Es waren viele Pferde – Teil 1 von 2

(Freiheit für Uli Hoeneß! – Teil 4 X/X)

“I’d like to do a song of great social and political import. It goes like this… ”

Janis Joplin – Mercedes Benz

“Als er etwa halbfertig war, lud mich Joe ein, schon einmal draufzuschauen. Was ich da sah, traf mich wie ein Blitz: Obwohl das braune Tonmodell auf dem Boden des Studios stand, schien es sich zu bewegen.” So erinnerte sich Lee Iacocca an einen Sommertag im Jahr 1962, als er seinerzeit in der Eigenschaft des Präsidenten der Ford Division von den Designern des Ford Studios nach etlichen erfolglosen Versuchen endlich einen ihn überzeugenden wenn auch noch unfertigen Entwurf für das Auto präsentiert bekam, dessen Entwicklung er entscheidend vorangetrieben hatte. Vor ihm stand im 1:1-Maßstab das Tonmodell eines Wagens, der in seiner Form alle Eigenschaften in sich vereinte, die Iacocca zusammen mit anderen Fachleuten der Ford Motor Company aus Marketing, Produktplanung, Forschung und Design in informellen Gesprächen und Diskussionen herausgearbeitet hatte: ein amerikanischer Sportwagen mit langer Motorhaube, kompaktem Heck, vier Sitzen und einem “vernünftigen” Kofferraum. Darüber hinaus sollte das neue Modell nicht mehr als 1090 kg wiegen, die Basisversion mit zahlreichen Optionen ausstattbar sein, sowie – und das war das Wichtigste – nicht mehr als 2.500 USS kosten dürfen. Um letzteres Ziel zu erreichen, plante Iacocca, das neue Modell auf der schon bestehenden Plattform und mit dem Baukasten des Ford Falcon, einer braven Familienlimousine zu produzieren, die laut eines damaligen Ford Managers, “…vielleicht eines der langweiligsten Autos auf dem Planeten (war). Aber (…) ein gutes Auto auf einer grossartigen Plattform.” Und Iacocca ergänzte: “Die Antwort lag in der Nutzung von Komponenten, die bereits im System existierten, Motoren, Getriebe und Achsen des Falcon waren vorhanden, wir brauchten also nicht mit einem weissen Stück Papier neu anzufangen. Wir konnten den neuen Wagen auf den Falcon pflanzen – und so ein Vermögen sparen.”

Das kostensparende Nutzen von Komponenten, die bereits im System existieren, um daraus unterschiedliche Autos zu bauen, ist ein Prinzip, das gerade die Massenhersteller in den Jahren seit 1962 immer mehr perfektioniert haben. Dieses Prinzip ist so erfolgreich, das es mittlerweile nicht nur innerhalb einer Marke sondern auch markenübergreifend angewandt wird, entweder innerhalb eines Konzerns, der wie Volkswagen Autos unterschiedlicher Marken herstellt, oder auch konzernübergreifend, indem verschiedene Hersteller Kooperationen miteinander eingehen oder sich gleicher Teile derselben Zulieferer bedienen. Das Prinzip ist einfach, je mehr gleiche Teile aus demselben Baukasten, um unterschiedliche Autos zu bauen, desto mehr Kosten können gerade die Massenhersteller bei der Produktion ihrer Autos einsparen. Das Problem ist nur, dass je mehr Teile aus demselben Baukasten verwendet werden, desto weniger unterschiedlich werden die Autos oder anders ausgedrückt, eigentlich kann man immer nur gleiche Autos aus demselben Baukasten bauen, weil eben immer nur das Gleiche darin ist. Und weil die Kunden aus unterschiedlichen Gründen nicht alle das gleiche Auto fahren wollen, mussten sich die Konzerne etwas einfallen lassen, das die Autos und damit auch die Menschen unterscheidet, obwohl eigentlich alle gleich sind (oder sein sollten). Und dieser Unterschied ist der Preis. Weil aber selbst das beste Marketing nicht erklären kann, warum man gleiche Autos zu unterschiedlichen Preisen kaufen soll, mussten die Hersteller noch weitere Unterschiede finden oder auch erfinden, die unterschiedliche Preise für im Prinzip gleiche Autos in den Augen der Kunden rechtfertigen, die entweder mehr bezahlen wollen, um unterschiedlicher sein zu können, oder sich eben diese Unterschiedlichkeit nach Masstab allein des Geldes nicht leisten wollen oder können. Also erfanden die Konzerne Unterschiede, die Unterschiede rechtfertigen sollen, und bauen seitdem diese Unterschiede zu unterschiedlichen Preisen auf immer gleiche Chassis mit immer gleichen Motoren, Getrieben und Achsen. Und diese die unterschiedlichen Preise vermeintlich rechtfertigenden Unterschiede präsentieren sich den Sinnen des Autofahrers, finden sich in der Ausstattung und Form des Fahrzeuges, während das immer Gleiche unter dem Blech verborgen seinen immergleichen Dienst versieht. Man kann die Unterschiede sehen an dem gefälligeren Design, sie ertasten an unterschiedlichen Materialien im Innenraum, wenn die Finger entweder über Plastik, Holz oder Aluminium gleiten, sie riechen an unterschiedlichen Dekors und Sitzen aus Textil, Kunstfasern oder Leder, und sie hören, wenn der Wagen fast lautlos dumpfer über die Strassen gleitet oder Türen satter ins Schloss fallen als bei anderen Modellen derselben Plattform. Das alles ist natürlich kein Zufall, das alles ist so gewollt, das alles soll dem Kunden sagen, es gäbe eine Rechtfertigung, für das eine Modell mehr Geld zu zahlen als für das andere, obwohl beide technisch fast identisch sind. Eine Praxis, die mittlerweile recht skurrile Blüten treiben kann, wenn beispielsweise die Tester einer Autozeitschrift mal wieder einen Vergleichstest der typischen Mittelklasse Kombifamilienkutschen unternehmen und dazu den Skoda Octavia, den VW Golf Variant und den Audi A4 Avant heranziehen, diese durch die Gegend kacheln und sich danach rhetorisch einen abbrechen und Sätze schreiben wie “der Octavia fast ein Golf” oder “der Skoda Octavia fährt der Mittelklasse frech ans Blech”, wohlwissend, dass sie dreimal im gleichen Auto sassen (Ja, ja, die Werbeanzeigen…). Wenn man als Externer mit Vertrieblern des Volkswagen-Konzerns über den slowakischen Produktionsstandort Bratislava spricht, dann erhält man bereitwillig Auskunft, dass dort u. a. die schweren SUVs, also der VW Tuareg, der Audi Q7 als auch der Porsche Cayenne zusammengestöpselt werden. Allerdings scheint es irgendeine konzerninterne Sprachregelung zu geben, denn der Vertriebler wird im Zusammenhang mit dem Cayenne immer den Nebensatz “für bestimmte Märkte” verwenden. Das soll dem Externen wohl suggerieren, dass dort, in der Slowakei, lediglich die Cayennes für die Ahnungslosen in Russland, der USA und der dritten Welt gebaut werden, während die für den deutschen Markt bestimmten Exemplare, die womöglich etwas teurer sind, selbstredend in den heiligen Hallen von Porsche durch schwäbische Jungfrauen zusammengeschraubt werden, was natürlich Quatsch ist – alle Cayennes werden in Bratislava produziert. Der Unterschied zu den anderen Konzern-SUVs besteht nur darin, dass die slowakisch vorproduzierten Porsche ihren Motor in Dresden erhalten. Und auch das nicht, weil die billigeren slowakischen Arbeiter zu blöde wären, einen ähnlichen oder gleichen Motor in eine gleiche technische Grundstruktur einzusetzen sondern weil es für eine Premium-Marke wie Porsche eben einen deutlicheren Unterschied braucht, um noch höhere Preise beim Kunden für ein im Prinzip eigentlich gleiches Auto durchsetzen zu können.

Die Entwicklung eines komplett neuen Autos ist teuer, schon Anfang der 60er Jahre, als Lee Iacocca zum ersten Mal das Tonmodell des von Ihm mitkonzipierten Sportwagens sah, bezifferten sich die Entwicklungskosten für ein neues Modell auf ca. 400 Millionen USS, eine Summe, dessen Höhe der damalige Konzernchef, Henry Ford II, nach dem desaströsen Flop des Ford Edsel Ende der 50er Jahre, welcher der Ford Motor Company einen Verlust von 350 Millionen USS einbrachte, niemals zu akzeptieren bereit gewesen wäre und deshalb auch den von Iacocca ursprünglich verfolgten Plan, den Bau eines zweisitzigen Sportwagens, rigoros ablehnte. Iacocca liess sich aber nicht entmutigen, minimierte die Entwicklungskosten des neuen Modells durch die Heranziehung eben des Baukastens des Ford Falcon, plante einen Viersitzer oder 2+2 Sitzer in der späteren Fliessheckvariante und rief einen konzerninternen Designwettbewerb aus.

Von den Unterschieden, die nicht nur bei einem Auto einen Unterschied machen, ist die äussere Form wohl der wichtigste. Und das ist absonderlich, denn dafür gibt es eigentlich keinen sachlichen Grund. Alle anderen Unterschiede, die aus Gleichem Unterschiedliches machen sollen, lassen sich alle noch irgendwie dadurch rechtfertigen, dass sie eine höhere Wertigkeit ausdrücken. Mit Leder bezogene Sitze sind nun einmal wertiger als Stoffbezüge, Wurzelholz in der Mittelkonsole und Blenden aus gebürstetem Aluminium an den Türverkleidungen wertiger als schnöder Kunststoff. Die äussere Form, mag sie auch mit allerlei Chromzierrat versehen sein, drückt ihre Wertigkeit, den Unterschied, der einen Unterschied machen soll, nicht durch ihr Material aus. Stahlblech bleibt Stahlblech. Noch nie ist ein Wagen damit beworben worden, dass er aus besonders schönem Stahlblech gefertigt worden ist, warb man schon einmal mit der Aussenhaut, dann weil sie aus einem anderen Material, Aluminium oder Carbon, gerfertigt wurde, was aber immer noch sehr selten ist, denn Stahl bleibt aus fertigungstechnischen Gründen mit 90% Marktanteil das am meisten verwendete Material im Karosseriebau. Auch die Produktionskosten der Karosserie, zumal bei einem Massenhersteller, sind für die durch Form ausgedrückte Wertigkeit des Wagens nebensächlich. Noch nie hat ein Massenhersteller damit geworben, dass die Stahlbleche seiner industriell gefertigten Karosserien besonders liebevoll oder aufwendig gepresst wurden. Die Wertigkeit des Wichtigsten, der äusseren Form, drückt sich demnach bei den Massenherstellern weder durch das Material noch durch dessen Verarbeitung aus, sondern nur durch die Form oder genauer – durch sich selbst aus: durch die Form der Form.

Begegnet man heute im Strassenverkehr einem alten VW Käfer, dem Wagen also, der nicht nur sinnbildlich für die Automobilisierung der bundesdeutschen Massen steht, indem er es auch dem Kleinbürger zu Zeiten des Wirtschaftswunders aufgrund seines vergleichsweise erschwinglichen Preises erlaubte, endlich auch ein, nämlich dieses Auto zu erwerben, so zaubert dieses knuffige Gefährt dem Betrachter nicht selten ein Lächeln ins Gesicht. Ein drolliges Stück Automobilgeschichte mit einer Form, die fast dem Kindchenschema entlehnt zu sein scheint, eine runde kompakte Karosserie, grosse Scheinwerferaugen, einnehmendes Motorhaubenlächeln, ein Autowelpe eben – nett, lieb und süss. So sympathisch der Käfer heute wirkt und so verklärend der Blick zurück oftmals ist, so war dieses Auto, das Volkswagen in Deutschland von 1945 bis 1978 und weltweit insgesamt über 21,5 Millionen Mal produzierte, bei Licht betrachtet und bei zunehmender Produktionszeit, eigentlich eine Frechheit. Schnell und einfach zusammengebaut, hierbei technische Neuerungen, die während der 33jährigen bundesdeutschen Fertigungszeit des Käfers bei Konkurrenten schon längst zum Standard geworden waren, ignorierend, bot es vorne wenig Platz, die beiden hinteren Sitze nicht viel mehr als nur Notsitze, ein lauter Boxermotor im Heck, der mit ein paar dürftigen PS Steigungen hinaufächzte, Unterhaltungen bei steigenden Drehazahlen unmöglich machte und dabei eine stinkende Abgasfahne hinter sich herzog. Ein einfaches Automobil für einfache Leute, ein kleines Auto für die Kleinbürgerfamilie, in den 50ern und 60ern der ganze Stolz zweier Generationen von Familienvätern, für die das in den 40er Jahren konzipierte Automobil das Einstiegsbillet in eine neue Welt war, in der sie bisher mit ihren stinkenden Zweitakter-Rollern nur am Katzentisch geduldet wurden: die automobile Klassengesellschaft.

Es mag gegen Ende der 90er Jahre gewesen sein, da beobachteten mein Vater und ich einen auch damals schon selten gewordenen VW Käfer, der von seinem Fahrer in eine Parklücke manövriert wurde, als es unvermittelt aus meinem Vater herausbrach, dass diese Dinger, er meinte den Käfer, endlich aus dem Strassenbild getilgt gehörten. Mein Vater war ein ruhiger und besonnener Mann, der nicht zu plötzlichen Gefühlsausbrüchen neigte, was aber noch mehr überraschte, war der Gegenstand seines Zorns: ein drolliger VW Käfer, Das Auto, welches ich mit erwachendem Bewusstsein in den 70er und 80er Jahren kennengelernt hatte, als sich bereits immer mehr Menschen ein grösseres und besseres Auto leisten konnten und der Käfer begann, eine Seltenheit auf bundesdeutschen Strassen zu werden, der vornehmlich von älteren, alleinstehenden Herren mit Hut oder Studenten oder von Ehefrauen und dann als preiswerter Familienzweitwagen, gerne in der Cabriovariante, bewegt wurde, und dessen Sympathiewerte auch durch die Wiederholungen der Heinz Erhardt Filme im Fernsehen oder der Herbie-Film-Reihe im Kino allmählich lichte Höhen erklomm, sodass es eigentlich unmöglich war und auch heute noch ist, dieses Auto nicht zu mögen. Und auf meine Nachfrage, was ihn denn an dem Käfer so stören würde, antwortete mein Vater damals nur ausweichend, sagte irgendwas von Lärm und Gestank, womit das Thema dann auch relativ schnell beendet war. Vielleicht hat er damals selbst nicht genau gewusst, warum er dieses Auto, den Käfer, nicht gemocht oder gar gehasst hat, und ich habe noch Jahre gebraucht, bis ich glaubte, begriffen zu haben, warum er so auf dieses Auto reagieren musste und weshalb ich seine Reaktion nicht verstehen konnte, denn eigentlich haben wir damals zwei Autos gesehen, das nette drollige Spassvehikel in meinen Augen und dann ein anderes Auto, welches in den Augen meines Vaters niemals ein Spass sein konnte – ganz im Gegenteil, für ihn war es bitterer Ernst – da es etwas an sich hatte, dass seinen Zorn erregen musste und das niemals dessen Lärm und Gestank sein konnte, denn alle Autos der 40er und 50er Jahre, der Zeit seines erwachenden bundesrepublikanischen Bewusstseins, lärmten und stanken, da war der Käfer keine Ausnahme, weshalb ich heute zu wissen glaube, dass das, was meinen Vater an diesem Auto ärgerte, was seinen Zorn damals provozierte, eben nicht sein Lärm und Gestank war, was ihn vielmehr ärgerte, war allein die Gestalt des Käfers oder anders ausgedrückt: dessen Form.

Wenn man Menschen danach fragt, was einen Sportwagen ausmacht, dann erhält man zumeist zur Antwort, dass ein Sportschwagen schnell sein und deshalb über einen starken Motor und über ebenso leistungsfähige Bremsen verfügen müsse, ausserdem habe ihn eine schnittige, irgenwie windschlüpfrige Form auszuzeichnen als auch eine hohe Endgeschwindigkeit sowie eine sehr schnelle Beschleunigung. Fragt man Menschen dann, warum die gerade die Form eines Sportwagens bei nicht nur manchen Menschen eine gewisse Faszination auszulösen vermag, so erntet man nicht selten eine gewisse Verblüffung, als sei mit der Eigenschaft der Windschlüpfigkeit schon alles darüber gesagt worden, was an der Form eines Sportwagens so faszinierend sein kann. Fragt man dann aber nach, weil eben die Windschlüpfrigkeit oder der geringe Luftwiderstand einer Karosserie, der im Luftwiderstandsbeiwert, dem sogenannten cw-Wert, gemessen werden kann, alleine noch wenig über die Faszination Sportwagen aussagen kann, da es Autos gibt, die über einen wesentlich geringeren cw-Wert als so mancher Sportwagen verfügen und dennoch keine derartige Faszination auszulösen vermögen, gerade weil ihre Form aerodynamisch optimiert sich immer mehr dem aerodynamischen Idealtypus eines fallenden Tropfens angleicht, der eigentlich genau das Gegentei von dem ist, was man als idealtypische Form eines Sportwagens kennt, und darum kein Sportwagen auf dieser Welt allein schon deshalb auf Menschen faszinierend wirkt, nur weil er die aerodynamische Eigenschaft eines cw-Werts oder einen Luftwiderstandsbeiwertes von, sagen wir, irgendwas unter 25 aufweisen kann, denken manche der Befragten noch einmal nach und antworten dann unter anderem, das Faszinierende an der Form eines Sportwagens sei eine gewisse Sinnlichkeit, die das Auge einlade, ihn immer und immer wieder zu betrachten, und eigentlich müsse man sogar genauer unterscheiden und deshalb sagen, dass nicht die Form den Betrachter einlade sondern dass die Sinnlichkeit des Betrachters durch eben diese Form angezogen werde, die Sinnlichkeit des Sportwagens also nicht zuerst in der Form des Autos zu finden sei sondern ursächlich in der Erwartung des Betrachters, dem das Betrachten der Form ein sinnliches Vergnügen bereitet und auch bereiten soll. Und jetzt müsste man natürlich fragen, was denn das sei, das in der Erwartung des Betrachters liege und ihm beim Betrachten der äusseren Form eines Sportwagens ein sinnliches Vergnügen bereite. Und genau das ist nämlich der Punkt. Und genau das weiss eigentlich kein Mensch so richtig genau, weshalb auch auf Wikipedia zu lesen ist:

“Die genaue Definition eines Sportwagens ist oft schwierig, da es keine festgelegten Kriterien oder Daten gibt, die ein Fahrzeug zu einem Sportwagen machen.”

Wenn es aber keine festgelegten Kriterien oder Definitionen gibt, dann ist das, was ein Fahrzeug zum Sportwagen macht, etwas diffus Empfundenes oder der Form empfindend Abgeschautes. Menschen assoziieren Sportwagen nicht selten mit sexuellen Begriffen, sowohl weiblicher als auch männlicher Prägung, da ist dann die Rede von den betörenden Rundungen der Karosserie oder auch platt nur von der Form als Phallussymbol, des Weiteren finden sich Assoziationen aus dem Tierreich, ein Auto kann dann aussehen wie ein Haifisch oder wie eine sprungbereite Raubkatze. Und in der Tat verwenden auffällig viele Sportwagenhersteller, nicht die Massenhersteller, die auch Sportwagen bauen, sondern die Sportwagenhersteller, die vornehmlich Sportwagen bauen, Logos oder Markenzeichen, die zu beiden Assoziationsmustern, dem sexuellen, als auch animalischem mehr oder weniger gut passen, Ferrari einen schwarzen Hengst, Lamborghini einen angreigfenden Stier, Jaguar eine springende Raubkatze, Aston Martin zwei stilisierte Vogelschwingen, Corvette einen Stachelrochen, Maserati einen Dreizack undsoweiter. Das ist fast schon bemerkenswert ehrlich oder vielleicht auch nur Relikt aus einer Zeit, da man mit solchen Symbolen noch naiv umgehen konnte, ohne befürchten zu müssen, sich in den Fallstricken der heutigen Political Correctness rettungslos zu verheddern. Denn natürlich muss es einen Grund geben, warum diese Hersteller einst kein Eichhörnchen oder Karpfen zu ihrem Wappentier erkoren haben.

Autos dienen der Fortbewegung. Und unter den Autos stehen die Sportwagen mit ihren leistungsstarken Motoren für die aggressivste Art der automobilen Bewegung. Die Kunst des Sportwagen-Designs scheint nun gerade darin zu liegen, diese Funktion des Sportwagens in seiner Form auch sichtbar zu machen. Das liest sich wie ein Allgemeinplatz, ist aber gar nicht so einfach, denn wie bitteschön formt man die Funktion der aggressiven Bewegung in etwas gänzlich Unbewegtes wie das Blechkleid eines Autos? Oder anders gefragt: wie transportiert man all die fliessende Eleganz und aggressive Dynamik eines Jaguar-Sprungs in nur ein einziges Standbild oder eine einzige Skulptur dieser Raubkatze? Die Form selbst bewegt sich nämlich nicht, sie wird nur bewegt, muss aber dem Betrachter auch im Stand, wenn sie gerade nicht bewegt wird, überdeutlich machen, dass ihre Funktion allein darin bestünde, sich unglaublich schnell und aggressiv zu bewegen. Bewegung durch Unbewegtes auszudrücken ist ein Widerspruch in sich, der in diesem Zusammenhang nur noch schwieriger zu überbrücken ist durch den Grad der Aggresivität der Bewegung eines Sportwagens, vermag sich der Comiczeichner oder Fotograf noch durch stilistische Mittel wie Bewegungsstriche oder Bewegungsunschärfe zu behelfen, stehen dem Designer diese Kunstgriffe nicht zur Verfügung, er kann Bewegung nicht am Blech vortäuschen, er muss sich damit behelfen, die Bewegung des Sportwagens als auch deren ungeheure Aggressivität in der unbewegten Form anzudeuten, sodass der Betrachter, wie seinerzeit Lee Iacocca 1962 beim ersten Betrachten des Tonmodells eines neuen Fords den Eindruck hatte, die Form scheine sich zu bewegen. Und das gelingt ihm, indem er die aggressive Bewegung als Vermögen in der Form als eine Art Können Können anlegt. Der Sportwagen erhält eine lange Motorhaube, die ein mächtiges Antriebsaggrehat vortäuschen soll, selbst wenn sie nur, wie beim Porsche 911, einen Kofferraum beherbergt, ein “muskulöses” Heck, das an die kraftvollen Hinterläufe einer Raubkatze erinnert, die sich kurz vor dem Sprung zusmmenkauert, um ihre ganze brachiale Dynamik in nur Sekundenbruchteilen danach explosiv zu entfalten, eine niedrige Höhe, die durch eine scheinbar überproportionale Breite wieder aufgewogen werden muss, damit die geduckt pfeilförmige Masse nicht niedlich sondern gefährlich wie eine Waffe wirkt. Der Sportwagen drückt somit zweierlei an sich selbst, an seiner Form aus, zum einen das Vermögen einer ungeheuren Kraft als das Bewegende und zum anderen das durch diese Kraft bewegt werdende, das Bewegte, das in seiner geduckten, keilförmigen Form so wirkt als sei es eine Art Negativ der Bewegung, der Abdruck des Fahrtwindes im Blech, und das eigenartige ist, dass egal, mit welchen Attributen die Sportwagen durch die verschiednen Hersteller auch sonst noch ausgestattet sein mögen, diese beiden Merkmale, die Andeutung der ungeheuren Kraft als auch das Negativ der Bewegung, die Windschlüpfrigkeit, zwingend in der Form eines Sportwagens ausgedrückt werden müssen, um ihn auch als solchen zu kennzeichnen. Eines allein, nur Kraft oder nur Windschlüpfrigkeit, reicht nicht, denn das eine braucht das andere, um seine jeweilige Wirkung noch zu potenzieren, die Kraft die Windschlüpfrigkeit, die nur dafür gemacht zu sein scheint, das ganze Potential der Kraft entfalten zu können, sie fast vollständig in aggressive Bewegung, Beschleunigung und Geschwindigkeit, umzusetzen, und die Windschlüpfrigkeit die Attribute der Kraft, die mehr als nur andeuten sollen, dass das Positiv oder die “Ursache” der Form der Windschlüpfrigkeit, der Wind, durch die Eigenbewegung des Automobils, durch seine “Muskeln” hervorgerufen wird oder anders ausgedrückt, die Kraft somit in der Lage wäre, sich selbst die Form zu geben, da sie sich auch selbst Zweck ist, das ist die Umsetzung ihres Vermögens in maximal aggressive Bewegung.

Wenn man einen Sportwagen schaut, dann schaut man Macht. Und zwar eine besondere Form der Macht. Nicht die Macht, wie sie etwa Limousinen der Oberklasse ausstrahlen, die mehr oder weniger subtil entweder Eleganz, Dekadenz, Erhabenheit, Souveränität, Herrschaftsanspruch oderwasauchimmer signalisieren. Die Macht als automobiles Vermögen, wie sie die Form eines reinrassigen Sportwagen ausdrückt, ist roher, brutaler, direkter, weil sie auf all das, was eine Limousine sonst noch auszeichnet verzichtet, und sich allein auf ihre brachiale Gewalt reduziert. Es ist so eine bis auf ihren eigentlichen Kern entblösste Macht oder auch ihre eigene Pornographie: die Macht als vorweggenommener oder auch angedrohter Akt der nackten Gewalt.

Ende Teil 1.

Entgegen der sonst üblichen Gepflogenheiten der reformpflege erscheint Teil 2 bereits am 02. August. Und zwar 2015.

Kommentieren

Sie müssen angemeldet sein, um kommentieren zu können.