Der Souverän raucht

Von Oliver Zajac

One Monkey Don’t Stop No Show

Stick McGhee

Ab irgendeinem Punkt habe ich mir gedacht, du musst toleranter werden, Souverän, bringt ja nichts, sich ständig aufzuregen. Entspann Dich, schau ein bisschen Fussball und fahr nach Mallorca. Und ich muss sagen, zwischenzeitlich gelang mir das ganz gut. Ich regte mich einfach nicht mehr auf. Ich war jetzt tolerant, startete jeden Morgen mit einem Lächeln in den Tag und fügte mich in die wärmende Gewissheit, dass die Prinzen in Brüssel und anderswo, die alle nur mein Bestes wollen, sich tagtäglich und aufopferungsvoll den Kopf zerbrechen, wie es mir noch besser gehen könnte. Nur manchmal, wenn ich durch meine Ländereien spazierte und auf einige meiner Prinzen traf, die mich alle ausnahmslos wissend lächelnd mit einem Kopfnicken grüssten und dabei kurz die Augen schlossen, konnte ich mich des Eindrucks nicht immer erwehren, dass hinter diesem Lächeln mehr als genug Gründe für ziemlich viele Aufregungen verborgen liegen könnten. Aber diesen Gedanken verscheuchte ich gleich wieder, grüsste lächelnd zurück, wobei ich die Augen dann doch lieber offen behielt. Warum, sollte ich dann einige Zeit später erfahren, als ich, wie jeden Freitag, das kleine Kiosk aufsuchte, um meine wöchentliche Stange Zigaretten und die Wochenzeitung, die immer donnerstags erscheint und die ich gelegentlich lese, zu kaufen. Die Wochenzeitung bereits in den Händen, las ich einen Artikel mit der Überschrift „ Diktatur des Souveräns“ auf der ersten Seite kurz an, worin ein bestimmt sehr schlauer Mensch aus aktuellem Anlass  aufgeschrieben hatte, dass es besser ist, die wirklich wichtigen Angelegenheiten allein durch die Prinzen besorgen zu lassen, statt die Verantwortung mir zu überlassen, da ich nämlich im Grunde ein ziemlich verantwortungsloser und blöder Depp sei, der seine politischen Entscheidungen nur emotional treffen und deshalb auf die Versprechungen von allerlei Populisten nur zu gern hereinfallen würde. Da überlegte ich mir, nur zu stolz auf meine gute Führung in der letzten Zeit, dass ich Depp ja immerhin auch die Prinzen ausgesucht hatte, die mich doch immer so nett grüssen und die ganz sicher nur mein Bestes wollen und sich Tag und Nacht den Kopf zerbrechen, wie es mir noch besser gehen könnte. Und da lächelte ich gewiss, nickte bestätigend mit dem Kopf und schloss diesmal sogar die Augen, denn so blöd, wie der Schreiberling meinte, konnte ich also gar nicht nicht sein, aber als ich die Augen wieder öffnete, lag auf dem Artikel der Wochenzeitung meine Stange Zigaretten, welcher der Herr Kioskverkäufer in der Zwischenzeit aus seinem Zigarettenstangenlager geholt hatte. Aber diese Stange Zigaretten sah ganz anders aus als alle vorhergehenden, denn auf den Packungen prangten ekelerregende und schaurige Bilder mit verfaulten menschlichen Organen oder Zähnen, Blut hustenden Menschen, Leichen, Menschen, die kleinen Kindern Zigarettenqualm aus nächster Nähe ins Gesicht blasen, Kindern auf der Totenbahre und allerlei Widerwärtiges mehr. Ungläubig nahm ich die Stange Zigaretten in die Hand, drehte sie um, wo mich diese Bilder sogleich wieder erwarteten, die zusammen mit den Hinweisen. „Rauchen kann ihr ungeborenes Kind töten“ oder „Rauchen schädigt ihre Lunge“ oder „Rauchen versucht Herzanfälle“ mehr als die Hälfte der gesamten Packungsoberfläche einnahmen und schaute den Verkäufer entsetzt an, bis der sagte, das haben die Prinzen in Brüssel beschlossen und die Prinzen in Berlin nun umgesetzt, alle Zigarettenpackungen müssten dergleichen jetzt auf ihrer Oberfläche tragen. Und da dachte ich zutiefst erschrocken darüber nach, was ich den Prinzen eigentlich getan hatte, dass sie mich so quälen wollen, war mir aber keiner Schuld bewusst, denn ich tat ja nichts Verbotenes, indem ich mir draussen im Garten eine Zigarette ansteckte, selbst wenn ich dadurch den eifernden Zorn einer offensichtlich durchgeknallten Nichtraucher-Lobby auf mich zog, deren Sendungsbewusstsein das der Taliban mittlerweile bei Weitem übertraf. Und vielleicht, wer weiss das schon, würde ich der Allgemeinheit durch mein vorzeitige Ableben als Raucher auch einen Haufen Gesundheitskosten ersparen, denn jeder stirbt einmal und nicht ein jeder Tod ist kostengünstig. Aber dann wurde mir schlagartig klar, was die Prinzen eigentlich über mich dachten, wenn sie mich lächelnd grüssten, sie hielten mich wie der Schreiberling im Grunde ihres Wesens für einen Deppen, der nicht wissen konnte, das Rauchen gesundheitsschädlich sei, weshalb sie mir dies auf die dämlichste und widerwärtigste Art immer wieder sagen mussten, da ich zudem ihrer Ansicht nach auch mein Recht auf Selbstbestimmung verwirkt habe und sie mich deshalb bis in die hintersten Winkel meiner Privatheit mit ihren schikanierenden, diskriminierenden und terrorisierenden Bildchen zu drangsalieren gedachten. Und da spürte ich in mir eine grosse Aufregung aufsteigen, die zudem zum allerersten Male in mir den mehr als dringenden Wunsch gebar, jemand möchte mir bitte genau jetzt auf die Schulter tippen und die in diesem Moment göttlichen Worte sprechen: “Guten Tag, ich bin ihr EU-Abgeordneter aus Brüssel!“, woraufhin ich mich todsicher augenblicklich umgedreht hätte, um ihm einen gewaltigen rechten Schwinger zu zentrieren.

Und dass ich das dachte, bewies mir zweierlei: erstens, dass die Prinzen es in ihrer impertinenten Arroganz und Unverschämtheit tatsächlich so weit gebracht haben, dass ich nicht nur für einen Augenblick den dringenden Wunsch verspürte, einem Menschen, der mir persönlich vollkommen unbekannt ist, körperliche Gewalt anzutun und mich jetzt noch nicht einmal schäme, das auch aufzuschreiben, und zweitens, dass ich noch nicht einmal wusste, wer sich für mich in Brüssel angeblich seinen Hintern breit sitzt, denn es könnte ja auch eine Frau sein, die mir auf die Schulter hätte tippen sollen, was meiner Gewaltphantasie dann ein jähes Ende bereitet hätte. Und sehr wahrscheinlich weiss das niemand so genau, wer sich für ihn oder sie in Brüssel den Hintern breit sitzt. Wahrscheinlich könnte man auf jedem Marktplatz der Republik eine Umfrage starten und vielleicht weiss dann gerade mal jeder Fünfzigste, welcher Prinz oder welche Prinzessin ihn oder sie in Brüssel vertritt. Und dass das so ist, hat natürlich damit zu tun, dass die Bonner Prinzen seinerzeit mal wieder vergaßen, als sie sich anschickten, die EU zu konstruieren, mich zu fragen, ob ich denn mit dieser Art der EU auch einverstanden bin. Und da sie dies vergaßen, und deshalb vielleicht auch ein schlechtes Gewissen oder vielmehr die Angst haben, ich könnte ihnen ihre Eigenmächtigkeit immer noch übel nehmen, schummeln sie die demokratische Legitimation der EU-Prinzen immer ein wenig an mir, dem Souverän, vorbei, da EU-Wahl und Kommunalwahl zumindest in Baden-Württemberg immer auf den gleichen Tag fallen. Und wenn ich, der Souverän, mich also auf den Weg ins Wahllokal mache, da ich meiner (vermeintlich) kommunalbasisdemokratischen Verantwortung majestätisch nachzukommen gedenke, drückt mir der Wahlhelfer ungefragt auch immer die EU-Wahlzettel in die Hand, um meinen Namen sodann im Wählerverzeichnis flugs auszustreichen und nach oben vermelden zu können: “Der Souverän, er hat gewählt!” Das hat er aber nicht, denn ich kann nur wählen oder entscheiden in einem System, das ich verstehe und ich verstehe nicht, was ein EU-Parlament ist, welche Befugnisse es hat, was ein Kommissar macht oder ein Europarat und wie sich die Zuständigkeiten und Befugnisse unter den europäischen Institutionen als auch den nationalen aufteilen, und weil es dem ganz überwiegendem Teil der Wähler, die auf einer Kommunalwahl von einer Europawahl überfallen werden, genauso geht, ist wahrscheinlich noch nie ein Europaparlament demokratisch legitimiert gewesen. Denn Unkenntnis und Ahnungslosigkeit sind keine Voraussetzungen für demokratische Legitimationen. Unkenntnis und Ahnungslosigkeit können, wenn überhaupt nur eine Lobbykratie der Eliten legitimieren, welche jedes noch so blödsinnige Anliegen vermögender Interessengruppen zuverlässig in Gesetzesform gießt. Aber vielleicht, so dachte ich mir dann, ist genau das ja gewollt, dass das Europaparlament eigentlich gar keiner demokratischen Legitimation bedarf, dass es einfach bei einer Kommunalwahl durchgewunken wird, ohne dass der Wähler überhaupt weiß, was, wen und warum er wählt, und es deshalb den EU-Prinzen vollkommen schnuppe ist, was der Wähler überhaupt denkt oder wen er wählt. Denn nur so lässt es sich erklären, dass sie überhaupt kein Problem damit haben, ganz Europa mit ihren widerwärtigen Bildchen und dämlichen Botschaften zu überfluten, die auf Millionen von eu-europäischen Rauchern in den Kiosken, Tankstellen, Bars und Einkaufscentern des Kontinents warten, um ihnen dutzendfach aufgereiht in den Verkaufsregalen die frohe Botschaft des Parlaments in Wort und Bild zu verkünden, die da lautet: Ihr seid potentielle Kindermörder, ihr seid Sozialschmarotzer, ihr seid unmündig, ihr seid unverantwortlich, ihr seid eine Gefahr, ihr seid im Prinzip der allerletzte Dreck, denn nur deshalb müssen wir so einen ekelerregenden Aufwand betreiben, weil ihr der Auswurf und Abschaum unser Gesellschaft seid, der uns von einer besseren Welt trennt. Und damit nicht genug, werden diese Botschaften den Rauchern immer und immer wieder ins Gedächtnis gerufen, wenn sie zu ihren Schachteln greifen, um sich eine neue Zigarette anzustecken, fünfmal, zehnmal, zwanzigmal am Tag, immer und immer wieder, bis in den Köpfen von immer mehr Rauchern der immer sehnlichere Wunsch pocht, es möge ihnen endlich ein Jemand auf die Schulter tippen. Manchmal aber, so dachte ich dann, manchmal braucht es gar keinen Jemand, denn manchmal ist nämlich Referendum, und erinnerte mich, dass auch in Großbritannien die EU-Tabakverordnung und zwar noch schärfer, als eigentlich verlangt, am 20. Mai umgesetzt wurde, und malte mir aus, wie dann die Alt-Zigarettenschachteln verkauft und verbraucht wurden, bis dann, kurz vor dem Referendum am 23. Juni, gerade kurz genug davor, um den Abstumpfungseffekt, den solche Bilder und Botschaften natürlich irgendwann hervorrufen vor der Wahl noch nicht eintreten zu lassen, die neuen Schachteln in den Handel kamen, und Millionen von britischen Rauchern, denen – man glaubt es kaum – das Wahlrecht immer noch nicht aberkannt worden ist, die frohen Botschaften der EU dann in den Händen hielten und somit in aller Deutlich- und Überheblichkeit erfuhren, was das Europaparlament eigentlich von ihnen denkt.

Und natürlich hat der Wochenzeitungsschreiberling recht, wer wollte denn dies bestreiten? Ich, der Souverän, fälle meine politischen Entscheidungen sehr oft zu emotional, aber der Verführungs-Populisten bedurften meine britischen Kollegen nicht, deren Geschäft besorgte die EU, und nicht nur durch die Tabakverordnung, mit Unterstützung des lebenden Hosenanzuges und seiner EU-vergessenen Flüchtlingspolitik fast ganz allein. Eigentlich ist es beinahe ein politisches Wunder, dass Großbritannien unter diesen Umständen dennoch mit 48 Prozent für den Verbleib stimmte. Das beweist, so dachte ich, was für eine Bindungskraft die europäische Idee immer noch hat, obwohl es seit Jahren wie ein leckgeschlagenes Boot auf einer Sandbank liegen gelassen worden ist, bis sich die Bürokraten und Lobbys ihrer bemächtigt haben und sie nun nicht mehr hergeben wollen. Aber vielleicht wird der Brexit in der Zukunft von den Historikern als heilsamer Schock verstanden, den Europa dringend nötig hatte, um sich zu reformieren und eine großartige Idee in die Zukunft zu retten. Wer weiß das schon? Bis es aber soweit ist, könnte es vielleicht als schnelle Soforthilfemaßnahme ausreichen, wenn einer der 30.000 EU-Bürokraten mit einer Flex das Brüsseler Leichenschauhaus aufsucht, einer Leiche die Schädelkalotte auffräst, ein Foto von deren Gehirn macht – schön prall und in Farbe – und danach jeder EU-Abgeordneter per Verordnung gezwungen ist, dieses Foto mehrmals – fünfmal, zehnmal, zwanzigmal – am Tag zu betrachten und auch die weiter unten stehende Botschaft immer und immer wieder zu lesen, die da lautet:

“Dies ist das Organ, das ihr viel zu selten benutzt, ihr Idioten!“

Gerne auch in französischer und englischer Sprache.

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