Selbstanzeige (Ich, der Souverän 3)

Immer, wenn ich meinen Steuerbescheid erhalte, dieses schmutziggraue, beidseitig bedruckte Papier, schaue ich auf die zwei Löcher auf der linken Seite des Bescheides, und frage mich, warum eigentlich ausgerechnet das Finanzamt so nett ist, seine Bescheide bereits vorgelocht zu verschicken, damit ich sie gleich abheften kann. Und immer, wenn ich mich das frage, frage ich mich dann anschliessend, ob die Finanzämter eigentlich alle schmutziggrauen und beidseitig bedruckten Steuerbescheide an alle Steuerzahler bereits vorgelocht verschicken, also regelmässig zig Millionen Löcher produzieren mit den dazugehörigen ausgestanzten kleinen schmutziggrauen kreisrunden Papierteilchen, und was sie dann anstellen mit diesen zig Millionen kleinen schmutziggrauen kreisrunden Papierteilchen, ob sie diese vielleicht in jedem Finanzamt sammeln, um sie sodann regelmässig an eine Bundeszentralsammelstelle für kleine schmutziggraue kreisrunde Papierteilchen abzuführen, wo sie sodann wieder eingestampft und zu neuen schmutziggrauen beidseitig bedruckbaren Steuerbescheiden verarbeitet werden, weshalb vielleicht all unsere Steuerbescheide immer und nur aus dem gemacht sind, was von den Löchern übrig geblieben ist. Aber wahrscheinlich irre ich mich, denke ich dann immer, wahrscheinlich lochen sie in den Finanzämtern der Republik gar nicht alle Steuerbescheide, wahrscheinlich ist es nämlich eher so, dass sie eigentlich und nur in meinem Finanzamt immer nur einen Steuerbescheid lochen und dann male ich mir aus, wie zwei Beamte in der Poststelle meines Finanzamtes sitzen und ungelochte schmutziggraue, beidseitig bedruckte Steuerbescheide in schmutziggraue Briefumschläge stecken, bevor sie diese in den Postsack werfen, und wenn dann einmal im Jahr mein Steuerbescheid aufgerufen wird, der eine Beamte zu dem anderen sagt, du, da ist jetzt wieder der Steuerbescheid vom Souverän, den kapiert der eh nicht, besser wir lochen den schon mal, damit er ihn gleich abheften kann.

Ich, der Souverän, zahle nämlich nicht gerne Steuern, selbst wenn ich meine Steuerbescheide kapieren würde, was ich aber nicht tue. Und dass ich nicht gerne Steuern zahle, diesbezüglich also noch keine Leidenschaft entwickeln konnte, hat neben den üblichen egoistischen Beweggründen natürlich auch und zuallererst mit den Prinzen zu tun. Es ist nämlich so, dass nicht alle Steuermittel fast automatisch dem Betrieb oder dem Erhalt des Gemeinwesens dienen, vielmehr verbleibt ein nicht geringer Teil für das, was die Prinzen im allgemeinen Wirtschaftsförderung nennen, ich aber Wettbewerbsverzerrung oder Klientelpolitik heisse, da die Prinzen in der Vergangenheit immer wieder von mir bezahlte Steuergelder nahmen, um es meiner so genannten frei-gemeinnützigen Konkurrenz zu geben, die sodann ein von mir sehr grosszügig und äusserst unfreiwillig gefördertes neues Pflegeheim baute und auch sonst allerlei Nettigkeiten ersann, die von den Prinzen in Gesetzes- und Verordnungstexte gegossen wurden, und neben bestimmten Vorteilsgewährungen auch immer den einen Zweck verfolgten, nämlich mir das Leben ein wenig schwerer zu machen. Und natürlich bleibt diese so genannte Wirtschaftsförderung nicht nur auf die Pflege beschränkt sondern erstreckt sich auch auf fast alle andere Branchen, wie beispielsweise die Buchhändler, welche mit ihren Steuergeldern die Errichtung eines neuen Logistikzentrums eines Internetversandhauses subventionieren durften oder auch die Metzger, die aufgrund einer neuen und massgeschneiderten EU-Verordnung grösstenteils nicht mehr selbst schlachten dürfen sondern den Rohstoff der Wursterzeugung, das Fleisch, nun bei ihrem grössten und gefährlichsten Konkurrenten, der Fleischindustrie, beziehen müssen. Das perfide dieser ganz speziellen Wirtschaftsförderung der Prinzen ist aber nicht nur, dass unappetitliche Kollateralschäden billigend in Kauf genommen werden, da auf einmal rumänisches Pferdefleisch via Zypern nach Holland vertickt wird, um in britischen Lasagnen wieder aufzutauchen oder 50.000 Tonnen Phantomfleisch unauffindbar durch Europa geistern, das perfide ist auch nicht nur, dass diese spezielle Wirtschaftsförderung der Prinzen im Kern das Ziel verfolgt, den Kleinen nach und nach das wirtschaftliche Licht auszublasen, das wirkliche perfide ist vielmehr, dass der Prozess des Ausgeblasenwerdens noch durch die Auszublasenden selbst finanziert werden soll. Und weil das so ist, habe ich, der Souverän, schon früh über Möglichkeiten der Notwehr nachgedacht und auch folgerichtig beschlossen, den Prinzen möglichst wenig von dem zu geben, das sie verwenden, um mir das Licht auszublasen, was nichts anderes bedeutet, als möglichst wenig Steuern zu bezahlen oder besser noch möglichst viel Steuern zu hinterziehen. Nun ist das mit dem Steuerhinterziehen anders als in anderen Branchen in der Pflege allerdings so eine Sache. Für jeden Bewohner existieren mehrere Kostenträger, müssen also mehrere Rechnungen geschrieben werden, und wenn auch der eine oder andere Angehörige gegen einen kleinen Rabatt vielleicht auf eine Rechnung verzichten würde, scheiterten meine ersten Anfragen bei den Pflegekassen, die ich, der Souverän, immer persönlich vortrug, da man ja nie wissen kann, wer alles Telefongespräche mithört oder Emails mitliest, leider kläglich, selbst oder sogar dann, wenn ich anbot, den Kostenbeitrag der Pflegekassen jeden Monat persönlich in bar abzuholen.

Somit war ich also gezwungen, nach anderen Möglichkeiten des Steuerhinterziehens zu suchen und fand tatsächlich eine günstige Gelegenheit, als ich seinerzeit den Motor meines Motorrades revidierte und so auch heimlich, still und leise andere Zylinder montieren liess, die jetzt einen Hubraum von insgesamt 1000 Kubikzentimetern aufweisen, anstatt der ursprünglichen 850, womit ich, da die Kraftfahrzeugsteuer ja nach Hubraum bemessen wird, sozusagen 150 Kubikzentimeter Steuern hinterzog oder anders formuliert, 15 % weniger Steuer für mein Motorrad zahlte und zahle als ich eigentlich zahlen müsste. Und wenn auch der hinterzogene Betrag kaum der Rede wert ist, so stellte sich bei mir, dem Souverän, doch ein tiefes Gefühl der Befriedung ein, nicht nur weil ich den Prinzen doch zumindest einen symbolischen Teil dessen hinterzogen habe, mit dem sie mir das wirtschaftliche Licht auszublasen trachten sondern auch weil es mir tatsächlich gelungen ist, zwei meiner Lieblingsbeschäftigungen, das Motorradfahren und das Steuerhinterziehen aus Notwehr in nur einer Tätigkeit, dem Motorradfahren, zu vereinen. Aber leider wurde diese bescheidene Freude alsbald getrübt, da heutzutage selbst auf die Eidgenossen immer weniger Verlass ist, weshalb immer mehr sogenannter Steuer-CDs mit dem Namen mutmasslicher Steuersünder ihren dubiosen Weg in bundesdeutsche Staatsanwaltschaften fanden, was insbesondere ausserordentlich pathetische Kommentatoren bestimmter Tageszeitungen nicht nur aber auch Münchner Provenienz dazu veranlasste, inbrünstig pathetische und donnernde Kommentare zu schreiben, in denen Steuerhinterzieher, also Menschen wie ich, der Souverän, unter anderem als Schmarotzer und Asoziale gebranntmarkt wurden, die man an den öffentlichen Pranger zu stellen hätte, weil ja mit dem hinterzogenen Geld so viele Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten, Strassen, Krankenhäuser gebaut oder renoviert werden könnten. Und auch wenn ich mich zunächst mit dem Gedanken beruhigte, ich könne ja einen Teil des hinterzogenen Geldes spenden oder mit meinem Motorrad ein paar Benefizrunden drehen, so nagte doch zunehmend das schlechte Gewissen in mir und ich dachte an die armen darbenden Kinder in den Kindertagesstätten, die überfüllten Hörsäale in den Universitäten, die maroden Krankenhäuser und ärgerte mich auf meinem Motorrad über den schlechten Zustand der Strassen, so dass ich doch tatsächlich eine befreiende Selbstanzeige zumindest in Erwägung zog, als ausgerechnet dann ein Fussballmanager ausgesprochener Münchner Provenienz mal wieder voran ging, und eine selbstlose Selbstanzeige tätigte, da sich seine Hoffnung unter Umständen noch viel mehr Steuern nachzubezahlen als nur durch eine Selbstanzeige mit dem Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz leider zerschlagen hatte. Und da fürchtete ich schon das Schlimmste für den Herrn Fussballmanager, wähnte ihn schon zerrissen durch die Kommentatoren nicht nur aber auch eben solcher Tageszeitungen Münchner Provenienz wegen der maroden Kindertagesstätten, Universitäten, Krankenhäusern und Strassen, und durfte dann doch beruhigt lesen, dass sein Fehlverhalten gemessen an dem, was noch Monate und Jahre zuvor kommentiert wurde, ausserordentlich sanft wenn auch pflichtschuldig missbilligend zur Kenntnis genommen wurde. Da freute ich mich, der Souverän, für meinen Bruder im Geiste und die Freude wurde nur noch grösser, als der Herr Fussballmanager Tage später verkünden liess, dass sein Verein, der mal eben so und sehr vorzeitig Deutscher Meister geworden war, auch noch den besten Spieler des Tabellenzweiten für 37 Millionen Euro gekauft hatte, woraufhin ich dann am nächsten Tage in den Zeitungen lesen durfte, dass nur hoffnungslose sozialromantische Trottel noch nicht zur Kenntnis genommen hätten, dass es sich beim Profifussball um ein Millionengeschäft handeln würde und Profifussballclubs keine Vereine mehr seien sondern eben millionenschwere Wirtschaftskonzerne, die im harten Wettbewerb untereinander stünden. Und da überlegte ich dem Souverän, wie das wohl gemeint ist: „harter Wettbewerb“ und besah mir die Tabellenstände der wichtigsten europäischen Ligen und fand, dass diese alle mit grossem Punktabstand durch Konzerne angeführt werden, die entweder durch nationale Fernsehgelder und/oder Champions League Ausschüttungen und/oder Milliardärszuwendungen finanziell gemästet werden, dachte dann an den Herrn Fussballmanager, der im Nebenerwerb Wurstfabrikant war, und verstand, dass „harter Wettbewerb“ bedeutet, Strukturen zu schaffen und politisch durchzusetzen, die dafür sorgen, dass immer Dieselben fast alles bekommen und den Kleinen genau das bleibt, was von den Löchern übrig geblieben ist.

“Selbstanzeige (Ich, der Souverän 3)” ist ein eigenständiger Beitrag der Reihe “Ich, der Souverän” und wird nicht fortgesetzt. Dagegen wird “Der Text für den Rest von uns (Ich, der Souverän 2)” sehr wohl fortgesetzt, wenn auch die Prinzen in der letzten Zeit (siehe Zypern) sich alle realsatirische Mühe gegeben haben, eine Fortsetzung obsolet zu machen.

Und damit nicht demnächst die Steuerfahndung hier auf der Matte steht: Der Autor dieser Zeilen hinterzieht selbstredend keine KFZ-Steuern und natürlich ist er auch nicht bei den Pflegekassen vorstellig geworden, um den Heimkostenbeitrag in bar einzutreiben. Wer denkt denn so was? Tssssss…

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