McPflege – Teil 4

Es wird auch für Branchenfremde keine besondere Überraschung sein, dass der bestimmende Kostenfaktor in der Pflege die Personalkosten sind. Pflege ist Handarbeit, Pflege ist psychosoziale Betreuung, ist menschliche Zuwendung, ist Geschäft und Kind unserer Gesellschaft, weshalb es auch für Branchenfremde keine besondere Überraschung sein wird, dass der Geist, der unsere Gesellschaft immer mehr zerfrisst, auch vor Pflege nicht Halt macht.

Und dieser Geist ist die Gier.

Wenn die Träger von Pflege, sei sie gewerblicher oder so genannter gemeinnütziger Art, der Versuchung, den Profit zu maximieren mal wieder nicht widerstehen können, so stellen die Personalkosten immer die grössten Profitmaximierungsressourcen dar, da sie ganz einfach der grösste Kostenblock sind. Werden aber immer mehr Stellen gestrichen oder nicht besetzt, um den Profit zu maximieren, leidet notwendigerweise auch die Pflegequalität, die Kunden- als auch die Mitarbeiterzufriedenheit. Diese Folgen der Profitmaximierung bringen insbesondere die profitmaximierenden gemeinnützigen Träger, die sich ohnehin schon in einem Spagat zwischen Gutmenschentum und Profitstreben, zwischen Schein und Sein befinden, in einen gewissen Legitimierungszwang. Sie müssen ihren Kunden und Mitarbeitern nämlich erklären, weshalb Stellen nicht besetzt werden, was notwendigerweise eine eklatante Minderung der Pflegequalität, der Kunden- als auch Mitarbeiterzufriedenheit zur Folge hat. Und natürlich werden die so genannten gemeinnützigen Träger dann nicht erklären, dass dies nun einmal eine notwendige Folge der eigenen Profitmaximierung ist sondern sie werden einen Grund finden und erklären müssen, der ausserhalb ihres eigenen Verantwortungsbereiches liegt, der vordergründig rein gar nichts mit der eigenen Profitmaximierung zu tun hat und besser noch den Trägern erlaubt, die eigene Profitmaximierung möglichst ungestört fortzusetzen. Und dieser Grund findet sich durch einen Mythos, der Pflege schon seit Jahrzehnten umwabert.

Und dieser Mythos ist der so genannte Pflegenotstand.

Der Mythos Pflegenotstand ist eine Allzweckwaffe, die in guten wie schlechten Zeiten funktioniert, sie besagt, dass in schlechten Zeiten ein akuter Fachkräftemangel bestünde, man also leider die händeringend gesuchten Fachkräfte nicht einstellen könne, da es viel zu wenig von ihnen gäbe und besagt in „guten“ Zeiten, wenn beispielsweise die Krankenhäuser, wie in der Mitte der Nuller Jahre geschehen, den Mythos Pflegenotstand für ihre Zwecke entdecken und ihrerseits massiv Fachkräfte freisetzen, dass für Pflege zwar viele Fachkräfte vorhanden sind, man sie aber leider nicht einstellen könne, da die Pflege bedauerlicherweise durch die Pflegeversicherung chronisch unterfinanziert sei. Um es hier gleich vorneweg zu sagen: Ab und zu macht Politik auch mal was richtig. Die Pflegeversicherung ist ganz sicher nicht die Ursache des Pflegenotstandes, auch wenn dieser armselig belegte Wikipediaeintrag etwas anderes behauptet, die Pflegeversicherung ist eine auf dem Solidaritätsprinzip beruhende Sozialversicherung, welche die Heim- als auch anderweitige Pflegekosten, die vor der Einführung der Pflegeversicherung sehr viele Heimbewohner der Sozialhilfe überantwortet haben, bezuschusst. Man kann sich immer mehr Geld wünschen und natürlich ist die Pflegeversicherung, weil eben ein deutsches Gesetz, viel zu kompliziert und verwirrend. Aber der Zweck dieses Gesetzes ist es eben nicht, die Träger von Pflege möglichst einfach viel Geld verdienen zu lassen sondern die Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten und Pflege möglichst sinnvoll zu regulieren. Und diesen Zweck erfüllt die Pflegeversicherung nach wie vor, wenn sie auch, was zumindest die sinnvollen Regulierungen betrifft, im Laufe der letzten Reformen immer mehr durch Lobbyinteressen zerlöchert und deformiert worden ist.

Wenn also auf Wikipedia die Schuld an dem so genannten Pflegenotstand der Gesundheitspolitik zugewiesen und diesbezüglich auf die Pflegeversicherung referiert wird, dann hat der Autor dieses Eintrages nur sehr bedingt Recht, die Gesundheitspolitik wird man mittelbar nicht aus einer gewissen Verantwortung entlassen können, die Schuld an dem, was man Pflegenotstand nennt aber unmittelbar der Pflegeversicherung zuzuschreiben, ist schon eine sehr dreiste Verkehrung der Tatsachen. Denn wenn die Pflegeversicherung Ursache des Pflegenotstandes wäre, dann wäre diese Ursache systemimmanent und müsste alle Pflegeheime und Pflegedienste in Deutschland betreffen. Das ist aber nicht der Fall, es gab und gibt sehr wohl Einrichtungen und Dienste, die auf dem Boden des bestehenden Systems jeden Tag in der Lage sind, eine menschenwürdige Pflegequalität anzubieten. Die Ursache des Pflegenotstandes ist nicht die Pflegeversicherung, die Ursache liegt in einem System im System, das aus dem Goldesel Pflege noch den letzten Dukaten herauszupressen sucht. Und dieses System hat langsam beängstigende Dimensionen angenommen, nicht nur, dass man aus Gründen der Profitmaximierung den Pflegenotstand erfindet und damit den Mitarbeitern aus Gründen der vermeintlichen Nächstenliebe 50, 100, 200 oder mehr Überstunden aufbürdet, nein, man empört sich noch gegen diesen selbst erfundenen Pflegenotstand, macht sich zum Anwalt der Pflege, macht sich zum Vorkämpfer für die Interessen der Pflegebedürftigen, fordert einen gesellschaftlichen Diskurs über den Pflegenotstand, setzt sich an die Spitze der eigenen Bewegung gegen den selbst erfundenen Pflegenotstand und fordert natürlich mehr Geld. Und weil man gerade dabei ist, sponsert man noch grosszügig einige Berufsverbände der Pflege und diese organisieren dann natürlich Aktionstage und Demos gegen den von ihren Gönnern konstruierten Pflegenotstand und demonstrieren somit quasi gegen sich selbst. Und während alle empört sind und alles Mögliche fordern, sich an die Spitze der Bewegung gegen sich selbst setzen, um gegen sich selbst zu demonstrieren, kann man jeden Tag in der Zeitung lesen, wie Pflege mehr und mehr in Furchtbarkeiten versinkt, wie Menschen in den Heimen zu wenig zu essen bekommen, zu wenig trinken, stürzen und zu wenig Zuwendung erhalten. Das alles malt ein Bild von Pflege, grau in grau, und bestärkt natürlich die Bewegung gegen sich selbst, die es ja schon immer gewusst hat, dass ein Pflegenotstand herrscht und sogleich Sofortmassnahmen, wie beispielsweise mehr Geld, fordert und auch nicht verlegen ist, die Pflege mit guten Tipps zu versorgen, denn inzwischen hat man auch an den vom Staat mit allgemeinen Steuergeldern alimentierten evangelischen und katholischen Hochschulen pflegewissenschaftliche Fakultäten etabliert, die von Pflegeexperten getragen werden, welche dankenswerterweise mit daran gearbeitet haben, pflegerische Expertenstandards zu erarbeiten, die mittlerweile in fast jedem Pflegeheim der Republik vor sich hin gilben und uns Doofis an der Basis auf regelmässig mehr als 120 Seiten möglichst umständlich darüber aufklären sollen, wie Pflege richtig gemacht wird, wie man pflegebedürftige Menschen richtig ernährt, wie man sie richtig mit Flüssigkeit versorgt, wie man richtig dem Dekubitus vorbeugt, ganz so, als sei auf vielen Stationen der vor sich hin gilbenden Expertenstandards fehlendes Wissen das Problem und nicht die aufgrund des erklärten Pflegenotstandes ausgedünnten Schichten.

Aber der Zynismus des erfundenen Pflegenotstandes kennt keine Scham, er bittet Pflege zu ihrem eigenen Totentanz, weckt die politischen Geister, die irgendwie auf die sich anschwellende Empörung reagieren müssen und immer neue Verordnungen und Gesetze erlassen, die Pflege weg vom Bewohner an den Schreibtisch zitieren und sie aufschreiben lassen, wie sie pflegt und wieder Gesetze erlassen, die prüfen sollen, was Pflege aufschreibt und damit zu prüfen vorgeben, wie sie pflegt und weckt die Kritiker, die sich empören, wie Pflege pflegt und sich empören, wie nur Gesetze erlassen werden können, die prüfen, was Pflege aufschreibt, wie sie pflegt und der Politik dann vorwerfen, nur zu prüfen, was Pflege aufschreibt, wie sie pflegt anstatt zu prüfen, wie sie pflegt und die doch immer nur die Hälfte verstehen, um mit diesem Halbverstehen Bücher zu schreiben, darüber, wie sie sich empören, wie Pflege pflegt und wie die Politik nur prüft, was Pflege aufschreibt, wie sie pflegt anstatt zu prüfen, wie sie pflegt, um mit diesen empörten Büchern viel Geld zu verdienen. Und so aufschreibt Pflege immer mehr und pflegt immer weniger und erlernt, wie sie sich auf die Prüfungen ihrer Aufschriften vorzubereiten hat und pflegt immer weniger und der Zynismus verdient immer mehr und beklagt den sich verschärfenden Pflegenotstand und fordert mehr Geld, um denselben zu beheben.

Pflege tanzt ihren eigenen Totentanz mit ihrem eigenen Notstand, der irgendwann kein erfundener mehr bleibt sondern ein immer realerer wird, denn der erfundene schuf eine Pflege, die immer mehr in ihrem eigenen Elend versinkt und schuf so einen echten, da der erfundene immer mehr Menschen so erschreckt, dass sie nicht mehr Teil einer Pflege sein wollen, die sich vor sich selbst erschrickt und sich schämt.

McPflege wird fortgesetzt. Der letzte Teil – Zusammenfassung, Fazit und Ausblick – erscheint in wenigen Tagen.

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