Alles Nazis – ausser Mutti! Letzter Teil

Und schon die ganze Zeit schon nämlich hat sich der Chef gefragt, warum der äh.., der äh.., also der Typ von den Grünen, der wo immer so mittem hochroten Kopf, wenn… also, der mit den blond halblangen Haaren und dem – joah – Vollbart, warum der immer seine Barthaare so dämlich geschnitten hat. Also eigentlich, so meints jedenfalls der Chef, hat der nämlich gar kein richtigen Vollbart sonnern nur son Dreitagebart mit angeschlossenem Kinnbart oder so. Und deshalb hat sich der Chef, weil der nämlich n echter Vollbartträger – aber hallo! – is, wenn er ma wieder diesen Typ von den Grünen im Staatsrundfunk seine Weisheiten hat verkünden hören, grad so als hätter ne heisse Kartoffel im Mund, gefragt, warum der immer seinen Oberlippenbart so behämmert rasiert hat, also gerade son paar Millimeterchen lang, statt so, wie’n unser Chef trägt, also bis knapp runter zur Unterlippe. Und da konnte sich der Chef nie so richtig n Reim drauf machen, bisser neulich ma wieder inner Grossstadt in soner Bar hängengeblieben is und sich da direkt am Tresen n Mojito bestellte, um dann zu der Brünetten neben ihm so ganz beiläufig, versteht sich, ma rüberzulächeln, worauf der Chef sich einbildete, die Brünette hätte zurückgelächelt, als der Barkeeper gerade wieder aufkreuzte und fragte, ob auch n Plastik-Strohhalm ok wär, weil er hätte jetzt keine anderen mehr. Und da nuschelte der Chef dann so was wie, das sei ihm wurscht, nahm seinen Mojito in Empfang, wandte sich dann wieder zu der Brünetten hin, die ihm, dem Chef, aber auf eima die kalte Schulter zeigte. Tja, hat der Chef sich aber erstma nix draus gemacht und dann halt seinen Mojito son bisschen rumgerührt mim Strohalm und son bisschen probiert mim Strohhalm, zuerst n bisschen weiter unten im Glas bei den Limetten, dann bisschen weiter oben beim Rum, um dann noch n bisschen die Minze mim Strohhalm zu zerstampfen, so wie das der Chef immer macht mim Mojito, um nämlich die perfekte Mischung herzustellen. Und wie der Chef da so beschäftigt ist mit seim Mojito und dem Strohhalm, fragt er sich sich auf einma, obs vielleicht am Strohhalm gelegen haben könnte, dass die Brünette ihm die kalte Schulter zeigt, weil bis zu dem Moment, als er den Plastik-Strohhalm orderte, sei ja eigentlich alles ok gewesen. Und da grübelte der Chef, wassen jetzt das Problem mim Strohhalm sei, kam aber natürlich nicht drauf, weshalb er, als er den zweiten Mojito in Auftrag geben wollte, den Barkeeper fragte, wassen jetzt das Problem mit dem Strohhalm is. Und da sagte der Barkeeper, dass ihm leider die Öko-Strohhalme ausgegangen seien, da die Start-up-Herstellerfirma aufgrund zu grosser Nachfrage derzeit nicht regelmässig  liefern könnte, und er nur noch n paar alte Plastik-Strohhalme habe und deshalb jedem Gast die Entscheidung überlasse, ob er mit denen die Umwelt verpesten wolle oder nicht. Und da schaute der Chef auf seinen schwarzen Plastik-Strohhalm und dann wieder fragend auf den Barkeeper, worauf der dem Chef verklickerte, dass diese Dinger einen gigantischen ökologischen Fussabdruck hinterlassen würden, weil die ungefähr 500 Jahre bräuchten, bis se sich endlich zersetzt hätten und dass allein Deutschland über 40 Milliarden – das muss man sich ma vorstellen, sagte der Barkeeper – 40! Milliarden! Plastik-Strohhalme! jährlich verbrauchen würde, was ein 25.000 Tonnen schwerer Berg wäre, und dass die USA nochmal 145 Milliarden jährlich verbrauchen jährlich, womit man problemlos so 46.400 US-Schulbusse randvoll füllen könnte. Und während sich der Chef noch fragte, was sein persönlicher Mojito-Plastik-Strohhalm mim amerikanischen Schulbus zu tun hat, hielt ihm der Barkeeper sein Smartphone unter die Nase, wo’n Filmchen lief, in dem man sehen konnte, wie irgendjemand einer Meeresschildkröte einen Strohhalm aus der Nase zog und dann quatschte er weiter, dass die Ozeane zunehmend plastikvermüllt sind, wobei der Strohhalm mittlerweile schon auf Rang 5 der am häufigsten aus dem Meer gefischten Gegenstände gelandet is. Tja, und da schluckte der Chef, das olle Landei, konnte der doch nicht wissen, dass der neue Eisbär jetzt ne Schildkröte is. Dann schaute er rüber zu der Brünetten, die ihn, jetzt wieder zugewandt, bedächtig nickend und wenig freundlich mit den Augen fixierte, worauf der Chef – vielleicht auch nur, um bei der Brünetten doch noch zu punkten – instinktsicher sofort auf Linie einschwenkte und fast schon n bisschen feierlich seinen zweiten Mojito ausdrücklich ohne Strohhalm bestellte, um den ersten wiederverwenden zu können, wie er ausserdem noch kundtat, was ihn – joah – bei der Brünetten aber nicht mehr wirklich zurück ins Rennen brachte, auch dann nich, als er im weiteren Verlauf des Abends das Kunststück fertig bringen sollte, noch weitere 8 Mojitos mit nur einem einzigen Strohhalm zu trinken!

Tja, und irgendwie schlief der Chef trotz der vielen Mojitos nicht so wirklich gut in dieser Nacht, denn alser endlich eingeschlafen war, sah er sich im Traum in seinem Garten sitzen und zwar in seiner üblichen Freizeit-Uniform, also in Hawaii-Shorts, Wifebeater-Unterhemd und Birkenstocklatschen, denn unser Chef is nämlich Ästhet, versteht sich, deshalb trank er auch in diesem Traum seinen sommerlich selbstgemachten Öko-Bio-Fair-Trade-Eistee selbstredend wie immer mim Strohhalm, weil der Chef sich ja den Oberlippenbart bis knapp runter zur Unterlippe wachsen lässt, und er’s echt nicht leiden kann, wenn der Oberlippenbart sich voll Öko-Bio-Fair-Trade-Eistee saugt, sollte er keinen Strohhalm beim Öko-Bio-Fair-Trade-Eistee-Trinken benutzen. Denn auch wenns Typen geben soll, die kein Problem damit ham, noch die Geschmacksnoten der in den letzten 6 Wochen verkosteten Gin-Sorten aus dem Oberlippenbart herauszulutschen, bevorzugt der Chef, ganz der Ästhet, der er numa is, einen neutralen Oberlippenbart-Geschmack. Also nestelte der Chef in seinem Traum einen Plastik-Strohhalm aus der Plastik-Strohhalm-Plastikverpackung und wollte ihn gerade zwischen die Chrushed-Ice-Partikel seines Öko-Bio-Fair-Trade-Eistees stecken, als den Strohhalm auf einmal eine Windböe erfasste – das is ein im Nordschwarzwald gar nicht ma so seltenes Wetterphänomen – und den Plastik-Strohhalm aus der Hand vom Chef wand und in die Lüfte erhob. Und so sah der Chef in seinem Traum, wie sein Strohhalm immer luftigere Höhen erklomm und aus dem Dorf, in dem dem Chef sein Garten is, Richtung Wald herausflog. Und der Wind trieb weiter sein Spiel mim Chef sein Strohhalm im Traum vom Chef, blies den Strohalm also immer höher und weiter, auch noch übern Wald hinweg, bisser das Nagoldtal erreicht hatte, wo der Windzug auf einmal abriss, und so der Strohhalm vom Chef im Traum vom Chef langsam nach unten trudelte, immer tiefer, und schliesslich in der Nagold landete. Und da wurde der Chef auf einma ganz unruhig in seim Schlaf und wälzte sich auf die andere Seite, was den Strohhalm vom Chef im Traum Chef aber nicht davon abhielt, auf der Nagold talabwärts zu schwimmen, durch Unterreichenbach hindurch und vorbei an Dillweissenstein nach Pforzheim, wo die Nagold in die Enz mündet. Und da wurde der Chef in seim Schlaf noch unruhiger und stöhnte tief, aber der Strohhalm vom Chef im Traum vom Chef schwamm immer weiter und weiter, die ganze Länge der Enz entlang bis hinter Bietigheim-Bissingen, wo die Enz in den Neckar mündet. Der Chef stöhnte jetzt lauter, erste kleine Schweissperlen bildeten sich auf seiner Stirn, aber der Strohhalm vom Chef im Traum vom Chef schwamm einfach immer weiter, bei Mannheim schipperte er dann in den Rhein, der ihn, den tapferen kleinen Plastik-Strohhalm aussem Traum vom Chef schliesslich in die Nordsee spülte, wo er nach links abbog, den Ärmelkanal durchquerte und schliesslich die hohe See, den Atlantik, erreichte. Und weils natürlich so ne Art Zeitraffer-Traum war, denn in echt war der Strohhalm vom Chef im Traum vom Chef nämlich schon ne ziemliche Zeitlang unterwegs, wurde der anfangs rote Strohhalm durch Algenbewuchs immer grüner, während er, der kleine tapfere Strohhalm, sich daran machte den Atlantik zu überqueren, wobei er dann kurz vor New York nochma nach links abbog, durch das Bermudadreieck schipperte, sich anschliessend in der Karibik zwischen Kuba und Haiti hindurch mogelte, um Kurs auf den Eingang des Panamakanals zu nehmen. Der Chef war in der Zwischenzeit schweissgebadet, das Stöhnen war einem unheimlichen Wimmern gewichen, er lag auf dem Bauch, das Gesicht im Kissen vergraben und seine Hände krallten sich in die Matratze. Der Strohhalm vom Chef im Traum vom Chef aber blieb unerbittlich, natürlich durchquerte er auch den Panamakanal, mittlerweile durch den zunehmenden Algenbewuchs auch schwerer geworden, konnte er sich jedoch nicht mehr an der Wasseroberfläche halten, sank tiefer und erreichte den pazifischen Ozean deshalb vollständig unter Wasser. Und eigentlich hätte er jetzt nach rechts abbiegen müssen, um den grössten Plastikmüllstrudel der Erde, welcher sich nördlich von Hawaii befindet, auch endlich zu erreichen, aber stattdessen sah der Chef im Traum vom Chef so’n schemenhaften Schatten unterm Wasser, der sich schnell dem Strohhalm vom Chef näherte, der Chef hielt den Atem an, als er plötzlich Chelonia mydas, die Grüne Meeresschildkröte, erkannte, seine Unterlippe zitterte, sein Herz raste, Chelonia mydas schoss auf den kleinen, tapferen, grünen, algenbewachsenen Strohhalm zu und….

NEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNNNN!!!!!!!!!!!!!!!

Der Chef sass in seinem Bett, die Augen weit aufgerissen, hyperventilierte er sich langsam zu der immer noch mojitoumnebelten, aber zunehmend beruhigenden Erkenntnis, dass das mim Strohhalm nur’n mieser Albtraum gewesen war. Er stand auf, zog das schweissnasse und schwarzweissquergetreifte Pyjama-Oberteil aus und ging ins Badezimmer, um n Schluck Wasser zu trinken. Danach betrachtete er das verschwitzte Gesicht eines alten weissen Mannes im Badezimmerspiegel, atmete tief durch, als ihm im Spiegel wohl noch n bisschen mojitobedingt auf eima das Gesicht von dem Grünen mittem roten Kopf und der heissen Kartoffel erschien, und da betrachtete der Chef den Vollbart un hier vor allem den seltsamen, rasierten Oberlippenbart jetzma n bisschen genauer und verstand mit einem Schlag, warum der Typ von den Grünen, der mittem roten Kopf und der heissen Kartoffel und den halblangen Haaren so einen behämmerten Vollbart trug. Und dieser Grund war der Oberlippenbart oder eigentlich der Strohhalm oder doch wieder mehr der Bart oder äh… der Strohhalm oder..? Was issen jetzt, Chef?

Der Grund, warum der Heini von den Grünen so einen behämmerten Vollbart trägt?

Genau!

Der eigentliche Grund, warum der Heini von den Grünen so einen behämmerten Vollbart trägt, ist die Wehrlosigkeit der Grosszügigkeit.

Die Wehrlosigkeit des Grosszügigkeit?

Ja, man könnte auch sagen: Die Unmöglichkeit die Grosszügigkeit zu verteidigen.

Aha. Und was soll das jetzt schon wieder heissen?

Na, der Plastik-Strohhalm ist ein im Grunde unnützes Accessoire, ein Ding, ein Zusätzliches, das man eigentlich gar nicht braucht. Man bekommt es gewissermassen grosszügig zu einem Drink dazu. Man kann dann ein bisschen damit im Drink herumrühren oder auf dem Eis herumhacken. Aber das könnte man mit einem Cocktailstab auch. Oder man könnte auch gar nicht rühren und das Umrühren des Drinks allein dem Barkeeper überlassen, bevor man den Drink serviert bekommt, den man dann gänzlich ohne Strohhalm trinkt. Der Strohhalm ist somit überflüssig, weil grosszügig. Und diese überflüssige Grosszügigkeit macht ihn grundsätzlich angreifbar. Und wenn er dann angegriffen wird, ist er nicht zu verteidigen, eben weil er das Mass des bloss Notwendigen übersteigt.

Wie meinste das jetzt, Chef? Es ist doch eigentlich nicht nur in Ordnung, sondern auch schwer notwendig, dass man was gegen diese riesigen Plastikmüllstrudel auf den Weltmeeren unternimmt. Und wenn man dann eben seinen Mojito ohne Plastik-Strohhalm trinkt, dann ist das doch kein allzu grosser Verzicht für ne saubere Umwelt.

Eben das meine ich ja. Kein Mensch, der einigermassen bei Trost ist, wird das bestreiten. Es ist in der Tat eigentlich gar kein Verzicht, wenn man im Gegenzug eine saubere Umwelt bekommt. Und genau deshalb ist der Plastikstrohhalm nicht zu verteidigen, denn es gibt vordergründig nichts, was man gegen dieses Motiv – die Rettung der Weltmeere – einwenden könnte, auch da der Verzicht auf den Strohhalm nur der Verzicht auf etwas ohnehin Überflüssiges ist.

Und ausserdem gibts ja Ersatz, Chef. Öko-Strohhalme aus biologisch abbaubaren Materialien oder wiederverwendbare Strohhalme.

Na, ich weiss nicht, denn auch die Ökostrohhalme sowie die wiederverwendbaren Strohhalme sind und bleiben eigentlich überflüssig, denn sie gehen weiterhin über das Mass des Notwendigen hinaus, sie sind also grosszügig. Somit bleiben sie grundsätzlich immer angreifbar. Sie bringen lediglich Eigenschaften mit, die derzeit erwünscht sind – u. a. bestehen sie nicht aus Plastik – sind aber dennoch vielleicht durch eben diese anderen Eigenschaften angreifbar.

Und welche Eigenschaften könnten das sein?

Beispielsweise könnte einem Trinkrohr, das überwiegend aus Nudelteig besteht, also so eine längere Makkaroni-Nudel, angegriffen werden, weil es eigentlich ein Lebensmittel ist, das nach dem einmaligen Gebrauch als Trinkrohr einfach weggeworfen wird, obwohl viele Menschen auf dieser Welt hungern. Andere biologisch abbaubare Trinkrohre bestehen vielleicht unter Umständen aus Stoffen, die auch als Lebens- oder Futtermittel verwendet werden könnten oder werden unter relativ hohem Energieaufwand hergestellt, wie beispielsweise Strohhalme aus Papier. Gleiches gilt für die wieder verwendbaren Trinkhalme aus Edelstahl oder Glas. Ihnen könnte man zum einen den grossen Energiebedarf bei der Herstellung vorwerfen. Und sicherlich würden Studien erstellt werden, wie oft man den Trinkhalm aus Edelstahl oder Glas verwenden müsste, bis die Energiebilanz irgendwie positiv ausfallen würde. Zudem haben wiederverwendbare Trinkhalme ein gewisses Hygieneproblem. Es müsste sichergestellt sein, dass diese Trinkhalme bei jeder Wiederverwendung möglichst keimfrei sind, was schwierig ist, da sie oft für den Genuss stark zuckerhaltiger Getränke verwendet werden, deren Rückstände im Trinkrohr ein idealer Nährboden für Keime aller Art sind und die in dem relativ langen und engen Rohr nur unvollständig durch eine herkömmliche Spülmaschine entfernt werden können, weshalb die Hersteller der wiederverwendbaren Röhrchen ihren Produkten kleine Rundbürsten beilegen und sich somit die Kundschaft von Bars, Restaurants, Volksfesten, Clubs usw. darauf verlassen müssten, dass dutzende und nicht selten hunderte wiederverwendbare Trinkhalme täglich auch wirklich und aufwendig gereinigt und desinfiziert würden. Und da braucht man dann wahrscheinlich nicht lange auf die Verbraucherschutzsendung im Staatsrundfunk zu warten, in der verschiedene wiederverwendbare Trinkhalme aus unterschiedlichen gastronomischen Institutionen von der Imbissbude bis zu VIP-Bar biochemisch beprobt werden. Und was glaubste wohl, werden die da finden?

Joah…

Genau.

Aber das bedeutet ja, dass der Strohhalm an sich eigentlich nicht mehr zu Halten ist.

Tja, unter bestimmten Umständen könnte das gut möglich sein, eben weil er eigentlich überflüssig und damit angreifbar ist.

Und wer bestimmt eigentlich, was, wann und warum überflüssig ist?

Im Moment der Apparat.

Der Apparat? Was sollen das sein? Die Illuminati oder irgendne Freimaurerloge unter Führung von George Soros?

Nee, das is der übliche verschwörungstheoretische Quatsch. Es gibt keine irgendwie geartete Organisation, die im Geheimen die Welt lenkt. Was es aber gibt, ist eine internationale „progressive“ Elite der westlichen Welt, die sich in dem Auftrag oder der gemeinsamen Mission gute Ziele zu verfolgen, in einer Art vorauseilenden Gehorsams – mit dem vor allem wir Deutschen so unsere Erfahrungen haben – zunehmend gleichschaltet und die bedingt durch die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets immer wirkmächtiger wird. Man kann sich den Apparat vielleicht vorstellen wie das schon oft zitierte Bild des Fischschwarms. Es gibt keine Führung in diesem Schwarm, dennoch verhält sich der Schwarm vieler Individuen gleichsam wie ein autonomer Organismus, der zielgerichtet gemeinsam agieren kann, obwohl die grosse Mehrzahl seiner Mitglieder nicht in direkter sondern nur indirekter Verbindung zueinander stehen. Kein festes Netzwerk von Menschen wie in einer wie auch immer gearteten „Freimaurerloge“, sondern ein Schwarm von Menschen, der nach erfolgter Agitation aktiv wird. Und diese Agitation als auch die Organisation des Schwarms erfolgt grösstenteils über das Internet. Und wenn der Apparat auch ein Schwarm ist, so reicht das Schwarmverhalten allein noch nicht, um den Erfolg des Apparates zu erklären. Dieser erklärt sich vor allem durch die Eigenschaft oder die soziale Stellung eines Grossteils seiner Mitglieder, die sich mehr oder weniger als Teil einer selbsternannten progressiven Elite begreifen, mittlere bis obere Mittelschicht zumeist, in der überwiegenden Mehrzahl akademisch ausgebildet, und von denen nicht alle, aber doch einige exponierte Stellen innerhalb der Gesellschaften der westlichen Welt besetzt haben. Man findet sie nicht nur in den sogenannten NGOs, sondern auch in den Universitäten und Hochschulen, in Teilen der Presse, ganz sicher im Staatsrundfunk sowie in den staatlichen und überstaatlichen und nur schwer zu überblickenden Verwaltungsstrukturen. So finden sie sich in der UNO, der WHO, der EU als auch – auf nationaler Ebene – in den Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, hierbei aber nur so selten in vorderster Front, als gewählter Repräsentant der Demokratie, des Volkswillens, sondern meistens in der zweiten und dritten Reihe dahinter – eben im Apparat. Es ist wichtig zu verstehen, dass dieser Schwarm nur in Teilbereichen festorganisiert ist, denn seine eigentliche Schlagkraft erlangt er erst durch die in lose zusammenhängenden Netzwerken erzeugten sozialen Wucht, die dann in die entscheidenden Verwaltungsstrukturen getragen wird und somit nicht selten an den demokratisch legitimierten legislativen Entscheidungsträgern vorbei agiert.

Und wie kann man sich das vorstellen?

Beispielhaft in diesem Zusammenhang ist wohl das Dieseldesaster. Die EU-Kommission bemüht sich ja schon seit einiger Zeit um bessere Luft. Und das mit gutem Grund in einem Verbund von Staaten mit nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ökologischer Hinsicht äusserst unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Luft in Europa ist ebenso wie die Wirtschaftskraft von höchst unterschiedlicher Qualität. Betrachtet man beispielsweise die Luftverschmutzung in Polen, einem Land in dem noch viel mit Kohle geheizt wird und wo im EU-Vergleich die ältesten Autos bewegt werden, so erscheint einem die punktuelle und geringe Luftverschmutzung in Deutschland durch den Autoverkehr eher als ein Luxusproblem. So gesehen ist es natürlich sehr verantwortungsvoll von der EU sich um die Luftqualität zu sorgen, wenn auch ihre Vorschriften in den Mitgliedsländern auf höchst unterschiedliche Gegebenheiten treffen werden. Also bemühte man sich Ende der 1990er Jahre um einen griffigen Grenzwert auch bezüglich der Langzeitbelastung durch Stickstoffdioxid (NO2), das ist der Wert, der letztendlich verantwortlich sein wird für den Tod des Dieselmotors in Deutschland, also ein für den weiteren Fortgang des Dieseldesasters nicht ganz unerheblicher Faktor. Das Problem war nur, man hatte keinen empirisch belastbaren Grenzwert für NO2, also wandte man sich an die Stelle, die WHO, von der man dachte, sie hätte einen. Dummerweise hatten die dort auch keinen, machten sich aber sogleich an die Arbeit und erstellten die „Air Quality Guidelines for Europe“, federführend hierbei war das WHO Regionalbüro für Europa und hier zuerst das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit, welches von 1991 bis 2000 in den Niederlanden angesiedelt war, 2001 aber an einen neuen Standort, Bonn, umsiedelte. Allerdings enthielt auch das 288seitige Konvolut der Guidelines keinen empirisch belegten NO2-Langzeit-Grenzwert, was in den Guidelines auch so anerkannt wurde, bevor man sich dennoch dazu entschloss, 40 µg/m3 NO2 – das sind 40 Millionstel Gramm in einem Kubikmeter Luft – als Grenzwert vorzuschlagen. Um dies irgendwie evident zu begründen, behalf man sich mittels eines Kunstgriffes, indem man zwar zugab, dass es aufgrund der gesichteten Studien nicht möglich sei, einen evidenten Grenzwert zu benennen, dass es aber dennoch zweifelsfrei bewiesen ist, dass Abgase giftig sind – wer wollte das bestreiten – weshalb man dann NO2 flugs zum Indikator der Abgasbelastung generell von Atemluft erklärte. Gewissermassen nach dem Motto: Wir können zwar nicht beweisen, dass eine NO2-Dauerbelastung in dieser Konzentration giftig ist, aber es könnte sein, dass es andere Stoffe in den Abgasen sind, dessen Giftigkeit wir sozusagen indirekt mithilfe des NO2-Wertes messen können. Eine Begründung, der sich das Deutsche Umweltbundesamt auch 18 Jahre später immer noch anschliesst:

„Unabhängig von dieser auch in Deutschland teils kontroversen Diskussion über die Bedeutung des Langzeitbeurteilungswertes für NO2 als solcher, bleibt festzuhalten, dass gesundheitsschädliche Wirkungen von Luftschadstoffen aus dem Straßenverkehr unstrittig nachgewiesen sind, ob nun durch NO2 allein verursacht oder zusätzlich durch andere Luftschadstoffe. NO2 ist und bleibt daher ein aussagekräftiger Indikator für die Umweltbelastung durch den Straßenverkehr.“

Innerhalb von 18 Jahren nach dem Erscheinen der „Guidelines“ ist es demnach auch dem Umweltbundesamtes immer noch nicht gelungen, die Giftigkeit durch eine Dauerbelastung 40 Millionstel Gramm NO2 in einem Kubikmeter Atemluft nachzuweisen, weshalb man sich immer noch des „Indikator-Arguments“ für andere Luftschadstoffe bedient. Und da stellt sich natürlich die Frage, warum die anderen Luftschadstoffe in der Zwischenzeit nicht endlich identifiziert, benannt und in ihrer giftigen Konzentration quantifiziert worden sind, was nicht nur gesundheitlich dingend geboten, sondern auch wissenschaftlich redlich wäre, statt deren Schädlichkeit noch immer indirekt allein durch einen NO2-Grenzwert zu begrenzen?

Aha… Und was ist die Antwort auf die Frage?

Die Antwort auf die Frage ist zunächst, dass zwei übernationale Superbehörden, die EU und die WHO, aus den Tiefen ihres Apparats einen NO2-Grenzwert in die Welt geworfen haben, der keinerlei wissenschaftliche Evidenz hat, der aber dennoch 1999 von den EU-Mitgliedstaaten auf Vorschlag der EU-Kommission beschlossen und von der EU nochmals bestätigt wurde und sodann von den Mitgliedstaaten in jeweils nationales Recht übernommen worden ist. Und man kann wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die allerwenigsten Parlamentarier der EU als auch der nationalen Parlamente auch nur den blassesten Schimmer davon hatten, über was sie eigentlich abstimmten, als sie diesen Wert von 40 µg/m3 NO2 in europäisches und nationales Recht überführten, da davon auszugehen ist, dass nur sehr wenige von ihnen ausgewiesene Lungenfachärzte oder Umweltmediziner gewesen sein dürften. Und eben weil sie keinen blassen Schimmer hatten, verliessen sie sich auf die vermeintlichen Experten des Apparats, der WHO und der EU, die diesen Wert ja auf den Weg gebracht hatten. Weil die Luft in Europa aber höchst unterschiedlicher Qualität ist und nicht alle Regierungen in Europa mit dem Klammerbeutel gepudert sind, wurden mit den Grenzwerten auch spezielle Messvorschriften in europäisches und nationales Recht überführt, die beispielsweise vorschreiben, wie die Luftqualität in Europa und somit auch in Deutschland zu messen ist. Und diese speziellen Messvorschriften sind – joah – relativ weit gefasst, in dem Sinne, dass sie den Experten, welche die Messung der Luftqualität durchzuführen hatten, einen breiten Ermessensspielraum einräumen, wo und wie sie die Meßstationen einrichten, da sie viele Formulierungen enthalten, die doch recht schwammig sind und die dann noch durch geschickt platziertes „sollen“ und „können“ und „soweit möglich“ zusätzlich in ihrem Vorschriftscharakter aufgeweicht werden. Mit diesen Messvorschriften kann man so ziemlich alles messen oder eben nichts, wie es wohl einigen süd- und osteuropäischen EU-Mitgliedsländern ganz recht war. Jedenfalls wurden die Grenzwerte als auch die Messvorschriften nach kurzem parlamentarischen Zwischenspiel des “Abstimmens der Ahnungslosen” wiederum an die Experten weiter gereicht. Und für Deutschland bedeutete dies, dass die Durchführung der neuen Vorschriften, die ja Gesetz geworden waren, den zuständigen Behörden oblag, und das sind auf Bundesebene das Umweltbundesamt und auf Länderebene eben die jeweiligen Landesanstalten für Umweltschutz. Somit wurden die Vorschriften sozusagen von Apparat zu Apparat durchgereicht oder anders formuliert von der übernationalen Apparatebene, welche die massgeblichen Parameter erfand und auf dem Weg brachte, an die Apparate der Bundes- und Landesebene zur Durchführung weitergegeben. Und zumindest was unser Land anging, nutzte man den mitgelieferten Ermessensspielraum, um möglichst hohe Schadstoffkonzentrationen messen zu können können. Und deshalb haben wir jetzt die absurde Situation, dass in einigen Städten oder Stadtbezirken ein Fahrverbot erlassen worden ist, weil der Grenzwert für die Dauerbelastung von NO2, für den es keinen empirischen Beleg gibt, punktuell, also an sehr exponierten Stellen, an denen niemand wohnt oder sich dauerhaft aufhält, nicht immer eingehalten wird. Und jetzt könnte man sich natürlich fragen, warum tat die Politik nix dagegen, indem sie beispielsweise den behämmerten Grenzwert kassierte, höher ansetzte oder die Messvorschriften änderte, statt jahrelang immer nur zuzuschauen, wie diese Angelegenheit todsicher und Stück für Stück in die Fahrverbotsgrütze kippte? Das Problem dabei war, dass die Politik sich kaum trauen durfte, an diesen Bestimmungen zu rütteln, selbst wenn sie es hätte wollen oder können. Denn das hätte ihr sofort den Vorwurf eingebracht, die Gesundheit der Bürger den Profitinteressen der Autokonzerne zu opfern, obwohl das natürlich Unsinn ist. Die Politik hatte sich zumindest in Teilen durch den Apparat in eine Falle manövrieren lassen, der Apparat hatte somit in dieser Angelegenheit partiell die Macht übernommen, somit ist der Apparat, der in diesem Fall eigentlich nur ein ausführendes Organ der Exekutive sein sollte, ein Teil der eigentlichen Exekutive geworden und deshalb auch politisch. Zudem schuff der Apparat ausserdem noch Fakten, griff in das Leben der Bürger ein, indem er sie an der uneingeschränkten Nutzung ihres Eigentum hinderte und somit auch partiell enteignete, da sein Wirken den Wert ihres Eigentum minderte, und das an der eigentlichen von den Bürgern gewählten Legislative vorbei. Nun könnte man natürlich sagen, es sind die Mühlen des Rechtsstaates, die letztendlich bewirkt hätten, dass Fahrverbote von Gerichten erlaubt wurden, und der Rechtsstaat sei auch irgendwie und irgendwo mittelbar demokratisch legitimiert. Allerdings greift diese Erklärung zu kurz, denn das eigentlich entscheidende Element in dem ganzen Schmierentheater, welches zu den Fahrverboten führte, war nicht das gerichtliche Urteil, sondern der soziale Druck.

Der soziale Druck?

Ja, in einer vernünftigen Welt, die nicht durch den Dieselskandal, den Klimawandel, den Gesundheitswahn, das Öko-Bio-Fair-Gedöns undsoweiterundsofort bis in die Haarspitzen sensibilisiert und agitiert wäre, hätte der demokratisch legitimierte Minischterpräsident eines südwestdeutschen Bundeslandes, sobald er endlich verstanden hätte, was die Burschen von seinem Landesumweltamt mal wieder ausgeheckt haben, deren Chef angerufen und durchgesteckt: „Netter Versuch, Jungs, aber morgen ist der Scheiss da unten am Neckartor wieder verschwunden.“ Und keinen ausser den Umweltheinis vom Landesamt hätte das gejuckt. In der unsrigen agitierten Welt jedoch ist das unmöglich. In unserer Welt sind die Meßstationen heilig, unantastbar, weil sie durch den sozialen Druck geschützt werden. Sie sind gewissermassen die goldenen Kühe einer Gesellschaft, die sich zunehmend selbst anwidert, teutonische Ausgeburt der globalen hysterischen Erregungszustände, welche nicht nur Deutschland, sondern die ganze westliche Welt, von den Pazifikstränden Kaliforniens bis vielleicht nach St. Petersburg, erfasst haben, wobei die deutsche Variante dieses Irrsinns natürlich wieder besonders krass ausfallen musste. Hätte in dieser agitierten Welt ein Minischterpräsident, der noch alle Latten am Zaun hat, seinerzeit, als sich das Fahrverbotsgedöns langsam anbahnte, den/die Chef*in des Landesamtes angerufen, wäre der allumfassende Shitstorm losgebrochen: Das Umweltbundesamt zauberte augenblicklich mindestens 25 „Studien“ aus der Schublade, die zwar nur aus dem üblichen Wissenschaftsmüll bestünden, aber dennoch zweifelsfrei belegen sollen, dass Autoabgase verantwortlich sind für 6.500 – ach was! – 25.000 – besser noch! – 400.000 Tote jährlich. Aktivisten ketteten sich mit Gasmasken bewaffnet an die verbleibenden Meßstationen und skandierten schwitzend unter ihren Gasmasken: MESSI BLEIBT! Jutta Ditfurth würde mindestens 12 ätzende und hart an der Grenze der Menschenverachtung formulierte Tweets bei Twitter absetzen, und Claus Kleber den Bundesverkehrsminister süffisant und live im heute-Journal fragen, wie es sich denn anfühlt für den Tod von abertausenden Menschen verantwortlich zu sein. In verschiedenen deutschen Großstädten gingen Nacht für Nacht dutzende Autos in Flammen auf, Dieselfahrer würden vollends sozial geächtet und Forsa ermittelte in einer Blitz-Umfrage einen immensen Vertrauensverlust der Bürger in die Regierung und zudem stark erodierende Wählerprozente. Relotius schriebe eine gefühlige, zu Tränen rührende Reportage vom Sterbebett eines Dieseltoten, dem in seinen letzten Albträumen immer wieder der Minischterpräsident erscheint, um ihm das Beatmungsgerät abzuschalten, was dann natürlich im „DER SPIEGEL“ erschiene, dessen Titelbild zudem einen Automanager mit draculesquen Zügen zeigt, der grinsend einen Leichenberg erklimmt. Und all dieser ganze Mist würde natürlich begleitet von einer enormen Erregungswelle in den sozialen Medien, die auf der nach oben offenen Empörungsskala nie geahnte Rekordwerte erreichen wird, während sich bei Twitter die 280 Zeichen-Kommentare in Fremdschäm-Witzischkeit und hohler Schlagfertigkeit gegenseitig ersöffen. All das und noch viel mehr würde geschehen und genau das tut sich natürlich kein Minischterpräsident und auch sonst kein Politiker, der noch einigermassen bei Trost ist, an, weshalb das ganze Desaster nach Plan von der DUH und dem nützlichen Vollstrecker der anstiftenden Biedermänner und Brandstifter an die Verwaltungsrichter weitergereicht wurde, von denen vielleicht die eine oder der andere noch son geheimes Karriereträumchen hat oder vom sozialen HyperHysterismus in die Enge getrieben und von der Politik verlassen, dem galoppierenden Blödsinn wie einst Pontius Pilatus seufzend stattgab. Und eben genau das ist der Apparat, die Posse einer zahlenmässig eigentlich sehr überschaubaren Gesellschaftsschicht, die sich aber selbst – warum auch immer – als progressive Elite begreift und bis zum vorzeitigen Hirntod entschlossen ist, dem grossen Rest der Gesellschaft ihren emanzipativen Schwachsinn immer und immer wieder aufs äusserst buttrige Brot zu schmieren – ICH bin besonders!  - ICH bin schwul! – ICH esse vegan! – ICH bin genderfluid! – ICH bin total nachhaltig! – ICH rette das Klima! – ICH rette die Schildkröten! – ICH hab’ Migrationshintergrund! – ICH auch! – ICH rette das Klima! Jetzt! Sofort! – ICH rette die Flüchtlinge! – ICH rette die Welt! – ICH bin korrekt! –  ICH BIN GROSSARTIG! – ICH! – ICH! – ICH! – auch wenn vor der Bühne ihrer Eitelkeiten in der Zuschauerschaft bereits das fassungslose Entsetzen regiert, welches die progressive „Elite” sehr gerne und äusserst entzückt und immer als identitätsstiftendes Spiesserentsetzen missdeuten muss, und keinesfalls als das Entsetzen vor einer nicht endenwollenden Geltungssucht verstehen will, die in emanzipativen Endlosschleifen die Tore und Türen einrennt, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten offen stehen, weil sie schon längst von anderen vor ihnen geöffnet worden sind, die ihnen so auch einen Freiraum erobert haben, den ihre Nachfolger verlässlich mit immer nur demselben emanzipativen Blödsinn füllen, statt ihn für sich persönlich endlich und vor allem echt emanzipatorisch aufzuwerten. Viel lieber spielt man die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahren nach, wie die ewige Startbahn West im Hambacher Forst für den Erhalt einer forstwirtschaftlichen Holzplantage, die heute nur gefällt werden darf, wenn an anderer Stelle aufgeforstet wird, was eine Errungenschaft der Umweltschutzaktivisten früherer Jahre ist. Die ewige Hafenstrasse bei den regelmässigen Krawallen anlässlich irgendwelcher Gipfeltreffen als hohldrehende politisch-getarnte AdrenalinHappenings gelangweilter middleclass- und upperclasskids. Und die ewige Anti-Atomkraft-Bewegung in der Energiewende für 100% erneuerbare Energien, die mit der Bekämpfung des Klimawandels kollidiert und deshalb auf einmal kein Problem mehr damit hat, hektarweise CO2-absorbierende Waldflächen für Windräder zu planieren. Die ewige Anti-Diskriminerungsdebatte, die noch den kleinsten und banalsten Unterschied als grosse Besonderheit feiert und deshalb fast schon krankhaft nach Diskriminierungstatbeständen fahndet, um dann bei Fündigwerdung sehr gerne zu übersehen, dass es sich hierbei zumeist nicht um systemische Webfehler handelt, sondern dass jede Gesellschaft zu allen Zeiten über eine gewisse Arschlochquote verfügte und dass es nicht selten diese Arschlöcher waren oder sind, die auch durch ihre soziale Devianz ihre Zeit, ihre Gesellschaften kulturell bereichert haben. Typen wie Klaus Kinski, Caravaggio oder auch Picasso, um nur einige wenige zu benennen. Sollte man all die Werke dieser Arschlöcher aus dem kulturellen Gedächtnis der Welt tilgen und stattdessen nur der Künstler, Schauspieler und Schriftsteller huldigen wollen, die moralisch einwandfrei wie ein jungfräulicher tibetanischer Klosterschüler sind oder waren, dürfte es ziemlich viele frei Wände in den Museen und immens grosse Lücken in den Regalen der Bibliotheken und Archiven der westlichen Welt geben. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese sozial devianten Arschlöcher straffrei bleiben dürfen oder dass sie sich alles erlauben können, sollte ihre Devianz in die Delinquenz abgleiten. Natürlich haben auch sie sich vor dem Gesetz zu verantworten wie jeder andere auch, aber dem “progressiven Mob” reicht das in aller Regel nicht, er fordert die totale soziale Ächtung oder besser noch Auslöschung, gerne exekutiert mittels der Guillotinen in den sogenannten sozialen Netzwerken. Und fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass es neben der eigentlichen Delinquenz das Talent an sich ist – denn Talent ist immer  auch soziale Devianz – das ihren Furor erregt und dann noch verstärkt wird durch die sehr deutsche Lust, das Hochmögende und das Hochveranlagte endlich endlich fallen zu sehen, um es in die eigene allgemeine Mainstream-Gewöhnlichkeit hinab zu ziehen. Das ist der rasende Apparat, dessen Erregungswellen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr durch die Vernunft gebrochen werden können, wenn in ihm erst einmal weltweit Millionen kleine Spiesserseelen wüten und schreien, ein virtueller Superorganismus auf moralischer Mission, ein riesiger Schwarm sozialer Piranhas, der noch jede Sinnhaftigkeit und Würde bis auf die letzte Gräte zernagt hat.

Das hört sich schaurig an.

Das ist es auch.

Wie funktioniert so ein Schwarm?

Du meinst, wie kommt er in Schwung?

Oder so…

Puuuh. Erinnerst du dich an die Benetton Werbung in den 1990er Jahren?

Du meinst die mit den Schockbildern?

Genau, die mit den Schockbildern, eine geniale Werbung, die, obwohl im analogen Zeitalter entwickelt von Oliviero Toscani, wichtige Elemente der späteren digitalen Schwarmbildung bereits vorwegnimmt. Toscani erzielte mit dieser Werbung, die beispielsweise einen ölverschmierten Wasservogel, einen sterbenden Aids-Kranken, die blutverschmierte Uniform eines erschossenen Soldaten oder ein hoffnungslos überfülltes Flüchtlingsschiff und ähnliches zeigt, also allesamt Motive, die soziale, ökologische oder politische Mißstände anprangern, gewissermassen eine doppelt Wirkung und zwar auf zwei Ebenen, zum einen sozusagen auf der gesellschaftlichen Makro-Ebene, da damals auch in Deutschland bis in die höchsten Gerichtssäle sehr öffentlichkeitswirksam darüber gestritten und diskutiert worden ist, ob eine solch provokante Werbung, die sich dieser Schockmotive bedient, um letztendlich doch nur Pullover verkaufen zu wollen, die also letztendlich nur dem Profitstreben eines privatwirtschaftlichen Unternehmens dient, moralisch statthaft ist, und zum anderen auf der individuellen Mikro-Ebene, da Benetton diese Werbung bevorzugt auf Billboards und Plakatwänden im öffentlichen urbanen Raum platzierte, gerne auch in höherer Anzahl, also in grosser Frequenz, womit die möglichen Kunden einer Werbung ausgesetzt waren, die zum einen emotional schockierend war und die zum anderen immer und immer wieder wiederholt wurde. Die stete Wiederholung als auch die emotionale Ansprache gehören zum kleinen Einmaleins der Werbepsychologie, neu war bei Toscanis Masche die politische Botschaft, die zudem mit einer negativ ansprechenden Emotionalität verpackt wurde, denn normalerweise bediente sich Werbung bis Toscani positiver Emotionalität, zeigte also zum Beispiel glückliche Menschen mit ner Cola, um damit ein bisschen platt zwar, aber dennoch erfolgreich den Beworbenen zu suggerieren: Trink unsere Cola und Du bist glücklich! Toscani, das Schlitzohr, begründete seine spezielle Herangehensweise dann auch noch gekonnt politisch-korrekt, indem er sinngemäss wissen liess, dass herkömmliche Werbekampagnen unanständig viel Geld verbraten würden, um irgendwelche langweilige und belanglose Models abzubilden, wohingegen seine Art der Geldverbraterei sozusagen einen höheren Sinn verfolge, da sie schlimme Mißstände anprangere. Nun kann man davon ausgehen, dass es auch in den 1990er Jahren durchaus allgemein bekannt war, dass es viel Elend auf der Welt gab, wie den Jugoslawienkrieg, Aids oder gelegentliche Tankerunglücke und anderes. Das war aber etwas, wovon man nur zu bestimmten Zeiten oder Gelegenheiten Kenntnis nahm, etwa abends vor der Tagesschau oder bei der täglichen, wöchentlichen Zeitungs- und Magazinlektüre. Und vielleicht diskutierte man die Nachrichten noch im Familien- und oder Bekanntenkreis und natürlich engagierten sich einige Menschen, die dieses Elend vielleicht mehr als andere anrührte, in Parteien, Hilfsorganisationen, Gewerkschaften, kirchlichen Gemeinschaften und ähnliches, um dem Elend irgendwie mit Politik, Spenden, Aufklärung, Beten oder Lobbyismus zu begegnen. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die allermeisten Menschen in dieser Zeit um das Elend der Welt zwar wussten, es meist sogar während der Tagesschau oder der Nachrichtenlektüre mit Bedauern zur Kenntnis nahmen, aber sodann im Alltag einfach verdrängten und stattdessen ihrem Tageswerk, Zeitvertreib oder Vergnügen nachgingen, was an sich nicht zu verurteilen ist. Mit Toscanis Kampagne änderte sich das insofern, da er etwas schuf, was man das „analoge Internet“ oder ein wenig genauer die „Analogisierung bestimmter Teilbereiche des politischen Internets“ nennen könnte, was ja totaler Schwachsinn ist, denn das Internet gab es damals ja noch nicht – aber trotzdem: indem Toscani die Städte mit seinen Schockbildern zupflasterte, die im Kern ja nichts anderes waren als „Empörungsaufforderungen“, bemächtigte sich seine vordergründig politische Werbekampagne des Öffentlichen Raumes in der Form, dass es von nun an kein Entrinnen mehr gab vor den schlechten Nachrichten, die man eigentlich glaubte, in den zusammengefalteten Zeitungen im Café und den ausgeschalteten Fernsehapparaten zuhause zurückgelassen zu haben, die einen aber jetzt in einer extrem konfrontativen Konzentration von den Billboards und Plakatwänden während man sich durch diesen Öffentlichen Raum bewegte immer und immer wieder förmlich anschrien, das optische Schreien eines Elends, das die Passanten bis in die unterirdischen Stationen der U-Bahnen verfolgte. Damit nahm Toscani ein wesentliches Prinzip des „politischen Teils des Internets“ oder so vorweg und das ist das Besetzen des virtuellen öffentlichen Raumes durch Empörungsaufforderungen, die immer und immer wieder wiederholt werden und denen man heute vielleicht entkommen kann, wenn man sich entschliesst, ausschliesslich Katzenfotos auf sein Handy zu laden oder mit unerbittlicher Konsequenz nur noch auf Pornoseiten unterwegs zu sein, sollte man aber weiterhin am sozialen Leben in den sogenannten sozialen Medien teilhaben wollen, so wie man damals am sozialen Leben in der Stadt teilhaben wollte, gibt es (fast) kein Entrinnen mehr. Und damals wie heute musste und muss man sich irgendwie dazu verhalten, einen Umgang finden mit einer Kaskade nie endenwollender Empörungsaufforderungen, die in den 1990er Jahren von den Benetton-Plakaten schrieen: Empöre dich gegen den Krieg! – Empöre dich gegen die Stigmatisierung von Aids-Kranken! – Empöre dich gegen die Umweltverschmutzung! – Empöre dich! – Empöre dich! – Empöre dich! Das Problem oder die eigentliche Klippe bei Toscanis Plan war, dass diese seine Empörungsaufforderungen gleichzeitig mit einer Konsumaufforderung verbunden waren, nämlich die mehr oder wenigen schicken Pullis von Benetton zu kaufen, die aber hier zunächst als verkappte Nicht-Konsumaufforderung auftrat. Und das brachte zumindest die – naja – pulli-affinen Betrachter der Empörungsaufforderungen in einen bestimmten Zwiespalt, alle anderen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht pulli-affin waren oder hätten sein können, weil ihnen Pullis generell schnurzpiepegal waren, weil sie eher auf Hemden oder so standen, fühlten beim Betrachten der Schockbilder unter Umständen auch einen Zwiespalt, aber nicht diesen ganz speziellen pulli-affinen Zwiespalt, denn zu den pulli-affinen Betrachtern, die vielleicht demnächst wieder einen Pulli kaufen wollten, weil die Caro aus der Para-Klasse heute son neuen schicken roten an hatte, sprachen die Bilder in ganz besonderer Weise. Sie sagten:

„Schau Dir diese Bilder ganz genau an. Ja, es gibt sehr viel Elend auf dieser Welt. Menschen bringen sich grausam gegenseitig um. Wasservögel ersticken langsam in Ölteppichen. Aids-Kranke werden von unserer Gesellschaft geächtet. Kurz und gut: diese Welt ist BESCHISSEN! Und Du weisst das. Und obwohl Du das alles weisst, scheint Dein einziges Problem der Kauf eines Pullis zu sein. Ist das Dein Ernst?“

Tja, und da schluckten dann viele pull-affine Betrachter der Benetton-Plakate, auch wenn sie natürlich keine Schuld an irgendeinem Krieg auf der Welt, noch jemals höchstpersönlich einen Öltanker auf ein Riff gesteuert oder einen Aids-Kranken gedisst hatten, aber es stimmte schon, ihnen ging es vergleichsweise gut und ihr vielleicht einziges Problem bestand derzeit darin, einen Pulli zu finden, der noch schicker ist, als der von der Caro aus der Para, und das war natürlich angesichts der wirklich elendigen Situation auf dieser Welt echt n bisschen – naja – peinlich, weshalb dann nicht wenige pulli-affine Betrachter der Benetton-Plakate anfingen, genau das zu machen, was die Benetton-Plakate beabsichtigen, sie fingen sich aufgrund ihrer abgründigen Selbstsucht, einfach auf den beschissenen Zustand der Welt zu pfeifen und sich n schicken Pulli kaufen zu wollen, schuldig zu fühlen, weil sie ja nix getan hatten gegen den beschissenen Zustand der Welt ausser n bisschen Bedauern zu äussern gestern Abend bei der Tagesschau oder der Wenn-Überhaupt-Lektüre der Zeitung beim Frühstück. Und genau diese Denke brachte die pull-affinen Betrachter in den von Benetton gewollten Zwiespalt zwischen einer Empörungsaufforderung, die eigentlich eine Nicht-Konsumaufforderung ist, und einer dennoch weiterhin bestehen bleibenden Konsumaufforderung, denn das Plakat war ja auch immer noch, wenn auch äusserst dezent, mit dem grünen Markenemblem der „United Colors of Benetton“ markiert, was es somit als Werbung einer privatwirtschaftlichen Firma qualifizierte. Dieser Zwiespalt zwischen Nicht-Konsumaufforderung und Konsumaufforderung, das altbekannte Benetton-Dilemma, liess den pulli-affinen Betrachtern genau genommen nur drei Lösungsmöglichkeiten offen.

Sie konnten sich erstens, von der emotionalen Betroffenheit lösen, die diese Motive in ihnen ausgelöst hatten, und verstehen, dass das Dilemma zwischen Nicht-Konsum- und Konsumaufforderung lediglich von Benetton provoziert worden ist, da es anders als behauptet, keinen kausalen oder wenn überhaupt nur einen sehr sehr konstruierten mittelbaren Zusammenhang zwischen ihrem Konsumwunsch und dem Tod eines Soldaten, eines Wasservogels oder eines Aids-Kranken gibt.

Sollten sie zweitens, in der emotionalen Betroffenheit verharren, die zudem ihr Schuldgefühl triggerte, konnten sie sich dennoch trotzig darüber hinwegsetzten, indem sie beispielsweise dachten: is mir doch egal! Ich kauf meinen Pulli woanders, weil Benetton hat nunmal keinen Pulli im Angebot, der schicker is, als der von der Caro aus der Para.

Den Betrachtern, denen dieser Ausbruch aus dem Dilemma, sei es aus Erkenntnisgewinn oder gesundem Egoismus, nicht gelang, die es nicht vermochten, sich aus der emotionalen Betroffenheit zu befreien, konnten das Dilemma im Sinne von Benetton lösen und das getriggerte Schuldgefühl dadurch besänftigen, indem sie nicht nur die Legende kauften, Toscani betriebe eine sinnvolle Geldverbraterei, weil er damit auf das Elend der Welt aufmerksam machen wolle, sondern gleich auch noch Benetton Pullis. Toscanis Strategie traf diese pulli-affinen Kunden sowohl in ihrer emotionalen Betroffenheit als auch in ihrer Machtlosigkeit. Die Empörungsaufforderung triggerte das Schuldgefühl, weil man ja so selbstsüchtig war angesichts dieses Elends der Welt trotzdem einen Pulli kaufen zu wollen, was gleichzeitig das Bedürfnis weckte, etwas gegen das Elend der Welt zu unternehmen, allein schon, um dieses Schuldgefühl wieder loszuwerden, jedoch gab es vordergründig nix, was man hätte tun können. Sicher, man hätte sich mit einer Schaufel bewaffnet vor den Fernseher setzen können, um bei den ersten Nachrichten über ein neues  Tankerunglücks sofort loszuziehen, um irgendwelche Strände von ekligem Ölschlamm zu befreien oder man hätte alles Stehen und Liegen lassen können, um sich ehren- und hauptamtlich beim nächsten Hospiz zu verpflichten, allein war das etwas realitätsfern und vernachlässigte zudem die alltäglichen und existenziellen Pflichten wie Schule, Universität, Familie und Beruf. Die Wahrheit war: man war machtlos und konnte so gut wie nichts tun. Und in diesem Dilemma machte Benetton ein Angebot und löste den fast schon unerträglichen Zwiespalt auf, indem seine Werbung sprach:

„Doch, Du kannst etwas tun. Du kannst unsere Pullis kaufen. Zeig der Welt, dass Du verstanden hast. Werde ein Colour der United Colours of Benetton, werde Teil unseres Kampfs für eine bessere Welt und zeige deshalb unser Markenemblem auf Deinen Pullis all Deinen Freunden und Bekannten!”

Das war eine ziemlich perfide Nummer, aber Benetton kam tatsächlich nicht nur damit durch, Kunden gegen ihren eigenen Konsumwunsch zu agitieren, um sie sodann mit diesem Konsumwunsch wieder zu versöhnen, indem sie selbst den „richtigen“ Konsumwunsch als „gut“ klassifizierten, sondern sie waren damit auch noch höchst erfolgreich. Benettons Aufstieg zu einer international erfolgreichen Modemarke verdankte man im heimischen Ponzano Veneto grösstenteils dieser neuartigen Werbekampagne, die sich negativer Emotionalität bediente, um damit den öffentlichen Raum zu besetzen. Das Prinzip der „Empörungsaufforderungen“ ist eigentlich nicht neu, sondern diente als klassisches Mittel der Propaganda vor allem politischen und militärischen Zielen. Neu an der Benettonkampagne war eigentlich nur dreierlei, dass dieses Propagandamittel erstmals in der kommerziellen Werbung eingesetzt wurde, dass sie zweitens reale Mißstände zeigte, die schockartig präsentiert wurden, und dass sie drittens diese Empörungsaufforderungen im öffentlichen Raum in „schneller Frequenz“ immer und immer wieder wiederholte. Im Grunde sehr einfache Mittel, die eine grosse Wirkung entfalteten, jedoch auch sehr teuer waren, denn die vielen Plakate und Anzeigen mussten ja erst einmal finanziert werden. Und deshalb war diese primitive, aber höchst effektive Beeinflussung der öffentlichen Meinung im analogen Zeitalter der 1980er und anfangs der 1990er Jahre nur finanzstarken Konzernen und Regierungen vorbehalten, was sich aber in einigen wenigen Jahren änderte sollte, als das Internet breiteren Massen verfügbar wurde. Und man braucht heute nicht mehr viel Phantasie, um sich auszumalen, was dann möglich geworden ist, als das millionenfache Plakatieren des virtuellen öffentlichen Raumes so gut wie nix mehr kostete. Der wegblubbernde Eisbär, die Schildkröte mit dem Strohhalm in der Nase und leider auch das ertrunkene kurdische Kind am türkischen Strand wurden zu Ikonen der digitalen „Empörungsaufforderungen“, die zum richtigen Zeitpunkt in die sozialen  Kanäle eingegeben, innerhalb von Minuten millionenfach angeklickt, kopiert, geteilt und vor allem immer und immer wieder wiederholt wurden, so dass es kaum ein Entrinnen vor ihnen gab, und deshalb enorme digitale Erregungswellen vor allem in der westlichen Welt generiert werden konnten, die fast für umsonst waren. Denn natürlich sprachen diese Bilder zu den Usern und sie sagten:

„Schau Dir uns ganz genau an. Ja, es gibt sehr viel Elend auf dieser Welt. Der menschengemachte Klimawandel killt die Eisbären. Schildkröten ersticken in unserem Plastikmüll. Kinder ertrinken, weil wir unsere Augen vor ihrem Elend verschliessen. Kurz und gut: diese Welt ist BESCHISSEN! Und Du weisst das. Und obwohl Du das alles weisst, scheint Dein einziges Problem irgendein behämmertes App auf Deinem teuren Smartphone zu sein. Ist das Dein Ernst?“

Tja, und da gibts dann wieder drei Möglichkeiten, wobei die dritte, die “Pulli-Absolution”, in diesem Fall natürlich nicht mehr funktioniert, man konnte sich jetzt nicht mehr freikaufen, weil die Absender und/oder die Nutzniesser dieser erschütternden Botschaft keine privatwirtschaftlichen Konzerne mehr sondern Interessengemeinschaften, Lobbygruppen, Parteien und besorgte Bürger waren, die aber natürlich trotzdem ein Angebot machen konnten – das immer gleiche Angebot, welches das Internet macht – wie die durch die Empörungsaufforderungen getriggerten User aus diesem lästigem Zwiespalt zwischen agitierter Weltrettungsbereitschaft und schmerzhaft empfundener Machtlosigkeit herausfinden konnten:

„Doch, Du kannst etwas tun. Zeig der Welt, dass Du verstanden hast. Werde ein Teil unseres Kampfs für eine bessere Welt und zeige all Deinen Freunden und Bekannten, dass Du die richtige Haltung hast!“

Und fürs richtige Haltung-Zeigen gibts natürlich verschiedene Möglichkeiten: Ein Post, ein Bildchen, ein Filmchen, ein Tweet, eine Onlinepetition, die man in das Erregungssystem einspeist, aber egal, was ist, es sollte möglichst kurz und prägnant sein, kein langatmiger Text, keine lästigen Differenzierungen, am besten Schlagworte, Schlagbilder, Schlagfilme, die auf den vielen Bildschirmen der Laptops, Smartphones und Tablets immer und immer wieder auftauchen, um dann wieder zu sagen – genau! – womit dieses gigantische Schneeballsystem, in das mit Empörung eingezahlt wird, nicht nur am Leben gehalten wird, sondern sich immer mehr in die mittlerweile übliche Raserei steigert, die keine Widerworte mehr duldet, die vielmehr alles platt machen will, was sich ihr in den Weg zu stellen wagt. Die alte Benetton-Masche, allerdings mit zigfach digital potenzierter Wirkung. Und es ist in diesem Zusammenhang sicher kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt, da diese alte Werbemethode im neuen digitalen Gewand in den letzten Jahren an Schwung gewonnen hat, auch immer mehr Firmen wieder begonnen haben, „politische“ Werbung zu machen, zumal, wenn sie Gebrauchsgüter herstellen oder verkaufen, also mit ihren Produkten oder ihrer Verkaufsware im öffentlichen Raum sehr präsent sind, der jederzeit virtuell plakatiert werden könnte, ein nicht zu unterschätzendes Risiko, wodurch sie mehr oder weniger gezwungen sind, sozusagen auch prophylaktisch Haltung zu zeigen. Haltung für eine bessere Umwelt, Haltung für eine gerechtere Welt, Haltung für eine vielfältige Welt, Haltung für Gesundheitsschutz usw. So engagieren sich beispielsweise die Ketten der Verbrauchermärkte explizit für den Umweltschutz und klären ihre Kunden manchmal bis fast zum Erbrechen darüber auf, dass sie mit diesen und jenen Umweltschutzverbänden zusammenarbeiten, um zertifiziert sicherzustellen, dass ihr Angebot total nachhaltig, bio, öko, fair, politisch-korrekt ist und dass sie natürlich irgendwo gerade eine ehemalige Urwaldparzelle – sie wissen schon, das Palmöl… – wieder aufforsten und dass sie selbstverständlich darauf achten, Energie zu sparen und auch den Plastikabfall zu verringern, weshalb die Papiertüte jetzt blöderweise 20 Cent kostet. Verbrauchermärkte, die leicht über ein Warenangebot von über 20.000 Artikel verfügen können, von denen jeder einzelne mit schweren Diesel-LKWs herangekarrt wird, um dann in grossflächigen Märkten angeboten zu werden, die natürlich kundenfreundlich behaglich beheizt oder klimatisiert sein müssen und in denen die Kühltheken dann trotzdem Tag und Nacht vor sich hin brummen, können veritable Albträume für PR-Manager sein, die von der Konzernführung den Auftrag erhalten haben, den Kunden nicht nur ein politisch-korrektes Einkaufserlebnis zu bescheren, sondern den ganzen Laden auch noch gegen Shitstorm-Attacken aus dem Internet abzusichern, indem man mögliche Angriffspunkte gleich im Vornherein abräumt. Dass man sich diesbezüglich manchmal aufgrund des mittlerweile sehr ausdifferenzieren Begriffes der „Politischen Korrektheit“ etwas verheddern kann, zeigt das Beispiel von Edeka, wo man sich einerseits brüstet, verstärkt auf regionale Produkte zu setzen, weil das im Gegensatz zu „Flugwaren“ aufgrund kurzer Lieferwege Energie spart und auch das Klima schont, und andererseits präsentiert man sich als Verfechter der #Vielfalt mittels eines Filmchens über einen fast komplett ausgeräumten Edeka-Laden, indem nur noch die Waren aus deutscher Produktion verblieben sind, um eindrücklich zu beweisen, wie kolossal multikulti-international doch Edekas sonstiges und eigentliches Warenangebot ist. Tja, man muss eben auf der Hut sein heutzutage, weswegen nicht wenige Konzerne sogenanntes Social Media Monitoring betreiben, also die Beobachtung und Analyse der Sozialen Medien, das nicht nur der Marktforschung oder dem Marketing dient, sondern auch dräuendes Image-Unheil, wie neue Eisbär- oder Schildkröten- oder Sonstwas-Filmchen, erkennen soll, sobald sie am digitalen Horizont auftauchen, zumal, wenn man Produkte herstellt und vertreibt, die nicht uneingeschränkt – joah – auf die flammende Gegenliebe der Gesundheitsaktivisten trifft, wie das beispielsweise Bacardi macht, denen das Schicksal der Tabakindustrie wohl ein warnendes Beispiel war, weswegen man dort offensichtlich besonders alert und aufmerksam auf möglicherweise „besorgniserregende“ Inhalte in den Sozialen Medien reagierte, wie beispielsweise eben das Filmchen von der Schildkröte, dem man einen Strohhalm aus einem Nasenloch zog, und das im August 2015 das digitale Licht der Welt erblickte. Nun stellt Bacardi zwar keine Strohhalme her, ist aber der grösste private noch im Familienbesitz befindliche Spirituosenhersteller der Welt, ein hochprozentiges Imperium, das über insgesamt 200 verschiedene Marken und Labels gebietet und in guten Jahren so knapp 180 Millionen Liter absetzt, wovon dann wieder so einiges in Longdrinks gemischt wird, die man – wie beispielsweise den Mojito oder den Caipirinha – eben überall auf der Welt mit einem Strohhalm serviert bekommt, was unter Berücksichtigung noch anderer Bacardi-Alkoholika, die man ebenfalls in Strohhalm-Mischgetränken vorfinden kann, sowie der in den einzelnen Drinks verwendeten relativ geringen Menge Alkoholika von lediglich 4 cl, bedeutete, dass zum Verzehr von Bacardi-Mischgetränken jedes Jahr zig Millionen Strohhalme benötigt werden oder mit anderen Worten: Bacardi hatte angesichts des viral gehenden Schildkrötenstrohhalmvideos ein ziemliches Problem. Und da sollte man besser nicht darauf warten, bis irgendsoein Umweltschutz-, Plastikverbannungs- oder Gesundheitsaktivist auf die Idee kommt, zwischen dem Milliardenumsatz von Bacardi, der ohnehin seit 2012 vielleicht sogar wegen dem Gesundheitsgedöns der Aktivisten rückläufig ist, und dem Leid der Schildkröte und schlimmer noch: der Plastikvermüllung der Weltmeere einen Zusammenhang herzustellen, so nach dem Motto: „Bacardis zynischer Profit auf den Panzern der Schildkröten!“ oder „Schildkrötensterben in der Karibik! Was wusste Bacardi?“ oder „Bacardis giftiger riesiger Plastikcocktail im Pazifik braucht mehr als 500 Jahre zum Verrotten!“ oder so, was für die weitere Firmenentwicklung von Bacardi eher suboptimal gewesen wäre, da man sich auf einmal als Verantwortlicher für eine der grössten Umweltsauereien der letzten Jahrtausende auf der Bühne der Social Media hätte wiederfinden können  - wenn auch nur exemplarisch, versteht sich – was aber in der sich dann etablierenden alles zermalmenden Hysterie keinen wirklichen Unterschied gemacht hätte, weshalb man sich wohl bei Bacardi für das entschied, was man im allgemeinen die “Flucht nach vorne” nennt, um sich so an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die den eigenen ökonomischen Exitus hätte provozieren können, und selbst eine „No Straw!“ – Initiative zu gründen, nur wenige Monate nachdem das Schildkrötenstrohhalmfilmchen erstmals auf digitale Share-Sendung ging und sich sodann immer bedrohlichere Resonanzen in den Social Media einstellten. Also lancierte man unter der Überschrift „Bacardi gründet „Nein zu Strohhalm“-Bewegung, um Müll zu reduzieren“ flugs eine Pressemitteilung, in welcher man wortreich den plastikvermüllten Zustand der Weltmeere beklagt, natürlich unter pflichtschuldigster Nennung besagter 46.400 US Schulbusse, die man jährlich in den USA mit gebrauchten Strohhalmen befüllen könnte, um sodann die Entschlossenheit der Firma zu betonen, Teil der Lösung bei der Beseitigung des Müllproblems zu sein, weshalb man bei Bacardi-Inhouse-Events oder irgendwelchen Probeverkostungen schon dazu übergangen sei, gänzlich auf Strohhalme zu verzichten und auch ausschliesslich Metalcocktailstäbchen zu benutzen, was allein schon aufgrund der grossen Menge der auf Inhouse-Events und diversen Probeverkostungen vertilgten Bacardi-Alkoholika ein grosser Beitrag für den Umweltschutz und den Erhalt der Ozeane ist, der noch gesteigert werden könnte, wenn ein jeder diesem grossartigen Beispiel folgen würde, weshalb Bacardi – fast schon n bisschen pathetisch – jedermann aufruft, bei künftigen Alkoholikabestellungen ein „Keinen Strohhalm, bitte“ dem Bestellwunsch anzufügen. Nachdem Bacardi so die vermeintliche Verantwortung für die Plastikvermüllung der Weltmeere mehr oder weniger elegant an die Endverbraucher weitergereicht hatte, folgte natürlich noch eine öffentlichkeitswirksame Prise Zerknirschtheit, kundgetan vom „Director of Trade Advocacy of Bacardi“, der sinngemäss wissen lässt, dass das Bewusstsein vieler Menschen eben erst durch alarmierende Fakten oder Schildkrötenfilmchen wachgerüttelt werden müsse und dass sie bei Bacardi jetzt Veränderungen vornehmen würden, um uns alle – das steht da echt – nachhaltig in die Zukunft zu befördern. Und da darf man dann schon mal gespannt sein, wie die Bacardi-Zukunft für uns alle so aussehen wird, bis es aber so weit ist, kann man sich laufend auf einer angegebenen Webseite über den Erfolg der vielfältigen anderen Bemühungen Bacardis informieren, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Und gerade als man denkt, dieser Wahnsinn ist eigentlich nicht mehr zu toppen, stolpert man über ein Internetfilmchen des milliardenschweren Konzerns Procter & Gamble, dessen dortiger „Director of Trade Advocacy“ offenbar auch dringenden Handlungsbedarf diagnostiziert hat und zwar für die Tochterfirma Gillette, einem Hersteller von Rasierzubehör, und anders als man vielleicht zuerst denken könnte, bezieht sich dieser Handlungsbedarf nicht auf die Plastikeinwegrasierer oder die austauschbaren Wegwerfklingen, vielmehr befürchtete man bei Gillette offenbar einen Angriff aus einer ganz anderen Ecke, als jene der Umweltschützer, und das aus drei Gründen. Erstens, fertigt und produziert Gillette nunmal Rasierer und Rasierklingen und diese Gerätschaften braucht Mann erst nach dem Eintritt in die Pubertät, wenn das sodann im männlichen Körper produzierte Testosteron mittelbar auch die Barthaare sprießen lässt, somit markieren Rasierer und Rasierklingen sozusagen den Eintritt des Testosterons als Mittel zur biologischen Aktivierung des männlichen Geschlechts, was ja eigentlich, so könnte man denken, nicht so wahnsinnig spannend ist, allerdings werden somit die von Gillette produzierten Rasieruntensilien selbst zum Symbol dieser Aktivierung, vielleicht sogar – UMGOTTESWILLEN! – des Testosterons höchstselbst, was sie in den Fokus von Genderaktivistinnnen bringen könnte, welche wiederum die Ansicht vertreten, dass das biologische Geschlecht vom sozialen Geschlecht zu trennen sei, da dieses letztlich nur eine soziale Konstruktion oder eine artifizielle gesellschaftliche Rollenzuschreibung sei, und somit für die Männer nach Überzeugung der Genderaktivistinnen noch die Hoffnung besteht, dass die „toxische“ Wirkung des Testosterons irgendwie sozial überformt wird und sie so bei entsprechender Erziehung n bisschen netter, wenn nicht sogar femininer werden können. Damit aber noch nicht schlimm genug, verwendet Gillette zweitens, schon seit Jahren den Werbeslogan „The Best a Man Can Get“, was ja bewusst doppeldeutig gemeint ist, also sowohl „Das Beste, was ein Mann bekommen kann“ als auch „Das Beste, was ein Mann werden kann“, und eben diese Doppeldeutigkeit, so dachte sich wohl der „Director of Trade Advocacy“, könnte zum Problemchen werden, wenn sie bewusst oder unbewusst so interpretiert werden würde, dass Gillette der Ansicht sei, “das Beste, was ein Mann bekommen kann, ist Testosteron, um das Beste zu werden, was er werden kann”, nämlich ein allein biologisch definierter Mann, also son kerniger testosterongesteuerter Naturbursche oder so, was die Gendertanten – obwohl echt bio – quasi automatisch auf die Barrikaden bringen müsste. Damit aber immer noch nicht schlimm genug, könnte Gillette vermutlich mit dem Image eines Neandertaler-Rasierutensilien-Beschickers ganz gut leben, blöderweise produzieren und vertreiben sie aber drittens, auch Rasierutensilien für Frauen, was der ganzen Angelegenheit dann einen doch gefährlicheren Dreh verleiht, weil Neandertaler hätten sich wahrscheinlich wenig drüber aufgeregt oder vielmehr wäre es ihnen sehr wahrscheinlich schnurzpiepe gewesen, wenn Gender-Aktivistinnen den virtuellen öffentlichen Raum mit Slogans wie: „Sexistisch-chauvinistische Gillette-Werbung idealisiert antiquiertes Männerbild!“ oder „Gillettes antifeministischer Backlash befördert Frauen-Unterdrückung!“ oder „Der geheime Gillette-Plan: Frauen zurück in die Küche! Was wusste der Ku Klux Klan?” oder so plakatiert hätten, bei weiblichen Kunden sah die Sache aber ein wenig anders aus, zumal das ganze Gender-Gedöns mit der #metoo-Debatte immer mehr Oberwasser bekommen hat, weshalb sich auch Gillette aufgrund leicht aufkeimender Panik zu der bewährten Flucht-nach-Vorne-Strategie hinreissen liess und hierzu selbst ein Internet-Share-Video drehte und online stellte, in welchem sie – naja – so ziemlich jedes dämliche Klischee bedienen, indem sie pöbelnde, sexistische, chauvinistische, diskriminierende Neandertaler, die sich zudem noch gegenseitig die Fresse polieren und tatsächlich auch noch grillen, also sinnlos CO2 produzieren – doppelt hält besser – dem neuen durch den #metoo-Schock geläuterten Mann gegenüberstellen, der verstanden hat, dass es so nicht weiter gehen kann, der die richtigen Dinge sagt (to say the right thing), als auch richtig handelt (to act the right way) und der zudem in dem Filmchen öfter durch Männer mit dunkleren Hautpigmenten als die fast durchgehend weissen Neandertaler verkörpert wird – dreifach hält noch besser – und der der männlichen Jugend endlich das „richtige” Vorbild geben, womit der moralische Endsieg über den Neandertaler für alle Zeiten sichergestellt sein wird. Auch wenn dieser moralische Schrotschuss aus nächster Nähe zumindest teilweise nach hinten losging, da er viele Gillette-Kunden verärgerte, die einfach Rasierklingen kaufen wollen und nicht von deren Hersteller politisch belehrt werden möchten, war das Filmchen nach dem schiefen Motto: “Es keine gute oder schlechte Werbung, sondern nur erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Werbung“ nach den Klickzahlen und der sich anschliessenden Empörungswelle im Netz zumindest auch ein grosser PR-Erfolg für die Firma. Gillette war gewissermassen in aller Munde, auf allen Kanälen und allen Nachrichtenportalen präsent, einige Kommentatoren verstiegen sich sogar zu der Meinung, Gillette hätte geschickt die Empörungsbereitschaft der Rechten, wer immer die auch sein mögen, ausgenutzt, um einen publicityträchtigen Shitstorm zu provozieren. Allein, Gillettes Selbstzweck ist nicht politische Bildung, sondern Profitmaximierung, so wie Procter & Gamble keine feministische NGO ist, sondern eine Aktiengesellschaft, deren Anteile zu fast 60% von institutionellen Anlegern wie The Vanguard Group oder Blackrock gehalten werden und – na klar – sind die bestimmt auch für Weltverbesserung, aber eben nur solange die Zahlen stimmen. Konzerne, die vor allem Konsumgüter für den Endkunden herstellen oder handeln, sind auf ein gutes Image angewiesen, das waren sie zu allen Zeiten, aber sie standen noch nie so unter scharfer Beobachtung wie jetzt, so, wie sie noch nie einem möglichen und mächtigen Gegner gegenüberstanden wie heute, sodass sie sich zu Positionierungen gezwungen sehen, die nicht ohne Risiken sind, nämlich unter anderem möglicherweise langjährige Kunden zu verprellen, was kein Konzern ohne Not macht, die sie aber dennoch eingehen müssen, um ihre Firma, wie hiess es doch bei Bacardi, nachhaltig in die Zukunft zu befördern. In diesem Sinne sind Konzerne für Konsumgüter in diesen Zeiten ganz gute Seismographen für gesellschaftliche Veränderungen oder Trends geworden, da sie eben finanziell in der Lage sind, sehr empfindliche und effektive soziale Frühwarnsysteme zu unterhalten oder in Anspruch zu nehmen, die der Firma die Möglichkeit geben sollen, schon dann Anpassungen am Image vornehmen zu können, bevor die gesellschaftliche Veränderung überhaupt vollzogen ist oder der Trend voll durchgeschlagen hat. Gillette hatte erkannt, dass ihr bisheriges Markenimage, Produkte für den sehr virilen, sportlichen Mann herzustellen, unter Umständen ein Angriffspunkt bestimmter sozialer Bewegungen sein könnte und haben diesen Angriffspunkt durch „Haltungzeigen“ vorsorglich abgeräumt, wofür sie auch in Kauf nahmen, langjährige Kunden zu verärgern. Dass sie das in Kauf genommen haben, ist das eigentlich Interessante an diesem PR-Schwenk, denn es offenbart implizit, wie wichtig diese Imagekorrektur ihnen war oder anders ausgedrückt, für wie gross sie die Gefahr einschätzten, mit einer Empörungsaufforderung à la Benetton konfrontiert zu werden, in die nun eine weitere Ebene eingezogen worden ist, dergestalt, dass nicht mehr der Konzern die Kunden mittels der Empörungsaufforderung agitiert und zum „guten“ Kauf animiert oder Lobbygruppen, Umweltverbände und NGOs mittels Empörungsaufforderungen für eine gute Sache agitieren, sondern vorzugsweise NGOs die potentiellen Kunden gegen einen Konzern agitieren, wenn dessen Produkte oder die Art der Herstellung oder nur das Image nicht deren Vorstellungen von „gut“ oder „richtig“ entsprechen. Das wird in dem Gillette-Filmchen fast schon überdeutlich, der alte Slogan „The Best a Man Can Get“ wird kassiert und durch “The Best Men Can Be“ ersetzt, Gillette-Männer sind jetzt die „besten” Männer, weil sie endlich verstanden hätten, “to say the right thing“ und “to act the right way“. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet Benetton selbst ein frühes Opfer dieser „verkehrten Benetton-Masche“ geworden ist, 2010 offenbarte eine NGO, dass Benetton unter sehr fragwürdigen Bedingungen in Billiglohnländern produzieren liess, 2013 kamen sie erneut unter Beschuss einer weiteren NGO, als in Bangladesch eine Textilfabrik, wo unter anderen auch Benetton produzieren liess, einstürzte, was 1127 Menschen das Leben kostete. Schwerwiegende Imageschäden waren die Folge, die mit dazu beitrugen, dass die Firma in die Krise schlitterte. Die Werberevolution frass jetzt gewissermassen ihre Väter, indem neben die altbekannte Frage, die zwar scheinbar direkt an die „schuldigen“ Konzerne adressiert wurde und wird, und die folgendermassen lautet:

“Diese Welt ist BESCHISSEN! Und Ihr tragt durch xy dazu bei, dass diese Welt immer noch beschissener wird. Ist das Euer Ernst?”

noch ein Weiteres tritt, das man als Denunziation oder „Denunziationsdrohung” bezeichnen könnte:

„Doch, wir können etwas tun! Wir zeigen der Welt, dass Ihr nicht verstanden habt. Ihr seid nicht Teil unseres Kampfs für eine bessere Welt. Und deshalb zeigen wir all Euren Freunden und Bekannten, dass Ihr nicht die von uns verlangte richtige Haltung habt!“

Adressiert an die Freunde und Bekannte des Konzerns, also die möglichen Kunden, funktioniert die Empörungsaufforderung im üblichen Duktus, jedoch ergänzt um eine wichtige Kleinigkeit, denn jetzt wird dem durch die Empörungsaufforderung getriggerten User ein konkretes Ventil genannt, wie er aus diesem lästigem Zwiespalt zwischen agitierter Weltrettungsbereitschaft und schmerzhaft empfundener Machtlosigkeit herausfinden könnte und das ist, wie könnte es anderes sein, der Name der Firma, die an dieser oder jener mittels Schlagbildern und Schlagworten und Schlagfilmchen im öffentlichen virtuellen Raum angezeigten Schweinerei schuldig zu sein hat, was dann die mittlerweile übliche Empörungsroutine in Gang setzt, also Boykottaufrufe, Internetpetitionen, Twitter-Spiessrutenlauf, Facebook-Stampede, Fremdschäm-Fotomontagen in weiteren Sozialen Medien, grösstmögliche und stark negativ konnotierte Präsenz auf allen Nachrichtenkanälen uswusf, kurz: genau die Art von Publicity, die keine Firma und kein Konzern der Welt besonders gerne hat, weswegen es allemal besser ist, in einer Art von vorauseilendem Gehorsam unter dem Erregungsradar zu fliegen oder wo das als im öffentlichen Leben stehender Konsumgüterhersteller oder -händler nicht möglich ist, sich so erregungsstromlinienförmig zu machen wie Edeka, Bacardi und co. Diese Angst der Konzerne vor etwaigen Empörungsaufforderungen nebst dazugehörigen Denunziationsdrohungen wirft ein erhellendes Licht auf den mittlerweile grossen politischen und sozialen Einfluss der Organisationsformen, die in den letzten Jahren an Macht und Anzahl stark dazu gewonnen haben. Die Rede ist von den sogenannten NGOs, den Nichtregierungsorganisationen, die sich sozial- und umweltpolitisch engagieren, ohne jemals ein demokratisches Mandat hierzu erhalten zu haben, die in den 1980er Jahren so um die 4.500 weltweit zählten, nach Ende des Kalten Krieges rasch immer mehr wurden, sodass heute ca. 9000 dieser Organisationsformen aktiv sind. Als Gründe für dieses schnelle Wachstum werden unter anderem immer wieder die globale Neuordnung der Welt nach dem Kalten Krieg, deren spezifisch globale Problemstellungen allein auf nationaler Ebene schlecht gelöst werden könnten, genannt, aber auch das zugewonnene politische Gewicht der NGOs, die auf nationaler und überstaatlicher Ebene wie UN und EU zunehmend anerkannt worden sind und zunächst einen Beraterstatus erlangten, inzwischen aber auch aufgrund ihres „Fachwissens“ und ihrer einschlägigen „Expertise“ immer öfter in Regierungskommissionen berufen werden, um am Verhandlungstisch gewisse „Vorarbeiten“ der Exekutive zu erledigen, auch weil es aus Sicht der Exekutive allemal besser ist, diese Organisationen drinnen am Verhandlungstisch zu haben, statt unter Protest draussen auf der Strasse. Der entscheidende Faktor für die Verdopplung der NGOs ab der 1990er Jahre und ihre nun beeindruckende Macht dürfte aber das Internet gewesen sein, das diesen Organisationen bis dahin nicht für mögliche gehaltene Mobilisierungs-, Kommunikations- und Vernetzungsoptionen schenkte und das für einen vergleichsweise sehr kleinen finanziellen Aufwand. Eine Kampagne, wie sie Greenpeace gegen Shell wegen der geplanten Versenkung der Brent Spar in der Nordsee fuhr, welche unter anderem dazu führte, dass Shell in Deutschland aufgrund des Boykottaufrufes von Greenpeace zeitweise einen Umsatzverlust von 50% hinnehmen musste, erforderte 1995 noch eine schlagfähige Organisation mit den entsprechenden finanziellen Mitteln, heute kann ein geschickt im Internet platziertes Bildchen oder Filmchen, das viral geht, gemessen an den dafür eingesetzten finanziellen Mitteln einen ungleich grösseren wirtschaftlichen Schaden verursachen, auch weil sich immer mehr NGOs wie auf einer Hatz beteiligen und an die Meute dran hängen werden, sobald einigermassen begründete Aussicht auf Jagderfolg besteht. Es ist heute eben ungleich einfacher und billiger, ein tapferer und guter Robin Wood zu sein und deshalb gibt es jetzt für so ziemlich alles mindestens eine, meistens aber dutzende, wenn nicht sogar hunderte NGOs, die sich nach erfolgter Selbstermächtigung um unser aller Heil vollkommen selbstlos aufopfern, versteht sich, so kümmern sich die NGOs um den Wald, die Meere, Afrika, die Fische, die Frauen, die Umwelt, die zum Tode Verurteilten, die Männer, die Transgender, die Ernährung, die Gesundheit, die Wale, die Kinder, die Pflegebedürftigen, die Bären, die Asylbewerber, die Arktis, die psychisch Kranken, die Antarktis, die Tiere, die erneuerbaren Energien, die Korruption, die Mütter, die Schwulen, die Menschenrechte, die Flüchtlinge, die Pflanzen, den Klimawandel, die Lesben, die NGOs, die neuen Technologien, die Gentechnik, die E-Mobilität, die Bisexuellen, die Häftlinge, die politischen Gefangenen, den Frieden, die Ungeborenen, die Opfer von Straftaten, die Produktionsbedingungen in der Dritten Welt, den Verbraucherschutz, die religiös Verfolgten, die Senioren, die alternative Medizin, die Hungernden, Tibet, die Eisbären, die Schildkröten und und und und. Und natürlich ist das Anliegen der NGOs, sich um Probleme oder Ungerechtigkeiten in dieser Welt kümmern, von denen es reichlich gibt, aller Ehren wert, geben sie mit ihrer Arbeit den Entrechteten, Benachteiligten und Übervorteilten, um die sich wahrscheinlich sonst niemand annehmen würde, doch eine immer gewichtigere Stimme. Allerdings ist das Geschäft der NGOs beinahe bauartbedingt nicht nur ein wenig problematisch, da es sich bei ihnen eben um zwar gemeinnützige, aber doch privatwirtschaftliche Stiftungen oder Vereine handelt, die immer mehr Einfluss auf den Lauf der Politik nehmen, da sie inzwischen nach Jahren und Jahrzehnten der Professionalisierung immer enger mit deren nationalen und internationalen Institutionen und Gremien verbunden sind. So können NGOs bei der UN nach Akkreditierung einen sogenannten Konsultativstatus erlangen, der ihnen die Teilnahme an bestimmten UN-Komiteesitzungen sowie den Zugriff auf offizielle Dokumente ermöglicht. NGOs mit diesem Status werden auch regelmässig zu Konferenzen hinzugezogen bzw. im Vorfeld von anstehenden Entscheidungen um ihre Stellungnahme gebeten. Viel wichtiger als diese offiziellen Privilegien könnten aber laut „Bundeszentrale für politische Bildung“, eine Behörde des Bundesinnenministeriums, die informellen Vorteile dieser Partnerschaft sein:

„Neben den formellen Rechten öffnet der Konsultativstatus NGOs im wörtlichen Sinne die Türen zu den Vereinten Nationen: Durch ihren offiziellen Status erhalten ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen einen Pass, der es ihnen erlaubt, spezielle NGO-Eingänge zu benutzen. (…) Auch haben sie – bis auf einige Ausnahmen – Zugang zu vielen Bereichen, in denen sich normalerweise nur Diplomaten und Diplomatinnen, Regierungsvertreter und -vertreterinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der UN aufhalten dürfen. Diese Möglichkeiten zu direktem face to face-Kontakt sind in der Tat bisweilen effektiver als jedes offizielles Vorgehen. Wie eine Vertreterin von Amnesty International berichtet: „At any UN meeting the discussions in the coffee lounges and corridors are as important as, if not more than, the official speeches.““

Und natürlich haben sich im Laufe der letzten Jahre auch die Beziehungen zwischen der EU und den NGOs intensiviert, denn die EU betrachtet diese Organisation ebenso wie die UN als eminent wichtiges Bindeglied zur Zivilgesellschaft, sodass sie die Arbeit der NGOs nicht nur finanziell fördert, sondern sie auch damit betraut, EU-Programme „in vielen Politikbereichen, wie humanitäre Hilfen und Entwicklungshilfe, die Umwelt sowie Forschung und Innovation, zu gestalten, umzusetzen und zu überwachen.“ Um an diesen EU-Programmen und den ausgeschütteten Fördergeldern partizipieren zu können, müssen bei den zahlreichen Fördergeldtöpfen Anträge für Projekte gestellt werden, die irgendwie den politischen Zielen und Werten der EU und den einzelnen Fördertöpfen entsprechen. Das kann aufgrund der sehr ausdifferenzierten europäischen Förderlandschaft schon etwas kompliziert sein, weshalb es mittlerweile spezielle Fachleute gibt, die interessierte NGOs beim sogenannten „Fundraising“ begleiten. Sollten diese Erfolg haben, winken dann aber Fördergelder in Höhe von bis zu 100% der Projektkosten. Die NGOs werden somit vordergründig zum Erfüllungsgehilfen der Europäischen Union, sozusagen zu ihrem Schwert und Schild, dumm nur, dass jüngst der EU Rechnungshof feststellen musste, dass die EU offenbar gar nicht so recht weiss, wen oder was sie fördert und somit die Förderung der NGOs doch etwas zu freihändig erfolgte, auch da man seitens der EU offenbar nicht so genau wissen wollte, ob die geförderten Organisationen auch zurecht als Non-Profit Nichtregierungsorganisationen einzuschätzen seien, da diese sich lediglich per „Selbsterklärung“ legitimieren mussten, so wie der EU sehr oft verborgen geblieben ist, für welche konkreten Zwecke die Steuergelder aus EU-Töpfen tatsächlich eingesetzt worden sind, da die Fördergelder oftmals an NGO-Dachorganisationen flossen, die das Geld per gusto an ihre Mitglieds-NGOs weiter reichten. So kam denn auch die Deutsche Umwelthilfe mittelbar durch ihren Brüsseler Dachverband „Transport and Environment“ an Euro-Gelder in Höhe von 521.834 Euro, die man unter anderem dazu einsetzte, Organisationsvertreter und Bürger juristisch zu schulen, damit sie vor deutschen Verwaltungsgerichten glaubhafter auftreten können. Ein etwas sehr sorgloser Umgang mit fremdem Geld, der inzwischen gigantische Ausmasse angenommen hat, so versenkte man zwischen 2014 und 2017 fluffige 11,3 Milliarden Euro Steuergelder in Organisationen, von denen man nicht genau wusste, wer sie sind, was sie eigentlich machen und welchen Zweck sie letztendlich verfolgen, aber wahrscheinlich ist das auch eine Folge des informellen und geräuschlosen und unkompliziert-effizienten face to face-Kontakten auf langen Bürofluren, Kantinen und Besprechungszimmern hinter verschlossenen Türen. Dabei ist es kein Geheimnis, dass sich nur die allerwenigsten NGOs vollständig aus Spenden finanzieren können, neben Zuwendungen aus Stiftungen, der Industrie, von reichen Mäzenen, finanzieren sich deshalb die meisten NGOs aus Steuermitteln, die so bis zu 80% ihres jährlichen Budgets darstellen können, weshalb es bei diesen überwiegend staatsfinanzierten NGOs nicht mehr unbedingt überzeugend ist, von Nichtregierungsorganisationen zu sprechen. Neben den Mitteln aus den EU-Fördertöpfen requirieren die Organisationen noch zusätzliche Mittel auf der nationalen Ebene. In Deutschland, wo die NGOs ebenfalls zunehmend politisch mitentscheiden oder politische Entscheidungen beeinflussen, da sie beispielsweise nicht nur in der Kohlkommission über die Modalitäten des Kohlausstiegs mitverhandeln oder in Ausschußsitzungen im Bundestag von bestimmten Parteien zu Stellungnahmen eingeladen werden, können die NGOs weitere Fördermittel bei den einzelnen Ministerien beantragen. Dass es auch hier alles andere als transparent zugehen kann, zeigt eine Anfrage des Abgeordneten Mario Mieruch der „Blauen Partei“, über die der „Focus“ berichtete, wonach Mieruch von der Bundesregierung wissen wollte, wie viel Fördergelder des Bundeswirtschaftsministeriums in das Projekt „Bürgerdialog Stromnetz“ geflossen sind, an dem unter anderem mal wieder die DUH beteiligt ist, worauf der Abgeordnete folgende Antwort der Bundesregierung erhielt:

„Unter Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Auftragnehmer einerseits und dem Auskunftsanspruch des Deutschen Bundestages andererseits hat die Bundesregierung die erfragten Informationen zum ausgezahlten Mittelvolumen als Verschlusssache „VS – VERTRAULICH“ eingestuft und der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages übermittelt“

Geheimschutz für die Verwendung von Steuergeldern für eine Non-Profit-Organisation. Eigentlich sollte man doch erwarten, dass Organisationen, die fast ausschliesslich mit Spenden oder öffentlichen Geldern operieren, besonders strenge Transparentregeln zu befolgen hätten, zumal in einer Demokratie. Aber vielleicht würde dann zu offensichtlich, dass auch freigemeinnützige Non-Profit-Organisationen zwar keinen Gewinn erwirtschaften, aber dennoch ihren Führungsfiguren, CEOs, Präsidenten und Vorständen ein fürstliches Salär gewähren dürfen, von denen die alten „Masters of the Universe“ in diesen für sie so trüben Zeiten nur noch träumen können. Denn vor allem die grossen NGOs wie „Save the Children“ oder „Oxfam“ oder „Greenpeace“ sind keine kleinen Hinterhofbutzen mehr, die von irgendwelchen Studenten im 12. Politologiesemester von Berlin-Kreuzberg aus koordiniert und organisiert werden, sondern global operierende Konzerne mit zunehmender finanzieller Macht. So vereinnahmte „Save the Children“ 2017 insgesamt 2,2 Milliarden US $ Zuwendungen, davon 54% von Institutionen, darunter auch Regierungen. „Oxfam“ verbuchte 2016 Einnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden €, davon ca. 40% institutionelles Geld, darunter 68 Millionen von der EU, 64 Millionen von der UN und 200 weitere Millionen von nationalen Regierungen. „Greenpeace“ kann da nicht ganz mithalten, dennoch ist ihr Budget von 342 Millionen € im Jahre 2016 immer noch mehr als nur ganz ordentlich. Wie viel davon nun auf institutionelle oder individuelle Spender zurückzuführen sind, darüber hüllt „Greenpeace“ sich in Schweigen, sie verweisen aber entschieden darauf, keine Regierungsgelder anzunehmen. Und so ist der Kampf gegen das Schlechte in der Welt neben all den Segnungen, welche die Arbeit der NGOs so mit sich bringt, vor allem auch eins: ein Bombengeschäft, das mit dem Management eines ordinären Investmentfonds durchaus vergleichbar ist. Mittel werden generiert, kumuliert, um noch mehr Mittel zu generieren und kumulieren, die noch mehr Mittel generieren und kumulieren, um die Renditeerwartungen der jeweiligen Kundschaft, hier ein paar Prozente mehr oder dort eine spektakuläre Aktion für den guten Zweck, zu erfüllen, was dann noch mehr Mittel generiert. Anders als die Banker sind die Fundraiser der NGOs aber dazu noch besser angesehen, da sie nicht im Dienste der Gier, sondern selbstverständlich allein auf Mission für das Gute unterwegs sind und zudem noch in der beneidenswerten Lage, dafür jederzeit äusserst motivierte Mitarbeiter rekrutieren zu können, die dann noch als idealistische „Volunteers“ für nix oder fast nix arbeiten, während beispielsweise die Chefin von „Save the Children“ 345.000 $ im Jahr erhält, der ehemalige „Oxfam“ Präsident 458.000 $ erhielt und auch der nützliche Vollstrecker der DUH immerhin noch auf 222.000 € per anno kommen kann, wenn man mal unterstellt, dass der von ihm selbst in seinen Abmahnbriefchen genannte Stundensatz den Tatschen entspricht und nicht wie dann nachträglich behauptet, noch andere versteckte Kosten wie beispielsweise für n bisschen Ratzefummel oder Briefmarken darin enthalten sind. Und vielleicht sind es diese Zahlen, die auch mitverantwortlich sein können für den Boom der NGOs in den letzten Jahren, denn die Aussicht, erst einmal in der Champions League der NGOs angekommen, bar jeder Kontrolle und bei nur sehr rudimentärer Transparenz trotzdem sehr nachhaltig auch von Staatsknete profitieren zu können, die ziemlich weit über Hartz 4 Niveau liegt, und sich dennoch oder gerade deshalb als Weltenretter feiern zu lassen, kann schon ziemlich verlockend sein. Und so verwundert es nicht wirklich, wenn sich die NGOs gerade der zweiten und dritten Liga auf dem Weg in die Oberklasse gegenseitig überbieten in ihren apokalyptischen Diagnosen des erbärmlichen Zustands der Welt, dass alles immer noch schlimmer, noch krasser, noch kaputter zu sein hat, weswegen die Empörungsaufforderungen bald wie in einer Konfettiparade in den virtuellen Öffentlichen Raum regnen, fast schon minütlich die nächste schmutzige Sau durchs virtuelle globale Dorf getrieben wird und sich die Volunteers wahlweise nackt oder in irgendwelchen bescheuerten Kostümen und gerne mit Gasmaske oder theaterblutbespritzt mit alarmistischen Slogans irgendwo in der realen Welt postieren, was nur Nanosekunden später per Bildchen und Filmchen digital übersetzt im Internet auftaucht. Klappern gehört nunmal zum Handwerk und nichts ist schädlicher für den Umsatz als nur die geringste Aussicht auf Hoffnung, weswegen die junge schwedische Aktivistin, die derzeit auf den üblichen Kongressen und Foren herumgereicht wird, entwaffnend ehrlich ist, wenn sie fordert: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“.

Es ist aber nicht nur die gebotene Bühne, die Einflussmöglichkeiten und das Geld, dass die EU so wertvoll macht für NGOs aller Art, sondern noch eine weitere Waffe, die ihnen von der EU in die Hand gegeben worden ist und die sich jetzt schon als viel wirkungsvoller und schärfer erwiesen hat, als der ganze übliche NGO-Klamauk wahrscheinlich jemals sein wird. Eine Waffe, die in der EU über Jahrzehnte geschmiedet worden ist, unter anderem von einem Mann, über den es im Internet nicht besonders viele Informationen zu finden gibt, lediglich einen sehr schütteren englischen Wikipedia-Eintrag, ein paar Interview-Schnipsel und ansonsten hauptsächlich fachjuristische Schriftstücke. Das ist erstaunlich wenig für einen Mann, der zunächst ab 1969 als Richter am Bremer Landgericht tätig war, sich aber dann, von 1972 bis 2004, also ein Berufsleben lang, an leitenden Postionen innerhalb der Europäischen Kommission mit Fragen des Verbraucher- und Umweltschutzrechtes  beschäftigt hat und zum Chefberater der Europäischen Kommission in Sachen des Umweltschutzes aufstieg. Prof. Dr. Ludwig Krämer ist zudem der Autor von 20 fachjuristischen Büchern und Artikeln über das Umweltschutzrecht und lehrte über umweltschutzrechtliche Fragen an insgesamt 50 Universitäten in Europa und Nordamerika – jedenfalls wenn man der Webseite glauben will, auf welcher der öffentlichkeitsscheue Professor derzeit firmiert und wo er als einer der Top-Experten für EU-Umweltschutzrecht und -politik gepriesen wird. Es handelt sich um die Internetpräsenz von ClientEarth, einer weiteren NGO, die wenig Wert auf Klamauk legt, sondern eher gesetzter auftritt, aber dennoch sehr bestimmt, um nicht zu sagen anmassend. ClientEarth oder wie sie sich auch nennen, die „Anwälte der Erde“ geht auf die Initiative ihres CEOs James Thornton zurück, ein äusserst selbst- und sendungsbewusster Zeitgenosse, ausserdem amerikanisch-irischer Umweltschützer und gut vernetzter Top-Jurist, der es sich zur Aufgabe gemacht hat – joah – die Welt zu retten – wasdennsonst? -, was ihm wiederum andere Zeitgenossen tatsächlich zutrauen, weswegen er unter anderem von der Zeitschrift „New Statesman“ zu einem der zehn Menschen gekürt worden ist, die die Welt positiv verändern könnten. Thornton ist in den Augen seiner grünbürgerlichen Jünger, die in Teilen über die langsam mahlenden und deshalb die Weltrettung unnötig verschleppenden Mühlen der Demokratie zunehmend frustriert oder verzweifelt ist, so etwas wie der selbsternannte weisse oder besser grüne Ritter, die letzte Hoffnung also, die Welterrettung zu beschleunigen, indem er das, was auf demokratischen Weg der Kompromissfindung nicht schnell genug erreicht werden kann, auf juristischem Wege abkürzend erstreiten will, so wie er schon ein paar mal unter anderem in den USA unter Beweis gestellt hat. „Protest ist eine gute Sache“, findet Thornton, dessen deutsche Dependance von einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen geleitet wird, „aber das Gesetz kann ein mächtiges begleitendes Werkzeug sein.“

Und da hat er natürlich zweifelsfrei recht, nur gab es da in Europa jahrezehntelang ein gewisses Problemchen für den guten grünen Ritter Thornton, das – nachdem er sich mal wieder mit Mutter Meera, der Wiedergeburt oder Wiederverkörperung der hinduistischen Mutter Erde oder Shakti oder Devi, so genau weiss man das nicht, zur spirituellen Läuterung zurückgezogen hätte, um sich sodann esoterisch gestärkt auf sein juristisches Schlachtenross zu schwingen – die Bezwingung der europäischen juristischen Burgmaueren trotzdem unmöglich gemacht hätte, weil nämlich Europa bis dato juristisch anders tickte als beispielsweise die USA. Man kannte hier kein Verbandsklagerecht, also das Recht, das einem Umweltverband die Möglichkeit gibt, gegen bestimmte Umweltmißstände zu klagen, obwohl man von diesen Mißständen gar nicht persönlich betroffen ist, weil man eben nicht über Wochen direkt neben einer Feinstaubmeßstelle campieren oder sich einen Strohhalm aus der eigenen Nase operieren lassen muss. Und genau deshalb würden des guten grünen Ritters Angriffe gegen die feste juristische Burg auch heute immer noch fehlgehen und mit dem Bruch der juristischen Lanze enden, wenn in der Zwischenzeit nicht jemand von innen eine Tür in der Burgmauer geöffnet hätte, welche es dem guten grünen Thornton nun erlaubt, ähnlich wie die türkischen Truppen bei der Eroberung Konstantinopels, welche den Kollaps des 1000jährigen byzantinischen Reichs final einleitete, durch eben jene offene Tür in die Burg zu reiten, um sein juristisches Erlösungswerk zu beginnen. Und wenn sich jetzt nun jemand fragt, wer könnte denn diese Tür geöffnet haben, etwa des grünen Ritters treuer Knappe Ludwig während seines jahrzehntelangen Wirkens als Umwelt- und Verbraucherschutzchefberater in der EU-Kommission? Dem sei entgegnet, was sonst hätte seine Mission sein sollen? Ohne auf die lästigen Details näher einzugehen, die sich im Internet leicht recherchieren lassen, kamen die Segnungen des Verbandsklagerechtes tatsächlich über die EU in die Mitgliedsstaaten, sie wurden dort entwickelt, umgesetzt und Schritt für in EU-Recht übernommen und dann nach einigem juritischen Hick-Hack auch in Deutschland geltendes Recht. Und wie genau sich der grüne Ritter Thornton sein Werk so vorstellt, das konnte man in den letzten Monaten bestens beobachten, denn der nützliche Vollstrecker der DUH wird von Thornton und seiner NGO „ClientEarth“ beraten. Allerdings wird sich Thornton nicht auf die rechtliche Durchsetzung von ein paar Fahrverboten beschränken, denn dem guten grünen Ritter geht es um das grosse Ganze, mit Kleinigkeiten hält sich der Weltgeist bekanntlich nicht auf, deshalb will er nichts weniger als ein neues Zeitalter, eine neue Renaissance, eine irgendwie gute Zukunft, die ein nachhaltiges Narrativ entwickelt hat, “das sich wieder auf die Kräfte zurückbesinnt, die grösser sind wie wir selbst, und eine tiefere Bindung zum Netz des Lebens entwickelt, damit wir alle von der verborgenen Weisheit in den sich gegenseitig entwickelnden Ökosystemen der Erde profitieren können.” Ob er damit jetzt die Bacardi-Zukunft meint, ist nicht überliefert, aber er gibt zumindest einen Hinweis, wie er sich die Genese eines solchen neuen Renaissance-Narrativs vorstellt, indem er zunächst rhetorisch fragt: „Können wir es (das neue Narrativ) erfinden? Oder muss es sich organisch aus sich selbst entwickeln.“ um sich selbst die Antwort zu geben: „Ich glaube, wir können eine neue Geschichte erfinden, die zu unseren Bedürfnissen passt.“ Und wie zumindest die ersten Schritte der neuen Erfindung aussehen werden, offenbart ein Blick auf die Webseite von „ClientEarth“ , auf der man Thorntons Vision wie folgt beschrieben findet: „Eine Welt, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander gedeihen können, geschützt von aussagekräftigen Gesetzen.“ Im Folgenden erklärt ClientEarth dann seinen modus operandi, am Anfang steht die „führende“ Wissenschaft, da diese das Medium ist, durch welches die Natur zu uns spricht. Auf der Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse entwickelt „ClientEarth“ sodann Empfehlungen an die Politik, die netterweise die Wirtschaft, Kultur und Politik des Landes miteinbeziehen, in dem „ClientEarth” gerade aktiv ist. Sodann hilft „ClientEarth” den Ländern Gesetze zu verfassen, die diese Empfehlungen in Vorschriften giessen, wobei „ClientEarth” schon darauf achtet, dass die Bürger dieser Länder, also wir Doofis, diese Gesetze auch verstehen und ihnen zustimmen. Sind diese Gesetze erst einmal erlassen, überwacht „ClientEarth“ höchstselbst über deren Einhaltung und spricht unter Verweis auf das Verbandsklagerecht schon mal eine vorsorgliche Drohung aus:

„Akteure müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden, sollten sie die Gesetze nicht einhalten.“

Und das ist schon mehr als nur latenter Grössenwahn, das ist eigentlich die Ankündigung eines anti-demokratischen Putschs, da sich hier eine NGO, also eine privatrechtliche Organisation, aufschwingt, Legislative, Judikative und Exekutive einer Demokratie vor sich her zu treiben zu wollen bzw. deren Geschäft in Umweltangelegenheiten eigentlich gleich ganz zu übernehmen. In diesem Licht bekommt auch die erwähnte rhetorische Frage, ob das neue und heilbringende Narrativ auf einmal erfunden werden könne oder sich organisch entwickeln müsse, einen ganz anderen Dreh, da „organisch“ im Zusammenhang mit der Entwicklung eines sozialen Narrativs nur bedingt einen Sinn ergibt. Thornton meint wohl eher „demokratisch“, eine Lösung, die er nicht favorisiert. Damit gibt er den Verschwörungstheorien Futter, die – Stichwort Ökodiktatur – seit 2009 durch das Internet wabern, als seinerzeit der Kopenhagener Klimagipfel scheiterte und in der Folge unter anderen auch unter prominenten Klimaforschern die Diskussion Fahrt aufnahm, ob die Demokratie mit ihren ewigen Diskussionen, den entsetzlich langen Wegen bis zur Entscheidungsfindung und ihrer Fixierung auf Wirtschaftswachstum überhaupt noch die geeignete Staatsform ist, um dem Klimawandel zu begegnen oder ob eine autoritäre Regierungsform, ein starker Staat nicht die bessere Alternative wäre, um notwendige und sehr tiefgreifende Änderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft schneller und effektiver umzusetzen. Thorntons „ClientEarth“, 2008 gegründet, scheint genau das anzustreben, eine Staatsform, die aufgrund Thorntons Wirkens die Forschungsergebnisse der Wissenschaft unmittelbar ins Soziale, in unser Alltagsleben übersetzt:

„Eine Welt, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander gedeihen können, geschützt von aussagekräftigen Gesetzen.“

Keine Ökodiktatur und auch keine Wissenschaftsdiktatur im eigentlichen Sinne, sondern der Totalitarismus einer Elite, die mittels der Herrschaft des Rechts die wissenschaftlich erlauschten oder empfangenen Botschaften der Umwelt, der Erde, der Natur in Normen übersetzt. Und da unsere Beziehung zu Mutter Erde und deren schädlichen Auswirkungen nunmal ziemlich ausdifferenziert sind, dürften die von Thornton zu „erfindenden“ Normen auch ziemlich allumfassend, um nicht zu sagen: totalitär sein, da sie so ziemlich alle Sphären des Menschseins betreffen werden, also die Art und Weise, wie wir wohnen, wie wir heizen, was wir essen, was wir trinken, was wir produzieren, wie wir produzieren, wie wir transportieren, wie wir uns kleiden, was für Produkte wir kaufen, wie wir bauen, wie wir wohnen, wie wir Strom erzeugen, wie wir uns fortbewegen, ob wir rauchen, wie wir reisen, wie wir Landwirtschaft betreiben, wie wir unsere Körper pflegen uswusf., im Prinzip also jedes Verhalten von uns, das irgendwie in Zusammenhang gebracht werden kann, mit dem, das von irgendjemand sinnigerweise „ökologischer Fussabdruck“ genannt worden ist. Nun könnte man hier einwenden, dass Thornton lediglich beabsichtige, die juristischen Möglichkeiten, die ihm unser demokratisch legitimierter Rechtsstaat in die Hand gegeben habe, zu unser aller Vorteil zu nutzen, indem er beispielsweise Industrie, Wirtschaft, Kommunen, Länder und Bund, deren Vorhaben ihm aus irgendwelchen ökologischen oder auch esoterischen Gründen nicht passen und über die er niemanden Rechenschaft ablegen muss, mit einer Klagewelle überzieht, über die dann Gerichte zu befinden hätten. Und dem kann man nur erwidern, dass das natürlich alles formal korrekt ist, dass beispielsweise das Verbandsklagerecht oder ein Grenzwert oder eine Messvorschrift formal korrekt in eine verbindliche nationale Norm überführt worden ist, jedoch ist Demokratie mehr als nur die innere Mechanik ihrer Organe, sie ist immer auch Diskurs, sie lebt erst in der Debatte, und gerade deshalb beginnt ihr Sterben schon mit der Präsentation eines plumpen Fait accompli, das im Apparat der EU oder UN oder WHO geboren, irgendwie und möglichst in aller Stille und eben formal korrekt in nationales Recht bugsiert wurde, ohne dass der nationale Souverän auch nur einen blassen Schimmer davon haben konnte, welche Konsequenzen ihm daraus erwachsen werden und müssen. Man kann Thornton trotz ziemlich grössenwahnsinniger Tendenzen zugutehalten, dass er sein Ansinnen, unser Alltagsleben neu zu normieren, indem er durch Gerichtsurteile Fakten schafft, die wiederum Normen wie beispielsweise Fahrverbote generieren, die sodann gesellschaftliche Veränderungen, wie die Ächtung des Dieselmotors nach sich ziehen sollen, wenigstens im Vornherein benennt, denn bisher vollzog sich dieses „Spiel mit der normativen Kraft des Faktischen“ oder zumindest dessen Anbahnung weitestgehend im Verborgenen in den Apparaten supranationaler Organisationen, wie der UN, der WHO und der EU, die natürlich ganz im Sinne Thorntons den Empfehlungen „führender“ Wissenschaft folgten.  Ein Artikel der FAZ vom 31.01.2019 mit dem Titel „Eine Zahl macht Karriere” wirft eine Licht auf eine solche „Anbahnung“, es geht mal wieder um den Langzeit- oder Jahresmittelwert von NO2. 1996 beschloss der EU-Ministerrat eine Rahmenrichtlinie, wonach die Luftqualität in Europa verbessert werden solle. Im Oktober 1997 schlug die EU-Kommission verschiedene Grenzwerte vor, unter anderem auch den Jahresmittelwert für NO2 von 40 Mikrogramm. Hierbei bezog sie sich auf „überarbeitete(n) Luftqualitätsleitlinien für Europa, die von der Weltgesundheitsorganisation 1996 verabschiedet wurden“. Weltgesundheitsorganisation! – offizieller und fundierter geht es eigentlich nicht, sollte man meinen. Und wahrscheinlich sollten genau das auch die entscheidenden Gremien, Ministerrat und Eu-Parlament, meinen, obwohl der von der WHO angeblich beschlossene Langzeitwert für NO2 alles andere als valide und gesichert war, da die damalige WHO-Expertengruppe bezüglich der Langzeit keinerlei „Evidenz“ für eine “klar definierte Konzentration“ finden konnte, die zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen könnte. Sie befand sich somit in einem Dilemma, einerseits wollte sie die Menschheit vor NO2 schützen, andererseits wusste sie nicht wie. Also behalfen sie sich damit, dass sie auf Grundlage ebenfalls wenig evidenter Studien den Langzeitwert von NO2 einfach so schätzten, was sie auch ausdrücklich so festhielten oder wie die FAZ-Autoren formulieren: „… verbunden mit dem Hinweis, dass man diesen Wert in Ermangelung belastbarer Werte als Richtwert ansehe. Die EU-Kommission, so hat es den Anschein, hat die Einschränkungen der WHO-Fachleute ignoriert und den locker vorgeschlagenen Richtwert in einer Verordnung als Grenzwert zementiert.“ Eine Einschätzung, die u. a. von Alexander Kekulé, Medizinprofessor und Leiter des Instituts für Mikrobiologie am Uniklinikum Halle, geteilt wird. Seiner Ansicht nach machten die beteiligten Organisationen, WHO und EU, zwei grobe Fehler, die WHO, weil sie einen Richtwert ohne wissenschaftliche Evidenz einfach so schätzten, und die EU, weil sie einen Richtwert, der lediglich für die Langzeitbelastung, also für eine Belastung über Wochen und Monate, gedacht war, zu einem Grenzwert für punktuelle Messungen erklärte. Und zwar an Orten, so sei angefügt, an denen sich niemand über längere Zeit und schon gar keine Wochen und Monate aufhält. Der Grenzwert war somit aber in den Beschlussvorschlägen der EU-Kommission und wurde nicht nur einmal von den entsprechenden EU-Gremien durchgewunken, bis er schliesslich auch von der Bundesregierung in nationales Recht transferiert wurde. Anders als bei den Grenzwerten für Feinstaub, habe es bei den NO2-Grenzwerten kaum eine Diskussion gegeben, erinnern sich Mitglieder des damaligen EU-Parlaments, und ein „ehemaliger einflussreicher Europapolitiker“, der aber nicht genannt werden will, führt aus:

„Es war bei solchen Grenzwertdiskussionen immer so: Die werden irgendwie gesetzt, die kommen irgendwo her. Dann gibt’s gar kein sauberes Überprüfungsverfahren, dass man abschätzt, ob das geht und was da geht. Diese Werte setzen sich einfach fest und werden beschlossen.“

Ein weiterer Politiker, der heute im Umweltausschuss des Bundestages sitzt und ebenfalls nicht genannt werden will, erinnert sich:

„Es gab keine relevante politische Diskussion über diesen Grenzwert im Europäischen Parlament und im Umweltausschuss.“

Auch ist er der Meinung, dass die Lobbyarbeit von Umweltverbänden ebenso kritisch hinterfragt gehört wie die der Autoverbände, weil:

„Es gab Papiere der Generaldirektion Umwelt, die lasen sich, als ob sie 1:1 von Greenpeace übernommen worden sind.“

Und da ist es schon fast keine allzu grosse Überraschung mehr, dass auch die Umweltminister der nationalen Regierungen nicht allzu viel Diskussionsbedarf in der Causa 40 Mikrogramm hatten, wie sich wiederum der „einflussreiche ehemalige Europapolitiker“ erinnert:

„Da sammeln sich eigentlich die Leute, die relativ gleich gesinnt sind. Dann kommt das irgendwann ins Plenum, die andren Ausschüsse dürfen auch noch beraten, klar. Deren Meinung wird aber meist nur begrenzt wahrgenommen.“

Ein weiterer wichtiger Hinweis in dieser Angelegenheit ist, dass die Auto-Lobby laut diesem FAZ-Artikel entgegen anderslautenden Meinungen an diesem speziellen NO2-Wert seinerzeit gar nicht interessiert waren, vielleicht hielt sie die Diskussion um die Feinstaubwerte damals für viel dringlicher oder die NO2-Werte für vernachlässigbar. Und so kam es, dass ein Grenzwert aus den Tiefen der Apparate der WHO und der EU, der laut seiner Urheber nur als geschätzter Richtwert gedacht und als solcher auch gekennzeichnet war, ohne Überprüfung oder kritische Diskussion durch alle Instanzen spazierte und letztlich seinen Niederschlag in den nationalen Gesetzbüchern der EU-Mitgliedstaaten fand. So etwas nennt man im Baseball einen Home Run, wenn es dem Schlagmann gelingt, den Ball so gut zu treffen, dass er alle drei Bases bis zur Home Base ablaufen kann, bevor der Ball durch das verteidigende Team abgefangen und schneller als der Schlagmann laufen kann zu einem der drei abzulaufenden Bases oder der Home Base geworfen wird. Um im Bild zu bleiben, könnte man die verteidigende Mannschaft mit der Autolobby gleichsetzen, die, wenn sie gewusst hätte, welchen Ärger ihr dieser verflixte Grenzwert später einbringen würde, sicherlich seinerzeit versuchte hätte, den Ball oder besser: den Grenzwert irgendwie abzufangen, um den laufenden Schlagmann an einem Bases festzunageln oder ganz aus dem Spiel zu nehmen, indem sie versucht das Abstimmungsverhalten der EU-Parkamentarier dementsprechend zu beeinflussen. Letzteres wäre ihr bei einem Grenzwert für gesunde Luft wohl kaum gelungen, allerdings hätte sie versuchen können, ihrerseits mit wissenschaftlichen und diesmal validen Studien aufzuwarten, die einen höheren Grenzwert für unbedenklich erklären, denn damit würden sie den rennenden Schlagmann als Symbol der tätigen Exekutive der EU vielleicht schon am ersten Base mit 100 Mikrogramm oder am zweiten mit 80 Mikrogramm oder am dritten mit 60 Mikrogramm festnageln können, bevor er die vollen 40 Mikrogramm an der Home Plate ins Ziel bringt. Und das wirft natürlich die Frage auf, wer oder was eigentlich der schlagende Schlagmann in diesem seltsamen politischen Baseballspiel sein soll. Der schlagende Schlagmann ist in diesem Fall die Exekutive EU, als sozialer Prozess, versteht sich, und zwar fast der gesamte politische Zirkus in Brüssel, also Kommission, Politiker, Funktionäre, Beamtenapparat, Lobbyisten und NGOs – ausser dem Parlament, denn dieses kommt erst ins Spiel, wenn die Exekutive, also der Schlagmann einen Beschlussvorschlag ins Spiel, in die Exekutive drischt. Der Schlagmann steht in der Wurflinie zwischen Werfer und Fänger. Im normalen Leben gehört der Schlagmann auf der einen Seite und der Werfer und der Fänger auf der anderen gegnerischen Mannschaften an, deshalb versucht der Werfer den Ball durch eine definierte Schlagzone hindurch zu seinem Fänger zu werfen, ohne dass der Schlagmann den Ball erwischt. Sind die „Fronten“ im Sport klar verteilt, weiss man im politischen Spiel der „Anbahnung der normativen Kraft des Faktischen” nicht immer so genau, zu welcher Mannschaft der jeweilige Akteur gehört. Im Fall der NO2 Grenzwerte kann man zunächst nur sagen, dass der Werfer formal dem Team der WHO angehört und zwar wieder in Form des ganzen Apparates: Politiker, Funktionäre, Lobbyisten, Bürokraten, NGOs, Institute, Geldgeber und Wissenschaftler usw. Allerdings ist der Wurf “als Akt“ der Endpunkt eines Prozesses, der in Gang gekommen ist, als die EU sich bei der WHO nach Grenzwerten für die Luftreinhaltung erkundigte. Würde heute eine solche Anfrage mit dieser politischen Tragweite bei der WHO eingehen, dürfte sie innerhalb von Sekunden ein lang anhaltendes Gerangel zwischen den vermeintlich „Guten“, den NGOs, und den vermeintlich „Bösen“, den Vertretern der Industrie, auslösen. Die vermeintlich „Guten” haben ein starkes Interesse daran, dass der Grenzwert möglichst gering ist, denn wenn er später einmal überschritten wird und sich so eine vermeintliche allgemeine Gesundheitsgefährdung einstellt, lässt sich die Hysterie besser anfachen und steigern – und steigende Hysterie bringt diesen Organisationen Geld. Die vermeintlich „Bösen“ haben selbstredend ein Interesse daran, dass die Geschäfte möglichst ungestört laufen, denn das bringt ihnen Geld. Also versuchen die „Guten“ und die „Bösen” Einfluss zu nehmen auf alles, was nur irgendwie Einfluss auf den „Akt des Wurfes“ hat, beispielsweise die Auswahl der Experten, die über die Höhe der Grenzwerte letztendlich bestimmen und von denen man weiss, dass einige eher moderat, andere eher scharf oder „führend“ sind. Nach allem, was man weiss, ist der Prozess der Grenzwertfindung bei der WHO Mitte der 1990er Jahre einigermassen unbeeinflusst gelaufen, damals waren die Zeiten noch nicht so hysterisch wie heute. Man teilte der EU also mit, dass man es nicht so genau wisse, aber vielleicht könnten sie mit den 40 Mikrogramm was anfangen, weil das irgendwie so ein Indikator sein könnte, und warfen den Ball somit locker zum EU-Schlagmann, der den Ball zu erneuten Überprüfung und Untersuchung hätte passieren lassen können, was er aber nicht tat, sondern vielmehr voll durchzog und den Ball in die Exekutive und damit letztlich zum Home Run drosch, denn auch im Apparat und dem Parlament der EU war zwischenzeitlich ein Gerangel ausgebrochen, hier aber vor allem um die Feinstaubgrenzwerte, weshalb die „Guten” offensichtlich, vielleicht sogar Ludwig Krämer höchstpersönlich, aufgrund der Teilnahmslosigkeit der „Bösen“ bezüglich des NO2-Wertes ihre Chance erkannten und den schwammigen NO2-Grenzwert durch ihren Einfluss innerhalb des Apparats in den „Akt des Schlags“ oder anders ausgedrückt: in den Beschlussvorschlag der EU-Kommission brachten. Der Rest ist Geschichte.

Allerdings zeigt dieses Beispiel, dass die eigentlich wichtigen Entscheidungen über die Höhe des Grenzwertes oder die Definition der Norm, die später faktisch werden sollte, zwar formal in der Legislative erfolgten, aber inhaltlich in den Apparaten festgelegt wurden.  Und zwar vollkommen intransparent festgelegt wurden. Und eben das ist in Anbetracht der Schacherei von NGOs, Verbänden, Lobbygruppen auf den Fluren und Hinterzimmern, sprich im Apparat supranationaler Organisationen weit weg von den gewählten Abgeordneten der nationalen Legislativen nicht eben beruhigend. Schätzungsweise 25.000 Lobbyisten zählt die NGO „Lobby-Control“ auf den EU-Fluren in Brüssel, die über ein Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro verfügen und zu etwa 70% von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden bezahlt werden, wie man auf der Webseite von „Lobby-Control“ lesen kann. Ausserdem erfährt man dort noch: „Sie (Die Lobbyisten der Unternehmen und Wirtschaftsverbände – rp) genießen privilegierte Zugänge zu den Kommissaren. Und sie überhäufen die Angeordneten mit ihren Änderungsanträgen für Gesetzesvorlagen. Die europäische Demokratie läuft Gefahr, zu einer wirtschaftsdominierten Lobbykratie ausgehöhlt zu werden.“ Dass die Funktionäre und Aktivisten der Umwelt- und anderer NGOs mittlerweile ebenfalls einen privilegierten Zugang zu den Entscheidungsträgern innerhalb supra- aber nationaler Apparate haben, wenn sie nicht sogar jahrzehntelang wie Ludwig Krämer festangestellt in diesen waren, um dann nach Eintritt ins Rentenalter zu einer NGO überzulaufen, und die NGOs  zudem von der EU selbst mit Milliarden ausgestattet werden, weshalb unsere Demokratie Gefahr läuft zu einer hysteriedominierten NGOkratie ausgehöhlt zu werden, das erfährt man auf der Webseite der NGO „Lobby-Control“ natürlich nicht. Und dieser blinde Fleck hat etwas mit der gekonnten Eigendarstellung der NGO als die „Guten“ zu tun, denn es sind ja sie, so wollen sie es der Öffentlichkeit Glauben machen, was auch immer noch sehr gut funktioniert, die sich vollkommen selbstlos, versteht sich, aufopfern, um uns vor allem möglichen Übel zu schützen, vor einer „wirtschaftsdominierten Lobbykratie“ ebenso wie vor einer zerstörten Umwelt, dem Klimawandel, dem Mikroplastik in den Meeren, dem Patriarchat, den Kinderschändern, dem bösen Kapitalismus, dem Rassismus, der Korruption, der Willkür uswusf., weshalb – na klar – so ziemlich alle, die noch einigermassen bei Verstand sind, mit diesen Zielen nicht nur sympathisieren, sondern sie auch sehr gerne unterstützen, wie beispielsweise nicht alle, aber dennoch immer noch zu viele Journalisten, die wenig bis gar keine Probleme damit haben, die Hysterieverlautbarungen der NGOs 1:1 ungeprüft in die Öffentlichkeit durchzuwinken, dass das Weltenende mal wieder kurz bevor steht oder zehntausende Menschen jedes Jahr Dieselabgasen zum Opfer fallen. Christoph Minhoff, der lange als Journalist arbeitete und jetzt als Lobbyist für die Lebensmittelindustrie tätig ist, der also beide Seiten, die Presse als auch das Geschäft der Einflussnahme auf die Politik gut kennt, diagnostiziert eine gewisse Asymmetrie in der Pressearbeit von NGOs und Industrie-Lobbyisten:

„Dass NGOs als David im Kampf gegen Goliath empfunden werden, ist angesichts der Summen, über die diese Organisationen verfügen, grotesk. Darauf angesprochen antworten NGOs gerne: Den Unternehmen ständen ja Milliarden an Werbeetats zur Verfügung. Doch wie werthaltig ist geschaltete Werbung vor den Nachrichten, wenn in der eigentlichen Nachrichten-Sendung ungeprüft das NGO-Kampagnen-Sprech übernommen wird? Was würde wohl ein Werbespot in der „Tagesschau“ oder bei „heute“ kosten? (…) Redakteure, die sich als mediale Echo-Kammern von NGO-Kampagne definieren, brauchen keine faktenbasierten Antworten, sie wollen Bestätigung. (…) Die Erfahrung zeigt das immer gleiche Muster solcher Helden-Stücke: NGO gut, Unternehmen böse. NGO-Argument richtig und wichtig, Unternehmensargument wertlos und interessengeleitet.“

Eine Folge dieser sehr selektiven Berichterstattung ist, so Minhoff, dass immer mehr Unternehmen so wenig wie möglich gegenüber Journalisten kommunizieren und sich stattdessen – wie Bacardi, Gillette und co. – direkt an den Endkunden, also die Öffentlichkeit wenden. Das spare Zeit und zeige bessere Ergebnisse. Und das hat sich vielleicht auch BAYER gedacht, die immer mal wieder mit Kampagnen zur Rettung der Bienen konfrontiert sind, da ihr Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat von verschiedenen NGOs, Umweltverbänden und Parteien als eine der möglichen Hauptursachen für das sogenannte Bienensterben ausgemacht worden ist. Nun ist Glyphosat auch ein sehr gutes Geschäft, das man sich nicht kaputt machen will, weshalb BAYER in Zeiten der Bienenrettungskampagne der bayerischen ÖDP im Internet Anzeigen schaltet, welche auf die zwei – echt kein Scheiss – BAYER BEE CARE CENTER und die drei BEE CARE TECHNOLOGY STATIONS hinweist, welche der Konzern in Europa und Nordamerika unterhält, um durch Forschungen und wissenschaftlichen Austausch die Bienengesundheit zu untersuchen und besser zu verstehen, wozu man auch in Chile mit dem Fraunhofer Institut und fast 100 Imkern zusammenarbeitet. Und das zeigt mal wieder zweierlei, dass dem Konzern erstens ziemlich die Düse geht, was natürlich auch die grosse Macht der NGOs demonstriert, und zweitens, dass der Kampf um die Meinungshoheit zunehmend „wissenschaftlich“ geführt wird, indem man sich – also die „Guten“ und „Bösen“ – gegenseitig irgendwelche wissenschaftliche Studien um die Ohren haut, die jeweils genau das Gegenteil des Gegenteils beweisen sollen, weshalb heutzutage die meisten in den Medien kolportierten Lügen mit den traurigberühmten vier Worten „Laut einer neuen Studie…“ beginnen, weil nämlich nicht gleichzeitig das Gegenteil als auch sein Gegenteil wahr sein können. Und das verweist dann wieder ein klein wenig auf den guten Ritter Thornton und Mutter Meera, der Wiedergeburt oder Wiederverkörperung der hinduistischen Mutter Erde oder Shakti oder Devi, so genau weiss man das nicht, und seinen ganz speziellen Totalitarismus einer bescheidwissenden Elite, die mittels der Herrschaft des Rechts die wissenschaftlich erlauschten oder empfangenen Botschaften der Umwelt, der Erde, der Natur in Normen übersetzen will. Und das klappt natürlich umso besser, je mehr erlauschte Botschaften ihren Weg in wissenschaftlich einwandfrei bewiesene Studien finden. Es ist keine Geheimnis, dass es ein altes Leiden der Sozialwissenschaft ist, dass sie – zumal in Zeiten, die gesellschaftlich ein wenig aufgewühlt ist – jedenfalls in Teilen dazu neigt, die Welt durch ihre Forschung oder Arbeit in einem positiven Sinne zu verändern, obwohl man weiss, dass es nicht die eigentliche Aufgabe der Wissenschaft ist, die Welt zu verbessern, weil ihr Auftrag immer nur darin bestehen kann, Erkenntnis zu generieren, die erst in einem zweiten Schritt und im besten Fall mit dazu beitragen kann, dass sich die Welt nicht nur verändert, sondern auch tatsächlich zum Besseren wendet. Und deshalb gefriert es einem fast das Blut in den Adern, da es  an schon längst überwunden geglaubte Zeiten von vor 35, 50 und 80 Jahren erinnert, wenn man die folgenden Worte eines warumauchimmer-prominenten Sozialpsychologen liest, der ganz verzweifelt von den geringen bis nicht existenten Fortschritten bei der Bekämpfung des Klimawandels ist und sich grämt:

„Wir müssen nach vorne schauen und Handlungsspielräume deutlich machen. Haben wir eine Sozialwissenschaft, die sich mit positiver Veränderung von Gesellschaft beschäftigt? Haben wie eine Wirtschaftswissenschaft, die sich mit Nicht-wachstumsbasierten Ökonomien beschäftigt? Haben wir eine Geschichtswissenschaft, die erklärt, wie Gesellschaften sich aus Krisensituationen wie der aktuellen herausgearbeitet haben?“

Um sich selbst die natürlich niederschmetternde Antwort zu geben:

„Nein, jedenfalls viel zu wenig. Die vernaturwissenschaftlichte Debatte macht auch die Kommunikation so schwierig.“

Offensichtlich stört den Sozialwissenschaftler die Vernaturwissenschaftlichung der Debatte, also das Streben nach Erkenntnis durch die Anwendung objektiver naturwissenschaftlicher Methoden, die darauf zielen, quantifizier- oder messbare Phänomene in der Natur auf Regel- oder Gesetzmässigkeiten hin zu untersuchen, die es u. a. erlauben sollen, die Forschungsergebnisse reproduzierbar zu machen. Das ist gewissermassen die Idealform der objektiven empirischen Naturwissenschaft, sie strebt nach objektiver Erkenntnis, sie ist – ganz platt formuliert – der Wahrheit verpflichtet. Und das ist die Sozialwissenschaft natürlich ebenfalls, und auch wenn sie sich, wie etwa die qualitative Sozialforschung, anderer Methoden als die Naturwissenschaften bedient, bleibt sie natürlich immer und zuerst der Wahrheit verpflichtet. Sie ist eben keine Meta-Sozialpädagogik, welche die Gesellschaft am Händchen fasst, um sie in eine irgendwie positive Zukunft zu führen, in der es dann keine wachstumsorientierte Wirtschaft mehr gibt und wir nach den nachhaltigen Rezepten oder Ideen unserer Ahnen glücklich werden sollen. Denn bei einem solchen Unterfangen gäbe es ganz naturgemäss einige Problemchen und zwar  ziemlich handfeste. Denn zuerst müsste ein jemand oder ein irgendwas definieren, was das eigentlich ist: „positiv“ oder „gut“, und dann müsste dieses „Gute“ auch noch wirksam werden, das heisst, wir müssten irgendwie dazu gebracht werden nach dem definierten Prinzip des „Guten“ zu leben. So ist es nicht nur die „Wahrheit“ und das „Gute“, welche sich hier auf einmal gegenüberstehen und “die Kommunikation so schwierig machen“, sondern auch die Frage nach der Art der Herrschaftsausübung und die des Beherrschtwerdens, denn wer braucht schon noch eine Demokratie, wenn allein die „Wissenschaft“ den Weg ins „Positive“ vorgibt? Aber mit solch banalen Kinkerlitzchen hält sich eine bescheidwissende Meta-Sozialpädagogik natürlich nicht auf, denn anders als es der Sozialpsychologe in seiner rhetorischen Antwort auf seine rhetorischen Fragen anklingen lässt, hat sich die Positive-Veränderungs-Sozialwissenschaft, ungeachtet des üblichen Politikwissenschaftsgedöns, schon auf den Weg gemacht, und zwar in Gestalt spezieller Ausformungen der Sozialwissenschaften, die man vielleicht unter dem Oberbegriff „something is wrong studies“ oder „Es ist etwas nicht in Ordnung Studienfächer“ oder “EIENIO-Fächer” subsumieren kann, die es grösstenteils noch nicht so wahnsinnig lange gibt und die beispielsweise “Gender Studies”, “Diversity Studies”, “Environmental Studies” oder “Public Health“ heissen, um vielleicht nur die gängigsten oder wichtigsten zu nennen. Anders als das ehemalige „Mutterschiff“ Sozialwissenschaft, die in ihren Disziplinen einen offenen Horizont für alle sozialen Phänomene kennt, ist der Horizont der sozialwissenschaftlich geprägten EIENIO-Fächer mehr oder weniger klar abgesteckt oder auf einen bestimmten Rest sozialer Phänomene zusammengeschrumpft worden. In den „Gender Studies“ ist dies die Wirkmacht des sozial genormten, also – wenn man so will – anerzogenen Geschlechtsverständnisses von Frauen und Männern und Diversen für alle möglichen sozialen Fragen und Probleme. In den Diversity Studies sind dies die Bedingungen sozialer Ungleichheit hinsichtlich sozialer oder ethnischer oder geschlechtlicher Differenzen, also die Frage, warum Menschen aufgrund u. a. ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sozialen Herkunft oder auch ihres Alters irgendwie benachteiligt werden. In den Environmental Studies, die den Naturwissenschaften zuzurechnen sind, dennoch aber eigentlich sozialwissenschaftlich orientiert sind, da sie die Auswirkungen des Menschen, also seines Verhaltens, auf die Umwelt untersuchen. Und in der sogenannten Public Health ist dies – platt gesacht – die Volksgesundheit oder anders ausgedrückt die Verbesserung der Gesundheit der Massen. Alle diese EIENIO-Fächer haben ihre Wurzeln in politischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahren. „Gender Studies“ im Feminismus dieser Jahre, „Diversity Studies“ in der us-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung dieser Jahre, „Environmental Studies“ in der Anfang der 1970er Jahre – Greenpeace lässt grüssen – aufkeimenden Anti-Atom-und-Atomtest- und Umweltschutzbewegung. Bei „Public Health“ verhält es sich ein wenig anders, da dieses Fach im anglo-amerikansichen Raum eine längere Tradition hat, die in Deutschland zwar frühzeitig aufgenommen worden, dann aber durch den nationalsozialistische Volksgesundheitswahn und die Rassenhygiene barbarisch wieder durchbrochen worden ist, und somit und bezeichnenderweise nach einer Phase der nationalen Beschämung erst Ende der 1980er Jahre in Deutschland wieder aufgenommen wurde, also genau zu dem Zeitpunkt, als man das ursprüngliche Ziel, die grossen Infektionskrankheiten der Welt durch Impfkampagnen und Hygiene zu besiegen oder wirksam einzudämmen, endlich erreicht hatte und sodann die ganze Angelegenheit in die – joah – soziale Grütze kippte, indem man anfing, sich mehr und mehr auch auf soziales Verhalten zu fokussieren und eine Art „Gesundheitserziehung“ zu betreiben, von deren Erfolg heute unter anderem die netten Bildchen auf den Zigarettenpackungen künden. In diesem Sinne ist „Public Health“ als akademische Disziplin massgeblich beeinflusst worden durch die Umweltschutzbewegung, welche sich aber hier nicht die äussere Umwelt, sondern vielmehr die “innere Natur“ der Menschen zum Sujet gab, die wiederum vor menschlichem Fehlverhalten geschützt werden muss. Dadurch dass die EIENIO-Fächer auf politische Bewegungen zurückzuführen sind, bleiben sie fast schon automatisch auf soziale Phänomene – das Geschlechterverhältnis, die Ungleichheit, die vom Mensch veränderte Umwelt, das ungesunde Verhalten – fixiert, die “nicht gut“ sind, die „verändert“ werden müssen. Um aber etwas verändern zu können, muss man auch hier in der Lage sein, das „zu Verändernde“, das „nicht Gute“ zu identifizieren, und wenn man das endlich geschafft hat, muss man auch hier dazu noch wissen, in was genau das „nicht Gute“ „verändert“ oder transferiert werden soll, man braucht also eine Art Idealzustand der betrachteten sozialen Phänomene – das gerechte Geschlechterverhältnis, die Gleichberechtigung von Allen und Allem, der Mensch im Einklang mit der Natur, die vollständige Volksgesundheit – aber genau das, die Identifizierung eines irgendwie gearteten sozialen Idealzustandes offenbart schon das in diesen EIENIO-Fächern zwangsläufig angelegte „Problem“, denn was ist eigentlich ein „genderkorrektes Geschlechterverhältnis“?, wie sieht dieses – abseits der in abstrakten Sozialwissenschaft-Deutsch aufgehäuften Theoriegebirge – eigentlich ganz praktisch aus? Ist Geschlechtergerechtigkeit beispielsweise schon erreicht, wenn, wie oft kolportiert wird, die Hälfte aller Dax-Vorstände weiblichen Geschlechts sind? Und was ist eigentlich ein gesundes Leben? Wie lässt sich dieses messen? Ist das Idealbild des gesunden Lebens etwa schon erreicht, wenn die Menschen oder ihre blosse Biologien aufgrund des medizinischen Fortschritts und durch gesundheitserziehungs-konformes soziales Verhalten immer älter werden? Oder sind dies nicht vielmehr blosse Unterstellungen, zum einen die Unterstellung, Dax-Vorstand sei ein irgendwie erstrebenswerter Zustand und somit auch ein Gradmesser für Geschlechtergerechtigkeit oder zum anderen die Unterstellung nur ein langes Leben sei ein erstrebenswerter Zustand, die vollkommen ausblenden will, dass Menschen sich bewusst für Lebensentwürfe entscheiden können, die Gesundheitsrisiken enthalten, eben weil diese Risiken, seien sie der Rausch, der Nervenkitzel, der Kick, der Genuss, der Kampf, der Triumph, das Endorphin, das Adrenalin, der Alkohol, das Nikotin, das Heroin, das Kokain usw., elementare Bestandteile eines gerade „qualitativ-befriedigenden” Lebensentwurfs sind und auch so verstanden werden dürfen? Denn wer sagt denn, dass das so nicht verstanden werden darf? Und auf welcher Legitimationsbasis? Auf der Basis objektiver wissenschaftlicher Ergebnisse sicherlich nicht. Es gibt keine objektive wissenschaftliche Erkenntnis, dass der Zustand „Dax-Vorstand“ erstrebenswerter zu sein hat als der Zustand „Pflegefachkraft“. Und es gibt ganz sicher mannigfaltige objektive wissenschaftliche Ergebnisse, dass gewisse Praktiken und Stoffe gesundheitsschädlich sind, es gibt aber ganz gewiss keinen einzigen objektiven wissenschaftlichen Befund, wonach diese Praktiken oder Stoffe nicht dennoch bewusst in Kauf genommen oder sogar angestrebt werden dürfen, um Teil eines guten und im ganz persönlichen Verständnis erfüllten Lebens zu sein. Was es gibt, sind lediglich soziale Konventionen und Normen, die dafür sorgen, dass bestimmte Berufe, zumal in einem kapitalistischen Gesellschaftssystem, vermeintlich und leider höher wertgeschätzt werden, und dass bestimmte Praktiken oder der Genuss von bestimmten Stoffen verpönt, geächtet oder sogar strafbewehrt sanktioniert werden. Dass sich diese Konventionen und Normen jedoch ändern können, zeigt beispielsweise die Legalisierung des Marihuanas in einigen us-amerikanischen Bundesstaaten in jüngster Zeit oder auch die Einführung und Wiederabschaffung der Prohibition sowohl in den USA als auch anderen Ländern. Soziale Konventionen und Normen sind demnach nicht für alle Zeiten festgeschrieben, sondern Änderungen unterworfen, die den Blickwinkel und die Bewertung von sozialem Verhalten teilweise sogar radikal ändern. Ebenso wie auch andere Bewertungsrahmen oder Kontexte den Blickwinkel und die Bewertung ändern, denn mit schöner Regelmässigkeit findet man die „Pflegefachkraft“ als Krankenpfleger oder Alterpflegerin unter den Top 5, wenn in den Deutschland durch Umfragen die besonders angesehenen oder vertrauenswürdigen Berufe ermittelt werden. Verschöbe man also den „Wertungsrahmen” von den besonders potenten und gutbezahlten Berufen hin zu den besonders angesehenen oder vertrauenswürdigen, wäre – wer weiss? – die Geschlechtergerechtigkeit vielleicht schon und nicht nur statistisch voll umfänglich erreicht. Dass man das nicht macht, sondern gerade auf dem Bewertungsrahmen der Macht beharrt, ist in diesem Zusammenhang nicht nur bemerkenswert, sondern in einem gewissen Sinne auch verräterisch. Denn den diesen “something is wrong studies “historisch zugrundeliegenden Bürgerrechtsbewegungen ging es eben immer in erster Linie um die Machtfrage, der Verteilung von Macht und Ohnmacht oder anders ausgedrückt: um eine immer grössere Teilhabe an der Macht, eine grössere Teilhabe an der Macht durch Frauen, durch Minderheiten, durch Umweltschützer und durch die Gesundheitsbescheidwisser. Es ist das grosse historische Verdienst der Bürgerrechtsbewegungen, diese Macht erkämpft zu haben, indem sie die Fremdbestimmung durch Männer, durch Mehrheitsgesellschaften und durch die Industrie abgeworfen haben und in immer grösseren Maße durch die Selbstbestimmung von den Frauen, den Minderheiten, der äusseren und inneren Natur selbst ersetzten. Dies geschah seinerzeit jedoch durch einen öffentlichen Diskurs, indem zuerst die öffentliche Meinung u. a. durch Protestaktionen, Demonstrationen, Aufklärungsaktionen, Lobbyismus usw. derart sensibilisiert worden ist, dass sie in eine breite öffentliche Debatte eintrat, welche dann wiederum ab einem gewissen Zeitpunkt die Politik auf den Plan rief, die “mehr Selbstbestimmung“ in ihre Parteiprogramme schrieb und sie somit in einem demokratischen Prozess überführte und wählbar machte. All das führte dazu, dass sich soziale Normen und Konventionen herausbildeten, die mehr „Selbstbestimmung“ erlaubten. Und das ist gewissermassen der idealtypische Prozess der Veränderungen von sozialen Normen und Konventionen innerhalb einer Demokratie, dass er sich innerhalb eines breiten gesellschaftlichen und vor allem transparenten Diskurses herauszubilden hat. Derzeit ist mehr und mehr das Gegenteil zu beobachten und das hat leider auch mit den „something’s wrong studies“ zu tun, die, von den „althergebrachten akademischen Disziplinen“ immer noch ein wenig belächelt, im Begriff sind, eine ganz spezielle Wirkmacht zu entfalten. So ist auf der Webseite der altehrwürdigen Freiburger Albert-Ludwigs-Universität über den Inhalt des dort angebotenen Studienfaches „Gender Studies“ zu lesen:

„Der Studiengang behandelt Fragen der Ungleichartigkeit und Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, thematisiert Differenzen innerhalb der Geschlechter und sensibilisiert für die Veränderbarkeit sozialer Praxis.“

Und über die „Berufschancen“ der Absolventen erfährt der Leser:

„Die Studierenden sollen die erworbenen Schlüsselqualifikationen für Tätigkeiten in Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Medien, Öffentlichkeit und Kultur anwenden können und nutzbar machen. Weiter sollen sie sich (selbst-)kritisch mit der gesellschaftlichen Gebundenheit von Wissen(schaft) sowie ihrer Übersetzung in nicht-wissenschaftliche  Zusammenhänge auseinandersetzen. Auf dieser Grundlage werden sie in der Lage sein, als Multiplikator_innen in die berufliche Praxis einzusteigen.“

Wird zunächst noch – fast ein wenig verschämt – von der „Sensibilisierung für die Veränderbarkeit sozialer Praxis“ fabuliert, wird man später konkreter, die Bescheidwissenden mit ihren „Schlüsselqualifikationen“ sollen Schlüsselpositionen innerhalb der Gesellschaft besetzen, und sich sodann, nachdem die Möglichkeiten der Übersetzung, sprich: Implementierung, ihres Bescheidwissens in „nicht-wissenschaftliche Zusammenhänge”, vulgo: Alltag, reflektiert worden ist, sich als tapfere Multiplikator_innen erweisen. Die Absolventen sollen demnach nicht dazu beitragen, durch objektiv wissenschaftliches Forschen und Arbeiten die Welt zu verbessern, sondern haben vielmehr den „politischen” Auftrag direkt Einfluss auf die soziale Praxis zu nehmen, um sie – nawaswohl? – zum Guten zu verändern. Und diese „Meta-Sozialpädagogik“ hat dann nicht mehr viel mit objektiver Wissenschaft zu tun, sondern ist eher etwas für die Abteilung: „Infiltration, Agitation und Propaganda“. Ähnliches oder gleiches liest man im Begleittext ziemlich jeder der „something is wrong studies“. Die Absolventen sind somit „akademisch verbrämte Aktivisten“, die mittels ihres Bescheidwissens von Seiten ihrer Alma Mater zu hauptberuflichen Sachwaltern der Selbstbestimmung geadelt wurden – der Selbstbestimmung der Frauen, der Minderheiten als auch der äusseren und inneren Natur. Und jetzt könnte man natürlich sagen: das ist doch schön, dass es jetzt Menschen gibt, die speziell ausgebildet worden sind, um sich sozusagen hauptamtlich um die Rechte der Frauen, Minderheiten, der Natur und Gesundheit zu kümmern, allerdings übersieht diese politisch-korrekte Freude, dass damit der „Prozess der demokratischen Findung sozialer Normen und Konventionen“ antidemokratisch ausgehebelt wird, da die Normen oder die Initiativen oder die Instrumente zur Erweiterung der Selbstbestimmung jetzt direkt aus dem Apparat, der auf supra- als auch nationaler Ebene einer der Hauptspielplätze der Selbsbestimmungssachwalter ist, in das alltägliche Leben durchgedrückt werden, ohne vorher überhaupt im gesellschaftlichen Diskurs jemals wirklich präsent gewesen zu sein. Das Aushandeln sozialer Konventionen und Normen wird so einmal mehr dem Diskurs entzogen. Die Bürgerrechtsbewegungen verschwinden aus der Arena des Öffentlichen Raums, meiden die Strassen und versuchen ihre Normen oder ihre Vorstellungen von Sozialen Konventionen der Gesellschaft mittels der von ihnen besetzten Institutionen unterzuschieben. Diese „Institutionalisierten Bürgerrechtsbewegungen” schaffen somit Normen aus dem diskursiven Nichts. Oder anders ausgedrückt: Aus dem Apparat heraus.

Und so kann es eben geschehen, dass der Handwerksmeister auf dem Land, der den netten Sachbearbeiter von der Arbeitsagentur bittet, doch eine Stellenanzeige für ihn online zu stellen, weil er einen zusätzlichen Gesellen sucht, von dem Sachbearbeiter zu hören bekommt, dass er das schon für ihn veranlassen könnte, allerdings müsste der Handwerksmeister dann damit einverstanden sein, die Stellenanzeige mit dem Zusatz m/w/d zu versehen, sonst könnte sie leider nicht erscheinen, und der Handwerksmeister sich dann fragt, was – verflixt nochmal! – „d“ eigentlich bedeutet?

Und so kann es eben sein, dass aus den Tiefen des Apparats auf einmal ein „Migrationspakt“ in der Öffentlichkeit aufschlägt, um für eine kurze und wütende Diskussion zu sorgen, die erst abebbt, als dieser „Pakt“ auf irgendeiner Konferenz durchgewunken wird.

Und so kann es eben geschehen, dass die minimale Verletzung eines nichtssagenden Verlegenheits-Grenzwerts laut pseudo-wissenschaftlicher Expertise verantwortlich sein soll für zigtausende Tote.

Und so wird es werden, dass dieses Wirken aus den Tiefen des Apparats – neben dem absolut bescheuerten Anachronismus, dass SELBSTbestimmung sich überhaupt hauptamtlicher und selbsternannter Sachwalter bedienen muss – zunehmend dafür sorgen wird, dass sich eine Demokratie, deren Elite den Raum des öffentlichen Diskurses verlassen hat und sich stattdessen in den Sozialen Medien gegenseitig bespasst und der eigenen moralischen Grossartigkeit versichert, sich einem immer grösser werdenden Teil der Bevölkerung entfremdet, was in der Tat auch die Hauptursache für das Erstarken des Rechtspopulismus in der westlichen Welt ist oder sein kann.

Das sind einige wenige Beispiel für eine besorgniserregende Entwicklung – OH GOTT, der BESORGTE Bürger! – die in den letzten Jahren immer mehr an Fahrt aufgenommen hat, da die politisch-korrekten Vorschriften und Verhaltensanweisungen wie aus dem Nichts über die Menschen kommen, die – nichtwissend, wo der Gegner eigentlich steht – zunehmend einen diffusen Widerwillen und Widerstand verspüren, der sich wie in Frankreich geschehen, auch in monatelangen Gelbwesten-Proteste entladen kann, sodass man sich fragen muss, wie weit diese „Institutionalisierung der Bürgerrechtsbewegung“, die mit den Rechten des Bürgers nicht mehr viel im Sinn hat, aber dennoch in der Anonymität einer pseudobescheidwissenden Elite innerhalb des Apparats immer wirkmächtiger wird, noch gehen muss, um einen allgemeinen Aufruhr zu provozieren, denn die „Institutionalisierte Bürgerrechtsbewegung“ ist allumfassend, sie sitzt in den Vereinten Nationen, in der WHO, in den NGOs, im Apparat der EU, den Bundes- und Landesregierungen, deren Bundes- und Landesämtern, den Kommunalen Apparaten der Landratsämter und kreisfreien Städten, und bedient sich eines schnell wachsenden Vorrates an Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen aus dem Apparat, die die Selbstbestimmung von so ziemlich alles und jedem regeln sollen. Allein die vier hier vorgestellten „something is wrong studies“ haben das Potential die Selbstbestimmung in allen menschlichen Sphären auf die Spitze zu treiben, dergestalt, dass wir dann zwar alle TOTAL selbstbestimmt sein werden, allerdings auch wieder ausgestattet mit einer Flut an Verhaltensvorschriften, die unser Verhältnis zu den anderen Selbstbestimmtheiten detailgenau regeln werden: Unser Verhältnis zu unserem Geschlecht, zum anderen Geschlecht, unserer Sexualität, zu jedem Anderen, sei er in der Minder- oder Mehrheit, zur Natur, unserer Umwelt und schliesslich zu dem Umgang mit unseren Körpern, unserer Biologie und das selbstredend in allen nur denkbaren Facetten.

Das ist sozusagen die Sozialwissenschaftliche Variante von Thorntons Totalitarismus einer Elite, die mittels der Herrschaft des Rechts die Naturwissenschaftlich erlauschten oder empfangenen Botschaften der Umwelt, der Erde, der Natur in Soziale Normen übersetzt. Beide sind im Kern antidemoktatisch, da sie die Demokratie als eine Veranstaltung von unbelehrbaren und deshalb nicht pseudobescheidwissenden Deppen insgeheim längst aufgegeben haben, und sie sind antifreiheitlich, da ihre Instrumente nicht der Diskurs oder die Überzeugung, sondern die diskursferne Durchsetzung von Sozialen Normen und deren Kontrolle ist, und insbesondere das Konzept der exzessiven Selbstbestimmung in der Endkonsequenz unmöglich individuell befreiend sein kann, weil das angeblich dann selbstbestimmte Individuum immer in ein vorgeformtes Schema der Weltsicht gezwungen werden muss, das keinerlei Devianz mehr erlauben darf, ohne sich selbst damit ad absurdum zu führen. Beide beziehen sich hierbei elitaristisch auf ihre Vorstellungen von „Gut“ im Sinne einer höheren Moral, die über Allem und Allen steht, und diagnostizieren auf der einen Seite vor allem in Umweltfragen einen immer dringlicheren Handlungsdruck und skandalisieren auf der anderen Seite selbst banalste „Sachverhalte“ wie einen dämlichen Karnevalsgag zu unerhörten Diskriminierungstatbeständen hoch, und treiben so mittels ihrer unaufhörlichen und in immer kürzeren Abständen aufschlagenden und immer extremeren Empörungsaufforderungen einen grösser werdenden Teil der Öffentlichkeit, der verunsichert zwischen getriggertem Schuldgefühl und Unterwerfung hängt, vor sich her. Dabei haben sie keinerlei Problem damit, dass sie sich zunehmend in Widersprüche verstricken, dass einige Waldstücke erbittert gegen die Kohleverstromung verteidigt werden, während man andere ohne grosses Aufhebens für Windräder opfert, dass für die Elektromobilität in politisch äußerst fragwürdigen Elendsregionen unter fernöstlichen Einfluss die dafür notwendigen Seltenen Erden von Kindern mit blossen Händen aus dem Dreck gekratzt werden oder dass ziemlich viele Familien von Erntearbeitern, Lastwagenfahrern, Hafenarbeitern, Seemänner und Lageristen in der Dritten Welt ohne nennenswertes Einkommen mehr wären, wenn wir tatsächlich alle beschliessen würden, uns nur noch regional und damit möglichst klimaneutral zu ernähren. Aber sicher! Es stimmt! Und JA, es ist gut und richtig, sich gegen die Klimakrise einzusetzen, um schnellstmöglich den CO2-Austoss zu reduzieren. Und natürlich ist es richtig, die Rechte von Minderheiten zu stärken. Warum aber nur gewinnt man immer mehr den Eindruck, dass es darum nur in zweiter Linie geht? Dass der hysterische Kampf gegen allen möglichen Unbill der westlichen Welt lediglich das Vehikel eines irgendwie progressiv-politisch-moralischen Elitarismus ist, um aller Welt seine nicht eben durchdachte Weltsicht aufzunötigen? Ein zunehmend hohldrehender Moralismus, der aus der Durchregulierung und Kontrolle der mannigfaltigen Ausformungen unseres sozialen und ökologischen Fussabdrucks, selbst unserer schlichtesten Lebensäusserungen, die nur das Geringste über das von irgendjemand festgelegte korrekte Mass des ökologisch Notwendigen oder des politisch Korrekten hinaus gehen, seien sie schön, verrückt, masslos, unvernünftig, verspielt, gedankenlos, grosszügig, lebenswert oder einfach nur frei, seinen politischen Honig saugt, indem er mit wachsenden Erfolg versucht, die Menschen in die altbekannte Benetton-Falle zu triggern:

„Diese Welt ist ein einziges Elend! Der menschengemachte Klimawandel killt die Eisbären! Schildkröten ersticken in unserem Plastikmüll! Kinder ertrinken, weil wir unsere Augen vor ihrem Elend verschliessen! Die Bienchen sterben in Massen! Frauen und Kinder werden sexuell missbraucht und Minderheiten tagtäglich geknechtet! Kurz und gut: diese Welt ist BESCHISSEN! Und Du weisst das. Und dennoch geht es ausgerechnet Dir gut! Ist das Dein Ernst?“

Und natürlich gibt’s jetzt nicht mehr die Möglichkeit, seinen Pulli einfach woanders zu kaufen, denn es gibt eben nur eine Welt.

Aber natürlich bleibt noch die Möglichkeit, sich wiederum von der Betroffenheit zu lösen, die diese Empörungsaufforderung ausgelöst hat, nachzudenken und zu verstehen, dass es anders als behauptet, keinen kausalen oder wenn überhaupt nur einen sehr sehr konstruierten Zusammenhang zwischen dem eigenen persönlichen „Gutergehen“ und dem angeblich bald stattfindenden Weltuntergang gibt, auch weil die Kausalzusammenhänge, die zu den bestehenden Mißständen führten, eben sehr komplex und miteinander verwoben sind, sodass beispielsweise ein Verbot von Plastikstrohhalmen oder Plastiktüten in Deutschland einen kaum messbaren Einfluss auf die Zu- oder Abnahme der Plastikstrudel im Pazifik oder anderswo haben werden, da die USA lediglich mit 4% und die EU mit 1% und Deutschland mit 0,x% dazu beigetragen haben, während der ganz überwältigende Teil des Plastikmülls in den Weltmeeren von Entwicklungsländern in Asien, Afrika, Süd- und Mittelamerika emittiert wird, deren Bewohner oftmals ganz andere Sorgen haben, als ein funktionierendes Recycling-System (auch für importierten Müll) aufzubauen, geschweige denn wohlige FridaysforChange-Demonstrationen zu organisieren oder für Gendergerechtigkeit zu agitieren, weil sie nämlich tagtäglich um ihr Überleben und das ihrer Familien kämpfen. Dass es also ein verdammt langer Weg sein wird, den Zustrom von neuem Plastikmüll merklich zu verringern, da dieser Weg die nachhaltige Entwicklung der Entwicklungsländer voraussetzen muss, was die Aufgabe von Generationen sein und dementsprechend lange dauern wird, selbst wenn wir – was wir tun sollten – mit gutem Beispiel vorangehen werden, so wie wir auch bei der Verschmutzung der Umwelt einst vorangegangen sind. Und dass es eine ziemlich blöde Idee ist, bis dahin unsere Demokratie mal wieder populistischen Menschenfängern zu opfern, eben weil Hysterismus und Unterwerfung auf diesem langen Weg keine Abkürzungen sind.

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