was keiner schafft“. Ungefähr so gross wie ein Reihenendhaus, steckt unter einem mit einigen „Landy-Akzenten“ betupften Blechkleid ein Edel-SUV auf Basis der eigentlich nicht so edlen Discovery-Plattform, vollgestopft mit dem heute üblichen Käse wie beispielsweise ein Haufen elektronischer Helferlein, ein betatschbares Bildschirmchen und beheizbare Aussenspiegel. Ein durchgestyltes Luxus-Auto, das anders als der motorseitig einigermassen eingehegte Discovery zudem mit einem 400 PS-starken Benzintriebwerk gepimpt werden kann, das es in 6,4 Sekunden von 0 auf 100 und dann auf eine Höchstgeschwindigkeit von 208 km/h katapultieren soll. Und damit war klar, dass ich jetzt auch automobiltechnisch heimatlos geworden bin, Land Rover hatte die Beziehungen zu so Typen wie mir endgültig und für alle Zeiten gekappt. Irgendwie konnte ich das ja auch verstehen, denn mit so Typen wie mir, der alle 13-15 Jahre mal bei Land Rover anklopft, um ein Auto zu kaufen, das so ca. 27.000 Euro kostet und das ich dann jahrelang in Fetzen fahre, bis ich endlich eine meiner Kardanwellen im Rückspiegel auf der Strasse liegen sehe, verdient man nicht wirklich viel Geld. Trotzdem fand ich, ist es eine Sache, den Bau einer Marken-Ikone einzustellen, weil man zu der Ansicht gelangt ist, mit ihr nicht genug Moneten zu verdienen, und eine ganz andere, sie dann wenige Jahre später durch einen Discovery-Klon zu ersetzen. Das ist ungefähr so, als würde Porsche den 911 einstellen, um ihn auf der Panamera-Plattform wieder auferstehen zu lassen, wobei das einzige an behaupteter Kontinuität ein paar Design-Mätzchen und drei Zahlen am Heck wären. Und da stellt sich natürlich die Frage: Wer kauft sowas? Welcher Porschefahrer kauft einen Panamera als 911-Ersatz? Und welcher Landyfahrer kauft einen Defender 2020 als Landy-Ersatz? Eben: Keiner. Zumal der neue Defender deutlich im Luxussegment angesiedelt ist. Einstiegspreis sind knapp 50.000 Euro, mit einer anderen Motorisierung und dem einen oder anderen Ausstattungspaket ist man schnell jenseits der 75.000 Euro, gönnt man sich noch mehr, sind auch Preise von über 100.000 Euro problemlos möglich. Wenn Land Rover also diese Luxus-Karre verkaufen will, müssen die Inder mit ihrem Deutschen dringend eine andere Käuferschicht ansprechen als die bisherige, sie müssen reiche Menschen davon überzeugen, dass ihr gepimpter Discovery mindestens 50.000 Euro, besser noch 75.000 Euro oder über 100.000 Euro wert ist, Menschen, die dieses viele Geld bisher für andere Luxuskarossen ausgegeben haben. Es kann ein heikles Unterfangen sein, die alte Kundschaft nachhaltig zu verprellen, um sich zahlungskräftigere Käuferschichten zu erschliessen. Des Risikos scheint sich Land Rover auch durchaus bewusst und deshalb fährt man werkseitig eine Kampagne, die fast schon mit aller Marketing-Gewalt betrieben wird. Kein geringerer als der wohl weltberühmteste bekennende Defender-Fan Richard Hammond durfte den neuen Defender der Weltöffentlichkeit in einem Imagefilm präsentieren und sparte dabei natürlich nicht an bestbezahlten Lobeshymnen, zusätzlich buchte man einen Auftritt des Autos im neuen James Bond Film, der helfen soll die Nachricht zu unterstreichen, welche derzeit auf allen Kanälen in die Welt hinausposaunt wird und die sich so oder so ähnlich liest:

„Wie definiert man eine Ikone neu? Mit Defender DNA! Überragende Geländegängigkeit und Strapazierfähigkeit. Der beste Geländewagen, den wir je gebaut haben.“

Dazu werden dann ein Haufen bunte Bildchen präsentiert, auf denen man den Karren pittoresk durch Schnee, Wüste, Wald, Gewässer oder das Gebirge kacheln sieht. Schnee, Wasser und Sand spritzen farbgesättigt schön durch die Gegend und wenn mal ein Baum im Weg liegt, kein Problem, zieht ihn Defender-Fahrer Big Jim einfach mit der Seilwinde aus dem Weg. Abends wird dann beim gemütlichen Campen auf dem Wagendach ein bisschen geplauscht und das nächste Abenteuer geplant. Offensichtlich scheint sich der teuer zu bezahlende Mehrwert des neuen Defenders vor allem darin zu begründen, dass er der legitime Nachfolger einer Legende sein soll, also ausgestattet mit der DNA eben jener Ikone, die einst sehr widerstandsfähig war, da äusserst einfach konzipiert, weshalb sie auch leicht repariert werden konnte und somit vor allem in etwas unzivilisierteren, um nicht zu schreiben gefährlichen Gegenden zu einem Synonym für Zuverlässigkeit wurde.

Das, die legendäre Zuverlässigkeit der Geländewagen-Ikone, ist aber nur eine Hälfte der Geschichte, denn spätestens Anfang der 1990er Jahre begannen die beschriebenen Eigenschaften der Landys langsam unterzugehen, denn auch der unverwüstliche Land Rover musste sich strenger werdenden Vorschriften beugen und wurde technisch immer komplexer und damit anfälliger und entfernte sich so auch von der technischen Leistungsfähigkeit der Auto-Infrastruktur rückständiger Gegenden immer mehr. Und damit begann die zweite Hälfte der Geschichte der Ikone-Werdung des Land Rovers, denn das allein ist sein richtiger Name. Und um es kurz zu machen, der zweite Teil der Geschichte sind eigentlich so Typen wie ich. So Typen wie ich lasen unsere Kardanwellen nicht nur von den Strassen auf und sind dann trotzdem mit nur noch einer Kardanwelle nach Hause gefahren, sondern so Typen wie ich lenkten den Landy auch an vielen klirrend kalten Tagen entweder mit Handschuhen oder abwechselnd mit nur einer Hand, während sie die andere unter ihre Hintern zum Aufwärmen schoben, weil dieser komplette Witz von einer Heizung erst so ab 50 gefahrenen Kilometern eine laues Lüftchen produzierte. So Typen wie ich rissen mit brachialer Gewalt am Lenkrad, als sie merkten, dass das Lenkradschloss während der Fahrt eingerastet hatte, womit sie das Lenkradschloss zwar ruinierten, aber immerhin weiterleben durften. So Typen wie ich öffneten die vorderen Lüftungsklappen nie nie niemals, weil sie wussten, dass die vorderen Lüftungsklappen nach dem ersten Öffnen nie nie mehr dicht zu bekommen waren und uns der stete Regenwassereinbruch durch das geschlossene Panoramafenster oder die Türritzen schon erfrischend genug war. So Typen wie ich liessen das ganze Jahr stets das Fahrerfenster einen Fingerbreit offen in der Hoffnung, die Feuchtigkeit möge aus dem Innenraum entweichen und kratzten dann trotzdem im Winter am nächsten Morgen das Eis auch innen von der Windschutzscheibe. So Typen wie ich fuhren tausende von Kilometern mit 140 auf der Autobahn und konnten sich mit ihren Beifahrern nur brüllend unterhalten, weil der Diesel da vorne ein ganz spezielles Konzert veranstaltete. So Typen wie ich betrachteten interessiert die impressionistischen Tröpfelmuster auf dem Boden des Hofs oder der Garage, weil das Diff, das Getriebe oder wasauchimmer mal wieder undicht war. So Typen wie ich bestanden in der Werkstatt auf die Abschaltung des ABS, da es gerade auf winterlich rutschigen Strassen den Bremsweg gemeingefährlich verlängern konnte. Und so Typen wie ich schnallten ihre Kleinkinder im Kindersitz auf den längs eingebauten Sitz im Laderaum des 90, weshalb der arme Junge noch heute eine ausgewachsene Phobie hat und sich standhaft weigert, den Land Rover zu fahren.*

Und natürlich hatten wir einen an der Klatsche, aber Typen wie ich haben dieses Auto geliebt und viele von uns tuen es immer noch, auch weil diese Karre von Anfang an der perfekte Anti-SUV war und ist, vielleicht und gerade obwohl er uns einige Entbehrungen abverlangte. Und auch, wenn uns niemand dazu gezwungen hat, waren es doch Typen wie ich, die dazu beigetragen haben, dass dieses ehemalige Expeditionsfahrzeug zur Ikone geworden ist, eben weil wir an ihr festgehalten haben, obwohl sie längst zur anachronistischen Zumutung geworden war, und sie so durch die Jahre trugen – auch in Zeiten, die für Land Rover nicht ganz so rosig waren – bis ein paar Inder und ein Deutscher ihr nach sage und schreibe fast 70 Jahren (!) das Licht ausbliesen.

Und so Typen wie wir dürfen nun mitansehen, wie Land Rover diesen „Ikonen-Status“ versilbert und einen Nachfolger präsentiert, der zum Millionärsspielzeug verkommen ist. Denn wer – Hand aufs Herz! – würde heute tatsächlich mit einem 2020er Defender, vollgestopft mit Elektronik bis unters Dach und wahlweise einem Euro 6 Diesel mit Ad Blue-Tank oder einem modernen 400 PS Benziner an Bord, zu einer Afrikadurchquerung aufbrechen, wohlwissend, dass in weiten Teilen dieses Kontinents kaum die Infrastruktur zur Verfügung steht, um die durch afrikanische Pisten stark beanspruchten Hi-Tec-Wunderwerke im Falle eines Falles reparieren zu können. Und da ist dann auch die von Land Rover versprochene Software-Wartung via Satellitentelefon nicht besonders beruhigend. So ist es denn eher unwahrscheinlich, dass eine nennenswerte Zahl an Forschungsreisenden oder Globetrottern tatsächlich demnächst mit neuen Defendern in unbekannte Gefilde aufbrechen wird, um das grosse Abenteuer zu suchen, wahrscheinlicher ist es eher schon, dass Land Rovers eigentliche Strategie aufgehen wird, weil sich die neue teure „Ikone“ so trefflich für den sozialen Distinktionsgewinn eignet, und sich somit ihr neues angestammtes Revier nicht in Afrika oder hier bei uns im Nordschwarzwald, sondern auf den Parkplätzen der Golfclubs und Privatkindergärten dieser Welt finden lässt. Als Freizeitauto für den gestressten grossurbanen Immobilienmakler oder – besser noch – als das perfekt geeignete Vanity Utility Vehicle für die perfekt gestylte High-Society-Kindergartenmutti mit Hund.

Einen kleinen Hinweis, wohin die Reise geht, lieferte mir neulich ein Besuch auf der Webseite von „Auto Motor und Sport“. Dort las ich einen Bericht über den neuen Defender 2020. Nach den ganzen Lobhudeleien klickte ich noch ein Video, um mir ein Interview mit irgendeinem Chefingenieur anzusehen. Und wie immer kam zunächst Werbung.

Eine Werbung für Babynahrung.

* Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle hinzugefügt, dass die meisten beschriebenen “Besonderheiten” des Land Rovers nach Erwerb der Firma durch die Inder beseitigt worden sind. Die vorderen Lüftungsklappen und das undichte Panoramafenster wurden eliminiert, die Türen waren endlich dicht. Die Heizungen funktionierten und man konnte für relativ kleines Geld ein Winterpaket bestellen, das u. a. Sitzheizungen und eine Heizung der Windschutzscheibe beinhaltete. Meine Sitzheizung ist inzwischen kaputt, aber die Heizung der Windschutzscheibe ist ne Wucht. Ob das ABS endlich richtig funktioniert, kann ich nicht sagen, da ich es vorsichtshalber gleich habe deaktivieren lassen. Aber sein Revier markiert ein Land Rover noch immer, was mich nicht sonderlich stört. Ach ja, der Land Rover, der seinerzeit seine Kardanwelle hat fallen lassen, wurde, obwohl eigentlich schrottreif, instandgesetzt und fährt nach meinem Kenntnisstand heute noch immer…

Und dann gibt es ja noch andere Hersteller, die mit ihren “Ikonen” und deren – joah – Glaubensgemeinschaften bis zum heutigen Tag deutlich behutsamer umgegangen sind (Wenn man mal von solchen Spinnereien wie einem E-Mustang absieht):

God Bless The Ford Motor Company!

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