Der Text für den Rest von uns (Ich, der Souverän 2)

Die Apotheker streiken, die Ärzte initiieren die „Operation Shitstorm“ und jeder Deutsche zahlt laut einer neuen Umfrage jährlich durchschnittlich 380 Euro aus eigener Tasche an Apotheker, Ärzte und Krankenhäuser während die Krankenkassen und der Gesundheitsfonds derzeit eine Rekord-„Reserve“ von fast 22 Milliarden Euro horten. Geld, das Arbeitnehmern, Arbeitgebern als auch dem Steuerzahler aus dem Kreuz geleiert, dem Wirtschaftskreislauf erst einmal entzogen wurde, und das natürlich Begehrlichkeiten weckt, zumal selbst S. E. der Bundesgesundheitsminister gewohnt scharfsinnig festgestellt hat, dass Krankenkassen keine Sparkassen seien und deshalb den Versicherten zumindest einen Teil der überbezahlten Beiträge, etwa in Form von Prämien zurückerstatten sollten. Eine Aufforderung, welcher die Krankenkassen ihrerseits gewohnt zögerlich bis gar nicht nachkommen, weshalb sie weiterhin auf Milliarden sitzen und es deshalb auch auszuhalten hatten, dass ihnen die Ärzte in einer doch eher antiquiert anmutenden Interpretation der Denial-of-Servive-Attacke die Faxgeräte zumüllen. So weit, so schwachsinnig, so wie immer.

Und natürlich könnte man es sich jetzt leicht machen und den Ausführungen einiger Kommentatoren folgen, wonach die Ärzte immer noch deutlich mehr verdienen als Otto Normalverbraucher, sie sich also nicht so anstellen sollen und dass doch die Ärzteschaft selbst erst kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben hat, deren Ergebnisse nun vorliegen, wonach die Ärzte zum ganz überwiegenden Teil Spass an ihrer Arbeit haben, die Ärzte mit ihrer Arbeit zufrieden sind, die Ärzte ihre Arbeit inspirierend finden, die Ärzte mehrheitlich ihren Beruf wieder ergreifen würden „und schliesslich“ 56% der Ärzte auch mit ihrem Einkommen zufrieden sind „was übrigens genau dem Durchschnitt aller anderen Berufsgruppen entspricht.“ Schön, dass wir alle so hälftig zufrieden sind. Schön, dass man auch bei empfundener Unterbezahlung glücklich sein kann. Schön, dass genau das beabsichtigt ist. Schön, dass man die Welt immer so einfach erklärt bekommt. Schön, dass die Welt aber nicht so einfach ist. Schön, dass es die Ärzte nämlich gar nicht gibt. Schön, dass das Einfache immer komplizierter wird. Schön, dass genau das beabsichtigt ist, denn wenn die Einfachen das Komplizierte nicht mehr kapieren, können die Verkomplizierer machen was sie wollen. Schön, dass das so schön demokratisch ist. Schön, dass das so schön transparent ist. Schön, dass wir alle nix mehr kapieren dürfen. Schön, dass wir alle alle vier Jahre wählen dürfen. Schön, dass Verkomplizierung Herrschaftsinstrument ist. Schön, dass die Prinzen immer mehr machen können, was sie wollen, da die Verkomplizierung ihr Herrschaftsprinzip ist. Schön. Schön. Schön. Schön. Schön.

Es ist natürlich gelogen, dass ich, der Souverän, den Prinzen jemals die Staatsgewalt übertragen habe. Ich habe den Prinzen nämlich überhaupt nichts niemals übertragen, sie waren vielmehr schon längst im Amt, als ich geboren wurde. Irgendwann habe ich dann in der Schule gelernt, dass Deutschland 1939 mal wieder einen Weltkrieg angezettelt, diesen mal wieder verloren hatte und die Kriegsgewinner, der ewigen Weltkriege überdrüssig, beschlossen, den Deutschen, also uns oder unseren Vorfahren, um des lieben Friedens willen endlich die Demokratie zu lehren. Demokratie, das ist diese seltsame Staatsform, die – zumindest in ihrer gegenwärtigen Definition – immer noch gewisse monarchistische Elemente in sich trägt, da sie einfach nicht von der Vorstellung lassen kann, dass irgendjemand der Chef zu sein hat. Und weil ein demokratischer Chef nun einmal nicht durch die Herkunft seines Blutes, durch seine Geburt bestimmt sein darf, weil das ja undemokratisch ist, geben die Prinzen für den Souverän, also für mich, alle vier Jahre eine Wahl und ich wähle dann einen Kandidaten, den ich nicht kenne, und der mir Versprechungen macht, die ich nicht glaube, und der dann, wenn er denn gewählt worden ist, also mehr Stimmen für sich verzeichnen konnte als seine Gegenkandidaten, zusammen mit den anderen gewählten Kandidaten ihren und somit auch meinen Chef wählt. Und wenn unser Chef gewählt worden ist, dann schreiben die Zeitungen für gewöhnlich, dass wir jetzt einen neuen oder auch alten Chef haben, der so oder so heisst, und der jetzt die Macht habe. Und immer wenn ich in der Zeitung lese, dass ich jetzt einen neuen Chef habe, der so oder so heisst, und der jetzt die Macht hat, wird mir regelmässig schlecht, weil ich dann nämlich denke, es wäre besser gewesen, die Kriegsgewinner hätten mit der Diktatur die Macht gleich mitabgeschafft, weil ich finde, Macht braucht eigentlich kein Mensch. Da sie das aber aus irgendwelchen Gründen vergessen haben, gehe ich alle vier Jahre zur Wahl oder auch nicht, wähle einen Prinz oder auch nicht, was zur Folge hat, dass die Prinzen und unser Chef alle vier Jahre daran erinnert werden, dass es erstens: mich immer noch gibt und zweitens: sie meiner Legitimation bedürfen, wollen sie für sich das erhalten, von dem ich wiederum denke, dass es am besten abgeschafft gehört. Und da es natürlich sehr viele unterschiedliche Prinzen gibt, und auch sehr viele Prinzen gerne Chef sein würden, es aber aus irgendwelchen Gründen immer nur einen Chef und eine begrenzte Anzahl von Prinzen geben darf, die Macht also nicht unendlich teilbar ist (warum eigentlich nicht?), sind alle Prinzen und auch der Chef auf meine Stimme angewiesen, wollen sie Prinz oder Chef bleiben oder werden. Und deshalb ist es dann natürlich in ihrem Sinne vorteilhaft, wenn sie, die Prinzen, mich, den Souverän, nicht schon vor der Wahl durch ihr Regierungshandeln verärgert haben, weil es sonst natürlich sein könnte, dass ich nicht sie sondern einen anderen Prinzen direkt oder einen anderen Chef indirekt wählen könnte, weshalb genau hier und jetzt, an diesem Punkt, das so genannte Prinzen-Dilemma beginnt. Denn natürlich und selbstverständlich haben die Prinzen überhaupt gar kein Interesse daran, eine Politik zu machen, die mich nicht verärgert sondern immer nur ein Interesse daran, mich fortwährend mit Gesetzen zu drangsalieren, die mich ziemlich verärgern könnten, da sie weniger meinem als mehr ihrem oder dem Wohl irgendwelcher Interessengruppen dienen, weshalb sie aufgrund dieses Dilemmas dringend ein Mittel ersinnen mussten, mich, den Souverän nicht zu verärgern und mich gleichzeitig doch und trotzdem und weiterhin und unausgesetzt mit drangsalierenden, sinnlosen und aberwitzigen Gesetzen überhäufen zu können – und eben dieses Mittel ist die so genannte Verkomplizierung.

Die Verkomplizierung verfolgt immer und nur einen einzigen Zweck, nämlich mich, den Souverän, über die wahren Beweggründe der Prinzen oder des Chefs im Unklaren zu lassen. Hierzu ist es zwingend notwendig, dass die Verkomplizierung immer und ausschliesslich eine doppelte Wirkung entfalten muss. Sie muss zum einen einen einfachen Sachverhalt so verkomplizieren, dass ich ihn nicht mehr kapiere oder nachvollziehen kann, und sie muss zum anderen immer noch so abgrundtief kompliziert sein, dass selbst wenn er, der verkomplizierte Sachverhalt, durch schlauere Menschen als mich begriffen würde, diese ihn mir nicht erklären könnten, da ich, wenn ich, als Souverän, dann beispielsweise in meiner tapfer gegen den Zensus 2011 verteidigten Badewanne sitze oder in meinem Auto hochherrschaftlich über Land fahre, sofort den Radiosender wechseln müsste, wollte ich den plötzlichen und den in diesen Situationen mitunter tödlichen Sekundenschlaf vermeiden.

Die Verkomplizierung ist deshalb von den Prinzen über die Jahre immer mehr verfeinert und variiert worden und erschöpft sich schon lange nicht mehr nur in blödsinnigen Formularen, hirnrissigen Gesetzen oder unverständlichen Wasserrechnungen. Es gibt aus diesem Grund mittlerweile so viele unterschiedliche Formen von Verkomplizierungen, dass sie hier unmöglich alle vorgestellt werden können, weshalb es ratsam ist, nur zwei der politisch gebräuchlichsten als auch eine neue und besonders innovative Form der Verkomplizierung, wie sie von einem amerikanischen Konzern erfunden wurde, welcher sich diese Erfindung sogleich in allen Ländern der Welt patentieren liess, und die vielleicht demnächst auch durch die Prinzen Anwendung findet, sofern die es tatsächlich wagen, sich auf längerfristige Patentstreitigkeiten mit Apple einzulassen, an dieser Stelle kurz und exemplarisch zu besprechen.

Die bei weitem erfolgreichste Verkomplizierung der letzten Jahre ist die so genannte EU-Verkomplizierung. Die Prinzen hatten es nach der Gründung der EU recht schnell spitzgekriegt, dass ich, der Souverän, schon sehr viel Mühe hatte und habe, ihr Treiben auf nationaler Ebene im Auge zu behalten, weshalb sie irgendwann beschlossen, die ganz grossen Sauereien nach und nach auf die übernationale Ebene, in die EU zu verlagern, um die wahre Urheberschaft eben dieser Sauereien noch besser zu verschleiern und sie somit gänzlich meiner Aufmerksamkeit entziehen zu können. EU-Verkomplizierungen funktionieren eigentlich immer nach dem selben Muster. Sobald die Prinzen sich wieder etwas überlegt haben, das mich ganz sicher verärgen wird, weil es wieder nur ihre Wohl oder dem Wohl irgendwelcher Interessengruppen dienen soll, besprechen sie sich mit den europäischen Prinzen, suchen sodann einen Sündenbock, zumeist einen zypriotischen oder maltesischen EU-Kommissar, dessen Name ich noch nie gehört habe, und der sich freut, endlich auch einmal im Rampenlicht zu stehen, endlich auch einmal Interviews zu geben, endlich auch einmal wichtig zu sein, und dessen einzige Aufgabe es ist, ein so genanntes und ungeheur kompliziertes EU-Verordnung-Verfahren auf den Weg zu bringen, also einen Rechtsakt anzuleiern, an dessen Ende eine so genannte EU-Verordnung steht, welche das Geschenk der Prinzen an die jeweiligen Interessengruppen hübsch verpackt enthält und von der dann in den Zeitungen zu lesen steht, es gebe da eine neue EU-Verordnung, die so und so heisst, und die nach einer Übergangsfrist dann und dann in Kraft tritt, und deren narkotisierenden Einzelheiten ich im Allgemeinen überlese. Und dann passiert erst einmal nichts.

Nichts.

Aber so eine EU-Verordnung ist nun einmal wie eine Zeitbombe, deren lange Lunte brennt, und wenn auch ich, der Souverän, die Zeitungsmeldung schon lange vergessen habe, da sie schon Monate oder Jahre zurückliegt, arbeitet die Verwaltung auf Anweisung der Prinzen bereits leise und effizient an der Umsetzung der Verordnung, die, wenn sie dann an ihrem Stichtag nach Ablauf der Übergangsfrist hochgeht, manchmal – nicht immer – eine grosse Aufgeregtheit nach sich zieht, weil mir, dem Souverän, auf einmal gewahr wird, welche Sauerei da auf EU-Ebene wieder durchgestochen worden ist und wenn ich dann den Fernseher anschalte, sehe ich empörte Prinzen, die im Rampenlicht stehen, die Interviews geben, die gewohnt wichtig sind und die verkünden, dass man an dieser unsinnigen EU-Verordnung mal wieder sehen könne, wie realitätsfern Brüssel ist, dass es unglaublich ist, dass maltesische oder zypriotische EU-Kommissare der grössten Volkswirtschaft Europas solche hanebüchenen Vorschriften machen können, dass deutsche Interessen endlich wieder stärkeres Gewicht in der EU haben müssten, dass man aber leider an EU-Recht gebunden sei, dass man die EU-Verordnung also auch auf nationaler Ebene eins zu eins umsetzen müsste, dass man da nix machen kann – leider – , dass man die Umsetzung dieser EU-Verordnung aber genauestens beobachten und dass man wenigstens die gröbsten Auswüchse irgendwie korrigieren werde. Und dann passiert erst einmal nichts.

Nichts.

Denn natürlich haben die Prinzen gar kein Interesse daran, irgendetwas irgendwann irgendwie zu korrigieren. Die Prinzen warten vielmehr ab, sie warten darauf, dass nicht mehr nichts passiert, sie warten darauf, dass irgendwo ein Vulkan explodiert, ein neues Handy vorgestellt wird oder besser noch eine Bohrinsel in die Nordsee kippt – denn verölte Robbenbabies machen sich immer besonders gut – die öffentliche Erregungswelle sodann zuverlässig weiter schwappt und ihnen eine spiegelglatte See hinterlässt, auf welcher die beschenkten Interessengruppen ihre Schäfchen ungestört und bequem ins Trockene schippern.

Was das alles mit Pflege zu tun hat? Keine Ahnung. Aber “Der Text für den Rest von uns” ist ja noch nicht fertig geschrieben. Und irgendwie kriege ich die Kurve schon noch… Fortsetzung folgt.

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