Mit Milch und Zucker

Und dann, sagte der Mann, den uns die Rentenversicherung geschickt hat, um die Korrektheit unserer Sozialversicherungsbeiträge der letzten Jahre zu prüfen, und für den wir eigens unseren Besprechungsraum freigeräumt hatten, damit er in Ruhe und drei Tage lang unsere Beitragsnachweise prüfen konnte, und dann bringen sie uns, denn er war zu zweit erschienen, bitte noch einen Kaffee.

Und manchmal sind gerade nebensächliche oder lapidare Sätze wie dieser, und dann bringen sie uns bitte noch einen Kaffee, gar keine nebensächlichen oder lapidaren Sätze sondern in ihrer eigentlichen Aussage viel mehr als das: Sie sind ein Symptom. Denn natürlich geht es in diesem Satz nicht um den Kaffee, es geht vielmehr darum, wie und in welcher Situation dieser Satz von wem ausgesprochen wird, was dann wiederum viel über das Verständnis der Person, die diesen Satz spricht, zu der Situation, seinem Gesprächspartner als auch sich selbst gegenüber aussagen. Es geht also um das Selbstverständnis desjenigen, der in dieser Situation eingangs einer Sozialversicherungsprüfung im Pflegeheim sagt: und dann bringen sie uns bitte noch einen Kaffee. Es mag sehr wohl Situationen geben, in welchen dieser Satz, und dann bringen sie uns bitte noch einen Kaffee, uneingeschränkt passt, in einem Restaurant beispielsweise, wenn der Gast, nachdem das letzte Geschirr vom Kellner abgeräumt wurde, eben den Kellner bittet, noch eine Tasse Kaffee zu servieren. Und jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen – und offensichtlich gibt es Menschen, die auf diese Idee gekommen sind – dass die Situation des Prüfers von der Rentenversicherung und die Situation des Gastes im Restaurant vergleichbar wären, dass der Prüfer ebenso wie der Gast ein Recht darauf habe, eine Tasse Kaffee zu bestellen und diese auch serviert zu bekommen. Aber natürlich sind diese Situationen nicht vergleichbar, da der Gast im Restaurant ganz selbstverständlich davon ausgehen darf, dass er sich einen Kaffee bestellen kann, da er sich in einer Einrichtung befindet, die davon lebt, ihren Gästen unter anderem auch Kaffee zu servieren, eben weil die Gäste den Kaffee auch bezahlen. Ein Pflegeheim lebt aber nicht davon, dass seine Sozialversicherungsprüfer ganz selbstverständlich einen Kaffee bestellen statt, wie es die Höflichkeit eigentlich gebieten sollte, darauf zu warten, bis er, der Sozialversicherungsprüfer, gefragt würde, ob er vielleicht etwas trinken möchte solange er prüfe. Ein Pflegeheim lebt auch nicht davon durch einen Sozialversicherungsprüfer geprüft zu werden. Ein Pflegeheim lebt davon Pflegedienstleistungen zu verkaufen und hat wenn überhaupt nur Interesse an einer Sozialversicherungsprüfung weil es aufgrund des Allgemeinwohls ein Interesse daran haben muss, dass alle Unternehmen oder Beitragszahler ihre Beiträge korrekt abrechnen. In diesem Sinne ist eigentlich der Sozialversicherungsprüfer ein Dienstleister, der sicherzustellen hat, dass keinem Mitglied durch das Fehlverhalten eines anderen Mitglieds Schaden entsteht, sodass man eigentlich auch sagen kann, dass er eigentlich der Kellner zu sein hat, den wir – die Mitglieder – bezahlen. Ein Kellner aber, der selbst bestellt ohne zu bezahlen wird für die Mitglieder zum Problem.

Und eben deshalb ist der Satz, und dann bringen sie uns bitte noch einen Kaffee, ein Symptom. Ein Symptom für das Selbstverständnis des Apparats, also all den Sozialversicherungen, Ämtern, Behörden, Sparkassen usw. usf., die eigentlich dem Allgemeinwohl verpflichtet sind und die Gesetze und Verordnungen umsetzen sollen, die sich schlaue Menschen in Berlin, Stuttgart und sonstwo erdacht haben, die sich natürlich immerfort Gedanken machen, wie es uns noch besser gehen könnte. Ein Symptom für einen Apparat, der aus immer mehr Kellnern besteht, die alles mögliche bestellen, aber nichts bezahlen wollen und ganz offensichtlich der Meinung sind, wir, die Mitglieder, verfolgten keinen anderen unternehmerischen Zweck als ihre Forderungen zu erfüllen.

Es lassen sich Indizien für dieses Selbstverständnis in fast allen diesen Institutionen finden, am ausgeprägtesten ist es vielleicht bei den Krankenkassen, die sich vor einigen Jahren einige Änderungen in das Sozialgesetzbuch haben schreiben lassen, wonach nicht nur wir sondern alle Unternehmen verpflichtet wurden, die monatlichen Beitragsmeldungen nicht mehr postalisch zu übermitteln sondern nur noch online, wozu wir selbstredend eine spezielle Software benutzen müssen, deren Lizenz alle zwei Jahre bei der Softwaregesellschaft der Kassen neu zu erwerben und zu bezahlen ist. Und jetzt könnte man natürlich einwenden, alle zwei Jahre 50 Euro zu bezahlen sei immer noch billiger als jeden Monat zig Beitragsmeldungen postalisch auf den Weg zu bringen. Allerdings sollt man dabei bedenken, dass die damals postalisch übermittelten Zahlen seinerzeit von den Mitarbeitern der Krankenkassen ins Abrechnungssystem eingepflegt wurden, was heute, nach der Online-Umstellung, wir für sie erledigen. Das heisst, wir zahlen den Kassen alle zwei Jahre 50 Euro, damit wir für sie Verwaltungstätigkeiten übernehmen dürfen, die unser Geld kosten. Damit aber noch nicht genug, haben die deutschen Pflegeeinrichtungen mehr und mehr Behandlungspflege zu erbringen, da die Krankenhäuser, deren Anzahl durch Einführung der Fallpauschalen “gesundgeschrumpft” werden soll, ihre Patienten immer früher, mithin noch “blutig” entlassen, was auch zur Folge hat, dass die Pflegeheime mehr und mehr Kliniknachsorge, wie beispielsweise eine qualifizierte Wundversorgung und diese nicht selten unter erschwerten Bedingungen, weil die Wunden zudem keimbelastet sind, übernehmen müssen. Behandlungspflege in den Pflegeheimen wird aber durch die Krankenkassen nicht vergütet sondern muss nach wie vor umsonst erbracht werden, was zur Folge hat, dass die Kostenersparnis der Kassen bei den Krankenhausbehandlungen zu einem Teil auch durch die Pflegeheime getragen werden muss. Das heisst, dass wir nicht nur 50 Euro bezahlen, um Verwaltungstätigkeiten der Kassen übernehmen zu dürfen sondern auch noch einen Teil der Dienstleistungen kostenlos zu erbringen haben, die die Krankenkassen den Krankenhäusern nicht mehr zahlen. Damit aber noch nicht genug, sind doch beispielsweise ambulante Pflegedienste nicht nur Beitragszahler für die Krankenkassen sondern auch Rechnungssteller an die Krankenkassen. Pflegedienste können nämlich Behandlungspflege in der Häuslichkeit abrechnen. Sollte also wieder einmal ein Patient “blutig” entlassen werden, kann der Pflegedienst der Krankenkasse die Wundbehandlung auch in Rechnung stellen, was wiederum zur Folge hat, dass die Mitgliedsbeiträge für die Krankenkasse mit dem Geld der Krankenkasse, den Rechnungsbeträgen, bezahlt werden. Allerdings ziehen die Krankenkassen die Beiträge bereits am drittletzten Banktag vor Monatsende ein und sollten Beitragsnachweise nicht fristgerecht zwei Tage vor Fälligkeit eingegangen sein, wird rigoros und grosszügig zugunsten der Kassen geschätzt. Bei der Bezahlung der Rechnungen des Pflegediensts aber können sich die Kassen bis zu 28 Tage Zeit lassen.

Es ist also ziemlich viel, was die Krankenkassen derzeit bestellen, alle zwei Jahre 50 Euro, damit wir auf unsere Kosten einen Teil ihrer Verwaltungstätigkeiten übernehmen, Behandlungspflege für die nichts bezahlt wird und durch die die Kassen Kosten bei den Krankenhausbehandlungen einsparen und Monat für Monat ein einmonatiges zinsloses Darlehen. Da kommt es dann auf ein paar Tassen Kaffee auch nicht mehr an.

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