Alles Nazis – ausser Mutti! Erste Folge vom letzten Teil

Also neulich is der Chef ma wieder in son Buchladen gelatscht, weil er sich n Reiseführer besorgen wollte und weiler schon mal da war, hatter sich noch n Buch fürn Strand kaufen wollen fürn Urlaub, weil immer nur vergleichende Anatomiestudien auf die Dauer auch nicht so prickelnd sind, vor allem am FKK-Strand, versteht sich, also hatter sich n bisschen umgeschaut in dem Buchladen und in die Bestsellern reingeschmökert, die da immer so ausgestellt sind. Und dabei muss ihm mal wieder ne Erleuchtung gekommen sein, denn alser wieder zurück war aussem Buchladen, hatte er nicht nur den Reiseführer und ne neue verspiegelte Sonnenbrille im Gepäck, sondern uns auch noch seinen neusten Beschluss mitgeteilt, dass er jetzt nämlich n Bestseller-Autor wird, denn in den Buchläden würd so viel Scheiss rumliegen, das kanner auch. Tja, und weil der Chef jetzt n Bestseller-Autor wird, rennt er in jeden Buchladen, an dem er vorbeikommt und studiert die Bestsellerlisten, also nicht nur die nationalen vom Spieg … naisjaauchegal, sondern auch die regionalen oder nur die vom örtlichen Buchladen, weil der Chef natürlich sein neuen Plan – wie immer – äusserst akribisch vorbereiten tut und deshalb untersuchen muss, was die Leute eigentlich so lesen tun, damit er weiss, wasser schreiben soll, um son richtig fetter Bestseller-Autor zu werden. Und neulich war er mal wieder inner norddeutschen Großstadt unterwegs und na klar kam er da auch wieder annem Buchladen vorbei, also isser rein, um mal wieder zu untersuchen, was die Leute inner Großstadt eigentlich so lesen tun, denn sone Großstadt is fürn Bestseller-Autor wie den Chef natürlich n äusserst lukrativer Absatzmarkt, versteht sich. Und weil der Chef numa ein Sachbuch-Bestseller-Autor is, schaute er sich die Sachbuch-Besteller an und fand, dass die Leute inner Großstadt eigentlich den gleichen Kram lesen wie die Leute bei uns aufm Land, also irgendwelche Biographien von A,B oder C-Promis, Ratgeber, wie man glücklicher, dünner, reicher, besser, klüger, schöner oder gesünder leben könnte, dann noch n bisschen esoterischer Kram und ausserdem n paar Machwerke politischer Art entweder von so Ghostwriters irgendwelcher abgehalfterter Politiker oder sonstiger Fernsehprominenz aus den TV-Laber-Shows. Aber dann auf einma stutzte der Chef, denn inner Top-Ten der Sachbücher des örtlichen Buchladens der norddeutschen Großstadt, die fast schon nach Geld stinkt, nicht nur weil sich immer noch echt viele Menschen die krassen Mordsmieten dort leisten können, und die sich ansonsten für ihre Weltoffenheit, Toleranz und Lebensfreude fast schon penetri… äh pentrann.. oder so rühmt, fand sich auch n ganz spezieller Ratgeber medizinischer oder auch schon psychotherapeutischer Art: „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden!“ las der Chef da auf dem Titel. Und das hat der Chef dann erstma nicht kapiert, weil er sich eigentlich gedacht hat, dass die Menschen, die soviel Knete ham und ausgeben, um in den Genuss von ganz viel Weltoffenheit, Toleranz und Lebensfreude zu kommen, doch eigentlich glücklich sein müssten. Und glückliche Menschen, so dachte sichs der Chef bisher, lesen doch eigentlich solche Schmöker nicht. Aber offensichtlich hat der Chef sich da ma wieder getäuscht, offensichtlich brauchen immerhin so viel Menschen in der norddeutschen Großstadt einen Ratgeber, um ihre Panikattacken oder Angststörungen loszuwerden, dass es dieser Schmöker bis in die Top-Ten der Sachbuch-Bestsellerliste eines Buchladens inner Großstadt geschafft hat. Und da kam der Chef dann ins Grübeln und alser aus der Großstadt wieder zuhause war, hat er sich natürlich zuerstma hintern Computer geklemmt, um herauszufinden, ob dieses Thema „Panikattacken und Angststörungen“ auch noch andere Menschen in Deutschland interessiert. Und dazu isser dann auf „Google Trends“ oder so, und so wie ich das kapiert hab, is das is ein Werkzeug der ollen Datenkrake „Google“, mit welchem man herausfinden kann, welche Themen oder Suchbegriffe von den Internetnutzern zu welchen Zeiten und wie intensiv gesucht worden is und wie sichs Suchverhalten der Internetnutzer über die Zeit verändert hat, also obs mehr oder weniger geworden is.

Also hämmerte der Chef erstma „Angst“ in die Tasten und erhielt dann das folgende Ergebnis:

Google Trends - Abgerufen am 07.09.2018. 10:20.

Tja, und da sah man dann schon auffen ersten Blick, dass das Interesse an Angst als Thema oder an Themen, die irgendwie mit Angst zu tun ham, seit dem 01.01.2004 bis heute stark zugenommen hat und zwar um über 50%. Interessant fand der Chef auch die Spitze in der Mitte der Grafik, wo er erst nicht wusste, worauf die zurückzuführen ist, bisschen Recherche ergab aber, dass damals – im Juni 2011 – die EHEC-Epedemie, die insgesamt 53 Todesopfer forderte, ihren Höhepunkt erreicht hatte, als jeder glaubte, der Tod lauere wahlweise im Kühlschrank oder im Gemüseladen. Der Juni 2011 markiert auch den Höchststand des Interesses an Themen, die irgendwie mit Angst zu tun ham, und dient somit auch als Benchmark, der von Google mit dem statistischen Wert 100 unterlegt wird. Gleichzeitig beweist der Juni 2011 auch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz der Statistik, so siehts jedenfalls der Chef, da der von Google erfasste Wert tatsächlich mit einem gesellschaftlichen Ereignis, der Ehec-Epidemie, korreliert bzw. plausibel in sinnvollen Zusammenhang gebracht werden kann.

Und dann wollts der Chef n bisschen pathologischer und hämmerte „Angststörung” als „Suchbegriff” in “Google Trends“, weil er die Suchergebnisse ausschliessen wollte, die im weitesten Sinne was mit „normaler” Angst zu tun ham, also so was wie „Angst vor Spinnen, Trennungsängste oder so“, stattdessen wollte er nur wissen, ob es einen Zuwachs an gezieltem Interesse der deutschen Internetuser an pathologischen Angstzuständen, also an Angst, die als krankhaft empfunden wird, gibt.

Google Trends - Abgerufen am 07.09.2018. 10:21.

Und das war dann mal deutlich. Offensichtlich war das Interesse an dem Suchbegriff „Angststörung“ seit 2004 so um die 300% gestiegen.

Dann versuchte ers mit „Panikattacke“ als „Suchbegriff“.

Google Trends - Abgerufen am 07.09.2018. 10:19.

Tja…

Offensichtlich hatte der Bestseller-Kollege vom Chef n gutes Gespür für Trends, denn selbst wenn die Statistiken von Google durchaus zu hinterfragen sind, da die olle Krake Google natürlich wichtige Details wie beispielsweise die insgesamte Anzahl der Suchanfragen nicht veröffentlicht – so viel Information gibts wohl nur gegen Bares – offenbaren die Statistiken dennoch eine sehr deutliche Entwicklung: Die Deutschen beschäftigen sich zunehmend mit Ängsten, Angststörungen und Panikattacken. Und wenn mans bisschen reisserischer formulieren wollte, könnte man auch sagen, die Kurven auf Google sind gewissermassen die gesellschaftlichen Fieberkurven der Nation und zwar mit der Tendenz: stark steigend. Und da hat sich der Chef natürlich gefragt, warum das so ist, denn auf den ersten Blick gibts doch nix zu Meckern: Die Wirtschaft brummt, es herrscht faktisch Vollbeschäftigung, der Staat erzielt einen Überschuss von 48,1 Milliarden, die Höhe der Privatvermögen ist auf Rekord-Hoch und nicht wenige Experten bezeichnen die wirtschaftlichen Aussichten weiterhin als frohlockend. Und dennoch entwickeln die Deutschen ein grosses Interesse an pathologischen Angstzuständen und das in einem viel höheren Masse wie unsere deutschsprachigen Nachbarn dies tun:

Google Trends - Abgerufen am 07.09.2018. 16:29.

Wobei nur das Ergebnis aus Österreich mit Deutschland zu vergleichen ist, weil die Schweiz und Luxemburg natürlich mehrsprachig sind und die Niederlande nunmal niederländisch ist.

Für Deutschland wird aber der grosse „Angst-Trend” durch den neuesten DAK-Gesundheitsreport unterstrichen, wonach die Psychischen Erkrankungen die zweitmeisten Krankheitstage bei DAK-Mitgliedern verursachen. Insgesamt ist der Krankheitsstand aufgrund Psychischer Erkrankungen seit Jahren steigend.

DAK Gesundheits-Report 2018

Warum also sind die Psychischen Erkrankungen seit Jahren auf dem Vormarsch und weshalb beschäftigen sich immer mehr Deutsche mit ihren Ängsten oder Angststörungen? Und hier gibts bestimmt nicht nur eine Ursache, meint jedenfalls der Chef, da laufen wohl viele Entwicklungen zusammen, sagt der Chef, glaubt man ausgerechnet Google hebt diese Entwicklung so zwischen 2007 und 2009 an, was sich mit der DAK-Statistik auch deckt. In dieser Zeit änderte sich unser Kommunikationsverhalten ziemlich radikal. Stimmts, Chef?

Kann man wohl sagen. Das iPhone läutete in diesen Jahren das Zeitalter der Smartphones ein. Immer mehr Menschen legten sich so ein Ding zu und das hatte natürlich auch Folgen. War man mit den alten Handys schon rund um die Uhr für Anrufe und SMS erreichbar, verdichteten sich die Kommunikationsmöglichkeiten und -anforderungen durch die Smartphones erheblich. News, Apps, Messages und die Kanäle der Sozialen Medien fordern seitdem beinahe rundum die Uhr die Aufmerksamkeit der Nutzer. Sowohl die regelrechte Überflutung mit Daten und Nachrichten, als auch die permanente Pflege und Optimierung des virtuellen Selbst in den Sozialen Medien ohne Unterlass und Urlaub setzte und setzt viele Menschen unter erheblichen, auch sozialen Druck. Und das kann massiven Stress erzeugen. Gleichzeitig erodierte die Nachkriegsordnung oder das, was von ihr noch übrig war zunehmend: Bankencrash, Eurokrise, Nullzinspolitik, Steigende Mieten, mehr befristete Jobs, Arabischer Frühling, Terror und Anarchie in Nordafrika und dem Nahen Osten, Terroranschläge in Europa, Terroranschläge in Deutschland, Krieg in der Ukraine, Flüchtlingskrise, Brexit, Dieselgate, EU-Kontroversen, Donald Trump undsoweiterundsofort. Und durch die Smartphones war man über dieses Elend dankenswerter Weise beinahe in Echtzeit und immer bestens informiert. Das Ding funktioniert wie ein Brennglas, es gibt kein Entrinnen mehr.

Und das ist der Grund für die Zunahme der Angststörungen?

Nee, so platt kann man das natürlich nicht sagen. Aber wenn alte Werte auf einmal wanken und scheinbar ewig geltende Ordnungen durcheinander geraten, dann schafft dies ein allgemeines Klima der Verunsicherung. Und in diesem Klima gedeihen Neurosen und andere psychische Erkrankungen prächtig, wenn auch der eigentlich krankheitsauslösende Grund immer noch auf der individuellen Ebene zu suchen ist. Dennoch können äussere Umstände wie das gesellschaftliche Klima den Ausbruch von psychischen Erkrankungen begünstigen, das ist seit Emile Durkheim eigentlich ne Binse. Und das Smartphone kann man in diesem Sinne als eine Art Durchlauferhitzer begreifen.

Aha, aber nach dieser Theorie müssten die Ösis mindestens genauso ängstlich sein wie wir. Die leben ja schliesslich in derselben Welt. Sindse aber nicht.

Weiss nicht, ob sie das tun, auch wenn Google das nahe legt. Vielleicht sind sie derzeit wenig ängstlicher als wir, vielleicht ist aber nur unser Grad der Verunsicherung grösser.

Und woran könnte das liegen?

Betrachtet man sich die drei Statistiken bezüglich des Interesses an den Begriffen Angst, Angststörung oder Panikattacke in Deutschland, dann gibt es da eine Besonderheit. „Google Trends“ hält nicht nur fest, wie sich das Interesse an bestimmten Themen oder Suchbegriffen länderspezifisch oder weltweit entwickelt, sondern auch, auf Deutschland bezogen, wie der aktuelle Stand in den Bundesländern oder spezifischen Grossräumen ist. Weil in den Regionen unterschiedlich viele Menschen leben, müssen die Statistiken aber gewichtet werden, um sie vergleichbar zu machen. In Hamburg beispielsweise leben viel mehr Menschen als in der Gegend um Soltau, also ist auch davon auszugehen, dass in Hamburg viel mehr Menschen mit dem Begriff „Angststörung“ bei Google nach Informationen suchen als in Soltau. Um Hamburg und Soltau diesbezüglich aber dennoch vergleichen zu können, wird die Zahl aller „Angststörung“-Suchanfragen einer Region durch die Gesamtanzahl aller Suchanfragen in dieser Region geteilt, so erhält man die relative Häufigkeit. Und zu dem Zeitpunkt unserer Abfrage bei „Google Trends“ bezüglich der Häufigkeit der Suchanfragen zu dem „Thema” Angst und den „Suchbegriffen” Angststörung und Panikattacke, stand eine Region bei allen drei Abfragen an der Spitze. Die Region um Soltau beziehungsweise die im Heidekreis wohnenden Internetnutzer wurden in der Google-Statistik zur nationalen Referenz für das Thema Angst und die Suchbegriffe Angststörung und Panikattacke.

Soltau?

Seltsam, nicht? Mir wären auch andere Gegenden vorher eingefallen. Auf den ersten Blick eine eher beschauliche Region in der Lüneburger Heide. Ländlich und touristisch geprägt, dünn besiedelt. Was also könnte der Grund dafür sein, dass der Heidekreis zum Zeitpunkt der Trendabfrage für Google zur nationalen Referenz für Angst wurde? Wenn man ein bisschen im Internet recherchiert, stösst man schnell auf ein Thema, das die Menschen dort offenbar sehr beschäftigt. Nicht weit von Soltau, in Fallingbostel-Oerbke, liegt eine ehemalige Kaserne des britischen Militärs, ein kleines Dorf für sich, welches die Briten 2015 geräumt haben. Es dient jetzt aufgrund seiner gut erhaltenen Infrastruktur als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. 370 Flüchtlinge wohnten im letzten Juni in der Einrichtung, die insgesamt 7.500 Menschen beherbergen kann, was sie für die Politik interessant macht, die momentan nach geeigneten Immobilien für die sogenannten Ankerzentren sucht. Dort sollen künftig Flüchtlinge solange bleiben, bis über ihr Asylbegehren entschieden worden ist und sie entweder nach ihrer Anerkennung auf die Kommunen verteilt oder bei Ablehnung abgeschoben werden bzw. ausreisen müssen. Das heisst, dass erstens sehr viele Flüchtlinge für längere Zeit in diesem Fallingbostel-Oerbke beheimatet sein könnten und dass, zweitens, eine zunehmende Zahl der dann dort Wohnenden ziemlich frustriert sein werden, wenn ihr Asylantrag erst einmal abgelehnt ist und sie auf ihre Abschiebung warten. Und genau davor scheinen nicht wenige Menschen in der Region Angst zu haben. Wie übrigens auch an einem Ort in Schleswig-Holstein. Dabei war man in Fallingbostel-Oerbke im September 2015, als dort die Erstaufnahmeeinrichtung installiert worden ist, zumindest teilweise optimistisch. Man erhoffte sich, dass die Flüchtlinge den wirtschaftlichen Aderlass, den der Ort durch den Abzug der Briten erleiden musste, ein wenig ausgleichen könnten. Offensichtlich hat sich jetzt aber die Stimmung gedreht und es überwiegt die Furcht. Es ist gewissermassen eine Angst unter der Oberfläche, die sich aber in den Statistiken von Google durchaus deutlich manifestiert. Wenn sich die Stimmung also verändert hat, dann muss das mit den Erfahrungen zu tun haben, welche die Menschen in den letzten drei Jahren gemacht haben. Und zwar nicht mit den Erfahrungen vor Ort, denn 370 Flüchtlinge sind auch im Heidekreis eine eher überschaubare Zahl. Welcher Art diese Erfahrungen sein könnten, dafür liefert die R+V Langzeitstudie, die jährlich „die Ängste der Deutschen“ untersucht, einige Hinweise:

So äusserten 69 Prozent der Befragten Sorgen um eine gefährlichere Welt bedingt durch die Trump-Politik.

63 Prozent befürchten eine Überforderung von Deutschen/Behörden durch Flüchtlinge.

Ebenfalls 63 Prozent haben Angst vor Spannungen durch den Zuzug von Ausländern.

61 Prozent sorgen sich, dass die Politiker überfordert sein könnten.

Und noch 59 Prozent ängstigt der Terrorismus.

Unter den fünf grössten Ängsten der Deutschen finden sich demnach vier Ängste, die thematisch eher innenpolitischer Natur sind, da sie mehr oder weniger intensiv Belange der Inneren Sicherheit berühren. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass insbesondere die Ängste vor einer Überforderung der Politiker und Behörden im Vergleich zum Vorjahr um jeweils 6 Prozent gestiegen sind, während die Angst um den Terrorismus, eigentlich eine der grössten Gefahren für die Innere Sicherheit, um 12 Prozent gesunken ist. Das mag sich auf den ersten Blick widersprechen, hat aber vielleicht seinen Grund darin, dass eine der Hauptursachen für die terroristischen Anschläge in den letzten Jahren, der sogenannte IS, derzeit als besiegt gilt, wobei 59% natürlich immer noch ein hoher Wert sind. Abgelöst als der grösste Angstmacher der Deutschen wurde der Terrorismus durch die Angst vor der Trump-Politik, die 2018 erstmals untersucht wurde. Das ist gewissermassen eine neu erfasste Angst, die zu den anderen Ängsten hinzutritt und die einzige Angst unter den ersten fünf, die ihre alleinige Ursache im Ausland hat. Der Deutsche hat somit grösste Angst vor den Folgen der Politik einer auswärtigen Macht, seien diese militärischer oder wirtschaftlicher Natur, und sieht sich gleichzeitig im Inneren zunehmend mit in seinen Augen überforderten, um nicht zu sagen, unfähigen Behörden und Politikern konfrontiert.

Aussen erwächst dem Deutschen also eine unkalkulierbare Gefahr und gleichzeitig erodiert im Inneren das Vertrauen in eben jene Politiker und Behörden, die ihn eigentlich vor Gefahren des Äusseren und im Inneren schützen sollten, massiv. Und das Schlimme ist, dass die Ängste nicht irreal sind, sie sind vielmehr durchaus begründet, da sie sehr reale Ursachen haben.

Und die wären?

Neben einem irrlichternden US-Präsidenten sind es die ersten Anzeichen eines multiplen Organversagens innerhalb der staatlichen Gewalten bei dem, was man das Management der Flüchtlingskrise nennen könnte.

Die staatlichen Gewalten?

Nach dem demokratischen Prinzip der Gewaltenteilung wird die Gesamtstaatliche Gewalt nicht in einer Hand oder Institution vereint, sondern in drei Teile geteilt, die sich gegenseitig kontrollieren und begrenzen sollen. Diese sind: die Legislative als gesetzgebende Gewalt, die Exekutive als ausführende und vollziehende Gewalt und schliesslich die Judikative als rechtssprechende Gewalt.

Die erste staatliche Gewalt ist die Legislative, das sind in einer repräsentativen Demokratie wie der unseren die Parlamente, welche wiederum von durch uns gewählten Volksvertretern gebildet werden. Sie sind in Deutschland zuständig für den Erlass von Gesetzen, aber auch zumindest formal für die Kontrolle der der Exekutive, welcher wiederum die Bundesregierung angehört. Nun ist der Bundeskanzlerin nach der sogenannten Grenzöffnung bzw. der Nichtschliessung der Grenzen zu Beginn der Flüchtlingskrise aber auch immer wieder danach vorgeworfen worden, sie hätte eine einsame Entscheidung getroffen, die weder durch die Gesetzeslage, noch durch das Parlament, dem Repräsentant des Souveräns, also uns, gedeckt gewesen sei. Und da kann man sich natürlich fragen, warum Angela Merkel denn eigentlich nicht den Repräsentant gefragt hat? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, sich der Zustimmung des Parlamentes zu versichern. Der Bundestag bestand seinerzeit nur aus fünf Parteien: CDU, CSU, SPD, Grünen und der Linken. Natürlich hätte sie so eine Abstimmung haushoch gewonnen. Warum also hat sie nicht abstimmen lassen? Und da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, weil sie: erstens, den Anschein aufrechterhalten wollte, ihre einsame Entscheidung sei von Anfang an durch die Gesetzeslage gedeckt gewesen und müsse deshalb nicht noch nachträglich durch die Legislative legitimiert werden, denn dann hätte sie ja anfänglich womöglich doch unbefugt entschieden, und/oder zweitens, eine nachträgliche Legitimierung durch das Parlament hätte vielleicht offenbart, dass es doch einige gewählte Volksvertreter gab, die mit der Entscheidung der Kanzlerin nicht einverstanden gewesen waren und die fast ausschliesslich – glaubt man Robin Alexanders Darstellung in seinem Buch „Die Getriebenen“ – in den Reihen der Unionsparteien zu finden gewesen wären. Eine Offenbarung, welche die Kanzlerin tunlichst vermeiden wollte. Letztlich ist es in diesem Zusammenhang aber einerlei, warum sie wie entschieden hat, denn die Folgen für unser demokratisches System waren fatal. Die Legislative präsentierte sich in dieser für viele Menschen äusserst emotional berührenden Frage, der Flüchtlingsfrage, gegenüber dem Souverän wie ein monolithischer Block, eine Einheitspartei der Kanzlerin, eine geschlossene Front, die ganze zwei Jahre lang in dieser äusserst wichtigen Angelegenheit krass gegen den Willen wachsender Teile der Bevölkerung agierte. Eine freie Abstimmung von frei gewählten Volksvertretern, die nicht dem letztlich anti-demokratischen Fraktionszwang der Parteien unterworfen gewesen wären, sondern allein ihrem Gewissen, wie es das Grundgesetz auch fordert, wäre ein Segen für die deutsche Demokratie gewesen, denn sie hätte vielen Menschen im Land verdeutlicht, dass es sehr wohl demokratisch legitim als auch politisch korrekt sein darf, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin kritisch zu diskutieren, statt Kritik einfach nur totzuschweigen oder als rechtsextremistisch zu geisseln. Eine solche freie Abstimmung wäre ein wichtiger Beitrag gewesen, die Diskussion in dieser Frage zu versachlichen und dorthin zu verlagern, wo sie eigentlich hingehört, in die Legislative. Dies hätte die Polarisierung im Land im besten Falle eindämmen bzw. deren Verhärtung verhindern können. So aber sah sich ein wachsender Teil der Bevölkerung, des Souveräns mit – wie wir heute wissen – durchaus begründeten Ängsten in dieser sehr wichtigen Frage mit enormer Tragweite gänzlich allein gelassen oder anders formuliert: nicht mehr repräsentiert in ihrer eigenen repräsentativen Demokratie. Und das ist das Versagen der Legislative, sie bildete massive Ängste und Befürchtungen des Souveräns in sich selbst einfach nicht mehr ab, vielmehr blendete sie diese vollkommen aus – als seien sie gar nicht existent oder wenn doch existent, dann vollkommen irreal. Ängste, zumal wenn sie begründet sind, sind aber immer sehr real im Empfinden des Menschen und gedeihen gerade in einer Demokratie dann am besten, wenn die Regierung versucht sie als irreal zu kennzeichnen oder zu unterdrücken. Der Mangel an einer interparlamentarischen Opposition ist somit auch der Mangel eines politischen Ventils mit psycho-sozialer Funktion, das die Ängste der Menschen aufnehmen und in die politische Debatte hätte tragen können, stattdessen sahen sich viele Menschen, die in dieser elementaren Frage berechtigterweise anderer Meinung waren, mit einer geschlossenen Mauer der Ablehnung konfrontiert und zunehmend als rechstextremistisch diffamiert. Aber Angst sucht sich immer ein Ventil – und das ist auch gut so! Denn wenn die Angst steigt und steigt und steigt, aber nicht ventiliert werden kann, der Druck im Kessel immer grösser und grösser wird, kippt diese Angst irgendwann und fast zwangsläufig ins Pathologische. In dieser gefühlten Ausweglosigkeit einer heftigen Vertrauenskrise übernahm die AFD die psycho-soziale Funktion des politischen Ventils – und aus epidemiologischer wie auch demokratischer Sicht müsste man ihnen fast dankbar sein dafür. Denn was für eine Alternative hätten die Menschen sonst gehabt? Noch extremere Parteien wählen wie beispielsweise die NPD? Sich einen Termin beim nächsten Psychiater holen und dennoch diejenigen wählen, die sie als die Verursacher ihrer Ängste begreifen? Das ist ungefähr genauso schizophren, als wollte man Höhenangst dadurch bekämpfen, dass man im 10. Stock aus dem Fenster springt.

Das Versagen der Legislative in dieser Angelegenheit ist natürlich auch das Versagen der Exekutive, hier der Bundesregierung,  die – mal wieder – sehr erpicht war, ihren Dilettantismus als alternativlos zu verkaufen. Aber das Versagen der Exekutive kennt noch weitere Dimensionen, denn die Exekutive als ausführende oder vollziehende Gewalt umfasst ja weit mehr als nur die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin. Die Exekutive ist auch der ganze Apparat, den die Regierung braucht, um den Willen der Legislative – die ja nie gefragt worden war – umzusetzen, also beispielsweise der Öffentliche Verwaltungsdienst, alle Sicherheitsbehörden, die Staatsanwaltschaften oder der Justizvollzugsdienst. Schon gleich zu Beginn der Flüchtlingskrise, im Herbst 2015, zeigte sich recht schnell, dass die Einwanderungsflut weite Teile des Apparats überfordern sollte, was insbesondere die Sicherheitsorgane alarmierte. Behördenchefs wie Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, als auch Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums, wurden in Berlin vorstellig und warnten eindringlich davor, jeden Tag Tausende junge Männer unkontrolliert und ungeprüft einreisen zu lassen, das Sicherheitsrisiko sei zu viel gross. Insbesondere Dieter Romann soll insgeheim schon Vorkehrungen getroffen haben, die Grenze mit seiner Bundespolizei innerhalb kürzester Zeit schliessen zu können. Allein fehlte auf politischer Ebene die Traute auch den Einsatzbefehl zu geben. Und so kam es dann zwangsläufig zu der prophezeiten Überlastung der Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden mit den bekannten Folgen, was letztlich nicht verwunderlich war, denn kein Verwaltungsapparat und keine Polizei dieser Welt, zumal wenn sie personell so ausgedünnt war wie die deutsche, hätte dieser gewaltigen Herausforderung, Hunderttausende innerhalb einer nur sehr kurzen Zeitspanne ordentlich zu registrieren, erkennungsdienstlich zu behandeln, um sodann eindeutig ihre Identität festzustellen, standhalten können. In diesem Zusammenhang von einem Behördenversagen zu sprechen, wie es im Falle Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, getan wurde, der mit insgesamt 14 Identitäten durch Deutschland reiste, mehrfach Sozialleistungen bezog, mehrfach polizeilich auffällig bzw. straffällig wurde, aber dennoch nie aus dem Verkehr gezogen bzw. abgeschoben worden ist, kann deshalb nur die halbe Wahrheit sein. Richtiger ist, dass mit dem Entschluss, die Grenzen nicht zu schliessen, eine massive Überforderung der Verwaltungs- als auch Sicherheitsorgane faktisch in Kauf genommen wurde, worauf die Bundesregierung seitens der Sicherheitsorgane schon anfangs der Flüchtlingskrise und auch danach deutlich hingewiesen worden war. Das Versagen der Bundesregierung in dieser Hinsicht offenbart einen schweren Dissens zwischen verschiedenen Organen innerhalb der Exekutive, zwischen den obersten politischen Entscheidungsträgern und den nachgeordneten Sicherheitsorganen, wie dem Verfassungsschutz, der Bundespolizei, den Landespolizeibehörden und anderer Dienste. Man war sich nicht nur uneinig in der Beurteilung der Lage, sondern musste auf Seiten der Sicherheitsorgane auch Anweisungen entgegennehmen, die diese für falsch hielten. Und nicht nur für ein bisschen falsch, sondern grottenfalsch, weil es ihnen allein durch die Masse der hunderttausenden Neuankömmlinge unmöglich gemacht wurde, ihre Aufgaben ordentlich zu erfüllen. So was kann ziemlich frustrierend sein, vor allem dann, wenn sich abzeichnet, dass die Sorgen der Sicherheitsorgane nicht unbegründet waren, und das zeichnete sich trotz geschönter Polizeilicher Kriminalitätsstatistiken ab Sylvester 2015 ziemlich schnell und immer deutlicher ab. Dennoch schlug die Bundesregierung auch alle weiteren Warnungen in den Wind, was das Verhältnis zu den Sicherheitsorganen, insbesondere der Bundespolizei und des Verfassungsschutzes, zur Bundeskanzlerin stark belastete und somit den Dissens innerhalb der Exekutive nachhaltig verhärtete. Mit anderen Worten könnte man auch sagen, dass es zu einer tiefgreifenden Vertrauenskrise zwischen verschiedenen Organen innerhalb der Exekutive gekommen ist, die sich in den letzten drei Jahren noch verfestigte. Und zwar nicht nur bei den oberen Bundesbehörden sondern auch bis hinunter zu den normalen Streifenpolizisten der Landespolizeien, die immer öfter ihre Knochen hinhalten mussten für eine Politik, die sie in grossen Teilen nicht unterstützen und deshalb ihren Dienst immer frustrierter versahen. Sehr wahrscheinlich war die Entfremdung zwischen den Sicherheitsbehörden und der Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie grösser als jetzt, da sie im Frühsommer 2018 durch den Streit zwischen zwei weiteren Organen der Exekutive, Bundeskanzlerin und Bundesinnenminister, noch verschärft wurde, als es dem Bundesinnenminister nicht gelang, die wichtigste Forderung seiner Sicherheitsbehörden, die Abweisung bereits anderweitig in der EU registrierter Flüchtlinge an der Grenze, gegen die Bundeskanzlerin durchzusetzen. Nach dem Mord an Susanna durch einen irakischen Flüchtlinge durfte die Nation dann einige Aktionen von Vertretern der Sicherheitsorgane bestaunen, die irgendwo auf einem schmalen Grat zwischen Defätismus und Revolte oszillierten, wie die Rückführung des mutmasslichen Mörders von Susanna aus dem Irak durch den Chef der Bundespolizei Dieter Romann höchstpersönlich; die Überführung des sogenannten Bin Laden-Leibwächters Sami A. nach Tunesien, kurz bevor ein Beschluss des Verwaltungsgerichts, der dies verbot, zugestellt werden konnte; der Disput des sächsischen LKA-Mitarbeiters mit einem ZDF-Team auf einer Anti-Merkel-Demo vor laufender Kamera; die Veröffentlichung des Haftbefehls einer der Täter von Chemnitz durch einen Justizvollzugsbeamten, woraufhin die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen 18 Verdächtige aufnahm, darunter weitere Vollzugsbeamte in Dresden; die Äusserungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, der im offenen Widerspruch zur Bundeskanzlerin und ihres Pressesprechers die Authentizität eines Videoschnipsels bezweifelte und die Tötung eines Chemnitzers anders als die ermittelnde Staatsanwaltschaft nicht als Totschlag sondern als Mord klassifizierte. Nun könnte man natürlich schreiben, das seien alles Zufälle, allerdings wären das dann schon ziemlich viele Zufälle in letzter Zeit, die wohl eher grundsätzliche Anzeichen weiter steigender Resignation und Frustration innerhalb der Sicherheitsorgane sind, die auch mit nur wenig Phantasie als Symbole des Widerstandes gegen Merkels Flüchtlingspolitik gedeutet werden können, welche ursächlich dafür ist, dass – wie es der ehemalige BND-Chefs Gerhard Schindler formulierte – viele Mitarbeiter der Sicherheitsdienste „ihren Dienst mit der Faust in der Tasche versehen“. Letztlich ist es aber auch hier bezüglich der Öffentlichkeit einerlei, was die genauen Ursachen dieses Verhaltens sind, da die Wirkung in weiten Teilen der Bevölkerung so oder so verheerend ist, weil sich hier ein Staat präsentiert, dessen Legislative zwei Jahre lang die Befürchtungen weiter Teile der Bevölkerung totschwieg oder unterdrückte oder als rechtsradikal brandmarkte und dessen Exekutive jetzt zum einen überfordert und zum anderen innerlich zerstritten ist oder anders formuliert: die ganze Angelegenheit nicht im Griff hat. Eine verunsicherte Exekutive ist aber nicht unbedingt das, was eine in weiten Teilen ebenfalls verunsicherte Bevölkerung zu ihrer Beruhigung braucht.

Und jetzt würde man natürlich gerne schreiben, dass sich zumindest die dritte Gewalt im Lande, die Judikative, in den Zeiten um sich greifender allgemeiner Verunsicherung als der erwartete Fels in der Brandung erwiesen habe, der der Bevölkerung Halt und Zuversicht gäbe und an dem sie sich wieder aufrichten könne. Eine Judikative, oftmals als unabhängig beschworen, da die Richter anders als die Staatsanwaltschaft nicht weisungsgebunden sind, welche die Dinge im Sinne der Gewaltenteilung korrigiert, kontrolliert, ausbalanciert, ordnet, regelt und so zumindest den gröbsten Mist, den Legislative und Exekutive in der letzten Zeit so verzapft haben, wieder gerade bügelt. Allein ist es schon mit der viel gepriesenen „Unabhängigkeit“ der dritten Gewalt in deutschen Landen nicht viel her. Und das hat seinen geschichtlichen Grund, denn als die Verfassungsväter seinerzeit nach dem Kriege die Verfassung schnitzten, war ihnen wohlbewusst, dass die neu zu schaffende Bundesrepublik sich zumindest in Teilen des alten Justizapparats der Nazis wird bedienen müssen – es gab ja keinen anderen. Also war es ein Gebot der politischen Klugheit und Vorsicht die Judikative unter die Aufsicht der Exekutive zu stellen, um bei Bedarf in der Lage zu sein, Korrekturen vorzunehmen zu können. Nun sind die alten Nazi-Richter alle schon längst in die Gruft gefahren, aber irgendwie hat man wohl seitens der Exekutive „vergessen“, die Verfassung inzwischen dergestalt zu überarbeiten, dass die Judikative gemäss des demokratischen Prinzips der Gewaltenteilung eine grössere Unabhängigkeit geniesst. Warum das so ist, kann nur vermutet werden, aber man liegt vielleicht nicht ganz falsch, wenn man eben vermutet, dass eine beaufsichtige Judikative für die Exekutive einen gewissen praktischen Nutzen hat, da sie ihr so kaum in die Quere kommen kann. Und so entscheidet auf Bundesebene neben einem Richterwahlausschuss letztinstanzlich immer ein Bundesminister als Mitglied der Exekutive über die Besetzung von Bundesrichterstellen. Auf Länderebene differieren die Verfahren für die Auswahl der Landesrichter, sie sind jedoch auch durch eine mehr oder weniger grosse Einflussnahme durch die Exekutive gekennzeichnet. Diese gängige Praxis, dass neben der fachlichen Eignung bei der Richterauswahl als auch weiteren Richterkarriere offensichtlich die parteipolitische Ausrichtung der Kandidaten eine nicht unerhebliche Rolle spielt, wird schon seit Jahrzehnten kritisch diskutiert, so ist beispielsweise auf Wikipedia zu lesen: „Der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde spricht von „Parteipatronage“ und „personeller Machtausdehnung der Parteien“.“ Und auch Heribert Prantl – ja, genau der – stellte bereits 2006 fest: „Die Justiz wird von der Exekutive verwaltet und mit Personal ausgestattet. Die Richter sind einem System der Bewertung unterworfen, das von einem Ministerium, also von der Exekutive, dirigiert wird. In manchen Landesministerien werden die Gerichte sogar als „nachgeordnete Behörde“ bezeichnet. (…) In der Empfehlung des Europarates über die Rolle der Richter und in den Kriterien der Europäischen Union über die Aufnahme neuer Mitgliedsländer heißt es: „Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde sollte von der Exekutive unabhängig sein.“ Das ist so in Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Dänemark und in den Niederlanden – in Deutschland nicht. Deutschland wäre also, wäre es nicht schon Kernland der EU, ein problematischer Beitrittskandidat.“  Und obwohl dem so ist, attestiert Prantl den deutschen Richtern eine gute Arbeit, die Urteile seien im „allgemeinen ganz ordentlich“ und die Verfahrenslänge kürzer, als man angesichts anderer Umstände wie chronischer Unterbesetzung und mangelhafter Ausstattung glauben sollte, das sei, so meint jedenfalls Prantl, ein Wunder: das Wunder der deutschen Justiz. Wie gesagt, das schrieb er 2006, ob er das heute auch noch so schreiben könnte, darf bezweifelt werden, denn insbesondere die Verwaltungsgerichte würden sich derzeit sehr wahrscheinlich nicht als ein Wunder der deutschen Justiz begreifen, vielmehr brauchen sie mittlerweile selbst dringend ein Wunder.  Bereits 2017 wurden vor den deutschen Verwaltungsgerichten 300.000 Verfahren in erster Instanz verhandelt werden, das sind doppelt so viel wie noch 2015. Grund für diesen Anstieg sind immer mehr Verfahren von Asylbewerbern, die gegen die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) klagen, das waren allein 200.000 Fälle aller vor den Verwaltungsgerichten erstinstanzlich anhängigen Verfahren. Der Vorsitzende des Bundes der deutschen Verwaltungsrichter Robert Seegmüller klagte: „Die Lage der Verwaltungsgerichte – vor allem die der erstinstanzlichen – kann man nur als dramatisch bezeichnen (…). Damit stoßen wir komplett an unsere Grenzen. Wir sind völlig überlastet. Es fehlt Personal, es fehlen Räume.“ Aber nicht nur die grosse Anzahl der Neuverfahren bringt die Richter an den Rand der Überforderung, sondern auch die besonderen Umstände dieser Verfahren, da jedes gesprochene Wort für Kläger und Richter übersetzt werden muss, und oft auch nur eine ungenügende Mithilfe seitens des BAMF gewährleistet sei, welches hinsichtlich der Prozessunterstützung offenbar massiv personell unterbesetzt ist. Und so ziehen sich die Verfahren in die Länge, steigt die Arbeitsbelastung der Richter immens und ist kein Ende abzusehen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr verständlich, dass das mit der Abschiebung von Sami A. befasste Verwaltungsgericht mehr als nur düpiert war, als es feststellen musste, dass die Abschiebung von Sami A. durch die Bundespolizei bereits vollzogen worden war, bevor das gerichtliche Abschiebeverbot zugestellt werden konnte. Die Justiz war, so hat man jedenfalls den Eindruck gewinnen können, durch Teile der Exekutive ausgetrickst worden, und keilte daraufhin beleidigt zurück, berief sich auf die „Unabhängigkeit” der Judikative, liess die juristischen Muskeln spielen, stufte die Abschiebung als grob rechtswidrig ein und forderte vom Ausländeramt Bochum, welches über die Abschiebung formal entschieden hatte, unter Androhung von einem Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro die Rücküberführung von Sami A. in die Bundesrepublik, wohlwissend, dass das objektiv unmöglich war, da der tunesische Staatsbürger Sami A. zunächst im Gewahrsam der tunesischen Behörden verblieb und später mit einem Ausreiseverbot belegt wurde. Es entspann sich also in der Causa Sami A. ein Dissens zwischen Organen der Exekutive und der Judikative, der zu einem offenen Streit eskalierte, welcher sich dann auch noch steigerte, als die Stadt Bochum Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes bei der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, einlegte, die prompt zurückgewiesen wurde. Nun kann man ja sagen, dass das alles formaljuristisch superkorrekt gelaufen ist und dann kann man den Rechtsstaat feiern und die Unabhängigkeit der Judikative sowieso und – na klar – das stimmt auch alles irgendwie oder so, aber die Wirkung, die man in der Öffentlichkeit, beim Bürger damit erzielte, war mehr als fatal. Denn Sami A. war nicht irgendein Abzuschiebender, er wird verdächtigt Mitglied der Al Qaida gewesen zu sein, in der er vermutlich bis zum Leibwächter Osama Bin Ladens aufgestiegen ist, ausserdem soll er mit führenden Terroristen und Planern der Anschläge vom 11. September 2001 und Djerba 2002 persönlich bekannt gewesen sein und während seiner Zeit in Deutschland betätigte er sich als unter anderem als salafistischer Prediger, der für die Errichtung eines islamischen Gottesstaates warb und hartnäckig versuchte, junge Gläubige zu radikalisieren und für den Dschihad zu rekrutieren. Sami A. war somit über Jahre hinweg Gegenstand der Berichterstattung der Medien, nicht nur des Boulevards, und wurde so mehr und mehr zu einem sehr prominenten Symbol der Unfähigkeit des Rechtsstaates, sich erwiesener Gefährder zu entledigen, da sich die Bundesrepublik im juristischen Drahtverhau verhedderte und bis zum Juli 2018 12 Jahre lang – in Worten: ZWÖLF! JAHRE! lang – erfolglos bemühte, Sami A. rechtsstaatskonform auszuweisen oder abzuschieben. Und als die Abschiebung endlich vollzogen worden war, ordneten ein Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht an, ihn wieder zurückzuholen. So was nennt man wohl einen Super-Gau in Sachen Flüchtlingsmanagement-Öffentlichkeitsarbeit, denn wenn es der Exekutive unseres Rechtsstaats nur unter mehr oder weniger geschmeidiger Umgehung der Judikative unseres Rechtsstaates gelingen kann, einen mutmasslichen Gefährder nach 12 Jahren erfolgloser Rechtsstaatsverfahren endlich abzuschieben, dann muss irgendwas faul sein im Rechtsstaat. Und das versteht dann sogar der vertrauensseligste Bürger, der hier zur Kenntnis nehmen muss, dass neben einer lange Zeit ignoranten Legislative, die in wachsenden Teilen der Bevölkerung ein Gefühl der Ohnmacht (ohne Macht) hervorrief und einer innerlich zunehmend zerstrittenen Exekutive, deren Sicherheitsorgane erste Anzeichen der Opposition gegen die Bundeskanzlerin erkennen lassen, jetzt auch die Judikative offensichtlich nicht in der Lage oder vom Rechtsstaat in die Lage versetzt worden ist, der „Flüchtlingskrise“ rechtsstaatlich und effizient zu begegnen. Eine Erkenntnis, die angesichts von bereits 200.000 offenen Asylrechtsverfahren im Jahre 2017 vor den Verwaltungsgerichten in erster Instanz und noch zu erwartenden weiteren hunderttausenden Verfahren in den nächsten Jahren das Vertrauen in den Rechtsstaat nochmals rapide schwinden liess.

Nachdem die reformpflege ein wenig hat darauf warten müssen, dass der ganze Zirkus endlich in die leider erwartete Richtung abbiegt, ist der letzte Teil von “Alles Nazis – ausser Mutti!” etwas arbeitsintensiv ausgeufert, sodass er in zwei Folgen erscheinen muss. Die zweite Folge beleuchtet unter anderem die Vierte Gewalt im Land und – naja – den ganzen anderen Wahnsinn und erscheint, wenn er fertig ist. Wann denn sonst!

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