Biedermann und Brandstifter – Sechster Teil

„”Auf welche Traditionen soll sie sich auch berufen?”, fragt Michael Schindhelm, der in den achtziger Jahren mit Angela Merkel an dem kleinen Akademieinstitut in Adlershof zusammenarbeitete. “Die Westdeutschen tun immer so, als seien wir in irgendwelchen Massai-Dörfern in Tansania aufgewachsen, aus deren Wurzeln wir unsere Lebenskraft ziehen. Aber bei mir war da nur Leere. Wir hatten keine ostdeutsche Identität. Wolf Biermann hat bei seinem Kölner Konzert pausenlos Hölderlin zitiert, weil er in eine romantische Zwischenwelt geflüchtet ist, die jenseits aller politischen Sphären der DDR lag. Dieses Gefühl der unvollständigen kulturellen und politischen Identität hatten auch wir beide, Angela und ich”, sagt Schindhelm.“ (Alexander Osang: Die Schläferin)

Obwohl ihre Partei, der Demokratische Aufbruch, bei der letzten und ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 nur 0,9 Prozent der abgegeben Stimmen erreichte, wurde Angela Merkel stellvertretende Regierungssprecherin der Regierung de Mazière, im August 1990 stimmten dann die traurigen Reste ihres Vereins und damit auch sie zusammen mit der OST-CDU für einen Beitritt zur CDU. Nach der Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990 und der damit einhergehenden Auflösung der Volkskammer wurde sie kurzzeitig im Bundespresseamt auf der Planstelle einer Ministerialrätin geparkt, bevor sie bereits im Dezember 1990 durch Direktwahl ein Mandat im ersten Bundestag des wiedervereinigten Deutschlands gewinnen konnte. Im Januar 1991 wurde sie als Bundesministerin für Frauen und Jugend vereidigt.

So schnell kanns gehen.

Ja, das kann man wohl sagen, nur 12 Monate nachdem sie politisch aktiv wurde und nur 5 Monate nach ihrem Beitritt zur CDU ist sie schon Bundesministerin. Das nenne ich mal eine Blitzkarriere. Und wie wir wissen, sollte sie diese 2005 noch in das Bundeskanzleramt führen, wo sie uns bis heute erhalten geblieben ist. Glaube kaum, dass es vergleichbare Karrieren gibt oder gab. Eine einzigartige Biographie in der DDR und eine aussergewöhnliche politische Karriere danach. Eine einzigartige Aussergewöhnlichkeit, diese Frau, sozialisiert in einem Land, das es nicht mehr gibt und jetzt Bundeskanzlerin in einem anderen, wiedervereinigten Land, in dem sie nie als Normalbürgerin gelebt hat.

Wie meinsten das jetzt?

In der Zeit des Umbruchs war sie ja schon auf der politischen Überholspur und wachte in der wiedervereinigten Bundesrepublik als Bundesministerin wieder auf. Im Prinzip hat der Hosenanzug keine einzige Sekunde als Normalbürgerin in dem Land gelebt, das er heute regiert. Wenn man so will, könnte man sagen, sie ist Kanzlerin in einem ihr fremden Land, das sie immer nur aus der besonderen Perspektive einer Akteurin im Zirkus der bundesdeutschen Polit-Elite wahrgenommen hat. Von unten, also aus der Sicht der ganz einfachen Bürgerin, hat sie dieses Land nie kennengelernt. War sie früher in den Kreisen der FDJ und der Wissenschaft-Elite das kuriose Pfarrerskind, so ist sie heute überall, wo sie auftaucht, die bekannte Politikerin, Ministerin, Bundeskanzlerin und damit noch ein viel grösseres Alien als seinerzeit in der DDR, das Volksaufläufe provozieren würde, weshalb sie dieses Land immer nur als eine diffuse Landschaft hinter einem Spalier aus Sicherheitsleuten oder mit dem Blick durch Panzerglas oder von oben aus dem Flugzeugfenster wahrgenommen hat. Normalerweise verfügen Menschen, bevor sie bekannt oder berühmt werden, und ein „normales“ Leben nicht mehr möglich ist, über eine Geschichte oder eine Biographie oder eine Sozialisation unter „normalen“ Bedingungen, von britischen Königskindern oder ähnlich exponierten Vertretern der Monarchie oder sonstwas mal abgesehen, die ihnen zumindest eine Ahnung mitgegeben haben könnte, wie das Gemeinwesen, in dem man aufwächst, funktioniert, welche Werte, Regeln und Normen in ihm gelten, Merkel hingegen verfügt über eine ziemlich verquere Sozialisation, in welcher sie unter anderem lernte, dass der Wert oder die Gültigkeit von Werten und Normen immer kontextabhängig ist, und das auch noch innerhalb eines Staates, der ebenso wie viele der dort geltenden Normen längst untergegangen ist. Während sich also in der Nach-Wende-Zeit alle ehemaligen DDR-Bürger mit dem neuen System und den darin geltenden Werte und Normen auseinanderzusetzen hatten, ein mitunter mühsames und leidvolles Unterfangen, das auch dafür sorgte, dass so manche Illusion zerplatzte, hat sich Angela Merkel dieser Auseinandersetzung entzogen, war sie beizeiten und wie weiland Opa Ludwik doch bereits auf die Seite der „Sieger” übergelaufen. Und wie weiland Papa Horst hatte sie einen wohlwollenden Mentor…

Helmut Kohl

…, der sie nach Kräften förderte und somit auch dafür sorgte, dass sie ihren Aufenthalt unter der schirmenden Käseglocke der Polit-Elite über Jahrzehnte ausdehnen konnte. Merkel passte sich somit den besonderen Bedingungen, dem besonderen Kontext des irrealen Politikbetriebes an, aber niemals dem Kontext der Republik, sie ist somit gewissermassen die letzte verbliebene DDR-Bürgerin, die immer noch nicht in der Realität der Bundesrepublik angekommen ist. Deshalb kann man auch nicht sagen, sie sei abgehoben. Denn abgehoben von was? Da ist ja nichts mehr! Allerdings verhalf ihr das Rüstzeug, welches sie durch ihre besondere Sozialisation der DDR mit auf dem Weg bekommen hat, zu einem durchschlagenden Erfolg in der Politik. Und genau dieser Umstand, dass man mit diesen Mitteln der Kommunikation, die sie unter dem Druck eines diktatorischen Regimes erlernen musste, so weit hier kommen kann, wirft kein gutes Licht auf unser politisches System. Ein Deserteur und Überläufer als Polizist. Ein Sozialist als Pfarrer oder ein Pfarrer als Sozialist. Und eine relativistische Jongleurin der Werte und Normen als Bundeskanzlerin. Das sind beinahe schon lebenslange Köpenickiaden, wobei sie ihre Vorväter klar übertrumpft hat, denn sie ist keine blosse Befehlsempfängerin geblieben, sie hat sich zur Befehlshaberin aufgeschwungen, die scheinbar ihre eigenen Normen setzt, deren Wirkungen alle anderen, also wir, zu vergegenwärtigen haben.

Jemand hat einmal geschrieben, sie hätte sich ihre Partei, die CDU, damals in der Wendezeit ausgesucht wie andere Leute eine Eissorte. Und das mag vielleicht auch so gewesen sein, aber dennoch war es keine zufällige Wahl, denn eine Angela Merkel allein macht noch keine Kanzlerin so wie ein krummbeiniger Friedrich Wilhelm Voigt noch keinen Hauptmann von Köpenick macht, selbst wenn er sich im Trödel eine ausgediente Offiziersuniform zusammenkauft, dazu braucht es schon mehr. Es braucht einen Trupp an braven Soldaten, die der falsche Hauptmann seinem Befehl unterstellte, auf das sie ihm allein durch ihre Anwesenheit Glaubwürdigkeit verleihen, als er sich daran machte, das Rathaus von Köpenick auszurauben. So, wie Angela Merkel sich daran machte, das Kanzleramt zu erobern und sich ab einem gewissen Zeitpunkt dem „Pflichtbewusstsein“ einer Partei, dem sprichwörtlichen Kanzlerwahlverein, sicher sein konnte, der auch einer Bratpfanne ergebenst hinterher dackeln würde, wenn sie, die Bratpfanne, dem Verein zumindest ein Zipfelchen Macht garantieren könnte. In diesem Sinne sind Angela Merkel und die CDU eine fatale Koalition, da in dieser Partei der Untertanengeist fast schon Formen des politischen Kadavergehorsams angenommen hat, der in der SPD, man denke an Schröders Querelen mit seiner Partei während der Endphase seiner Kanzlerschaft, so wohl nicht möglich gewesen wären. Solange die Umfragewerte stimmen, ist das aber in der CDU kein Problem, da zeigt diese Partei schon eine erstaunliche Leidensbereitschaft, die es auch hinnimmt, dass Partei, Land und auch die Europäische Union während der Kanzlerschaft des Hosenanzuges immer mehr aus den Fugen geraten. Denn als der Hosenanzug nach Jahren des kontextabhängigen und sehr virtuosen Durchwurschtelns 2005 endlich in die Beton-Kakophonie des Bundeskanzleramts einzog, geschah mit der Abnahme des Amtseides etwas Seltsames und Gewöhnliches zugleich.

Aha, und was soll das gewesen sein?

Na, der Kontext änderte sich, verstehste?

Häh?

Wenn jemand wie der Hosenanzug gelernt hat, dass selbst „ewige“ oder „allgemeingültige“ Werte oder Prinzipien immer nur abhängig von einem bestimmten sozialen Kontext Gültigkeit besitzen, und er diese Erkenntnis in der praktischen Anwendung zur absoluten Meisterschaft gebracht hat, dann birgt der eigentlich gewöhnliche Umstand, dass mit dem Beginn der Kanzlerschaft der Kontext sich auf einmal radikal ändert für so jemanden wie den Hosenanzug doch auch etwas befremdlich Seltsames. Verstehste?

Nö!

Ihr ganzes Tun während ihres Aufstiegs in der Wissenschaft-Elite der DDR und später dann während ihrer Karriere in der Bundesrepublik war immer darauf gerichtet, die Maximen ihres Handelns an den jeweils herrschenden Kontext anzupassen. Mit dem Blick auf ihren Wertekompass, dessen Nadel wie wild rotierte, wurschtelte sie sich mit der ihr eigenen Geschmeidigkeit bis ganz nach oben durch. Dort angekommen, musste sie aber feststellen, dass die Nadel ihres Kompass nach der Vereidigung nur noch in eine Richtung zeigte – nämlich in ihre eigene. Der Kontext und damit auch das Paradigma ihrer Handlungsmaximen hatte sich umgekehrt. Den Kontext, dem Angela Merkel ihre jeweils handlungsleitenden Werte anpasste, um in der Auseinandersetzung mit den Anderen ihre Ziele zu erreichen, gab es nicht mehr, denn sie war jetzt selbst auf einmal der Kontext für das Handeln der Anderen. Der Kontext hatte sich gewissermassen umgekehrt. Und das ist natürlich eine ziemlich blöde Situation für jemanden, der gelernt hat, dass der Kontext die Gültigkeit der Werte bestimmt. Denn welche Werte sollten jetzt gelten?

Eieiei…

Genau. Und weil das für den Hosenanzug ne ziemlich seltsame Situation war, mit der er nicht zurechtkam, behalf er sich mit einem Kunstgriff.

Häh?

Er drehte den Kontext einfach noch mal um!

Und wie sollen das gehen?

Sie war auf einmal die Kanzlerin eines Landes, das sie nicht kannte und verfügte über keinerlei Ideen oder Werte oder Prinzipien, die in dieser kontextlosen Situation handlungsleitend hätten sein können, also beschloss sie, nicht in das Land zu wirken, sondern das Land auf sich wirken zu lassen, um danach in das Land wirken zu können. Sie suchte eine Bedienungsanleitung für die Republik und dachte wohl, wenn ich schon keine Ahnung habe, können mir vielleicht die Bürger sagen, was ich zu tun habe.

An und für sich keine schlechte Idee.

Ja, wenn auch nur auf den ersten Blick, denn dabei gabs n paar Problemchen.

Und welche?

Der Hosenanzug verfolgte eine zweigleisige Strategie, zunächst lud er alle möglichen Persönlichkeiten aus dem Land ins Kanzleramt, um sie kennenzulernen und herauszufinden, ob diese ihm vielleicht etwas über das Land erzählen könnten. Das war und ist ein bunter Reigen von Menschen, allerhand Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, von den Banken, aus Kunst und Kultur aber auch aus dem Sport bis hin zu den Sternchen, die dem Hosenanzug vielleicht aus der „Bunten“ irgendwie bekannt waren. Das Problemchen hierbei war aber, dass das, was diese Persönlichkeiten berichten konnten, immer nur Berichte aus zweiter Hand und auch nicht selten von eigenen Interessen gefärbt waren. Also beschloss der Hosenanzug irgendwann, dass er noch tiefere und bessere Informationen über sein Land brauche und nicht nur Berichte aus zweiter Hand von irgendwelchen bekannten und mehr oder weniger wichtigen Persönlichkeiten, die vielleicht nur ihr eigenes Süppchen kochten, und richtete sozusagen seinen eigenen Nachrichtendienst ein. Robin Alexander beschreibt diesen „Nachrichtendienst” in seinem Buch „Die Getriebenen“ wie folgt:

„Unter Angela Merkel hat sich das Bundespresseamt gewandelt von einer Behörde, die Bürger über die Arbeit der Regierung informiert, zu einer Behörde, die vor allem für die Regierung ermittelt, was die Bürger denken und fühlen. Jede Woche stellt Regierungssprecher Seibert seiner Kanzlerin einen neunseitigen vertraulichen Bericht über „Ergebnisse aus der Meinungsforschung“ vor. Darin sind die aktuellsten Umfragen von forsa, Emnid, Allensbach, GMS und Infratest dimap gebündelt. Einige erhält die Kanzlerin Tage vor ihrer Veröffentlichung zur Kenntnis und kann das Regierungshandeln entsprechend anpassen. Andere werden nur für die Regierung erstellt und nie veröffentlicht.

Neben „Wähleranteilen“, „Kanzlerpräferenz“ und „Problemlösungskompetenz“ werden die zwanzig wichtigsten Aufgaben ermittelt und die „Arbeit der Bundesregierung“ in diesen Feldern von den Befragten bewertet. Außerdem werden die „langfristigen Erwartungen für die Wirtschaft“ sowie die „Bewertung der eigenen gegenwärtigen finanziellen Lage“ und der „zukünftigen finanziellen Lage“ ausgeforscht, um den Gemütszustand der Befragten zu erfassen. Ein fast intimer Blick in Köpfe, Seelen und Herzen der Bundesbürger, den der Regierungssprecher jede Woche der Kanzlerin präsentiert. Das Herzstück aber sind die „wichtigsten Themen“: Infratest dimap erhebt exklusiv für die Bundesregierung, was die Menschen am meisten bewegt, und stellt die Entwicklung in einem „Themen-Monitor“ dar, der wie eine wissenschaftliche Grafik aufbereitet ist.“

Das ist also das Ergebnis der doppelten Umkehrung des Kontexts: Angela Merkel setzte sich mit Hilfe der Meinungsforschungsinstitute und der Journalisten ihres Bundespresseamtes auf die Spuren einer sehr flüchtigen Essenz, die man gemeinhin “den Zeitgeist” nennt. Mit dem Zeitgeist isses aber so ne Sache, er ist nicht leicht zu fassen, denn wenn man glaubt, ihn dingfest gemacht zu haben, taucht er schon an einer anderen ganz unvermuteten Stelle wieder auf. Der Zeitgeist ist überdies sehr launisch und sprunghaft, er will heute dies, morgen das und übermorgen wieder genau das Gegenteil. Der Zeitgeist will, dass endlich alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, regt sich dann aber über die hohen Stromkosten auf. Der Zeitgeist will jetzt und sofort alle Eisbären retten, schäumt aber vor Wut, wenn sein gebrauchter Diesel vor der Tür auf einmal nur noch die Hälfte wert ist. Der Zeitgeist legt sich somit lustvoll und immer wieder selbst rein und treibt mitunter ein grausames Spiel, wenn er einen blassen Kandidaten allen Ernstes zum nächsten Bundeskanzler aufbläst, nur um ihn kurze Zeit später ins Bodenlose fallen zu lassen. Auch fällt der Zeitgeist niemals vom Himmel, ist er nicht gottgegeben sondern tanzt gerne nach den Melodien, die andere spielen, denn der Zeitgeist ist bei all seiner Unbeständigkeit oder vielleicht auch gerade deswegen ein sehr wertvolles Gut. Er kann die einen reich machen und die anderen arm, je nachdem, wem er gerade seine Gunst gewährt. Und deshalb buhlen unzählige Werbeagenturen, Marketingabteilungen, Medienredaktionen, Internetkonzerne,  Lobbyverbände, Modelabels, Turnschuhfirmen und so weiter und so fort um seine Gunst. Aber wer dem Zeitgeist und seinen unzähligen Volten nachspüren will, sollte beweglich und schnell sein, jederzeit gewappnet für den kurzen und kostbaren Augenblick seiner Gunst, in welchen der Zeitgeist irgendwelche Modeaccessoires, Lifestyleprodukte, Meinungen, Gadgets oder anderen wertlosen Plunder mit seiner teuren und ertragreichen Aufmerksamkeit adelt, bevor er – schwupp – schon wieder weiter weitergezogen ist. Wer sich also auf ein Rendezvous mit dem Zeitgeist einlassen will, um nach dessen Gestirnen zu navigieren, der sollte über ein Motorboot oder eine schnittige Segelyacht verfügen, die ebenso schnell und wendig sind wie er, auch um sich beizeiten in Sicherheit bringen zu können, wenn der Zeitgeist sich gegen einen wendet. Wer aber auf der Brücke des riesigen Containerschiffs „MS Bundesrepublik Deutschland“ steht, für den ist der Zeitgeist immer ein sehr gefährlicher Ratgeber, da Merkels Schiff nunmal ein ausserordentlich schwerfälliges Gefährt ist, das, erstmal in voller Fahrt, Ewigkeiten für eine Vollbremsung benötigt und einen ganzen Ozean für eine Kehrtwende, weshalb es auch eigentlich eine krass dämliche Idee ist, ein solch mächtiges Schiff nach dem Zeitgeist zu navigieren. Eine Idee, auf die für gewöhnlich nur Leichtmatrosen kommen können und ganz sicher keine gestandenen Kapitäne. Aber dieses unbeständige, flackernde und flüchtige Wesen des Zeitgeists ist nur eine Dimension seiner Gefährlichkeit, es gibt noch eine weitere Gefahr, die vielleicht noch schädlicher sein kann.

Seine Flachheit?

Flach war der Zeitgeist eigentlich schon immer. Es scheint mir, dass die zweite Dimension der Gefahr die vom Zeitgeist ausgehen kann, etwas mehr damit zu tun hat, wie sich der gesellschaftliche Diskurs in den letzten Jahren verändert hat.

Der gesellschaftliche Diskurs?

Naja, die Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft Themen gesetzt werden und deren Wichtigkeit eingeschätzt wird. Und da haben sich in den letzten Jahren nicht nur in unserer Gesellschaft sondern eigentlich in der ganzen westlichen Welt bestimmte Milieus herausgebildet, die sich sehr ähnlich sind, sodass man fast schon von einem globalen Milieu sprechen kann. Warum und wieso sich diese Milieus herausgebildet haben, steht in einem anderen Text, der demnächst erscheint, und soll deshalb hier nicht vertieft werden, auch weil es den Rahmen sprengen würde. Was man aber sagen kann, ist, dass es sich bei diesem Milieu, um eine neue – und eigentlich wieder auch nicht neue – pseudo-linksliberale Spiesser-Elite handelt, die ausgestattet mit einer gehörigen Portion Naivität, denn die gehört immer dazu, sich im grossstädtischen Raum ansiedelt und sich dort gerne in bestimmten Vierteln, nennen wir sie zusammenfassend St. Prenzlauviertel, ballt. Ein weiterer Wohnort dieser neuen „Elite” sind die Social-Media-Seiten, was den für sie vielleicht begrüssenswerten Nebeneffekt hat, dass man sich nur persönlich im eigenen Viertel sondern auch virtuell die ganze Zeit gegenseitig versichern kann, wie wahnsinnig toll und progressiv man ist, was dann nicht selten in totaler gegenseitiger sozialer Kontrolle ausartet. Eine im eigenen Saft schmorende, gross-urbane Spiesser-Elite und eigentlich doch nur eine weitere Generation Spinner, die meistens nicht originär gross-urban ist, sondern mal wieder vom Land und den Kleinstädten zur grossen Freude der gross-urbanen und dann bald gentrifizierten Ureinwohnerschaft in der Grossstadt entsorgt wurde, so wie wir vom Land das schon seit Jahrzehnten tun, weshalb es hier auch so schön gemütlich ist, und die man so wie schon immer geflissentlich ignorieren könnte, wenn sie nicht leider und tatsächlich in der letzten Zeit eine gewisse… nennen wir es mal, meinungsbildende Präpotenz erlangt hätten. Und die hat natürlich zum einen damit zu tun, dass diese Spezialisten unentwegt ihre Mitmenschen via Internet mit ihrem siliconvalleyhörigen Schwachsinn bombardieren und zum anderen leider auch damit, dass das Personal einiger Leit-Online- als auch Printmedien einwohneramtlich im St. Prenzlauviertel gemeldet ist. Und deren Geschreibsel könnte man immer noch geflissentlich ignorieren, wenn nicht der Zeitgeist oder das, was das Bundespresseamt dafür hält, regelmässig davon Notiz nehmen würde, was dann zumindest in Spuren auch Eingang in den ominösen neunseitigen Bericht „Ergebnisse aus der Meinungsforschung“ findet, den der Regierungssprecher Seibert jede Woche dem Hosenanzug überreicht. Und es ist wohl kein grosses Geheimnis mehr, dass in den Tagen vor dem Ereignis, das man später die Flüchtlingskrise nennen sollte, einige dieser Leitmedien beschlossen, dass mit der westlichen Ignoranz gegenüber dem Leid und dem Elend der syrischen Flüchtlinge endlich Schluss sein und man deshalb von Seiten der Journaille entschieden dafür eintreten müsse, diesen Menschen zu helfen. Ein an und für sich vernünftiger Entschluss, denn schliesslich konnten die damals ja noch nicht ahnen, welche Ausmasse das annehmen sollte, wenn sich erstmal der Hosenanzug in dieser Angelegenheit einschaltet. Einige Zeit später ging dann das herzzerreißende Bild eines toten dreijährigen Jungen um die Welt, der vor der türkischen Küste beim Versuch die griechische Insel Kos zu erreichen, ertrunken war. Nach allem, was man heute weiss, war die Verantwortungslosigkeit des Vaters, ein syrischer Kurde, hauptursächlich für den Tod des Kindes, der obwohl er und seine Familie in der Türkei bereits in Sicherheit waren, wo er auch einer bezahlten Tätigkeit nachging, sich und seine Familie in einem überfüllten Schlauchboot mit völlig unzureichender Sicherung einer lebensgefährlichen Situation aussetzte, was nicht nur dem Jungen sondern auch seiner Mutter und einem weiteren Kind das Leben kostete. Dennoch wurde dieses Bild zu einem Symbol für die Ignoranz der westlichen Welt gegenüber dem Leid der syrischen Flüchtlinge, welches auch eine enorme Wirkung auf den deutschen Zeitgeist und damit mittelbar auch auf die Kanzlerin entfaltete, die bis dahin nicht nur wenig bis gar kein Interesse an dem Schicksal der syrischen Kriegsflüchtlinge entwickelt hatte, und es beispielsweise hinnahm, dass die Lebensmittelhilfen der UN für die Flüchtlingslager in Nahost 2014 um 40% gesenkt wurden. Nach ihrer Grenzöffnung im Sommer 2015 war sie dann aber auf einmal Everybodys Darling, auch für jene Teile der Presse, die ihr Wirken bisher eher kritisch begleitet hatten, die Zustimmungsrate des Zeitgeistes war astronomisch noch, und nicht wenige unterstellten dem Hosenanzug mit Tränen in den Augen, er hätte zum ersten Mal in seiner Kanzlerschaft eine wertorientierte Politik betrieben, dabei trottete der nur und wie immer dem Zeitgeist hinterher, welcher aber einen zunehmend linksliberalen Drall bekommen hatte, denn Teile der Journaille wussten ja inzwischen, wie der Hosenanzug tickt. Allerdings hatten sie sich wohl verrechnet, was den weiteren Fortgang der Flüchtlingskrise betraf, keiner hatte auch voraussehen können, dass Merkel und damit Deutschland ganze 180 Tage tatenlos dabei zusehen würde, wie jeden einzelnen Tag, Zehntausende von Menschen einfach über die Grenze marschierten, zunächst tatsächlich vornehmlich Menschen aus Syrien bzw. Flüchtlingslagern aus den Nachbarländern, dann aber auch zunehmend Schutzsuchende und Wirtschaftsemigranten aus aller Herren Länder. Und da wurde es, wie es gänzlich unbestätigten Berichten zu entnehmen ist, auch dem einen oder anderen Medienschaffenden etwas mulmig und ein paar von denen schalteten sogar ihr Hirn ein und erkannten, dass die Position oder die Meinung, einen jeden Menschen, der sich aufmacht, sei es aus Not oder wirtschaftlichem Kalkül, in unser Land einzuwandern, hier auch aufzunehmen, eigentlich unhaltbar ist, da sie in letzter Konsequenz zur Selbstaufgabe und zum Kollaps des Landes führen würde, weil die Zahl dieser Menschen – Bundesentwicklungsminister Müller spricht von 100 Millionen potentiellen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten allein aus Afrika – einfach viel zu gross ist. Trotzdem wird diese Meinung von Teilen der Journaille bis heute vehement vertreten, eben weil man – und das ist das Paradoxe – die Dimension der von Teilen der Medien und dem Zeitgeist evozierten und der von Merkel ausgelösten Flüchtlingswelle einfach unterschätzt hat. Wer hätte das auch erwarten können? Man dachte, es kommen ein paar Tausende, tatsächlich drohten aber Millionen. Wäre man jetzt in dieser Situation zurückgerudert, hätte man sich sofort den Vorwürfen ausgesetzt, dass man zum einen, den früheren und edleren Standpunkt nicht nur verraten hätte, sondern auch nur so lange ein guter Mensch sein wolle, wie die Folgen der eigenen Meinung überschaubar blieben, wenn es hart auf hart kommt, aber sofort die Flinte ins Korn schmeissen würde. Neben diesem möglichen Vorwurf des moralischen Defätismus spielte noch der Umstand eine Rolle, dass der Hosenanzug selbst im Clinch mit Seehofer eine Obergrenze ablehnte, würde man sich also von Seiten der „linksliberalen” Presse für eine Kontingentierung einsetzen, das sofort zur Folge hätte, von Merkel sozusagen links überholt worden zu sein – und das, da kannste Dir sicher sein, geht ja gar nicht! Der letzte Grund aber, dass die Gutmenschenfalle im St. Prenzlauviertel dann vollends zuschnappte, war das völlig überraschende und absolut nicht zu erwartende soziale Phänomen, dass Merkels nicht enden wollende Flüchtlingsfestspiele langsam zunehmendes Unverständnis in weiten Teilen der Bevölkerung auslösten und damit einer politischen Leiche neues Leben einbliesen, die dann noch zusätzlich von rechtspopulistischen Unappetitlichkeiten durchsetzt wurde. Damit war dann – aber Hallo! – eine Grenzlinie im St. Prenzlauviertel messerscharf gezogen, die jeden, der sich wagte, diese zu überschreiten, und der Tatbestand der Überschreitung war schon bei leisesten Zweifeln an der merkelschen Flüchtlingspolitik voll umfänglich erfüllt, sofort der allgemeinen Verachtung und Diffamierung preisgab – analog und virtuell – versteht sich. Und so sassen sie dann alle wieder brav in ihrer selbstgestellten Gutmenschenfalle, kartätschten in einem permanenten Anfall beinahe schon militanter Auto-Suggestion medial alles nieder, was nicht bei drei auf Linie war, hofften aber insgeheim und inständig darauf, dass Andere wenigstens das Schlimmste verhindern mögen, was dann auch mal wieder son prima Anlass wäre, empörungstechnisch so rischtisch auf die Kacke zu hauen und nen Artikel oder besser nochen Kommentar zu lancieren, in dem es von abstrusen Schwachsinnigkeiten zwar nur so wimmelt, für dem man sich dann aber abends im Viertel – DasmussteabamagesachtwerdenDigga! – so rischtisch feiern lassen kann. Der Rest ist dann nur noch wohliges gegenseitiges Schulterklopfen und ein paar Schwachmaten, die das Geschreibsel wirklich glauben, aber den’ is ohnehin nich mehr zu helfen.

Und die Merkel?

Merkel, diese angeblich so uneitle Frau, scheint das Spektakel zumindest anfangs genossen zu haben. Robin Alexander schreibt in „Die Getriebenen“: „Die Kanzlerin surft in einer historischen Stunde auf einer Welle der Begeisterung der Deutschen über die eigene Hilfsbereitschaft. Staunend hat sie seit Wochen beobachtet, wie sich die Welle auftürmte. Besonders die Positionierung der Leitmedien verfolgt Merkel mit Aufmerksamkeit.“ Er will eben doch geliebt werden, der Hosenanzug. Aber leider zeigt die Flüchtlingskrise auch exemplarisch, was geschehen kann, wenn eine relativistische Kanzlerin ohne eigenen Wertekompass via Bundespresseamt mit linksliberalen Zeitgeistigkeiten aus der Kindergartenecke gefüttert wird. Das ist dann wie ein Virus, der in die Software der Bundesrepublik Deutschland schlüpft, sich langsam durch die konservative Wertdatenbank der CDU frisst, bis die Partei, die programmatisch nicht mehr wiederzuerkennen ist, in bestimmten Fragen mit dem Rest des Bundestages zur neuen SED, der Sozialdemokratischen Einheitspartei Deutschlands, verschmilzt. Das macht viele Wähler heimatlos, verprellt andere zur AFD und spaltet schlussendlich die Nation. Darüber hinaus verärgert eine solche Politik unsere Nachbarn, da die von Deutschland ausgehende Sogwirkung immer mehr Menschen an ihre Gestaden spülte, die wenig später auf ihrem Weg ins Gelobte Land nonchalant durch das Gebiet souveräner Staaten marschierten, die dann von Merkel durch einfachen EU-Mehrheitsbeschluss gezwungen werden sollten, Flüchtlinge aufzunehmen, obwohl deren Regierungen, Bevölkerungen als auch die Flüchtlinge selbst dies ablehnten. Das erinnerte viele unserer Nachbarn an unselige Zeiten und nicht wenige meinten, in Merkels Politik den zwar „gutmenschlich gewendeten“, aber doch den Herrenmenschen wiederzuerkennen, der Europa seinem Diktat unterwirft und Grossbritannien aus der EU trieb. Enorme Flurschäden allenthalben, auf nationaler als auch internationaler Ebene. Und der Clou ist, dass es ihr so kurz vor der Bundestagswahl noch nicht mal zu schaden scheint, ganz im Gegenteil, strafen die Wähler wohl das sozialdemokratische Original ab.

Warum denn das?

Paradoxerweise wahrscheinlich gerade weil viele Wähler Angst vor einer Fortsetzung dieser Flüchtlingspolitik haben und damit Angst vor Rot-Rot-Grün. Wahrscheinlich denken sie, wenn wir die wählen, dann pilotiert Katrin Göring-Eckardt höchstpersönlich eine Woche später die Aida mit einem seligen Lächeln im Gesicht nach Libyen und holt sich ihre neuen Geschenke ab. Der Hosenanzug wird somit in den Ängsten der Menschen zum Garant der Ordnung gegen das von ihr selbst und Teilen der Medien angezettelte Chaos. Und dadurch – und das ist der nächste Treppenwitz der Geschichte – wird auch die favorisierte Regierung der neuen pseudo linksliberalen Spiesser-Elite verhindert.

Verrückte Welt.

Kann man wohl sagen. Aber wie meinte neulich ein Ober-Grüner: „Längere Linien sind nicht so der Beritt der Kanzlerin.“ Und damit hat er wohl recht, leider. Denn wir bräuchten tatsächlich jemand, der in längeren Linien denkt, denn unserer Wirtschaft und damit auch der Arbeitswelt stehen Umwälzungen bevor, die beispiellos sein werden, und die im Wahlkampf so gut wie nicht thematisiert wurden.

Und die wären?

Zunächst einmal die E-Mobilität. Der zunehmend verfemte Verbrennungsmotor ist eigentlich ein sehr demokratischer Motor. Das vergessen viele.

Demokratisch? Ein Motor?

Ja, demokratisch in dem Sinne, dass er viele Menschen an seiner Wertschöpfung teilhaben lässt, die in einer Branche und deren Umfeld arbeiten, die hohe Löhne zahlen kann und auch immer unter hohem Innovationsdruck steht und auch deshalb noch in grossem Umfang in Deutschland fertigen lässt. Der Elektromotor ist da nicht so demokratisch, sondern eher oligarchisch, da nur sehr wenige von ihm profitieren werden, wenn man mal von der dann allen zur Verfügung stehenden Champagner-Luft absieht. Und deshalb werden, wenn die grünen Umweltfreunde endlich Elon Musks Lieblingsprojekt durchgedrückt haben, viele hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen, weil das E-Auto oder der Stromer viel, viel einfacher zu bauen ist, da er kein Getriebe, keine Kupplung, keine Abgasentsorgung, keine Kraftstoffversorgung, keinen Anlasser etc. mehr braucht. Auch benötigt man dann die sehr aufwendige Logistik rund um den Verbrennungsmotor wie Raffinerien, Tankstellen, Tankwagen, Schmieröle etc. nicht mehr. Des Weiteren besteht der Elektromotor als auch sein Antriebsstrang aus viel weniger Teilen wie beim Verbrennungsmotor, die zudem noch teilweise kontaktlos miteinander arbeiten, wodurch sich der Verschleiss als auch die Reparaturanfälligkeit minimiert, was wiederum Auswirkungen auf die Anzahl der KFZ-Werkstätten im Land haben wird. Und ob der Elektromotor oder auch die kompletten E-Autos überhaupt noch in Deutschland zusammengebaut werden, kann man durchaus bezweifeln, da es kaum deutsche Facharbeiter braucht, um einen simplen und ausentwickelten Elektromotor zu wickeln und in eine vereinfachte Peripherie einzusetzen, das bekommt man anderswo billiger hin. Gut möglich also, dass in ein paar Jahren mit Unterhaltungselektronik vollgestopfte vierrädrige Gadgets in den Autohäusern stehen werden, auf denen sich irgendwo aussen, ähnlich wie bei den Apple-Produkten die zwei winzigen Sätze finden lassen:

„Designed by Volkswagen in Lower Saxony. Assembled in China.”

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