Ich, der Souverän

Man ist ja einiges gewöhnt. Man ist gewöhnt an eMails von nigerianischen Prinzen, die einem mehrere tausende US-Dollars in Aussicht stellen, wenn man nur jetzt und sofort einige hundert US-Dollar an den nigerianischen Prinzen selbst überweist, der sich momentan leider und natürlich vollkommen unverschuldet in einer vorübergehenden und äusserst kurzfristigen finanziellen Notlage befindet. Man kennt gefakte Postbank-eMails, die einen in ungelenken Deutsch auffordern, jetzt und sofort einen bestimmten Link zu betätigen, um auf irgendeiner, dann wahrscheinlich dagestanischen Webseite die persönliche Konto-Pin-Nummer einzugeben. Man wimmelt penetrante Call-Center am Telefon ab, die einem zum x-ten Mal ein unverzichtbares Standardwerk aufschwatzen wollen, ohne dass der Betrieb einer Pflegeeinrichtung selbstredend vollkommen unmöglich ist, und das sehr wahrscheinlich doch nur aus einer Ansammlung von Altpapierseiten besteht. Und dann gibt es da noch Adressbuchverlage und Telefonbuchverlage und Werbeverlage und Sonderaktionen und Spendenaufrufe und Versicherungspolicen und ähnliche Dinge, die man natürlich ganz dringend braucht, ohne es eigentlich zu wissen, und die man deshalb anhand des Grades ihrer Abstrusität oder ihrer Dreistigkeit klassifiziert, um sie aus dem immer weiter anschwellenden Strom der Buchstaben, Bits und Töne, die einem täglich das Hirn umschwirren, ohne grossen Aufwand aussortieren und entsorgen zu können. Und dann kommt es natürlich vor, dass einige dieser gelöschten Buchstaben, Bits und Töne wiederkehren, um wiederum klassifiziert, aussortiert und entsorgt zu werden. Und das kann dann zu Folge haben, dass einige der wiederholt wiederkehrenden Buchstaben, Bits und Töne im Ton unfreundlicher werden, beispielsweise „im Betreff“ mit den Worten „Erinnerung“ oder „Mahnung“ beginnen. Und sollten sich in diesen Buchstaben, Bits und Tönen, die unfreundlicher werden und mit diesen oder ähnlichen Worten beginnen, auch noch der Hinweis auf einen Gesetzestext finden, verbunden mit den Worten „gesetzlich verpflichtet“ und/oder „Ordnungswidrigkeit“ und/oder „Bußgeld“, dann kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das vorliegende Schriftstück nicht von den nigerianischen Prinzen stammen kann, sondern vielmehr von den bundesrepublikanischen Prinzen stammen muss, die sich wieder einmal ein Gesetz gebastelt haben, welches mich, den Bürger, zu irgendetwas verpflichten soll, so wie mich der Zensus 2011 zur Preisgabe persönlicher Daten verpflichtet, und ich auch jetzt noch Schriftstücke mit den Worten „Mahnung“, „Erinnerung“ oder „Fristsetzung“ erhalte, da unsere Prinzen immer noch nicht eingesehen haben, dass es ihnen herzlich egal zu sein hat, wie ich, der Souverän, wohne, dusche oder bade.

Und eben dies, das zunehmende und hartnäckige Unvermögen unserer Prinzen, zu verstehen, dass ich, der Souverän, ihnen die Staatsgewalt nicht übertragen habe, damit sie, die Prinzen, mich fortwährend drangsalieren mit Gesetzen, die weniger meinem als mehr ihrem oder dem Wohl irgendwelcher Interessengruppen dienen, ist wohl der Grund dafür, dass ich in den letzten Wochen wieder einmal Schreiben erhielt, die ich aufgrund ihrer ausserordentlichen Dreistigkeit und Abstrusität sofort dem Papiermüll überantwortete, und die trotzdem regelmässig wiederkehrten und deshalb regelmässig in den Papiermüll wanderten, bis sie den folgenden Unfreundlichkeitsstatus erreichten:

„Wenn Sie uns nicht antworten, müssen wir Ihren Rundfunkbeitrag ab 2013 pauschal berechnen. Das kann zu höheren Gebühren führen. Bitte bedenken Sie auch, dass Sie nach § 14 Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag gesetzlich verpflichtet sind, uns Angaben zu Ihrem Unternehmen zu machen. Kommen Sie dieser Verpflichtung nicht nach, kann dies als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden.“

Und natürlich handelt es sich bei dem Schreiben um ein Schriftstück der GEZ, welche den neuen Rundfunkbeitrag vorbereiten soll, der ab 2013 erhoben wird, und den jeder zu zahlen hat, egal, ob er öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfängt oder nicht, denn der neue Beitrag wird von jedem erhoben, der wohnt oder, wie in meinem Fall, eine Betriebsstätte betreibt. Das Modell des neuen Rundfunkbeitrages geht zurück auf ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof oder auch des Professors aus Heidelberg, wie ihn Schröder seinerzeit nannte, als er für die damalige Opposition durch die Talkshows der Fernsehnation tingelte, um ein einfaches Steuermodell zu propagieren, das freilich, auch nachdem die damalige Opposition jetzt schon längst in Regierungsverantwortung eingetreten ist, nie umgesetzt wurde. Und weil der Professor aus Heidelberg offensichtlich zu viel Zeit hatte, dachten sich die Prinzen, das wäre jetzt aber mal eine gute Idee, den Herrn Professor aus Heidelberg ein Gutachten zur Rundfunkgebührenerhöhung schreiben zu lassen. Das dachten sie nicht etwa, weil der Herr Professor als ausgewiesener Fachmann für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk bekannt gewesen wäre, sondern weil damals schon zu erwarten war, dass ich, der Souverän, von dem erneuten Ansinnen der Prinzen, mir in den Geldbeutel zu greifen, wenig begeistert sein würde, weshalb es für die Prinzen in den zu erwartenden gerichtlichen Auseinandersetzungen von Vorteil sein kann, auf das Gutachten eines ehemaligen Verfassungsrichters verweisen zu können. Der Professor tat den Prinzen auch den Gefallen, erklärte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kurzerhand als äusserst wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl, aus dem ich, der Souverän, einen „individualnützigen Vorteil“ ziehe, weshalb ich an dessen Finanzierung ein vitales Interesse zu haben hätte. Daraufhin überlegte ich mir, welchen „individualnützigen Vorteil“ beispielsweise André Rieu für mich haben könnte, und war mir diesbezüglich nicht so ganz sicher, zumal die Prinzen die Empfehlung des Professors, aus Gründen der Glaubwürdigkeit in Zukunft auf kommerzielle Werbung gänzlich zu verzichten, aus Gründen der Pennunzen in den Wind schlugen, und in der Folge einen Gesetzestext bastelten, der mich, den Souverän und alle anderen Betriebsstättenbetreiber, verpflichtet, nicht nur für meine eigene Wohnstätte sondern auch für alle Mitarbeiter meiner Betriebsstätte einen Rundfunkbeitrag zu bezahlen – und zwar vollkommen unabhängig davon, ob ich oder meine Mitarbeiter überhaupt öffentlich-rechtliches Radio hören oder Fernsehen schauen oder auch nicht.

Wenn ich mich unter Schmerzen und um des lieben Friedens willen, also aus Gründen der Staatsräson, noch damit abfinden könnte, für meine Wohnstätte einen Beitrag zu zahlen, weil ich nicht immer ausschliessen kann, dass Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch tatsächlich genutzt werden, ist der Rundfunkbeitrag für die Betriebsstätte, der sich nach der Anzahl der Mitarbeiter und der Firmenfahrzeuge richtet und schnell 1.000 Euro jährlich übersteigen kann, völlig inakzeptabel, da ich, der Souverän, meiner Meinung nach nicht freiwillig gezwungen werden kann, eine Leistung für meine Mitarbeiter zu bezahlen, die diese schon für ihre Wohnstätte bezahlen, und die sie in unserer Betriebsstätte weder willentlich bestellt haben, noch in Anspruch nehmen können, da wir nämlich anderes zu tun haben, als während unserer Arbeitszeit Radio zu hören oder Fernsehen zu schauen. Ganz zu schweigen davon, dass es sich bei unserer Betriebsstätte um eine Pflegeeinrichtung handelt, die in Konkurrenz zu den so genannten frei-gemeinnützigen Einrichtungen steht, welche nur einen Rundfunkbeitrag von höchstens 215,76 Euro jährlich zu bezahlen hätten, was mithin doch eine kleine Wettbewerbsverzerrung darstellen würde.

Sollte dieser dreiste Schwachsinn, freie Bürger per Gesetz zu zwingen, Leistungen für Dritte zu bezahlen, die von diesen nicht gewollt sind und auch nicht in Anspruch genommen werden können, tatsächlich verfassungskonform sein, wird der Souverän wohl zurücktreten müssen.

Aber vielleicht ist er das schon. Und weiss es noch gar nicht.

„Ich, der Souverän“ ist eine neue Reihe der reformpflege, welche ein wenig Licht wirft auf die vielen, kleinen Scharmützel, die man sich einhandeln kann, wenn man ein kleines Pflegeheim führt, ohne sich zu sehr verbiegen lassen zu wollen. So gibt es auch wieder Neues von der EnBW, mit der wir zwischenzeitlich vor Gericht waren, und die uns diese Woche schriftlich mitgeteilt hat, dass sie uns in vier Wochen den Strom abstellen wird. Und das, obwohl der Laden ja eigentlich mir gehört…

1 Kommentar zu „Ich, der Souverän“

  1. [...] Nach einem weiteren, bisher noch unbestätigten Bericht eines Trägerverbandes privater Pflegeheime und -dienste, sollen die Intendanten auch beschlossen haben, von allen Pflegeheimen, welche gewerbesteuerbefreit sind, also auch von den privaten (nicht so genannten frei-gemeinnützigen), lediglich den einheitlichen Monatsbetrag von 17,98 Euro zu erheben. Ursprünglich war geplant, diesen einheitlichen Monatsbeitrag nur von den so genannten frei-gemeinnützigen Einrichtungen zu erheben und den Beitrag für die privaten nach Betriebsstätten, Anzahl der Mitarbeiter und PKWs aufzuschlüsseln, was den Rundfunkbeitrag für die privaten Einrichtungen erheblich verteuert, mithin eine Wettbewerbsverzerrung zur Folge gehabt hätte (reformpflege berichtete). [...]

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