Die Demenz wird mitten unter uns sein

Und natürlich ist gegen die baden-württembergische Landesheimbauverordnung (reformpflege berichtete mehrfach), wonach mit einer Übergangsfrist von 10 bis 25 Jahren nur noch Einzelzimmer zulässig sein sollen, was bundesweit einzigartig ist, geklagt worden. Und natürlich hat das Verwaltungsgericht Mannheim geurteilt und inzwischen auch schriftlich begründet, dass die LHeimBauVO (behördendeutsch für Landesheimbauverordnung) „mit höherrangigem Recht vereinbar und daher gültig ist.“

Des Weiteren stellt der VGH Mannheim (behördendeutsch für Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg) fest:

Die LHeimBauVO verfolge das Ziel den Bewohnern „von Heimen eine angemessene Qualität des Wohnens und eine geschützte Privat- und Intimsphäre (zu) ermöglichen.“

„Diesem Wunsch (Dem Wunsch von pflegebedürftigen Ehepaaren nach trauter Zweisamkeit im Doppelzimmer – rp) trage die Landesheimbauverordnung dadurch Rechnung, dass ein möglichst hoher Anteil von Einzelzimmern so gestaltet werden solle, dass jeweils zwei nebeneinanderliegende Zimmer zu einer Nutzungseinheit zusammengeschlossen und auch so aufgeteilt werden könnten, dass auf Wunsch ein Zimmer als gemeinsamer Schlafraum genutzt werden könne. Einzelfälle, in denen dies nicht zu einer befriedigenden Lösung führe, seien äußerst selten und hätten daher vom Verordnungsgeber nicht berücksichtigt werden müssen.“

„Ziel dieser Regelung sei es, den institutionellen Charakter von Heimen zurückzudrängen, überschaubare, familienähnliche soziale Milieus zu gewährleisten und die Lebensbedingungen in Heimen an normale Wohnverhältnisse anzupassen. Gerade für dementiell erkrankte Pflegebedürftige seien kleinere Gruppen wichtig.“

Da freut sich reformpflege, dass die wahren Demenzexperten jetzt nicht nur beim MDK zu finden sind, sondern inzwischen sogar unsere höchsten Gerichte bevölkern. Da verbeugen wir uns in Demut vor so viel Sachkenntnis und fragen uns, warum uns in all den Jahren der Arbeit mit Menschen mit Demenz nie aufgefallen ist, dass die Menschen (mit Demenz) bei uns nur wohnen wollen, also das zu machen wünschen, was sie zuhause eigentlich viel billiger und besser machen könnten. Und wundern uns, wo denn all die Ehepaare sind, die beide gleichzeitig pflegebedürftig werden und darüber hinaus auch im gleichen Stadium der Demenz sind, so dass es ihr grösster Wunsch ist, im Pflegeheim ein Apartment bewohnen zu wollen und dieses auch bezahlen können. Und fragen uns, warum wir so viele „nicht zu berücksichtigende Einzelfälle“ haben, also die Menschen mit Demenz, die sich im Endstadium der Krankheit befinden und die durch herkömmliche therapeutische Methoden nicht mehr zu erreichen sind, aber dennoch positiv auf die affektiv wahrgenommene Nähe eines Zimmergenossen reagieren. Und weil wir von so viel Sachkenntnis staunend und innigst ergriffen sind, wagen wir gar nicht mehr auch nur darüber nachdenken zu wollen, warum denn ausgerechnet Einzelzimmer den institutionellen Charakter von Heimen zurückdrängen sollen oder wie eine blosse Ansammlung von Einzelzimmern schon ein soziales Milieu garantieren können und warum diese Milieus für Menschen mit Demenz, die gerade im Verlaufe dieser Demenz ihre Kinder, Brüder, Schwestern, Väter, Mütter, Tanten etc. vergessen haben, ausgerechnet familienähnlich sein sollen – statt demenzgerecht.

Im Ernst, Einzelzimmer sind eine wichtige Sache, das wissen wir aus Erfahrung, denn 75% unserer (nicht geförderten) Zimmer sind Einzelzimmer, und vielleicht erhöhen wir den Anteil der Einzelzimmer auch noch mal, denn Privat- und Intimsphäre sind natürlich auch eine wichtige Sache. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass Doppelzimmer eine wertvolle therapeutische Ressource sein können (nicht müssen!), da es Bewohner gibt (auch solche ohne Demenz), die nachts nicht alleine sein wollen, die Angstzustände entwickeln können, und die tagsüber auch kein Wohnzimmer brauchen sondern therapeutische Betreuung in der Gruppe, die sich der speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz annimmt. Wir werden deshalb allein schon aus therapeutischen Gründen und damit auch im Interesse der Betroffenen eine gewisse Anzahl von Doppelzimmer so lange behalten wollen, wie es nur geht, auch wenn es dazu, nach Ablauf der Fristen, notwendig sein sollte, den Weg der „Befreiungsmöglichkeit“ zu strapazieren.

Da wohl kaum davon auszugehen ist, dass den Verwaltungsrichtern ihr Demenzexpertentum des Nachts im Traume zugeflogen ist, sie sehr wahrscheinlich also von den Experten des baden-württembergischen Sozialministeriums in dieser Sache schlau gemacht worden sind, müssen wir annehmen, dass die neue Frau Sozialministerin (und nicht nur) in dieser Sache derselben Ansicht ist, wie ihre Vorgängerministerin, was wiederum den bisherigen Eindruck bestätigt, dass es den Beamten des Sozialministeriums ziemlich egal ist, wer unter ihnen Ministerin sein darf.

Das ist bedauerlich, da die neue Frau Sozialministerin, die ja eine Fachfrau und eben keine Ministerialverwaltungsbeamtin oder Richterin ist, es eigentlich besser wissen müsste oder könnte.

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