Freiheit für Uli Hoeneß!

Teil 1

Da war doch was..?

Genau: der “Aufschrei gegen den Pflegenotstand”. Der Sozialverband VdK wollte mal wieder einen Nachweis seiner Existenz liefern und hat zu diesem Zweck eine Verfassungsbeschwerde gegen den Pflegenotstand eingereicht oder genauer formuliert, die Verfassungsbeschwerden gegen denselben von sieben Menschen auf den Weg nach Karlsruhe gebracht, “…die aufgrund ihrer Lebenssituation damit rechnen müssen, in einem Pflegeheim untergebracht zu werden.”

Schicker Satz, und da fragt man sich dann zunächst zweierlei:

Erstens, ob denn überhaupt Lebenssituationen denkbar sind, aufgrund derer man nicht damit rechnen muss, irgendwann einmal auf professionelle Pflege angewiesen zu sein, und

zweitens, was genau mit dem passivierten Verb “untergebracht zu werden” eigentlich gemeint ist, das ja indiziert oder indizieren soll, dass Menschen sich nicht freiwillig in die Obhut eines Pflegeheims begeben sondern vielmehr von Dritten dort “untergebracht” werden? Was oder wer ist das Subjekt dieses Satzes? Wer oder was bringt “unter”? Der Staat? Die Gesellschaft? Oder doch die mobilen Rollkommandos der bösen Pflegeheime, die des Nachts wehrlose Senioren direkt aus dem Rollstuhl shanghaien?

Die Antwort auf diese Fragen bleibt die Pressemitteilung des VdK freilich schuldig, dafür kann man dort aber nachlesen, dass “… Vernachlässigung, Druckgeschwüre, mangelnde Ernährung, Austrocknung und freiheitsentziehende Maßnahmen mit Fixiergurten oder durch Medikamente leider hierzulande viel zu häufig vor (kommen). Wir können deshalb nicht von bedauerlichen Einzelfällen sprechen.” Und eben weil das der VdK nicht kann, von bedauerlichen Einzelfällen sprechen, nimmt er an, auch wenn er das so deutlich dann doch nicht in seiner Pressemeldung verlautbaren lässt, dass diese Zustände systembedingt oder mit anderen Worten zwangsläufig sind, da der Staat seine Schutzpflicht gegenüber den Heimbewohnern sträflich vernachlässige und somit nicht nur gegen irgendwelche Grundrechte sondern auch noch gegen das Grundrecht aller Grundrechte, Artikel 1 des Grundgesetzes, “Die Würde des Menschen ist unantastbar” – nein, kleiner hatten sie es nicht – verstosse. Und während man noch darüber nachdenkt, ob es denn vielleicht auch ein Grundrecht auf weniger Schwachsinn gibt, hat der VdK seine Pressemeldung nebst 112-seitiger Klageschrift bereits an die Presse durchgesteckt und diesmal nicht, so wie es sonst gängige und jährliche Praxis etwa des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) ist, an die Bild-Zeitung, die dann auf Grundlage dürftiger Daten des jährlichen Pflegeberichtes immer und immer wieder den gleichen Senf titelt, nämlich: “Pflege-Schande” – sondern schlimmer noch: direkt an die Süddeutsche Zeitung, wo sich mit Heribert Prantl ausgerechnet der Grossmeister und Lordsiegelbewahrer der journalistischen Empörung höchstselbst der ganzen Angelegenheit annimmt und sich natürlich nicht lange bitten lässt: Aufschrei gegen den Pflegenotstand titelt es fett auf Seite eins – wodennsonst? – unter einem Symbolbild, das die knöchernen Hände eines alten Menschen an der Triangel eines Bettgalgens zeigt – wasdennsonst? – bevor der Autor eingangs seines Textes oder Kommentars oder Textkommentars erst einmal einen historisch-gravitätischen Anlauf nimmt, indem er feststellt, dass es dergleichen wie diese Klage in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben habe, auf dass der Leser ehrfurchtsvoll erstarre, vor dem, was an Bedeutsamen aus der Feder des Meisters nun fliessen werde, um im Fortgang des Textes in einem hingeworfenen Nebensatz staunend herauslesen zu dürfen, dass diese Klage zwar wagemutig und spektakulär, weil er eben nicht schreiben kann: hirnrissig, aber dennoch, so Prantl, menschlich bewegend ist. Und eben deshalb lässt es sich der Herr Grosskommentator natürlich nicht nehmen in einem plötzlichen Anflug zutiefst empfundenen menschlichen Mitgefühls – wiedennsonst? – seinen Lesern zu offenbaren, dass ihm bei der Lektüre der bewegenden menschlichen Schicksale in der Klageschrift fast die Tränen gekommen wären, darob sich dann doch einige Leser gefragt haben dürften, ob diese zarte Herzensregung des ansonsten ziemlich hartgesottenen Grossmeisters vielleicht damit zusammenhängen könnte, dass er sich selbst zu jenen Personen zählt, die aufgrund ihrer Lebenssituation damit rechnen müssen, demnächst irgendwo “untergebracht zu werden” und ob der Vdk dann wenigstens ihm auch verraten würde von wem, was den Grossmeister aber natürlich nicht im mindesten – NeiHeiiin – daran hindert, seine gekonnte Empörungsautomatik nun gänzlich freizuschalten, indem er jetzt die ganze Litanei der Klageschrift zum Besten gibt, wonach Menschen in den Pflegeheimen nicht nur mangelhaft gepflegt werden sondern auch Umständen ausgesetzt sind, die allesamt die Tatbestände der Körperverletzung oder der Freiheitsberaubung oder der unterlassenen Hilfeleistung erfüllen, da Menschen weggeschlossen, gefesselt, durch Medikamente ruhiggestellt oder falsch medikamentiert werden, stundenlang in verkoteter Kleidung ausharren, unter Druckgeschwüren leiden und ohne richterliche Anordnung fixiert würden, was “nicht selten” zum “Tode durch Strangulation” führe. Und natürlich, so zitiert der Grossmeister aus besagter Klageschrift, handele es sich bei diesen Schicksalen nicht um bedauernswerte Einzelfälle sondern um ein Massenphänomen, da von den zitierten Tatbeständen zehntausende, ach Quatsch: hunderttausende Heimbewohner betroffen wären, weshalb der Staat die Pflicht habe, “für Zustände zu sorgen, die den Grundrechten entsprechen.” Im letzten Absatz des Artikels erhält noch einmal die VdK-Präsidentin Ulrike Mascher das Wort, die den mittlerweile traumatisierten Leser wissen lässt, dass jetzt, zwanzig Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung endlich dafür gesorgt werden muss, dass Menschen in Würde altern können, bevor der Grossmeister endlich, endlich den Schlussakkord setzt: “Man erbitte vom Verfassungsgericht “Hilfe in schreiender Not.”"

Oh, Mann.

Und jetzt könnte man sich als Pflegeheimbetreiber, der ja immer und zugleich und sozusagen in Personalunion auch Pate der Pflege-Mafia ist, die Reste des letzten Carpaccios aus den Zähnen pulen, dann zur nächsten dicken Havanna greifen, die man sich branchentypisch natürlich mit einem 500-Euro-Schein anzündet, um durch den dicken Zigarrenqualm hindurch mit Marlon-Brando-Synchronstimme zu raunen: “Va bene, ‘Eriberto, va bene. Traurig, aber wahr. Lass unsse ganz offen sein, der Staat zeigt keine, wie sagte mann… Rispetto vor dem Alter. Das werden wir ändern. Aber dafür brauche wir Geld. Viele Geld. Subito!”

Man könnte aber auch schreiben, dass dieser dümmliche PR-Gag des VdK ein Schlag ins Gesicht jener Menschen ist – und jetzt wird es ‘n bisschen pathetisch oder anders ausgedrückt, prantl-like – die jeden Tag ihren Dienst tuen an den Schwächsten unserer Gesellschaft. Und dieser Schlag wird in seiner Heftigkeit nicht dadurch abgemildert, dass der VdK in seiner Pressemeldung ausserdem verlautbaren lässt, schuld seien nicht die Pflegekräfte, “…sondern die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen.”, also die staatlich bedingten Umstände, unter denen die Pflegekräfte ihren Dienst versehen und die ihre Arbeit nach Argumentation des VdK verfassungwidrig werden lässt, denn eben durch diese Argumentation macht der VdK die Pflegekräfte zu Menschen, die zwar nicht direkt oder unmittelbar Schuld an der verfassungswidrigen Elendspflege tragen, diese liegt ja beim Staat, aber mittelbar sehr wohl verantwortlich bleiben, da sie es akzeptieren, ertragen oder auch nur hinnehmen, Rahmenbedingungen ausgesetzt zu sein, die immer nur eine Elendspflege produzieren kann und nichts anderes. Nach Lesart der Pressemeldung des VdK würde dies bedeuten, dass die Pflegekräfte es akzeptieren, ertragen oder hinnehmen müssen, Menschen wegzuschliessen, zu fesseln, sie stundenlang in verkoteter Kleidung verharren zu lassen, ihnen Druckgeschwüre in den Leib zu “pflegen” und sie ohne richterliche Anordnung zu fixieren, was “nicht selten” zum Tode durch Strangulation führe. Die Verfassungsklage des VdK unterstellt den Pflegekräften der stationären Pflege somit eine verfassungswidrige Unvermeidlichkeit in ihrem Tuen, lässt sie zu den Unvermeidlichen werden, die aufgrund der herrschenden Umstände keine andere Wahl haben, als immer und immer wieder die gleiche Unvermeidlichkeit zu reproduzieren.

Zur Untermauerung dieser These präsentiert der VdK auf seiner Webseite in einem Videoschnipsel eine Art Kronzeugin, die dem Publikum berichtet, dass ihre Tante, die ursprünglich nur zur Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim “untergebracht” war, dort verhungerte und verdurstete, auch weil ihre Zahnprothese verloren ging, die sich drei Monate lang bis zum Ableben der Tante nicht mehr fand. Später im Film berichtet dieselbe Zeugin von einer Bekannten, deren Mutter im selben Pflegeheim der Fuss abfaulte, die Bekannte habe ihr Bilder gezeigt. Es gibt zweifelsohne Pflegeeinrichtungen, die bieten eine schlechtere als nur mangelhafte Qualität, das ist an dieser Stelle nie bestritten worden, so wie jetzt auch nicht angezweifelt werden soll, dass sich die im Film geschilderten Geschehnisse auch tatsächlich so zugetragen haben. Allerdings verwundert der Vortrag der Kronzeugin schon, denn man verhungert nicht über Nacht, ebensowenig wie einem der Fuss nicht innerhalb von nur wenigen Tagen verfault. Beides ist ein qualvoller Prozess, der sich über mehrere Wochen hinziehen kann, im Falle des Hungertodes der Tante spricht die Zeugin selbst von drei Monaten. Es ist leider im Videoschnipsel nicht nachvollziehbar, ob die Zeugin schon vor dem Einzug ihrer Tante von dem fauligen Fuss erfuhr, spätestens nach Einzug ihrer Angehörigen in die betreffende Einrichtung hätte ihnen beiden, der Zeugin als auch ihrer Bekannten, jedoch die mangelhafte Qualität offenbar werden können, zumal die Zeugin selbst über mehrere Beschwerden der Verhungernden ihr gegenüber berichtet, sie sagt aber im Videoschnipsel:

“Und bei einer 24-Stunden-Pflege möchte ich doch als Angehöriger sicher sein, dass es demjenigen (dem Heimbewohner – rp) gut geht, dass alles getan wird.”

Und damit hat sie zweifelsohne Recht, das darf, das soll, das muss man von einer stationären Pflegeeinrichtung erwarten, wenn jedoch die Pflegeeinrichtung ihren Auftrag nur so elendig erfüllt wie beschrieben, und so etwas kommt leider immer noch vor, so stehen den Angehörigen dennoch verschiedene Interventionsmöglichkeiten offen, wie beispielsweise eine Beschwerde bei der Heimleitung oder bei der staatlichen Aufsichtsbehörde, der Heimaufsicht, oder als letztes Mittel, die fristlose Kündigung des Heimvertrages wegen Nichterfüllung mit anschliessendem Umzug der Heimbewohnerin in eine andere und bessere Pflegeeinrichtung, die es zweifelsohne gibt (und die nicht nur manchmal etwas teurer sind). Und auch wenn an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen wird, die Verantwortlichkeit für die mangelhafte Pflege der beschriebenen Fälle von der Pflegeeinrichtung auf die Angehörigen abzuwälzen, so ist dennoch zu fragen, warum von diesen Interventionsmöglichkeiten nicht in dem Masse Gebrauch gemacht wurde, der hinreichend gewesen wäre, den Hungertod oder den abgefaulten Fuss zu verhindern, denn beides hätte bei entsprechend qualitativer Pflege verhindert, es hätte vermieden werden können, sodass man sich auch fragen kann, warum wurde das eigentlich Vermeidbare, der Hungertod und der abgefaulte Fuss, faktisch akzeptiert, ertragen und hingenommen?

Vielleicht, weil es unvermeidlich war? Weil man es genauso und nicht anders erwartet hatte? Weil sich in den Köpfen oder der Erwartungshaltung ein bestimmtes Stereotyp festgefressen hat, das im Verbund mit einer lethargischen oder betonhart undurchlässigen Reizschwelle dafür sorgt, dass man alles frisst, was man vorgesetzt bekommt – ohne dass einem das Kotzen kommt? Dass man sich zurücklehnt und denkt, “tja, so isses halt in einer Pflegeeinrichtung, stand ja schon in der BILD und in der SZ, und im Fernsehen habbichs neulich auch kurz gesehen. Die Alten werden eben abgezockt. Widerlich.”, um sodann aufzustehen, der Tante/Mutter/Oma in ihrer Unvermeidlichkeit noch einen schönen Tag zu wünschen und erst mal ein bisschen shoppen zu gehen.

Das erscheint ungeheuerlich, wenn nicht sogar monströs. Dennoch lässt es sich kaum bestreiten, dass es diese Stereotypen, also die immer wiederkehrenden Bilder oder Muster, denen wir in unserer Wahrnehmung ausgesetzt werden, gibt, und die nicht nur in den Medien immer wiederkehren, um

erstens, der Journallie das Schreiben und Denken zu erleichtern und

zweitens den Journallie-Lesenden das Lesen und Denken unmöglich zu machen, weil ihr Hirn von den Journallie-Schreibenden immer wieder mit denselben Stereotypen überfrachtet werden, die da sind:

das abzockende Pflegeheim,

der bonuseinstreichende Fondsmanager,

der nur auf den machterhaltschielende Politiker,

die verlogenen Moralapostel,

der verschwenderische Staat,

der korrupte Politiker,

und,

und,

und.

Und der Witz ist, dass das alles auch noch stimmt, es gibt ja tatsächlich abzockende Pflegeheime und bonuseinstreichende Fondsmanager und peinlichst auf den eigenen Machterhalt schielende Politiker und verlogene Moralapostel und den verschwenderischen Staat und den ganzen anderen Mist. Nur was folgt daraus?

Was kommt nach dieser Erkenntnis..?

Nach dieser Erkenntnis kommt:

Nix.

Und das hat wahrscheinlich damit zu tuen, dass man genau das auch erwartet hat. Man erwartet nichts anderes als ein zunehmend auseinanderfallendes Gemeinwesen, aus dem sich bestimmte Individuen mit zunehmender Dreistigkeit bedienen, eine Tatsache, an die man sich inzwischen so gewöhnt hat, dass einen echt nichts mehr erschüttern kann, eben weil auch die Reizschwelle sich in den letzten Jahren mit den zunehmenden Dreistigkeiten immer mehr erhöht hat, indem man an immer ungeheuerlichere und angeblich unvermeidbare Dreistigkeiten gewöhnt wurde, sodass sich, abgesehen von einem bisschen Internetforengeschreibsel und Talk-Show-Gelaber kaum noch einer wirklich darüber aufregt. Es ist diese eskalierende Dreistigkeit, die immer mehr abstumpft, die dafür sorgt, dass das, worüber man sich gestern noch empören hätte können, heute schon völlig normal ist und morgen fast schon sozial erwünscht. Ein gutes Beispiel ist die immer wieder aufflackernde Steuerhinterziehungsdebatte, die sich vor ein paar Jahren an den so genannten Steuersünder-CDs entzündete, die zunächst dafür sorgten, dass die üblichen Mittelstands-Moneten auf irgendwelchen Schwarzkonten aufgespürt wurden, bis dann ein erster Millionär und Dax-Vorstand aufflog, schliesslich gefolgt von der moralischen Autorität Uli Hoeneß, der mit hunderten von Millionen jonglierte und dabei leider nicht nur finanztechnisch sondern auch fiskalisch ein wenig den Überblick verlor, bis hin zu dem Sturmgeschütz des Feminismus, Alice Schwarzer, die um moralische Standpauken sonst auch nicht verlegen, vergass, den Ertrag von ein paar hunderttausend Euro auf einem Schweizer Bankkonto korrekt beim Finanzamt zu deklarieren. Wahrscheinlich würde sich heute kein Mensch mehr darüber wundern, wenn auch seine Heiligkeit der Papst mehr als 100 Millionen Schwarzgeld auf einem Schweizer Bankkonto gebunkert hätte, zumal die Vatikanbank ja tatsächlich derzeit aus den negativen Schlagzeilen nicht mehr herauskommt.

Wobei all diese Millionen, die fiktiven des Papstes und die realen Mittelstands-Moneten und das Schwarzgeld von Hoeneß und Schwarzer zusammen sehr wahrscheinlich nur “Peanuts” wären, im Vergleich zu den Summen, die verschiedene Konzerne und Millionäre via Luxemburg am Finanzamt vorbei schleusen konnten, da sie aufgrund ausgefuchster Steuersparmodelle teilweise noch nicht einmal 1 Prozent Steuern an den luxemburgischen Fiskus zu entrichten hatten – und das über mehrere Jahre. Und seltsamerweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass, wenn sich überhaupt nennenswert darüber aufregt wird, dann vielleicht ein bisschen über die Dreistigkeit der Konzerne und vielleicht noch ein bisschen mehr über die Tatsache, dass derjenige, der diese Luxemburger Steuermodelle einst initiierte und bis zur Perfektion verfeinerte, obwohl er sich heute gar nicht daran mehr erinnern kann, jüngst zum EU-Kommissionspräsident gewählt worden ist – aber kein bisschen über diejenigen, die für das ganze Schlamassel eigentlich verantwortlich sind. Denn bei Licht betrachtet, hat Juncker in seiner Funktion als Luxemburger Regierungschef doch nur gemacht, was man von allen Regierungschefs in der Welt erwarten sollte: er hat das Beste herausgeholt für sein Land. Denn schliesslich, so betont er zurecht, sind die Luxemburger Steuersparmodelle in Luxemburg legal gewesen, so wie das Schweizer Bankgeheimnis, das lange Zeit die Schwarzgeldkonten der Mittelstands-Moneten in der Schweiz vor dem Zugriff des deutschen Fiskus schützte, in der Schweiz auch immer legal gewesen ist. Aber nicht nur die Älteren unter uns werden sich erinnern, dass einst ein deutscher Finanzminister den Schweizern oder wie er es wohl witzig fand, zu sagen, den Indianern, mit der “Kavallerie aus dem Fort Yuma” drohte, sollten die Eidgenossen ihr Bankgeheimnis nicht lockern. Zuvor hatte er der Schweiz bereits mit der “Peitsche” gedroht und sein damaliger Parteichef Müntefering verhielt sich auch nicht sehr diplomatisch, als er zum Besten gab, “Zu früheren Zeiten hätte man dort (Schweiz und Lichtenstein – rp) Soldaten hingeschickt.” Die Schweiz beugte sich schliesslich vielfachem internationalen Druck und trat im Mai 2014 der Erklärung der OECD über den künftigen automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten bei. Als mit den Luxemburg-Leaks die neueste Dreistigkeits-Eskalation in all ihrer hässlichen Breite offenbar wurde, da nicht nur dem deutschen Allgemeinwohl sondern auch anderen EU-Ländern, die wahrlich derzeit nicht auf Rosen gebetet sind, zig Milliarden an Steuergeldern entgangen sind, rang die politische Kaste moralisch hyperventilierend um Fassung. Am Besten gibt die damalige Lage wieder einmal ein Statement des Bundesfinanzministers wieder, der irgendwie ein merkwürdiges Talent dafür zu besitzen scheint, bei aller Heuchelei doch immer noch ein bisschen die Wahrheit zu sagen:

“Die Liste derer, die in Luxemburg entsprechende Institutionen zum Steuersparen haben ist ein “Who’s Who” der europäischen Wirtschaft.”

Und über die Vorbildfunktion der Eliten:

“Dessen sollten sich die Eliten mehr bewusst sein. Über das grosse Versagen, auch bei Menschen, von denen man mehr erwartet hätte, kann man sich nur wundern.”

Und schliesslich:

“Wenn sich bestimmte Gruppen nicht angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte beteiligen, stimmt etwas nicht.”

Ja – und da wundert man sich tatsächlich über die Verwendung der aktiven Form des Verbs “beteiligen”. Ich weiss ja nicht, wie es dem geneigten Leser geht, aber ich beteilige mich eigentlich nie an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte, ich werde immer daran beteiligt, ob ich will oder nicht. Aber wahrscheinlich möchte der Bundesfinanzminister uns damit sagen, dass Konzerne und Milliardäre entgegen den sonstigen Steuerzahlern die Wahl haben, ob sie sich an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte beteiligen wollen oder nicht. Und dass sie tatsächlich die Wahl dazu haben, liegt auch und gerade an der deutschen Politik, die auf europäischer Ebene – und Luxemburg ist nun einmal EU-Mitglied – eine länderbezogene Finanzberichterstattung, wie vom EU-Parlament gefordert, bisher immer erfolgreich blockiert und somit eine Grundlage für eine gerechte Besteuerung aller, auch der Konzerne und Milliardäre, verhindert hat. Es ist die geflissentliche Dienstbarkeit der politischen Kaste gegenüber Konzernen und Milliardären, die dafür sorgte, dass die Kavallerie im Falle Luxemburgs im Fort Yuma geblieben ist.

Und jetzt könnte man vielleicht schreiben, dass die politische Kaste es akzeptiert, ertragen und hingenommen hätte, dass Milliarden an Steuern am deutschen aber auch am Fiskus anderer europäischer Länder vorbei geschleust wurden, aber schlimmer noch: sie hat es befördert und unterstützt, so dass man eigentlich auch schreiben könnte, unsere politisch Verantwortlichen haben dem Staat, also uns allen, Steuern hinterzogen, dass es nur so kracht. Und das Argument, dass anfangs der Luxemburg-Leaks aus einigen politischen Mündern zu vernehmen war, dann aber bald wieder verschluckt wurde, weil selbst die Sprecher schnell einsahen, wie blödsinnig es war und ist, zu argumentieren: es werde für Konzerne immer irgendwo auf der Welt Steuerschlupflöcher geben, ist kein Argument, es ist der Offenbarungseid einer Demokratie, die vor dem Geld auf die Knie gefallen ist.

Es war unserem Autor nicht unwichtig darauf hinzuweisen, dass er diesen Text nicht moralisch verstanden haben will, also wegen der Steuerhinterziehung, weil erstens: nämlich der Autor sich nicht ganz sicher ist, ob er nicht auch in der Vergangenheit, wenn auch nur aus Versehen ‘türlich, ‘n bisschen Steuern hinterzogen hat und zweitens… aber das steht im nächsten Teil von “Freiheit für Uli Hoeneß!”, der erscheint, wenn er fertig ist – wanndennsonst?

Die reformpflege wünscht allen Lesern schöne Feiertage und einen guten Rutsch in’s Neue Jahr!

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