Es waren viele Pferde – Teil 2 von 2

Ich muss total verrückt geworden sein, dachte ich, als ich, den vierten und letzten Gang einlegend, kurz hinter Rostock von der Beschleunigungsspur auf die A 19 wechselte, um an einem Mai-Samstag ein 47 Jahre altes Auto, das ich eine Woche vorher gekauft hatte, auf eigener Achse von der Ostseeküste 850 Kilometer quer durch ganz Deutschland bis in den Nordschwarzwald zu transferieren. Und um den Wahnsinn noch komplett zu machen, hatte ich auch noch meine zwei Kinder mit an Bord, von denen der Grosse auf dem Beifahrersitz das Manual studierte, um den Instrumenten ihre Funktion zu entlocken und aufgrund leider sehr unzureichender Englischkenntnisse seinen immer nervöser werdenden Vater noch zusätzlich mit Vokabelfragen nervte, während die Kleine sich auf den beiden hinteren Sitzen fläzte und durch das grosszügige Heckfenster eines 67er Ford Mustang Fastback blinzelte, zunehmend begeistert davon, dass auch auf den billigen Plätzen die Sonne scheinen kann. Okay, dachte ich, vielleicht schaffen wir es wenigstens bis nach Berlin, dort liesse sich auch an einem Samstag problemlos ein Mietfahrzeug mit Anhänger oder eine anderweitige Transportmöglichkeit für unsere Neuerwerbung organisieren. Bis dahin hatte ich Ruhe zu bewahren, um den Kindern auch bei langsam zunehmender Panik den Eindruck zu vermitteln, dass ihr Vater wie immer alles im Griff hatte. Die ersten Kilometer auf Mecklenburger Landstrassen waren gewöhnungsbedürftig gewesen, so gewöhnungsbedürftig, dass in mir relativ schnell die Erkenntnis gereift war, dass wir in der Fuhre niemals die Heimat würden erreichen können. Die vorderen Scheibenbremsen schüttelten bei geringster Betätigung des Bremspedals das ganze Auto durch, die Karosserie ächzte in den Kurven, die Pedalerie quitschte verdächtig und die straffe hintere Blattfederung kapitulierte nicht nur auf mecklenburgischen Pflastersteinpassagen bedingungslos. Aber so ein us-amerikanischer Achtzylindermotor aus den 60ern, zumal wenn er endlich in seinem angestammten Revier, dem Highway, werkelt, vermag dann nach den ersten Autobahnkilometern eine extrem beruhigende Wirkung zu entfalten, auch wenn es sich nur um einen “Small Block” handelt, der selbstredend noch ohne Kompressor und Turbolader arbeitet, und gerade deshalb ein bisschen mehr als 200 ziemlich entspannte Ponys absolut stressfrei aus verschwenderischen 4,7 Litern Hubraum schüttelt. So einen Motor hält eigentlich nichts und niemand auf, sagte ich mir trotzig, und so kam es auch. Small Block schlürfte gutes Super Plus aus seinem Vierfach-Vegaser, wummerte tief und zufrieden und gewährte den vielen Ponys grosszügig Auslauf, wobei wir meistens 120, 130, maximal und kurzzeitig 140 Stundenkilometer schnell fuhren und es auch nach dem Ausfall des Tachos immer bei 4.500 Umdrehungen gut sein liessen. Mit zunehmender Zuversicht und einsetzender Tiefenentspannung wurde ich darauf aufmerksam, dass wir oder besser unser alter Ford immer wieder Gesellschaft hatten, zumeist Autos der Oberklasse, schwere SUVs, Limousinen oder Sportwagen, die uns, die wir zumeist auf der rechten Spur unterwegs waren, ein Stück weit begleiteten, neben, hinter oder vor uns fuhren, und wieder wieder davonstoben, wenn ihre Fahrer genug gesehen hatten. Offenbar schien unser altes Auto eine faszinierende Wirkung auf gerade jene Verkehrsteilnehmer zu entfalten, die bereit sind, für eine gewisse automobile Exklusivität auch entsprechend mehr finanzielle Mittel lockerzumachen. Das ist umso erstaunlicher, weil der Ford Mustang, als er 1964 seinen Verkaufsstart hatte, eigentlich genau das Gegenteil von teuer erkaufter automobiler Exklusivität sein sollte, da er weder teuer noch selten war und ist, denn eine der wenigen Anforderungen, die Lee Iacocca seinen Ingenieuren und Designern ins Lastenheft schreiben liess, war, dass der Wagen in seiner Basisversion nicht mehr als 2.500 US$ kosten durfte, was dann mit einem tatsächlich erreichten Basispreis von 2.368 US$ auch noch unterboten wurde. 2.368 US$! Das entspricht heute (07.2015) unter Berücksichtigung der Inflation einer Kaufkraft von ca. 17.500 US$. Was das wiederum nach aktuellem Kurs in Euros macht, bleibt der werten Leserschaft an dieser Stelle aus traurigen Gründen besser erspart, wenn auch daran erinnert werden darf, dass es noch gar nicht so lange her ist, da man für einen Euro 1,35 US$ kaufen konnte, was wiederum einem Kaufpreis von 12.963 Euro entsprechen würde. Und was man heute für die Kaufkraft von nicht ganz 13.000 Euro nigelnagelneu aus bundesdeutschen Autohäusern rollen darf, kann sich jeder selbst ausrechnen, aber ganz sicher kein Auto, das 47 Jahre später auf den Autobahnen, so es diese dann noch gibt und die in den heutigen Fahrzeugen verbaute Elektronik irgendwie funktionsfähig erhalten werden konnte – was stark zu bezweifeln ist – immer mal wieder von Autofahrern bestaunt werden wird, die selbst mit Fahrzeugen der Oberklasse unterwegs sind, die ein Vielfaches seines Kaufpreises gekostet haben.

Der Erfolg des Ford Mustang ist legendär und übertraf Mitte der 1960er Jahre alle Erwartungen, bereits drei Tage nach seiner Markteinführung am 17. April 1964 lagen 22.000 Bestellungen vor, innerhalb des ersten Modelljahres (welches 17 Monate umfasste) verkaufte Ford 559.451 Exemplare, um bereits nach 22 Monaten, im Februar 1966, die Millionen-Marke zu durchbrechen. Vergleichbares hatte es bis dato nicht gegeben, der Mustang brach Rekord um Rekord, ein Auto, das zwar verhältnismässig günstig, aber dennoch im Kern nichts anderes war als die lediglich neu eingekleidete Version des alten Ford Falcon, eines der vielleicht langweiligsten Autos des Planeten – wenn nicht sogar der ganzen Milchstrasse. Und auch wenn Ford die Markteinführung des neuen Autos mit einer umfassenden und ausgeklügelten Marketingkampagne begleitete, der Preis billig war, es für den Wagen vielfältige und so noch nie dagewesene Ausstattungsoptionen gab, können diese Faktoren allein den enormen Erfolg des Mustangs nicht ausreichend erklären, denn das eigentliche und für alle Augen offensichtliche Geheimnis des Erfolges des Ford Mustangs war hauptsächlich und natürlich sein neues Blechkleid oder anders ausgedrückt: seine Form. 50 Jahre nach der Erstvorstellung, einer Zeitspanne, die es der Urteilskraft ziemlich sicher erlauben sollten, einer von Menschen gemachten Form das höchste Prädikat zuzusprechen oder für immer vorzuenthalten, da im Verlauf dieser 50 Jahre die speziellen visuellem Aufdringlichkeiten ihrer Ursprungsepoche im Auge des Betrachter entweder abgefallen sind oder für immer an ihr kleben bleiben, kann man unmöglich der Form dieses absonderlichen Wagens das Prädikat “zeitlos” verweigern. Bis zur Jahresmitte 1962 fertigten die Ford Designer insgesamt 18 Tonmodelle für den neuen Wagen, von denen keines Lee Iacocca überzeugen konnte. Da der fertige Ford Mustang bereits im April 1964 auf der Weltausstellung in New York der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte, geriet Iacocca langsam unter Zeitdruck, da das Tonmodell bis zum 01. September 1962 abgenommen werden musste, um überhaupt noch eine Chance zu haben, den ehrgeizigen Präsentationstermin einzuhalten. In seiner Not rief er einen Wettbewerb aus und forderte alle drei konzerneigenen Designabteilungen auf, binnen nur eines Monats fertige Entwürfe zu präsentieren. Bereits nach drei Wochen standen 6 Entwürfe im Präsentationshof, von denen einer, der Entwurf von Ford-Chefdesigner Joe Oros’ Team, Lee Iacocca schon bei einem inoffiziellen Vorabtermin förmlich elektrisiert hatte, da er tatsächlich schon alle wesentlichen Merkmale des späteren Serienwagens enthielt. Oros erläuterte 2004 die Hintergründe des Designs:

“Ich sagte dem Team, dass das Auto sowohl auf Frauen als auch Männer anziehend wirken sollte. Ich wollte eine Ferrari-artige Front mit einem zentral im Kühllufteinlass platzierten Motiv – irgendwas schwer und solide Aussehendes so wie bei Maserati, aber bitte keinen Dreizack – und dann wollte ich Kühllufteinlässe an den Seiten zur Kühlung der hinteren Bremsen. Ich sagte, es sollte so sportlich wie möglich aussehen und zwar in Anlehnung an europäisches Design.” (Überseztung: OZ)

Das Design des Ford Mustang, bis zu dessen endgültigen Realisierung Ford insgesamt 78 hausinterne Design-Grundsätze brechen musste, orientierte sich in der Tat an den exklusivsten, seltensten und auch teuersten Sportwagen der damaligen Zeit, wie beispielsweise dem Maserati 5000 GT oder dem Ferrari 400 Superamerica. Autos, deren Karosserien von renommierten italienischen Karosseriebauern, wie der Carrozzeria Touring, in bester italienischer Tradition grösstenteils noch von Hand geformt worden sind, und die in so kleinen Stückzahlen gebaut wurden, dass sie sozusagen mit der Pipette und zu horrenden Preisen an die Aga Khans des internationalen Jet Sets zugeteilt werden mussten. Wenn auch Ford für den Mustang aus Kostengründen die technische Basis des erprobten Ford Falcon verwendete, für das Design griff man in Dearborn in das alleroberste Regal. Der Ford Mustang erhielt das Premium-Design eines europäischen Luxussportwagens der 1960er Jahre, das angepasst an die grosszügigeren amerikanischen Dimensionen des Ford Falcon eine zeitlos moderne Ausstrahlung entfaltete und so ziemlich schnell zu einer Ikone des Auto-Designs wurde. Die Form des Ford Mustangs entstand somit auf Grundlage der exklusivsten Form aller exklusiven Formen der damaligen Zeit, die bis dahin allein den reichsten und mächtigsten Menschen des Planeten vorbehalten war, und die für den gewöhnlichen kleinen Mann, der für natürlich wesentlich kleineres Geld in wesentlich langweiligeren Karossen, wie eben dem Ford Falcon, Platz zu nehmen hatte, vollkommen unerreichbar war. Und Ford gab den Kleinbürgern nicht nur diese bis dahin für sie unerreichbare Form, Ford gab sie ihnen auch noch für so kleines Geld, dass diese Form tatsächlich auch für die ganz breite Masse erschwinglich wurde. Und auch wenn der Vergleich natürlich hinkt, da das durchschnittliche Einkommen damals in den USA höher war als in West-Deutschland und natürlich auch amerikanische Durchschnitts-Autos seinerzeit wesentlich stärker motorisiert waren, so stelle man sich dennoch vor, Volkswagen hätte anfangs der 1960er Jahre beschlossen, auf Basis des VW Käfers einen Sportwagen aufzulegen, der nicht teurer als der Käfer, aber dennoch über ein aufregendes Design, und zwar aufregender als das des knuffigen Mickey-Maus-Mobils Karmann-Ghias, verfügte – vielleicht sogar mit einigen stilistischen Anleihen an den Porsche 356 oder 911. Was wäre dann geschehen? Nun, es wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit das geschehen, was in den USA bei Verkaufsstart des Mustangs geschehen ist.

Am 17.04.1964, dem Tag des Verkaufsstarts, sehen sich die Ford- Händler einem regelrechten Ansturm ausgesetzt, laut Iacocca besuchen am Wochenende des 17. bis 19.04 über vier Millionen Menschen die Ford-Niederlassungen. Vielerorts kommt es zu tumultartigen Szenen, in Chicago schliesst sich ein Händler aus Furcht vor den Menschenmassen in seinem Geschäft ein. In Texas geben 15 interessierte Kunden Gebote auf den letzten noch verfügbaren Wagen ab, andernorts soll eine Kunde sogar auf dem Hof des Händlers in seinem ergatterten Neuwagen übernachtet haben, bis am nächsten Morgen sein Scheck eingelöst werden konnte. Die Anekdoten über die Begleitumstände des Verkaufsstarts sind zahlreich und erinnern frappierend an die Hysterie, die heute regelmässig einsetzt, wenn eine andere US-Firma aus dem sonnigen Californien echte oder vermeintliche Neuheiten zum Verkauf freigibt.

Und nun müsste man sich natürlich fragen, warum hat Ford das gemacht? Warum statteten sie in Dearborn ein günstiges Allerweltsauto mit einer derart exklusiven Form aus, die sich John Doe, der us-amerikanische Otto Normalverbraucher, eigentlich nie hätten leisten können, anstatt die Massen immer wieder mit billigen, langweiligen, überholten und letztlich gerade deswegen teuer bezahlten Produkten abzuspeisen, so wie das beispielsweise VW mit dem Käfer bis zum Erbrechen vorexerziert hat? Und da würde man jetzt natürlich gerne schreiben, dass es ein seltener Moment der Liebe gewesen sein muss, der Ford dazu veranlasste, den Mustang zu bauen. Ein Moment der Liebe im Zuge einer gegenseitigen Ermächtigung, welcher der Liebe immer zu Grunde zu liegen hat, dergestalt, dass Ford die USA entscheidend automobilisierte, in dem man in Dearborn einst die Serienfertigung erfand und so in der Lage war, mit dem Ford Modell T ein sehr günstiges Auto zu fertigen, von dem allein in den USA von 1908 bis 1927 15 Millionen Stück gebaut wurden. Ein einfaches, billiges und für damalige Verhältnisse zuverlässiges Auto für die Massen, das der Grundstein für den Aufstieg der Ford Motor Company war, weshalb man auch sagen kann, dass Ford erst durch das Geld der kleinen Leute, der Massen, zu dem ermächtigt worden ist, was es schon in den 1960er Jahren war, nämlich einer der grössten Autohersteller der Welt. Und deshalb, so könnte man den Faden dann weiter spinnen, habe der derart ermächtigte Konzern erwogen, den kleinen Leuten etwas zurück zu geben, und sie ihrerseits zu ermächtigen, auch wenn dies natürlich nicht wirklich möglich war sondern allenfalls symbolisch geschehen konnte, weshalb der Konzern den kleinen Leuten für kleines Geld eben dieses exquisite Design gab: als die Form der Macht. Und dann könnte man sich – ähnlich wie die Schreiberlinge der Auto-Journaille bei den Autotests – noch einen abbrechen und schreiben, dass dieser Schritt eigentlich folgerichtig war, da das Automobil einst seinen Anfang nahm als das Statusmonopolsymbol der Superreichen, und erst die Massenproduktion dieses Monopol brach, indem es die Autos billiger und somit für die kleinen Leute auch erschwinglich machte, und dass es 75 Jahre nach Erfindung des Automobils in einer Periode des gesellschaftlichen Aufbruchs in den USA einfach an der Zeit gewesen wäre, auch noch die letzten Reste dieses Statusmonopols zu beseitigen, und den kleinen Leute nicht nur die Technik sondern auch den Glamour eines modernen Automobils zu geben, der ihnen bisher auch durch die Massenhersteller immer vorenthalten worden war. Ja, so könnte man schreiben, jedoch erscheint der Ford Mustang der 1960er Jahre aus heutiger Perspektive eher als Unfall denn als soziohistorische Zwangsläufigkeit der Automobilgeschichte, da Konzerne wie VW, ebenfalls ermächtigt durch das Geld der kleinen Leute, niemals auf die Idee gekommen wären, diesen auch etwas zurück zu geben. Dass man in Wolfsburg das Spiel mit den Formen meisterhaft beherrscht, zeigte sich beispielsweise im Verlauf 1990er Jahren, als man die ehemals eher verschnarchte Altherren-Marke Audi auch und vor allem mit Hilfe des Designs erfolgreich im Premium-Segment positionieren konnte. Heute dekliniert der Konzern die finanziellen Möglichkeiten seiner Kundschaft virtuos entlang der konzerneigenen Klassen und zwar in der Reihenfolge Seat, Skoda, VW, Audi und in der Suv-Klasse Skoda, VW, Audi und Porsche allerdings immer schön nach dem umgekehrten “Mustang-Prinzip”: unter dem Blech werkelt markenübergreifend grösstenteils gleiche Technik, die (vermeintlich) schönere Form oder gar das “Premium-Design” gibt es aber nur gegen saftigen Aufpreis. Der Konzern hat dieses “VW-Prinzip” anscheinend schon so verinnerlicht oder ist gleichzeitig seinen Ursprüngen bereits so weit entrückt, dass ihm mitunter verräterische Nachlässigkeiten unterlaufen: “Simply Clever” lautet der Slogan von Skoda, was man eingedenk der speziellen VW-Philosophie auch so verstehen könnte: wer für VW-Konzerntechnik mehr als Skoda-Preise zahlt, ist selbst schuld (…oder eben nicht clever genug). Aber was will man auch erwarten von einem Massenhersteller, der seinen Ursprüngen schon so weit enthoben ist, dass er den kleinen Leuten auch noch mit einem Konzernbelegschaftsbespassungs-Fussballverein auf die Nerven geht, auf den die meisten der deutschen Fussballfans liebend gern verzichten würden.

Im März 2014 führte der grösste deutsche Fahrzeugmarkt mobile.de eine Marktanalyse durch, um die beliebtesten oder gesuchtesten Oldtimer Deutschlands zu ermitteln. Die Analyse endete mit einer kleinen Überraschung, denn es mussten zwei erste Plätze vergeben werden, und zwar an den VW Käfer und den Ford Mustang. Jeweils 4,3 Prozent der Nutzer, die nach einem Oldtimer suchten, hatten sich für eines dieser Modelle interessiert. Die Pressemeldung folgert etwas erstaunt: “Auch wenn beide Sieger optisch kaum unterschiedlicher sein könnten, haben sowohl der US-Verkaufserfolg als auch der kleine Wolfsburger Kultstatus erreicht.” Es erscheint fast wie ein Treppenwitz der Automobilgeschichte, dass ausgerechnet diese beiden Autos die beliebtesten Old- oder Youngtimer Deutschlands sind, findet sich doch gerade in der “optischen Unterschiedlichkeit” eine bestimmte Gemeinsamkeit, da beide Autos die Formen tragen, die unterschiedliche Gesellschaften für ihre Kleinbürger in den 1960er Jahren bereit gehalten haben. In einem dieser Autos sass Otto Normalverbraucher, im anderen John Doe. Und auch sonst bestehen zwischen diesen beiden Autos interessante Berührungspunkte. Der VW Käfer ging bekanntlich auf eine Initiative der Nazis zurück. Adolf Hitler war von der Idee besessen, mit einem günstigen Volkswagen die Massen seiner Volksgenossen zu mobilisieren, nicht nur deshalb war er ein Verehrer von Henry Ford, der die Massenmobilisierung in den USA mittels des seriengefertigten Ford Modell T schon entscheidend voran gebracht hatte. Da die deutsche Automobilindustrie skeptisch und zögerlich bezüglich der Realisierung eines deutschen Volkswagens war, betrieben die Nazis das Projekt Volkswagen quasi von Staats wegen. 1934 erging ein Entwicklungsauftrag für den deutschen Volkswagen an Ferdinand Porsche. 1938 entstanden erste Prototypen der Vorserie, die während des Krieges jedoch noch nicht in Serie gefertigt werden konnten, da das eigens dafür und nach Fords Vorbild errichtete Volkswagenwerk nicht fertig wurde. Erst im Januar 1946 sollte die Serienproduktion anlaufen und damit Hitlers ursprünglicher Plan, das Volk mittels des Volkswagens zu automobilisieren, doch noch in die Tat umgesetzt werden, bis der Käfer 1972 dann auch tatsächlich den bisher vom Ford Modell T gehaltenen Rekord, das meistgebaute Auto der Welt zu sein, einstellte. Es war für die junge Bundesrepublik sicherlich ein unschätzbarer Vorteil, dass sie nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs mit dem VW Käfer einen serienreifen Prototypen faktisch in der Schublade und ein neues modernes Werk produktionsbereit auf der grünen Wiese hatte, die Form des Volkswagens entstammte jedoch aus den Vorkriegsjahren und ging zurück auf einen Entwurf des tschechoslowakischen Herstellers Tatra, den Hitler persönlich favorisiert haben soll. Somit begann die Mobilsierung der Massen in der Bundesrepublik mit einem Auto, das nicht nur bis ins letzte technische Detail sondern auch bezüglich seiner Form fast komplett während des Dritten Reiches unter Staatsägide entwickelt und konzipiert worden war. Das mag in den Anfangsjahren der jungen Republik den meisten Menschen herzlich egal gewesen sein, da sich mehr als glücklich schätzen konnte, wer überhaupt ein Auto besass, vollkommen einerlei, welche Form es hatte, und gerade der VW Käfer das ersehnte Traumauto der Vielen war. Mit wachsendem Wohlstand und den Differenzierungen des Autmarktes, der mehr und mehr Alternativen anbot, die besser motorisiert und moderner designt waren, wenn auch meistens teurer bezahlt werden mussten als der VW Käfer, änderte sich in der Bundesrepublik im Verlaufe der 1960er Jahre aber allmählich das Verständnis des Käfers.

Eine Volkswirtschaft oder eine Gesellschaft oder deren Elite zeigt ihre Wertschätzung oder ihren Respekt gegenüber jenen Menschen, die massgeblich dazu beitragen, den Wohlstand einer Gesellschaft oder einer Volkswirtschaft zu erarbeiten, auch anhand der Produkte, die eine Gesellschaft oder deren Elite für eben diese Menschen ersinnt, dann durch sie fertigen lässt, um sie ihnen anschliessend auch zu verkaufen. Und manchmal übersieht eine Gesellschaft oder deren Elite, dass sich die Ansprüche der normalen Menschen ändern, und eben in diesem Umstand, dass sie dies übersieht oder übersehen möchte, zeigt sich ihre Art der Wertschätzung oder des Respekts für Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller. Der VW Käfer, einst für die Volksgenossen des Dritten Reiches entwickelt, war ganz sicher eine Zeitlang der Volkswagen von Nachkriegsdeutschland, denn wenn es eigentlich nur eine Art Auto gibt, und fast alle das gleiche Auto fahren, dann muss das der Wagen des Volkes sein, wenn sich aber mit wachsendem Wohlstand die Hierarchie der automobilen Klassengesellschaft immer mehr entfächert und immer mehr Menschen andere und bessere Autos fahren und der Käfer in der autonmobilen Hackordnung nach unten durchgereicht wird – denn wenn es den Katzentisch der Rollerfahrer nicht mehr gibt, muss eben ein neuer Katzentisch her – dann hört der VW auf, der Wagen des Volkes zu sein, ganz einfach deshalb, weil es keine Notwendigkeit für einen “Volkswagen” mehr gibt, es sei denn VW hätte sich darauf besonnen, dem Volk etwas anderes zu geben, das ihm nur ein Massenhersteller geben kann. Das war aber nicht der Fall, in Wolfsburg baute man weiter stur den Käfer und nahm nicht zur Kenntnis, dass nicht nur die Technik des Wagens immer mehr überholt war sondern auch seine Form, diese nette, putzige, süsse Form, die ohne die leisesten Nuancen von Macht oder gar Sex als geballte Harmlosigkeit daher kam, und die nicht nur bei meinem Vater beinahe allergische Reaktionen auslöste, da es eben die Form war, die einst für Untertanen erdacht und jetzt noch immer für Menschen wie ihn, der aus kleinen Verhältnissen stammte, im Nachiegdseutschland der 1960er Jahre bereit gehalten wurde. Der Volkswagen hatte in den 1960ern seine ihm einst im Dritten Reich zugedachte Aufgabe, die Massen zu automobilisieren, indem man die Funktion des Automobils egalisert, schon längst erfüllt, wenn nicht sogar übererfüllt. Denn nicht nur mein Vater wollte mehr als nur die reine Funktion des Automobils, er wollte eine andere Form, und eben diese gab ihm Volkswagen nicht, denn in Wolfsburg wollte man das Volk in dieser Form. Aber immer mehr aus dem Volk wollten mehr Prestige, mehr Anerkennung ihrer Leistung, auch und gerade durch die Form des massgeblichen Statussymbols ihrer Zeit, weshalb gegen Ende der 1960er Jahre VW in arge Bedrängnis geriet, da der Käfer sich immer schlechter verkaufte. VW reagierte, wie VW eben reagierte, sie konzipierten hastig einen neuen Kompaktwagen, den Golf, bauten ihr Produktportfolio wie alle anderen grossen Hersteller immer weiter aus und drehen seit dem und ansonsten ihre Kundschaft fröhlich durch ihre SeatSkodaVwAudi-Mühle.

Wahrscheinlich wird man nie genau wissen, was Ford damals bewogen hat, diesen einzigartigen Wagen zu bauen, den sie Mitte der 1960er Jahre bauten. Vielleicht war es wirklich ein vorweggenommener Affekt der gesellschaftlichen Veränderungen, die den USA bevorstanden, als auf einmal alles möglich war, als tatsächlich immer mehr gesellschaftliche Schranken und Unterschiede fielen, als sich eine Jugend aufmachte, die Welt zu verändern, bevor ihr Elan im Drogenrausch und der Reaktion der 1970er und 80er Jahre versandete. Wahrscheinlicher scheint aber zu sein, dass es sich bei dem Ford Mustang schlichtweg um einen in der Hast begangenes Versehen handelt. Konzerne der 1960er waren noch nicht so pedantisch durchgetaktet, wie sie das heute sind, d. h. die wirklich wichtigen Entscheidungen wurden von wenigen und noch oft aus dem Bauch heraus gefällt. Auch befand sich Iacocca unter gehörigen Zeitdruck, als er das Design abnehmen musste, zumal er sich auch Hoffnungen machte, zum neuen Präsidenten der Ford Motor Company berufen zu werden, eine Position, die 1968 freilich anders besetzt. Des Weiteren steckte Ford noch der Millionen-Flop des Edsel in den Knochen, so dass man beinahe zum Erfolg verdammt war. Ebenso deutet die Tatsache, dass man von der anfänglich grossen Nachfrage förmlich überrannt wurde, darauf hin, dass die vorangegangene Marktanalyse schlichtweg mangelhaft war.

So spricht einiges dafür, dass eine Melange aus diesen verschiedenen Faktoren: Mangelndes Controlling, mangelhafte Marktanalyse, “übertriebener” Ehrgeiz und Zeitdruck, dazu führte, dass man in Dearborn vielleicht gar nicht begriff, was für ein Produkt man da auf den Markt warf, zumal Ford diese exklusive Form der ersten beiden Versionen (1964-1968) in den folgenden Modelljahren immer mehr einkassierte. Der Mustang verlor nach und nach seine europäische Eleganz, wurde immer amerikanischer und dann in den 1980ern zunehmend belanglos bis langweilig. Erst ab 2004 legte man Retro-Versionen auf mit Anleihen an die Ur-Versionen des Wagens, allerdings wirkten auch diese jetzt wieder sportlicheren Wagen bullig amerikanisch und gemahnten eher an ein Muscle-Car, etwas, was der historische Mustang aus den originären Fordwerken nie war. Die Mustangs aus Dearborn waren für amerikanische Verhältnisse ausreichend bis kräftig motorisiert, konnten mit den Muscle-Cars der 1960er Jahre jedoch nicht mithalten, da man die PS- und Hubraumexzesse der Mustang Muscle-Car Modelle seinerzeit lieber der Tuningschmiede von Carroll Shelby überliess. Es scheint also so zu sein, dass Ford seinen “Fehler”, das ungeschriebene Gesetz, wonach exklusiveres Design immer auch mehr Geld zu kosten hat, zu brechen, nachträglich und mit den Jahren immer mehr korrigiert hat.

Letztlich ist es aber einerlei, warum oder weshalb Ford diesen Wagen baute, wichtig ist, dass sie ihn gebaut haben, denn damit hat Ford zweierlei bewiesen, dass es erstens sehr wohl möglich ist, für kleines Geld einen Wagen zu bauen, der so unglaublich schön ist, dass er auch in 50 Jahren nichts von seinem anfänglichen Charme wird einbüssen müssen, und dass zweitens ein solches Produkt dennoch sehr einträglich sein kann, Iacocca bezifferte den Nettogewinn des Mustangs bereits 1966 auf 1,1 Milliarden US$.

Das, was dieses Auto oder dieses Produkt aber absolut einizgartig macht, ist, dass ein Massenhersteller die eigentlichen Vorteile der Massenherstellung nicht nur dazu einsetzte, die Funktion des Autos gesellschaftlich zu egalisieren sondern auch dessen Form. Nach der Präsentation der Tonmodelle im Sommer 1962 segnet Konzernchef Henry Ford II den von Iacocca favorisierten Entwurf ab. Der Ford Mustang kann in Serie gehen, das Design erhält letzte Feinheiten und Nuancen und es beginnen die Produktionsvorbereitungen, Zulieferer werden verpflichtet, Werkzeuge und Maschinen eingekauft, das Händlernetz reorganisiert, erste Vorserienmodelle werden erstellt, um die Mitarbeiter mit den Montageschritten vertraut zu machen, schliesslich wirft man die Massenproduktion an und am 09. März 1964 rollt “Job One” aus den Fertigungshallen der Ford Motor Company und damit das erste Exemplar jenes Autos, das sich seiner Form nach auch in 50 Jahren noch neben jedem Ferrari, Maserati oder Mercedes SL wird behaupten können, Das Auto., das VW nie gebaut hat – noch jemals bauen wird: The Real Volkswagen.

“That’s it..!”

Janis Joplin – Mercedes Benz

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